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Billy Talent vs. The Subways Interview

Success Sucks (not)


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"Ich fuhr mit dem Auto durch Toronto und hörte da in einem Subways-Interview, dass wir bald zusammen ein paar Shows spielen würden und dass sich ihr Sänger wie verrückt drauf freue. Das fand ich super, sowas sagen bekanntere Bands ja nie in der Öffentlichkeit." Ben Kowalewicz sitzt wie auf Kohlen. Der junge Mann versprüht auch im interview die gleiche Energie wie auf der Bühne. Neben ihm der Ruhepol: Aaron Solowoniuk, Schlagzeuger. zusammen sind sie 2/4 einer der zurzeit bekanntesten Rock-Bands Kanadas: Billy Talent. Erfolg müsste ihnen also in den Knochen stecken. Nach zwei Alben, die weggingen wie warme Semmeln. Aber man merkt ihnen wenig an. Vielleicht liegt das auch ein wenig am schalen Licht der Prinzenbar, die sich am Rücken der "Docks" in Hamburg befindet. Ich weiß nicht, ob das funktionieren wird, was ich mir vorgenommen habe ...



Ich unterhalte mich heute mit euch und den Mitgliedern von den Subways. Es geht um Erfolg. Die verschiedenen Aspekte des Erfolgs. Und ob er euch verändert hat. Macht ihr mit?
Ben und Aaron unisono: Klar. Cool!

Okay. Fühlt ihr euch durch den Erfolg privilegiert?
Ben: Absolut. Aber Privilegien kommen durch harte Arbeit und Hingabe. Uns gibt es jetzt seit 14 Jahren und wir haben alles in unserem Leben geopfert, um an diesen Punkt zu gelangen, an dem wir jetzt sind. Man kann es also nicht bloß auf den Faktor Glück herunterbrechen. Und selbst wenn wir den Erfolg nicht gehabt hätten: ich bin mir sicher, wir würden heute abend auch in Hamburg spielen, bloß eben im Molotow.

Was war der entscheidende Punkt, der eure Karriere ins Rollen gebracht hat?
Ben
: Ich denke das war Ian. Er ist der Hauptsongwriter der Band. Wenn du als Jugendlicher aufwächst, sind da so viele Musikstile, denen du dich verpflichtet fühlst. Bei uns war das Reggea und Ska, später viele Indie-Sachen aus Kanada. Und dann fängst du an, ihnen nachzueifern. Du fängst an Songs zu schreiben, die sich genau so anhören sollen, weil du diese Bands und Songs nunmal liebst. Als Ian in die Band kam, fanden wir endlich einen eigenen Stil.
Aaron Solowoniuk: Außerdem wurden zur gleichen Zeit Refused und At the Drive-In bekannt und haben uns musikalisch vollkommen von den Socken gehauen. Wir wollten auch soetwas machen. Lauter sein, melodischer, eigenständiger. Und dann ging es plötzlich. Es lag uns mehr, diese Art von Musik zu machen.
Ben: Wir fingen an uns selbst zu vertrauen. Zu dieser Zeit hatten wir vielleicht 20 Fans.

Gab es einen Punkt an dem ihr euch sicher wart, dass es mit dem Erfolg klappen würde?
Ben: Nein, das weißt du nie! Selbst als unser erstes Album im Kasten war, konnten wir uns nicht sicher sein. Du kannst noch so überzeugt von deiner Arbeit sein, womöglich finden es alle anderen da draussen scheiße! Und dann musst du wieder zurück zu deinem verfluchten Dayjob. Es ist das alles entscheidende Element für deine Arbeit und deinen Erfolg: ob die Leute das mögen, was du geschaffen hast.

