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MISC - sellfish.de Beifang 02/06 | 01

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Ashes Of Creation, The - First Breath After Coma CD

Capitol East / Finestnoise / Radar

The Ashes Of Creation aus Münster, die sich ihren Sound als "Pop Noir" definieren haben lassen, treten mit diesem Album erstmals auf breiter Ebene in Erscheinung. Meine Übersetzung dazu: Zu hören gibt es bombastischen Pop mit sehr spärlichen Emorock-Anteilen und einer kleinen Prise Folk. Die immer wieder präsente Querflöte von Alexandra Boxberger ist dabei nicht nur Trademark, sondern auch ein wenig grenzwertig: Sie drängt das an sich sympathisch melancholische Songmaterial ("Tom Thumb") nämlich manchmal in Richtung Mittelalter... Aber keine Angst, bevor man sich auf einem gotischen Jethro Tull-Trip wähnt, bevor der Kitsch die Melodielinien zu verkleben droht, ziehen Ashes Of Creation ein Ass aus dem Ärmel: Rockige Gitarren beispielsweise, ein treibender Refrain oder sphärische Effektspielereien. Eine weitere Eigenheit hier: Die Vocals kommen von knapp der Hälfte der siebenköpfigen Band, sind mal männlicher, mal weiblicher Herkunft und würzen das vielschichtige Album gekonnt. Wunderschönes, schlicht von Akustikgitarre unterstütztes wie "Walk" beispielsweise steht überraschend stimmig neben dem gut achtminütigen, dramatisch-epischen "The perfect enemy". Das ganze wird von einem stilvollen Booklet abgerundet, den Sound hat Guido Lucas perfekt inszeniert und in Kombination mit den Songwritingqualitäten macht das "First Breath After Coma" endgültig zu einer der vielversprechendsten Underground-Produktionen der letzten Monate.
Bewertung: 6 von 10 Sternen / 54:59 / Indiepop / ashes.de
Michael Streitberger

Decapitated - Organic Hallucinosis CD

Earache / Spv

Die polnischen Generalzerstörer von Decapitated veröffentlichen mit schöner Regelmäßigkeit hochkarätige Alben. Und ziehen mit ihrem neuen Longplayer endgültig an den etwas stagnierenden Landsmännern Vader vorbei. In neun Songs werden diesmal nämlich mit Bravour die eigenen Extreme neu ausgelotet. Progressiv reizt man die Genregrenzen bis ins letzte aus; was hinter dieser Wall of Sound an instrumentalen Kabinettstückchen passiert, wird einigen Altvorderen den kalten Schweiß auf die Stirn zaubern. Unglaublich, wie treibend das Material trotz aller Breaks und Synkopen ausfällt - besonders die Rhythmusfraktion liefert schier Unglaubliches ab. Wobei man weiterhin mit ungeheurer Brutalität zu Werke geht und die charakteristischen Mördergrooves (wir im alles zerschmetternden "Day 69") immer präsent bleiben. Melodien dagegen nehmen nach wie vor eine eher untergeordnete Rolle im Decapitated-Universum ein; und auch die flirrenden Soli der Gitarristen Vogg bzw. Hiro erinnern eher an die schwedischen Meshuggah als beispielsweise an Chuck Schuldiners Saitenohrwürmer. Soundtechnisch lässt die zum Quartett geschrumpfte Band dagegen partout nichts anbrennen - und wüsste man es nicht anders, man würde auf eine sauteure 'Morrisound' Produktion tippen. Fazit: "Organic Hallucinosis" darf man schon jetzt als eines der eindringlichsten Statements in Sachen technischer Death Metal dieses Jahr definieren. Für Freunde harter Musik müsste diese halbe Stunde leicht acht Punkte wert sein; Fans von Meshuggah, Hate Eternal oder den späten Cannibal Corpse sollten sogar noch einen dazu zählen.
Bewertung: 8 von 10 Sternen/ 32:34 / Deathmetal / earache.com
Michael Streitberger

