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Rock im Park - Live

Reichsparteitagsgelände / Nürnberg

02-04.06.2006

der etwas andere Live-Bericht:

Nürnberg (cdo) Neulich, Freitag Nacht, bei Rock im Park. Mit dem Ziel einer eingehenden Milieustudie schmuggelt sich der passionierte Soziologiestudent und freiberufliche Musikjournalist Franz D. illegal auf das Festivalgelände am Dutzendteich. Er kriecht unter Absperrungen hindurch und täuscht das Security-Personal, indem er sich hinterlistig sturzbesoffen stellt. Auf dem Weg über den Campingplatz, auf dem anarchische Zustände herrschen, wird er von schlechter Musik aus röhrenden Kleinbussen belästigt, von rücksichtslosen Festivalgängern grundlos in ihm fremden Sprachen angeschrieen und von den Überresten von geleerten Bieren um ein Haar lebensgefährlich verletzt.
Er denkt zurück an die Zeit, in der er selbst erstmals Teil dieser Jugendbewegung war. Als er 130 D-Mark bezahlt hat, nur um „Oasis“ auf dem Tiefpunkt ihre Karriere zu sehen und danach mit offenem Dosenbier im Zelt einzuschlafen, wo er deshalb fast ertrunken wäre.
Heute kostet dieser Spaß doppelt so viel, zumindest für die, die nicht so viel Glück haben wie Franz D., der auf einem Weg in Richtung der Hauptbühne einen V.I.P.-Ausweis findet. Kurz wähnt er sich im Märchen, aber mehr Wünsche hat er an diesem Abend nicht frei. Eigentlich will Franz D. den Ausweis zurückgeben, aber das Fundbüro hat schon geschlossen.
Also wechselt er ab diesem Zeitpunkt die Identität: Er ist jetzt nicht mehr Soziologe Inkognito, sondern Großsponsor Baron Franz von D.. Und wie es sich für einen Herren aus gutem Hause gehört, zeltet Franz von D. natürlich nicht im Kreise des einfachen Festivalvolkes. Er nimmt stattdessen das Taxi nach Hause, schläft in seinem Himmelbett und genießt am nächsten Tag ein üppiges Mittagessen im Kreis der Familie.
Die ersten, wenig talentierten Bands am Nachmittag lässt er mit dem Verweis verstreichen, dass ihre Alben im „Rolling Stone“ nur zwei von fünf Sternen bekommen haben. Und bei minderjährigen, hysterischen Mädchen vor der Bühne kann er Punkte sammeln, indem er anmerkt die Band damals in Frankreich viel besser gesehen zu haben. Und überhaupt „Metallica“: Auf so einen Bauernfänger falle er schon gleich gar nicht rein. Stattdessen mischt sich Franz von D. vor der Alternastage unter das intellektuelle Publikum von „Morrissey“, dem Sänger der „Smiths“. Wenn die wüssten, dass er zu deren Zeiten noch in die Hosen gemacht hat, denkt er sich und singt den alten Hit „Hang The DJ“ überzeugend mit. Gleichzeitig hängt ein Bungee-Springer vom Himmel, was wirklich nicht sein muss.
Nach dem Konzert holt Franz von D. am Bierstand für 3,30 Euro zur fundamentalen Kritik gegen Rock im Park aus: Viel zu lange Wege von Bühne zu Bühne, keine Band in Höchstform, keine Stimmung und so viel Flair wie ein Reichsparteitagsgelände nur ausstrahlen kann. Und Rock’ n’ Roll sei eh mal wieder tot und er viel zu alt für das alles - ein starker Abgang.
Danach packt er seinen Ausweis ein und wandert ins Diskozelt, wo er leere Becher vom Boden aufsammelt und mit dem Pfand an zwei Tagen 50 Euro verdient. Für einen Studenten eine Menge Geld. Denn irgendwie muss man sich das nächste Festival ja finanzieren.


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