Ist Erfolg etwas surreales? Ohne wirklichen Höhepunkt?
Ben: Erfolg ist immer eine ganz persönliche Sache. Für mich gibt es neben der Musik noch viel zu erreichen. Ich möchte Kinder haben, eine Familie, eine Frau. Musikalisch haben wir mehr erreicht, als wir uns haben träumen lassen. Alles was jetzt noch kommt, ist ein netter Extra-Bonus. Aber in meinem Privatleben gibt es noch so viel zu erreichen!



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Ist es mit steigendem Erfolg schwieriger, eine Familie zu haben? Tauscht man da etwas ein?
Aaron: Du gibst alles auf. Zumindest eine zeitlang. Ich habe Frau und Kind, und ich kann sagen, dass es sehr schwer ist, Band und Familie zu vereinen.
Ben: Das Schwierigste ist, eine vernünftige Balance zu finden. Auf der einen Seite die Bedürfnisse deiner Familie und Freunde zu befriedigen, die ja auch deine eigenen Bedürfnisse sind. Auf der anderen Seite aber auch deine Passion auszuleben. Das ist sehr schwer. Wir touren jetzt seit drei bis vier Jahren fast ununterbrochen. Für mich stellt sich deshalb die Frage: wie wichtig ist mir dieses "andere" Leben? Was will ich erreichen? Ich kann für mich sagen, dass ich Spaß haben und die Menschen unterhalten will. Aber im gleichen Atemzug möchte ich wissen, dass ich ein zuhause habe, in das ich zurückkehren kann. Diese Balance ist sehr wichtig für mich.
Aaron: Es ist auch sehr wichtig, dass du dich mit Menschen umgibst, die dir vertrauen und dir Rückhalt geben. Wenn zuhause jemand sitzt und dir ständig ins Telephon sagt, dass du besser nach hause kommen und nicht so viel Zeit mit der Band verschwenden sollst, dann wird das ganze ziemlich schnell zu einer ganz unangenehmen Angelegenheit. Dann hilft dir der Erfolg auch nicht mehr.

Und ihr habt diese Balance gefunden?
Ben
: Damit kämpft man jeden Tag!

Für euch mit Punkrock-Hintergrund: ist es schwierig, mit kommerziellem Erfolg umzugehen?
Ben
: Es gibt viele Dinge, die wir nie tun würden.
Aaron: Dinge, die aus kommerzieller Sicht Sinn machen würden, müssen nicht auch in der Band Sinn machen! Für die Band macht Sinn, so viele Menschen wie möglich zu erreichen.
Ben: Und gleichzeitig muss man sich seine Integrität bewahren. Wir wurden gefragt, ob wir einen unserer Songs für einen deutschen Energie-Drink hergeben würden. Nur damit Kids, die unsere Musik hören, sich denken: wow, wenn die Billy Talent in der Werbung spielen, dann muss ich diesen auf Milch basierenden Energie-Drink unbedingt haben! Nein, sowas macht aus unserer Sicht einfach keinen Sinn.

Braucht ihr lange, um nach der Tour zuhause wieder runter zu kommen?
Aaron: Ich brauche meistens 24 Stunden.
Ben: Bei mir sind es drei Tage, bis ich wieder einen klaren Kopf habe. Dann gehts genauso wie bei allen anderen wieder in den Supermarkt. Wir sind ja auch nicht Green Day. Uns ist es wichtig, wie jeder andere Mensch auch seinen Alltag zu haben. Um nicht völlig durchzudrehen. The Clash sind ja auch mit der U-Bahn gefahren, selbst als sie schon auf dem Höhepunkt ihrer Karriere waren. Nur weil du ein Musiker bist, macht dich das nicht besser oder schlechter als andere Menschen. Wenn junge Menschen auf mich zukommen und ein Autogramm wollen oder ein bischen reden, dann ist das in Ordnung. Selbst wenn sie mir sagen wollen, dass die Band scheisse ist, dann geht das auch vollkommen in Ordnung.

