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Spitz, Marc

Wann Nur, Wenn Nicht Jetzt?

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Marc Spitz' Roman "Wann nur, wenn nicht jetzt?" schlägt die Brücke von Hornby zu Irvine Welsh. Und beleuchtet ganz nebenbei die New Wave Szene der 80er. Faszinierend und in einem Rutsch zu lesen!

Es muss kalt gewesen sein, damals in Manchester, und verregnet. Es muss einfach so gewesen sein, wie sonst? In dem Moment, als Morrissey und Johnny Marr sich 1982 trafen (das zweite mal trafen, um genau zu sein) und in die winzige Dachwohnung Marrs stolperten, um dort womöglich schon "Hand in Glove" zu schreiben. Und es muss auch kalt gewesen sein, als sich die Smiths im August 1987 wieder trennten, da schon nicht mehr in der hässlichen Industriestadt Manchester, sondern über den Globus verstreut. Dazwischen lag, man kann es ruhig so nennen, eine musikalische Epoche, an deren Entstehung die Smiths so maßgeblich beteiligt waren, dass es eigentlich kein Wunder mehr ist, dass ausgerechnet der NME die Band in einem seiner unzähligen Polls auf Platz 1 der wichtigsten Bands aller Zeiten hob.

Der Exzentriker Morrissey hat nie einen Hehl daraus gemacht, ein hässlicher Nerd zu sein. Ganz im Gegenteil, stilisierte er sich doch künstlich hoch, durch Hornbrillen und Hörgeräte etwa, die der junge Mann weiß Gott nicht brauchte. Steven Patrick Morrissey war so exzentrisch wie ein junger Oscar Wilde Fan nur sein konnte. Hockte still und leise auf Grabsteinen, rezitierte aus der Weltliteratur und bejammerte sein Schicksal, seine Einsamkeit, sein Leid. Und als daraus Songs wurden, als Marr das in Töne verwandelte, was Morrissey in Worte fasste, da strömte es hinaus in die Welt und verteilte sich in den Gehirnen und Adern tausender einsamer Nerds wie Nikotin und Alkohol. Die Smiths waren endlich die Stimme einer Armada junger, pubertärer Freaks, die sich nichts sehnlicher wünschten, als - tja, als was eigentlich? - vielleicht normal zu sein? Die Smiths und ihr Selbstmitleid trieben sie immer weiter in die Leere und befreiten sie gleichzeitig aus ihr. Die Texte Morrisseys waren sowohl Stoßgebete als auch Pamphlete, wütende Anklage als auch stille Einkehr. Und immer wieder die Einsamkeit, die aus ihnen sprach, ganz gleich ob Morrissey nun übertrieb oder nicht. Tausende Fans fühlten genauso - und wenn nicht, dann taten sie zumindest so.

Willkommen in den Achtzigern also, als der Begriff "Indie" durch die Smiths geprägt wird, obwohl er eigentlich etwas ganz anderes meint. Morrissey machte jedenfalls nie einen Hehl daraus, dem Erfolg hinterher zu jagen. Und es ist kein Geheimnis, dass er fluchte, schimpfte und wohl auch heulte, als die aller erste Smiths Single "Hand in Glove" nicht den Erfolg einfuhr, den er sich erhofft hatte. Dabei brauchte es letztlich nur wenig Zeit, bis der Erfolg sich einstellte. Bereits das Debüt-Album "The Smiths" schlug ein, Platz 2 der UK Charts. Und Morrissey wurde dennoch nicht glücklich. Er litt in seinen Songs, genauso wie er wütende Brandreden auf Nicht-Vegetarier hielt ("Meat is Murder"). Und irgendwo da draussen waren sie, die Nerds, und saugten begierig all die Enttäuschungen auf, die sich in ihre eigenen verwandelten, sofern dass noch nicht geschehen war.

