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Kolkhorst

Wir sind größer

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Kai-Uwe Kolkhorst tourt nicht mit dem Bus. Oder mit dem Auto. Kolkhorst geht per Bahn auf Tour, und auf Deutschlands Schienen erlebt er anscheinend einiges. Viel davon und noch mehr hat er jetzt auf sein zweites Album „Wir sind größer“ gepackt, zusammen mit Sounds aus dem Drumcomputer, einer verzerrten Gitarre und ab und zu auch mit einem Keyboard. Herausgekommen ist ein Album, das zuerst einmal auf der Seite landet. Was will der Typ eigentlich? Elektropunk? Indierock mit zu viel Verzerrer? Oder doch eher reduzierte neue deutsche Welle? Doch es lohnt sich, genauer hinzuhören. Kolkhorst macht sein eigenes Ding. Der Opener „So lang allein“ bietet nicht nur textlich einiges, sondern überrascht auch mit einer großartigen Melodie und Intensität. „Du bist schon so lang allein / als dass du jemanden vermisst / niemand ist bei dir, der dir sagt dass du einsam bist.“ Es ist eine drückende Grundstimmung, die sich sofort breit macht und auch die weiteren 45 Minuten nicht mehr verschwindet. Dabei wird nicht absichtlich die Schwermuttaste gedrückt, sondern die minimalistische Instrumentierung – ein grollender Verzerrer, eine monotone Basslinie oder auch mal dumpfe Elektronik – mit ehrlichen Texten kombiniert. Und die handeln nun mal nicht nur von den schönen Dingen des Lebens, sonder bringen ganz ohne Pathos auf den Punkt, worum sich das Leben meistens so dreht. Kolkhorst erfindet die Themen dabei natürlich nicht neu. Aufgewachsen und immer noch wohnhaft in Lüneburg, singt er von der trostlosen Jugend in der Kleinstadt, von verflossenen Lieben und davon, dass es doch immer irgendwie weitergeht („Es gibt wieder Hoffnung / Ich sehe eine Öffnung“). Gekonnt umgeht er dabei aufgestellte Fettnäpfchen und erschafft seine eigene schnoddrige Poesie, dazu rumpelt, dröhnt und fiept es von dramatisch bis tanzbar durch alle erdenklichen Gemütszustände. Dass Kolkhorst ein großer Falco-Fan ist, merkt man seiner Art zu singen an, trotzdem bleibt er stimmlich variabel und an Einfallsreichtum für immer neue kleine Melodien und Spielereien mangelt es nicht. Leider kann er dieses Niveau nicht über das ganze Album halten – ein Stück wie „Andere Schwingungen“ geht zwar schnell ins Ohr, verschwindet aber hoffentlich auch wieder schnell von dort, sonst droht ein Reiz des Hörnervs. Trotzdem ist Kolkhorst eine der positiven Überraschungen, die das Haus Tapete in letzter Zeit hervorgebracht hat – und wir markieren auf der Landkarte: Lüneburg beherbergt einen Vertreter der seltenen Spezies „gute deutsche Elektrorocksongwriter“. Schon wieder etwas gelernt. Ach so, und live sollte man sich die Ein-Mann-Show Kolkhorst nicht entgehen lassen, da packt der Herr noch mal einen extra Schuss Wahnsinn obendrauf. Ob das am Transportmittel Deutsche Bahn liegt - wir können es nur vermuten.

Bewertung: 7 von 10 Sternen / Spielzeit 44:03 / Elektro-Rock

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