Hat sich euer Charakter verändert, seit sich der Erfolg eingestellt hat?
Aaron
: Nein.
Ben: Nein. Ich bin jetzt wesentlich bodenständiger, als ich es im meinem gesammten Leben jemals gewesen bin! Aber um es nochmal zu betonen: das hängt damit zusammen, dass ich Freunde und Familie zuhause habe.
Aaron: Erfolg kann dich ganz schnell verändern, ehe du es merkst.

Viele Musiker merken das nicht und versinken in Drogen und Depressionen ...
Aaron: Wahrscheinlich hängt das auch damit zusammen, dass wir als Band schon so lange zusammen sind. Wenn ich in plötzlich in einer erfolgreichen Band spielen würde, dessen Bassisten ich nichtmal kenne, und dann die halbe Welt betouren müsste, dann würde ich wahrscheinlich auch durchdrehen. Aber wir kennen uns schon so lange, da besteht keine Gefahr mehr, abzuheben.

Wird es mit zunehmendem Erfolg schwieriger, den richtigen Menschen zu vertrauen?
Ben: Klar. Im Musikgeschäft gibt es so viele Arschlöcher, die dich einfach benutzen wollen, um das schnelle Geld zu machen. Wir haben inzwischen gelernt, die Guten von den Bösen zu trennen. Das war lange Zeit unser Problem: wir sind einfach zu nett und akzeptieren zu viel. Wir würden nie einem Menschen absichtlich weh tun. Und deswegen ist es schwer für uns zu verstehen, dass es überhaupt irgendeinen Menschen geben könnte, der uns weh tun möchte. Aber sobald du aufhörst, irgendjemandem zu vertrauen, haben genau diese Menschen gewonnen!

Was hat euch in den letzten Jahren wirklich verändert?
Aaron: Bei mir war es die Geburt meiner Tochter.
Ben: Meine Freundin, mit der ich jetzt zusammen bin, hat mir die Augen geöffnet und mir gezeigt, was wirklich wichtig ist im Leben. To try to be a good person, basically. Every day, try.

Habt ihr noch Zeit, um ein Auge auf die kanadische Musikszene zu werfen?
Ben: Ja. Nicht mehr so stark wie früher, logisch. Aber wir sind noch sehr neugierig. Traurigerweise trennen sich gerade so viele kanadische Bands, die wir sehr mögen. Death from Above 1979 zum Beispiel. Aber es gibt viele großartige Bands in Kanada. Cancer Bats zum Beispiel. Ian kennt sich verdammt gut aus in der Szene.

Werden Billy Talent in sechs oder sieben Jahren noch existieren?
Ben
: Ja!
Aaron: Nein!
Ben: Ich meine: Nein!
Aaron: Ja!

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Als das Interview vorbei ist bedanken sich die beiden und erkundigen sich noch einmal, wie es mir geht. Komisch, ob das eine kanadische Eigenart ist? Auf dem Flur begegnen sie den Subways zum ersten mal. Mit ihnen sollen sie vier Shows in Deutschland spielen. Ben zeigt sich begeistert. Er erzählt Bassistin Charlotte die gleiche Story: dass er in Toronto im Auto saß, dass er die Subways hörte, wie sie sich auf den Gig mit Billy Talent freuten. Es ist ein so freundschaftlicher Rahmen, dass man die Größe beider Bands vollkommen vergisst.

Charlotte ist winzig, fast ein wenig zerbrechlich und wirkt auf den ersten Blick ein wenig verschüchtert. Ich weiß immernoch nicht, ob das alles funktionieren wird...

Ich unterhalte mich heute mit euch und den Mitgliedern von den Billy Talent. Es geht um Erfolg. Die verschiedenen Aspekte des Erfolgs. Und ob er euch verändert hat. Macht ihr mit?
Charlotte Cooper und der inzwischen eingetrudelte Josh Morgan (Schlagzeug): Klar. Gerne!

