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David & The Citizens Interview

We Need The Goo


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Der Bunker über unseren Köpfen wirkt bedrohlich, selbst jetzt noch, über 60 Jahre nach Kriegsende. Magnus Bjerkert schüttelt den Kopf. "Kein Wunder, dass der noch steht. Wie soll man den auch in die Luft sprengen?" Über unseren Köpfen, irgendwo im 4. Stock des Bunkers, mitten in Hamburg und nur einen Steinwurf vom Millerntor entfernt, werden David & The Citizens heute abend spielen. Gesund geschrumpft. Nach zwei Alben sind Mikael Carlsson und Alexander Madsen ausgestiegen. John Bjerkert sitzt jetzt am Schlagzeug, der stille Typ. Und alles geht irgendwie weiter. Heute abend jedenfalls erstmal das Reeperbahnfestival, man freut sich. Schließlich ist es schon ein bischen her, dass man das letzte mal in Hamburg war. Damals in der "Schieropa", wie Magnus Bjerkert mir verzweifelt versucht weiszumachen. Nach mehrmaligem Hören wird es als "Schilleroper" identifiziert. Aha. Diese Schweden!

Die Luft ist warm, sehr angenehm für den Spätsommer. Es wird bereits dunkel und wir setzen uns auf den Rasen vor dem Bunker. Die ganze Band ist dabei, sogar Davids Freundin Sara, die heute abend ein paar Vocals beisteuern wird. Die Stadt rast an uns vorbei, in Taxis, Bussen, VWs, BMWs, auf Fahrrädern und zu Fuß. Und alles hat etwas friedliches. Das ist der Band geschuldet, schon der Name klingt so friedfertig. "David & The Citizens". Ein grandioser Name, hat David mal in einem Interview gesagt. Heute wird man solche Sätze wohl nicht von ihm hören. Die Band ist angeschlagen. Gesundheitlich. Aber auch noch sehr verkatert und müde vom Vorabend. Da war man nämlich auf der Popkomm. Um im Magnet zu spielen. Und neue Kontakte zu knüpfen, vielleicht. Obwohl diese Durststrecke inzwischen überstanden ist. David & The Citizens veröffentlichen nicht mehr auf Magnus Bjerkerts eigenen Label, sondern inzwischen auf Bad Taste, worüber man sehr froh ist. 

Nach zwei Alben voller melancholischem Indie-Gitarrenrock haben die Citizens nun einen etwas härteren Weg eingeschlagen. "Stop the tape! Stop the Tape!" klingt verzerrt, rauschig, geradeaus und vor allem: wütend. 

Magnus Bjerkert: Die meisten Menschen sind ziemlich verwirrt was das neue Album angeht. Wir haben ein paar Veränderungen erfahren und auch selbst vorgenommen. Wir wollten nunmal etwas neues schaffen, etwas, das uns nach vorn bringt. Einige Musikjournalisten können damit nicht umgehen, weil es nicht möglich ist, uns einen einfachen Stempel aufzudrücken. Aber ich finde es gut so.


Wie machen sich die neuen Songs Live?
Conny Fridh: Wir spielen sie viel besser als die alten Songs. (lacht)
David Fridlund: Ich glaube sie sind etwas mehr geradeaus. Wie ein Schlag ins Gesicht. Sie sind nicht mehr so glücklich machend und gleichzeitig melancholisch wie die früheren Songs.



Was ist der Grund dafür?

David: Keine Ahnung. Sie sollten halt etwas härter ausfallen. Wir waren schon immer irgendwie eine traurige Band, meine Texte waren schon immer mit einer gewissen Melancholie versehen. Ziemlich dunkle Themen. Auf der neuen Platte ist vieles simple Wut. Aber es ist schwer für mich, meine eigene Musik zu charakterisieren!
Magnus: Im Grunde machen wir noch das gleiche: die besten Songs zu schreiben, zu denen wir imstande sind! 

Könnt ihr die Umstände beschreiben, unter denen das neue Album entstanden ist?
Conny
: Es war ein Kampf. Wir haben vor langer Zeit angefangen, das Album aufzunehmen! Schon im Frühling letzten Jahres haben wir aufgenommen. Wenn ich es recht bedenke, sind die Songs sogar schon zwei Jahre alt! Es hat solange gedauert, weil wir Geld brauchten, ganz einfach. Wir mussten jemanden finden, der uns das ganze bezahlt. Irgendwann dachten wir uns: egal, nehmen wir das Album selber auf. Das hat uns fast an den Rand des Ruins gebracht.
David: Wir haben in Südschweden aufgenommen, mitten in der Natur. Das waren vielleicht zustände! Kaum fließendes Trinkwasser, Schimmelpilze an Wänden und Decken - und dann verlieren wir auch noch zwei Bandmitglieder. Das hat uns wirklich fast wahnsinnig gemacht!
Conny: Wir sind wirklich froh, dass wir das Album beenden konnten.