Final - 3 2-CD

Neurot Recordings / Southern / Cargo

Die musikalische Welt des Justin Broadrick war nie eine einfache. Was man am ehesten daran merkt, dass seine langjährige Leidenschaft Godflesh trotz ihrer avantgardistischen Industrial-Variationen noch zu dem hörbarsten Output des ehemaligen Napalm Death-Mitglieds gehört. So gesehen darf sein Projekt Final, welches seinerzeit skurrilerweise auch die ersten Versuche mit dem Kreieren von Musik für den Protagonisten markierte, wohl zu den unaufdringlichsten kreativen Ergüssen des Engländers gewertet werden. Die 27 Titel auf dem neuen Final Album sind dennoch keine Songs im herkömmlichen Sinn. Denn sie haben mit dem erwähnten Industrial-Sound, welchen man sonst gerne mit Broadrick assoziiert, praktisch nichts zu tun. Vielmehr begegnet man hier flächigen Ambient-Tracks, die jeglichen Songschemata entbehren und allesamt eine sehr düstere Stimmung transportieren. Natürlich rein instrumental und bis auf ein paar effektbearbeitete Gitarrenparts vollkommen elektronisch erzeugt. Das Material zu "3" entstand während der letzten fünf Jahre, teilweise mit Unterstützung des bisher unbekannten Diarmuid Dalton. Es mag sein, dass es Stimmungen gibt, in denen der "Dark Ambience Drone"-Sound von Final passt. Und zwischen der Höchstnote oder einem kompletten Verriss bleibt im Falle von "3" wohl auch wenig Spielraum. Für den herkömmlichen Gebrauch ist mir das Material aber schlicht zu wenig packend, weshalb ich mich eben doch für eine Bewertung im Durchschnittsbereich entscheide.
Bewertung: 5 von 10 Sternen / ca. 130 min / Avantgarde-Elektro / neurotrecordings.com
Michael Streitberger

Letzte Instanz – Ins Licht CD

Drakkar / Sony

Man kann es als Aufbruch zu neuen Ufern verstehen. Ein Aufbruch, der bereits vor vielen Jahren begonnen hat und der an seiner Spitze von begnadeten Bands wie In Extremo, Schandmaul, oder eben auch Letzte Instanz weitergeführt wird. Mit dem neuen Album „Ins Licht“ soll nun wieder neuer Schwung in die Mittelalterbewegung gebracht werden, nicht zuletzt aufgrund des doch relativ groß ausgefallenen Line-Up Wechsels, den die Letzte Instanz verkraften musste. Aber durch frische Leute wird auch wieder frischer Wind in die Segel geblasen. „Ins Licht“ klingt in seiner Gesamtheit ausgeglichen und zugleich gegensätzlich. Mal kraftvoll durch moderne Metalriffs („Ohne dich“), mal gewohnt folkloristisch („Das Stimmlein“), oder balladesk geprägt, wie „Silber im Stein“, welches voller Poesie und Wehmut die von Sehnsucht geprägten Nuancen hervorragend präsentiert. Mit dem neuen Sänger Holly ist man zudem in der Lage gefühlvoll und zugleich aggressiv, melancholisch aber auch wieder ausdrucksstark zu klingen, wobei sich die Band auch von der instrumentalen Seite an komplexe Klangstrukturen heranwagt. So verschmelzen beispielsweise in Liedern wie „Womit die Welt begann“ oder im tollen opener „Sonne“ harmonische Streicherarrangements mit Metal – Gothic – Klängen, ohne dabei ins klischeehafte oder überspitzte abzudriften. Liegt wohl nicht zuletzt auch daran, dass in den weithin bekannten Woodhouse Studios (u.a. Tiamat, The Gathering) aufgenommen wurde, wo „Ins Licht“ noch das „i“- Tüpfelchen zur wohl bisher vollkommensten Platte der Band herausgekitzelt wurde. Man sieht also, dass Bands, die mit deutschsprachigem Mittelalterfolk /-metal ihre Brötchen verdienen noch lange nicht zum sprichwörtlichen alten Eisen gehören, sondern immer noch einen gefestigten Platz nicht nur in den Musikläden, sondern auch in unseren CD – Regalen haben und auch weiterhin haben sollten.
Bewertung: 6 von 10 Sternen / 50:42 / Mittelaltermetal / letzte-instanz.de
Uwe Wollein

