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Rise Against

The Sufferer & The Witness

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Die Sorge hat bei mir schon immer überwogen, wenn die Lieblingsband die man seit ihren Kinderschuhen begleitet, den Sprung auf den Major wagt. So auch vor ein paar Jahren bei Rise Against: Vom familiären und chaotisch-genialem Fatwreck-Heimathafen direkt zum Musik-Moloch Universal/Geffen.
Doch was die vier Chicagoer dann mit dem Major-Debüt „Siren Songs Of Counter Culture“ im Jahr 2004 abgeliefert hatten, war mindestens so erleichternd wie verdammt beeindruckend. Ein Meisterwerk der dichten und aggressiven Melodie-Verrohung ganz im Stile des genialen Vorgänger-Albums „Revolutions Per Minute“. Aber mehr noch: Eine Weiterentwicklung weg von der unbedarften Aggressivität hin zum ausgeklügelten Konstrukt aus Melodie, Dynamik und Angriffsfreude. Noch nie wurde das Zusammenspiel aus Zuckerbrot und Peitsche auf einem Album so vorzüglich zelebriert wie auf diesem. Das Ende der Fahnenstange? Naja, wie das nun mal so ist, mischt sich in das ungläubige Staunen und die fassungslose Freude über ein Album das in seiner Kreativität und Kurzweiligkeit bis heute seinen Meister sucht, die böse Ahnung vor dem was danach noch kommen mag. Die erste Enttäuschung ließ nicht lange auf sich warten: Das gute (aber bei weitem nicht konkurrenzfähige) Re-Release des Debüts „The Unravelling“ mit Songs aus frühen Tagen und der üblichen raren Track-Klamottenkiste ermöglichte Fatwreck noch mal ein paar Dollars in der Kasse und Rise Against die Zeit, um dem selbst auferlegten Druck mit neuen Songs entgegen zu stinken. Und jetzt?
Mit „The Sufferer & The Witness” wagen Rise Against wieder ein Schritt nach vorne, versuchen ihre Musik auf ein nächstes Level zu heben, ohne die eigenen Wurzeln zu verraten oder gar Fans der ersten Stunde zu vergraulen. Auf „Siren Songs Of Counter Culture“ hat sich dieses schon angekündigt: Der Hardcore-lastigen Hau-Drauf-Menatlität wurde ein diffizileres Songwriting beiseite gestellt: Mehr Kunst in der Stimme, mehr Harmonie in den Chören und dazu die Verquickung von neuen Stilelementen wie Spoken Words, Akustik-Passagen und mellow Parts. Das war die Mischung für Millionen. Der Nachfolger startet mit dem Opener „Chamber The Catridge“, bedient die Fangemeinde und könnte genauso auch drei Jahre früher entstanden sein. Mit dem darauf folgenden „Injection“ zeigen Rise Against wofür sie berüchtigt sind: Melodiöse Songparts flankiert von derben Shouts und mächtigen Hardcore-Riffs. Und die Stimme von Tim McIlrath tanzt wieder auf des Messers Schneide zwischen Abgrund und Erfüllung. Was aber ist neu? Die Songs wirken aufgeräumter, fast berechnend: Beinahe Emo-artig wird die dunkle Stimmung heraufbeschworen und durch melodische Refrains untermauert. Clean: ja, ohne Seele: nein. Ein Thema wird aber mit der neuen Scheibe auch fortgeschrieben: Die Punkrock-Elemente nehmen zu, zwar schnelle Melodien und aber auch hier und dort Lyrics ohne die großen Ideen („Ready to fall“). Dazu gesellen sich tatsächlich Pop-Allüren mit langsamen Gitarrenparts, weiblichen Gast-Vocals („The approaching curve“) und Akustik-Spielereien.
Ein Album gespickt von neuen Strömungen, die als Fan zwar zu vermuten waren - in dieser Deutlichkeit aber kaum erwartet wurden. Mein großer Respekt also vor den vier Jungs, die zwar kein erneutes Standard-Werk des HC/Punkrock-Genres geschaffen haben, aber immerhin eine gelungene Weiterentwicklung als Band vollzogen haben. Zum Über-Album fehlt die Dichte, Rotzigkeit und das komplette In-den-Bahn-ziehen wie es der Vorgänger geschafft hat. Das war zwar meine Sorge, enttäuscht bin ich aber von diesem Album noch lange nicht. Vor allem weil Rise Against mit dem gigantischen „Prayer Of The Refugee“ den Hardcore-Ohrwurm dieses Jahres geschaffen haben.

Bewertung: 8 von 10 Sternen / 44:10 / Hardcore/Punkrock

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