War es das schwierigste Album eurer Karriere?
David
: Definitiv! Die ganzen Monate nach dem Ausstieg von Mikael Carlsson und Alexander Madsen wussten wir nicht, ob es mit David & The Citizens noch weitergehen würde. Wir haben viel darüber nachgedacht, die Band einfach aufzulösen. Nebenbei führten wir trotzdem noch Verhandlungen mit vielen schwedischen Labels. Die waren zwar alle irgendwie interessiert, aber sie verhielten sich wie Dinosaurier: vollkommen unflexibel und viel zu langsam für unsere Ansprüche. Als wir dann schließlich mit Bad taste verhandelten, sagten wir ihnen: wir müssen jetzt ein Album aufnehmen, wir brauchen jetzt Geld dafür. Wenn wir es jetzt nicht tun, wird die Band nicht mehr weiterexistieren! Und naja, sie haben sich darauf eingelassen, worüber wir sehr glücklich sind!

Magnus hatte sein eigenes Label. Warum habt ihr darauf nicht auch weiterhin veröffentlicht?
Conny
: Der Druck und Stress für Magnus war einfach zu groß. Du kannst nicht ganz allein ein Label führen und nebenbei noch in einer Band spielen, die ständig tourt!



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Hat euch diese Zeit als Band gefestigt und näher zueinander gebracht?
David: Definitiv!
Conny: Ja. Außerdem ist es zu viert jetzt viel einfacher. Das Songwriting geht besser von der Hand oder überhaupt nur die Songs zu proben!
David: Wir sind jetzt vier Bandmitglieder in einer Band, die alle das selbe wollen, die alle die gleiche Energie und Zeit da hinein stecken wollen. Das war früher nicht der Fall. Deswegen gab es intern sehr viel Streit und viele Grabenkämpfe.

Viele Menschen haben ein vorgefertigtes Bild von schwedischer Gitarrenmusik. Wie passt ihr da hinein?
Conny: Das kann ich nicht beurteilen. Wir waren nie eine besonders kalkulierende Band. Wir haben nie viel darauf gegeben, wie wir zu klingen haben, um als schwedische Band zu gelten und Erfolg zu haben. genau deswegen haben wir wahrscheinlich auch keinen großen Erfolg.
Magnus: Menschen von außerhalb können viel besser beurteilen, ob wir nun Teil einer Szene sind oder nicht. Wir jedenfalls gehen da ganz unbedarft an die Sache heran. Das einzige, was uns vielleicht einen typisch schwedischen Stil gibt, ist die Art, wie die Schweden englisch singen. Das hat einen ganz eigenen Klang, den ich aber auch schön finde!

Habt ihr etwas entscheidendes gelernt?
David: Nein, wir lernen nie! (alle lachen) Wir sind noch genau da, wo wir vor fünf Jahren auch schon waren! (lacht). Nein. Ich weiß nicht. Vielleicht solltest du eher fragen, was wir in Zukunft für Fehler vermeiden wollen.

Was wollt ihr in Zukunft vermeiden?
David: Bei irgendwelchen Barfrauen im Gästezimmer auf dem Boden übernachten, die ganze Tour. Das ist einfach furchtbar anstrengend auf Dauer. Wir können das nicht mehr! Das hört sich langweilig an, aber es ist für uns ganz elementar.
Conny: Wir haben außerdem gelernt, nie irgendetwas zu erwarten. Wenn du auf Tour gehst, und hoffst, dass sich bestimmte Dinge einstellen, kannst du nur verlieren! Wenn du denkst: "no today we won't sleep in the goo, you definitly have to sleep in the goo!" Aber das ist nunmal unser Job, unser Leben. Vielleicht ändert sich das irgendwann!
David: "We need the goo!" Musik ist nur unser Hobby, so nebenbei! (lacht)

Dass ihre Musik nicht bloß ihr Hobby ist, soll der Auftritt später im Turmzimmer zeigen. Der kleine Club neben dem "Uebel & Gefährlich" ist gut besucht, aber es nützt alles nichts. Nach einer halben Stunde Soundcheck und Gefriemel an den Instrumenten, einer halben Stunde, die sie eigentlich schon spielen sollten, entfährt es Sara wie ein Blitz: "Diese Idioten. Darauf hätten die Veranstalter ruhig mal achten können. Die PA's, die Monitore: alles kaputt. Wie sollen wir spielen, wenn wir uns selbst nicht hören?" Irgendwann gehts dann provisorisch, sie spielen wegen strikter Auflagen nur noch eine halbe Stunde von ursprünglich 60 Minuten. EIn Mitarbeiter erdreistet sich sogar, mit dem Finger auf die Handgelenkuhr tippend, sich direkt vor die Bühne zu stellen. Fragt sich bloß, wer sich bei längerer Spielzeit gestört fühlen könnte, mitten in so einem Bunker. Tomte, nebenan im "Uebel & Gefährlich" können es jedenfalls nicht gewesen sein, die spielen noch weit in die Nacht hinein.

"So ist das eben manchmal", sagt ein sichtlich angetrunkener und deprimierter Conny Fridh später auf dem Parkplatz, als alle Instrumente verstaut sind. "Man sollte nichts erwarten!"
Und David stimmt ein: "That was our worst Gig ever!". Jeder ist geknickt. Trübe Nacht. Und über unseren Köpfen der hässliche Bunker, der Klotz. Das Unsprengbare Monster. Alle schütteln den Kopf. "Aber wir machen einfach weiter!" sagt David. Und das ist ja auch gut so, bei einer so großartigen Band.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Pressefreigabe


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