Machinemade God - The Infinity Complex CD

Metal Blade / Spv

Albumtitel und Artwork lassen eher auf eine Progressive-Band tippen, tatsächlich aber hauen Machinemade God einfach nur relativ straight auf die (Metalcore-)Kacke. Allerdings so professionell, dass man dem rheinischen Fünfer seine Herkunft zu keiner Sekunde anhört. Thrashiges Riffing, heißere Vocals, breakdurchsetzte Songs und ein paar melodische Happen zeigen stattdessen, dass im dicht besetzten Feld zwischen God Forbid und Born From Pain offenbar noch Platz für eine weitere fähige Band bleibt. Zumal Hatesphere-Frontmann Jacob Bredahl einen enorm druckvollen Sound fabriziert hat, der dennoch genügend Raum für die paar kleinen Feinheiten der Scheibe bereit hält. Den im Info vertretenen Anspruch auf Innovation können sich Machinemade God aber in die (gepflegten) Haare schmieren: "The Infinity Complex" ist ein waschechtes und angenehm energiegeladenes Genrealbum geworden, dem allein der Wiedererkennungswert abgeht. In Zeiten der Metalcore-Marktüberflutung kann man trotz - gerade für ein Debüt! - vieler guter Momente deutlich zu wenig Akzente setzten... vielleicht klappt's beim nächsten Mal?
Bewertung: 5 von 10 Sternen / 42:58 / Metalcore / metalblade.de
Michael Streitberger

Raunchy - Death Pop Romance CD

Lifeforce Records

Nach zwei respektablen Veröffentlichungen für Nuclear Blast sind Raunchy nun bei Lifeforce Records gelandet. Und die Dänen dürften im Lager der Metalcore-Spezialisten einen Sonderplatz einnehmen. Dabei mangelt es ihrem auf Hochglanz produzierten Material keinesfalls an Durchschlagskraft. Denn objektiv gesehen knüppeln sich Raunchy ganz schön neo-thrashy und mit enormer Geschwindigkeit durch ihre "Death Pop Romance". Aber der Albumtitel kommt nicht von ungefähr, und so sind es die melancholischen Melodien, welche die zehn Songs auszeichnen und irgendwie doch ein (reichlich abgefahrenes...) Romantik-Gefühl vermitteln. Eben diese Melodien werden dabei noch am wenigsten von den derben Vocals von Kasper Thomsen getragen. Es ist vielmehr die superharmonische Gitarrenarbeit in bester Göteborg-Manier, welche sich überraschend flink im Ohr festsetzt. Dazu kommen die omnipräsenten Keyboards von Zweitsänger Jeppe Christensen, die dem Material einen ebenso modernen wie hymnenhaften Anstrich verleihen. Auf diese Weise kompensiert sich die an sich extreme Härte in einem hitverdächtigen Sound mit reichlich Massenappeal. Wessen Freundin sich jedenfalls einfach nicht auf einen romantischen Kerzenlicht-Abend zu den Klängen von In Flames einlassen möchte: Mit Raunchy und Highlights wie "Abandon your hope" könntet ihr einen Kompromiss anstreben.
Bewertung: 6 von 10 Sternen / 48:37 / Metal / raunchy.dk
Michael Streitberger

Thunderbirds Are Now! - Just A Mustache CD

French Kiss / Alive

Clap your hands... and start the record. Eine Formel, die funktioniert; mittlerweile bekanntermaßen auch kommerziell. Und mit den hierzulande bislang als völlige Unbekannte gehandelten Thunderbirds Are Now! schüttelt jemand den Klang des neuen alten Post-Punk-Genres frappierend mühelos aus dem, yes, Handgelenk: Spröde Gitarrenriffs, funky Basslinien und enorme Spielfreude kombiniert der Vierer mit Keyboards die mal weh tun, mal vorantreiben, zu einem echten Kleinod. Der ominöse Albumtitel lässt es schon erahnen: Bei Thunderbirds Are Now! geht es dennoch nicht bierernst zu. Auch an anderer Stelle outen sie sich dank Songtiteln der Marke "Enough about me, let's talk about me" sowie sagenumwobenen Liveshows als echte Spaßvögel. Unabhängig davon: Die können das. Songs schreiben, Hits machen... und denen geht auf Albumdistanz zu keiner Sekunde die Puste aus. Die Mischung aus verworren bzw. überdrehten Momenten sowie dennoch auf Anhieb eingängigen bzw. tanzbaren Rhythmen und Melodien zündet einfach. Mit dem eindringlichen "This world is made of paper" oder dem Rausschmeißer "Cobra feet" kommt man ganz zum Schluß sogar erst nochmal so richtig in Fahrt. Fazit: Definitiv lohnendes Futter für diejenigen, deren Popo schon zu Robocop Kraus, Les Savy Favs (übrigens Labelmates) oder den famosen The Faint wackelt. Bonbon am Rande: Thunderbirds Are Now! sind für diesen Sound noch erstaunlich "Underground"... Unbedingt antesten!
Bewertung: 7 von 10 Sternen / 34:07/ Indierock / thunderbirdsarenow.com
Michael Streitberger


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