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Pelzig + Klez.e - Live

Rakete / Nürnberg

Off the stage and into your heart

20.04.2005


let’s start, gimme just a minute


Ärgerlich man erreicht den Veranstaltungsort und hört schon vor dem Club, dass das Konzert bereits begonnen hat. Dabei hatte man extra versucht pünktlich zu sein. Also rein, an der Theke noch schnell ein Bier mitnehmen, damit man nicht so verloren vor der Bühne steht und sich irgendwo festhalten kann.

Da sind sie wieder die fünf sympathischen Berliner, die vor gar nicht so langer Zeit schon einmal hier gespielt haben, um ihr Debütalbum „leben daneben“ vorzustellen. KLEZ.E-Kopf Tobias Siebert ist bereits wieder voll in seinem Element. Die Gitarre ist hier mehr als nur Instrument, seine Stimme setzt der bescheidene Mann, aber fast immer noch schüchtern ein.

Man blickt sich um, wieder sind viel zu wenige Menschen in der Rakete. Beide Bands hätten deutlich mehr Publikum verdient. Immer dieser zurückhaltende Abstand zur Bühne, das wird wohl nie verschwinden.

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glaub nur nicht, glaub nur nicht an mich


Obwohl noch mitten zwischen Tür und Angel, stellt sich nach kürzester Zeit Konzertatmosphäre ein. Das Album „leben daneben“ läuft zwar bereits seit geraumer Zeit in der Anlage und live gesehen hat man sie auch schon und trotzdem fasziniert einen der Auftritt sofort wieder. Live begeistert es eben doch noch einen Tick mehr und man glaubt an diese Band mehr als zuvor und möchte es laut in die Welt schreien, dass da ganz viele Menschen etwas Wunderbares verpassen.

KLEZ.E bauen nach und nach eine wall of sound auf; Gitarrenwände paaren sich mit Keyboards, Tobias Siebert kniet am Boden und entlockt den Effektgeräten wundersame Töne. Alles verzerrt, alles verschwimmt. Mancher denkt dabei an RADIOHEAD. „anders als jetzt“ zieht vorbei und natürlich die zweite Single „real fernsehen“. An Spannung mangelt es dem Set nie: An manchen Stellen wirken die Songs zerbrechlich und die Band tanzt auf einem dünnen Seil in schwindelerregender Höhe ohne doppelten Boden. Siebert kämpft und trägt das Lied mit seiner Stimme über das Seil und kurz bevor es reißt, fängt die nächste Gitarrenwand das ganze auf. Ein knochentrockener Bass und ein vertracktes Schlagzeug bringen das Schauspiel zu einem guten, sicheren Ende. Hier liegt die Stärke der Band und vor allem des Albums: Eine mit Details gespickte Schönheit, die verletzbar ist. Aber KLEZ.E spielen dagegen an und gewinnen den Kampf fast immer. Ist man erst mal auf der sicheren Seite, ist dann auch Ruhe und Platz da, die Songs ausufern zu lassen. Die Band kann sich genau wie der Zuhörer treiben lassen, die Augen schließen und in eine ganz eigene Welt abtauchen.

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wir wissen genau, das alles so ist, wie leben im Glas, man sieht dabei zu
und denkt manchmal dran, es vielleicht zu ändern, vielleicht irgendwann


Als politische Band würde man KLEZ.E zunächst nicht bezeichnen. Das würde in die Irre führen. Betrachtet man aber die Texte, findet man aber so einiges an Kritik und deutlichen Worten. Nicht weltpolitisch, sondern eben auf einer persönlichen Ebene. Gefangen zu sein, in einem Gesellschaftsmuster, in dem schon so viel vorgegeben ist und aus dem es ich lohnen würde auszubrechen. Während Sieberts zweite Band DELBO eher mit sehr vertrackten, oft undurchschaubaren Texten glänzt, wird er auf „leben daneben“ schon recht konkret. Am deutlichsten formuliert, findet man das zum Beispiel bei der ersten Single „du auch“. Da heißt es „wir sind alle nur Statisten hier“ und damit wird klargemacht, wo der Ursprung für viele Probleme liegt. Ähnlich direkt wird es bei „leben im Glas“, wo sich die ganze Stärke der Texte zeigt. Kritik ist hier in gut gemalte Bilder verpackt, die Sprache ist nicht nur Mittel zum Zweck, sondern eine schlagkräftige Waffe.

Nachdem man fast alle Highlights vom Debütalbum gespielt hat, gibt es noch einen neuen Song, der laut Siebert noch keinen Namen hat. Wie aus dem Nichts kommt er bei diesem Konzert und kann auf Anhieb locker das Niveau der „alten“ Songs halten. Nachdem sich KLEZ.E bald wieder ins Studio verziehen wollen, um am zweiten Album zu arbeiten, kann man nur Großes erwarten, wenn die Lieder ähnlich gut werden, wie die erste Kostprobe.