Auch Marc Spitz muss einer dieser jungen Menschen gewesen sein. Zwar heisst die Romanfigur Joe Meane Greene und lebt auf Long Island vor der Haustür New York's - aber die ist so realistisch geraten, dass sie nur an seine eigene Biographie angelehnt sein kann. Joe Greene ist eines dieser weißen Mittelstandskinder, denen in ihrer Jugend die Normalität und der gesellschaftliche Status abgehen, die hinter den Fassaden glücklicher Familien vor allem eines sehen: Traurigkeit. Der verzweifelte Ausbruch aus der Normalität wird schon in jungen Jahren zu Greenes Motor. Mit 13 wird er Punk. Er kleidet sich wie einer, er raucht und säuft wie einer - aber er ist keiner. Im Grunde seines Herzen versteht Greene schon damals, dass er nach einer Form der Selbstdarstellung sucht, die seinem Ego mehr entspricht, als es die wütende Agrressivität des Punks zu leisten vermag. Spitz beschreibt auf so amüsante wie grandiose Art und Weise, wie der Greene zum ersten mal mit den Smiths in Berührung kommt: er ist shoppen in Manhatten. In einem Secondhand-Laden hängt ein Smiths-T-Shirt. Er kennt die Band nicht, kauft es aber, weil sein Begleiter und bester Freund feuchte Augen beim Anblick des Schriftzugs bekommt. Dabei ist auch er, was die Smiths angeht (aber nicht nur die Smiths angeht), noch nahezu jungfräulich. Alles was er gehört hatte, war ein Gitarrenriff am Ende eines ihm unbekannten Liedes. Und die Worte eines Radiomoderators, der den Bandnamen nannte: The Smiths. Fortan jagen die beiden dem Mythos hinterher, bis ausgerechnet Greene einem Mädchen begegnet, die ihm ein Smiths-Tape schenkt. Er ist vom Fleck weg verliebt - in das Mädchen, in die Musik, aber auch in einen neuen Stil, den anzueignen er sich insgeheim schon lange gewünscht hatte. Vorbei die zeit der Lederklamotten und Nietengürtel. Fortan werden Hemden getragen, die Haare zur Tolle geformt und for allem eines geübt - der traurige Blick.

Spitz formt daraufhin einen Charakter, der sich genauso verloren fühlt wie Morrissey: die Liebe ist unerreichbar, der erste Fick sowieso. Zeitsprung: Greene ist fast 30, arroganter Rockjournalist mit Hang zum exzessiven Alkohol- und Sexkonsum, Ex-Junkie, verbraucht und voller Angst davor, 30 zu werden. Als er Mikki begegnet, einer neuen Mitarbeiterin in der Redaktion, verliebt er sich zum ersten mal seit den Anfangstagen der Smiths wieder unsterblich. Die Neunziger neigen sich ihrem Ende zu. Das Ende der Smiths liegt sowieso schon über ein Jahrzehnt zurück, aber er spührt, dass deren Schicksal unmittelbar mit dem seinen verbunden ist. Er kann Mikki nicht haben, weil sie ihn nicht liebt. All das begreift er aber erst, als beide einen abenteuerlichen Plan schmieden - nämlich ihren Status als Journalisten dazu zu benutzen, die Smiths wieder zu vereinen ...

Spitz Roman "Wann nur, wenn nicht jetzt?" (weitaus besser der Originaltitel: "How soon is never?") ist leichte Lektüre: immer haarscharf am Plagiatsvorwurf vorbeischrammend, schafft er es dennoch, nicht allzu sehr nach Nick Hornby zu klingen. Die besten Musikromane wurden schließlich schon geschrieben, könnte man meinen. Nun, zumindest wurde noch nicht jede Epoche ausreichend beleuchtet. Allen voran natürlich die 80er New Wave Szene, die sich seit einigen Jahren wieder so großer Beliebtheit erfreut. Spitz schafft es, den Geist von damals einzufangen: die Reagan Ära, der Wohlstand ein Jahrzehnt vor dem Zusammenbruch, ein Amerika vor dem 11. September, am Ende des Kalten Krieges, aber mitten in einer rastlosen Zeit. Marc Spitz erklärt sich fast dazu bereit, sein Tagebuch zu veröffentlichen, so schonungslos ist seine Romanfigur mit sich selbst. Späte Reue eines alternden Rockjournalisten? Ja, so mag es anmuten. Aber nur, wenn man dem Autor böses will. In erster Linie ist "How Soon Is Never?" ein hervorragend leichter Roman für den literarisch chronisch unterversorgten Indie-Hörer. Es lässt sich nicken, mitlachen und mitweinen, wenn Greene sein Herz in Stücke springt. Und man ahnt hinter jedem Satz, dass man das so oder so ähnlich auch schon gesagt hat in seinem leben. Oder noch sagen wird. Und Spitz leistet noch etwas, so ganz nebenbei: ein kurzen Überblick über die wichtigsten Bands der Achtziger, fernab von U2 und Depeche Mode.

Angeblich haben Morrisseys Freunde ihm begeistert davon berichtet. Der Moz selbst merkt im Interview mit Spitz nur schemlmisch an: "Du willst doch nur gelobt werden!" - Und enthält sich weiterer Kommentare. Wahrscheinlich, weil ihm jemand seiner eigenen Autobiographie zuvorgekommen ist ...

Bewertung: 9 von 10 Sternen / 383 Seiten / xx . xx

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