we could be so glad, we came in time and you know we are dangerous in mind

Mit PELZIG haben sich anschließend wahrlich keine Unbekannten eingefunden. Ingolstadt bildet an diesem Abend den kulturellen Gegenpol zu den Berlinern. Richtig Ingolstadt, da war doch was. SLUT kommen auch aus dem beschaulichen, bayerischen Städtchen, das sich zwischen München und Nürnberg angesiedelt hat. PELZIG gibt es nun auch seit einigen Jahren und ist die Schwesterband von SLUT, was unter anderem daran liegt, das SLUT-Gitarrist Rainer Schaller auch bei PELZIG die sechs Saiten bearbeitet und René Arbeithuber am Schlagzeug dabei ist, wodurch er sich als Multiinstrumentalist qualifiziert, schließlich ist er bei SLUT für Keyboards und Gitarre zuständig. Live haben sich PELZIG mit einem fünften Mann an den Keyboards verstärkt. Außerdem ist der gute Mann für alle Art von Saiteninstrumenten zuständig und für die Ziehharmonika, die Sänger Christian Schulmeyr später noch mit typisch bayerischem Charme als „Kwetschn“ vorstellen wird.

PELZIG sind größeres Publikum gewöhnt, das merkt man ihnen an. Während SLUT seit einiger Zeit große Publikumsmengen ziehen, profitieren auch PELZIG normalerweise davon und auf vergangenen Touren hat man unter anderem im Vorprogramm der SPORTFREUNDE STILLER gespielt, da war natürlich auch ehr geboten, wobei PELZIG an sich definitiv in einem Club besser aufgehoben sind, als in einer großen Halle im Vorprogramm einer musikalisch nicht verwandten Band. Trotzdem sind die fünf Herren vielleicht etwas enttäuscht über die Besucherzahl, ein paar mehr hätten es ruhig sein dürfen, auch wenn Sculmeyr bemüht ist, das vom Tisch zu wischen und nicht als Problem zu sehen.


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show me what you like or what you fear, or just describe the way you feel


Musikalisch passt das am heutigen Abend schon deutlich besser zusammen. PELZIG machen ebenfalls Gitarrenmusik mit einer Prise Elektronik, wobei die Gitarre hier deutlich im Vordergrund steht. Zusammen mit dem selbstbewussten Bass wird ordentlich Druck erzeugt und Arbeithuber zündet hinter seiner Schießbude ein wahres Feuerwerk. „part-time tragedy“ ist dafür ein gutes Beispiel. Generell steht bei PELZIG das Rocken wieder mehr im Vordergrund. Während man auf dem letzten Album „drive your engine clean“ noch gerne mit Elektronikspielereien experimentiert hat und die Songs etwas aufwendiger, komplexer gestaltet hat, ist das neue Album „safe in its place“ viel direkter.

Vor allem live merkt man, worum es bei dieser Band geht: Die beiden Herren von SLUT können befreiter aufspielen, als bei ihrer Hauptband. Dort hat man eben schon eine bestimmte Zielgruppe und ein bestimmtes Publikum, das man über die Jahre aufgebaut hat. Bei PELZIG herrschen ganz andere Erwartungshaltungen. Der Rest der Truppe kann Musik machen, einer Leidenschaft nachgehen, ohne dabei auf jedes Detail zu achten. Mit PELZIG will niemand Geld verdienen, hier geht es wirklich ausschließlich um Musik.

Betrachtet man die Unterschiede zwischen den PELZIG-Alben, kann man ebenfalls eine Parallele zur Entwicklung der letzten SLUT-Alben ziehen. Während SLUT auf „nothing will go wrong“ noch alle Möglichkeiten aus ihrem musikalischen Kosmos ausgespielt haben, hat man sich mit dem aktuellen Album wieder schlichteren Songs gewidmet. „all we need is silence“ ist spröder, trockener und kommt mit weniger Verzierungen aus. So in etwa ist das wohl auch bei PELZIG verlaufen. Man merkt den Wunsch und die Vorliebe für einen direkten, knackigen Rocksong.

nighttime is a better friend, all your lights went down and bend

PELZIG sind bemüht an diesem Abend, aber der letzte Funken will nicht überspringen. Dabei sind sie richtig gut. Schaller zeigt seine Freude am Gitarrenspiel. Schulmeyr bewegt sich in seiner typischen Art am Mikrofon. Der kräftige Glatzkopf sticht sofort heraus. Die Instrumente werden getauscht und mal durchgewechselt, dazu ein paar auflockernde Ansagen. Auffällig gut gekleidet sind sie alle. Der Applaus vom Publikum ist herzlich und ehrlich.

Bei dem flotten „the modern harm“ kommt richtig Stimmung auf. Zwischen den Liedern scheppert ein Spielautomat im hinteren Bereich des Clubs und kurz vor der Zugabe schauen zwei Polizisten in den Konzertsaal. Absurde Impressionen eines Mittwoch Abends. Bei der Zugabe gibt es mit „fastball“ einen der Kracher vom alten Album auf die Ohren und man wünscht sich Schulmeyr würde zwischendurch öfter schreien, das kann er nämlich ganz gut. Und dann entlassen einen die Ingolstädter so langsam in die Nacht. Man verlässt den Club mit dem Gefühl, dass man gerade eben zwei der interessantesten, deutschen Indie-Rockbands gesehen hat, denen es vergönnt wäre, vor deutlich größerem Publikum und einer lockeren Atmosphäre zu spielen. Die beiden Bands können nämlich richtig viel, sowohl live als auf Platte.

Text: Sebastian Gloser
Fotos: Pressefreigaben


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