Seit ihr privilegiert?
Charlotte: Ja. Obwohl wir die letzten sechs Jahre hart dafür gearbeitet haben! Und jetzt haben wir endlich die Möglichkeit, mit all diesen grandiosen Bands auf Tour zu gehen. Das ist schon ein Privileg.
Josh: Abends vor solch einem großen Publikum zu spielen wie heute, über 1000 Menschen, das ist ein wunderbares Gefühl! Und weil wir unseren Hintern abgetourt haben, weil wir wirklich viel investiert haben in dieses Gefühl, können wir das jetzt richtig genießen!

Ist Erfolg etwas ohne Höhepunkt? Etwas irreales?
Charlotte: Wenn man sich hinsetzt und länger nachdenkt, dann ja. Aber wir sind die letzte Zeit so beschäftigt gewesen, dass wir über den Erfolg nicht nachgedacht haben. In unserem Fokus lag immer der nächste Gig und der nächste Song, den wir schreiben werden.
Josh: Das verrückte ist ja, dass wir seit einem Jahr fast ununterbrochen touren. Und das können wir nur deshalb, weil wir so sehr drinstecken in unseren Songs, weil sie uns so viel bedeuten.

Gab es einen Punkt an dem ihr dachtet: das ist es. Das funktioniert mit der Band und dem Erfolg?
Charlotte: Nicht wirklich. Die Energie zwischen uns war so gut, dass esfür uns keine Frage gab, ob wir auf Tour gehen würden, ob wir ein Album aufnehmen usw. Für uns war einfach von Anfang an klar: wir sind eine Band und wir wollen spielen. Komme was wolle.
Josh: Ich glaube wir wussten deshalb instinktiv, dass es was wird, als wir Spaß an der Sache, an der Musik hatten. Es war keine Frage, ob wir berühmt werden oder sonst was. Wir wollten einfach so oft und vor so vielen Menschen wie möglich spielen. Und wenn du dann E-Mails bekommst wie neulich nach dem Leeds-Festival-Auftritt, wo mir einer schreibt, dass ihm unser Album durch eine harte Zeit geholfen und der Auftritt sein Leben verändert hat, dann bedeutet das wirklich viel für uns. Da spürt man dann, was es heißt, Erfolg zu haben.

Braucht ihr Zeit, um nach der Tour wieder auf den Boden zu kommen?
Charlotte
: Not touring is horrible. Ich habe schon richtig Angst vor der nächsten Tour-Pause. Wir lieben es so sehr, auf Tour zu sein, andere Länder zu bereisen, Menschen zu treffen. Das ist im Moment das größte in unserem Leben. Aber auch wenn wir es nicht mögen: es ist gut, mal seine Auszeit zu haben. Sonst wird man leicht verrückt.

Hat sich euer Charakter verändert mit dem Erfolg?
Josh: Na klar. Ich war 17 als das alles losging. Seitdem habe ich so viele Länder und Menschen gesehen, da ist es ganz natürlich, dass mich das prägt. Ich bin immernoch sehr dumm und weit davon entfernt, irgendwie weise zu sein. Aber all das mit den Subways hat mir die Augen geöffnet und mich sehr verändert.
Charlotte: Wir wurden innerhalb kürzester Zeit mit so viel konfrontiert, dass wir das alles noch gar nicht richtig verarbeiten konnten. Ich denke es wird sich im Laufe der nächsten Jahre zeigen, wie sehr uns der Erfolg verändert hat.



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Fürchtet ihr immernoch die gleichen Dinge wie vorher?
Charlotte: Schwierig. Uns begleitet immer eine gewisse Ungewissheit. Morgen könnte sich ja alles in Luft aufgelöst haben. Von einem Tag auf den anderen könnten wir wieder in unser altes Leben zurück.

Wie geht ihr mit der Aufmerksamkeit um, die euch zuteil wird?
Charlotte
: Ich habe damit noch so meine Probleme. Wenn mir Menschen erzählen, wie viel ihnen unsere Platte bedeutet, dann kann ich das noch schwer verarbeiten. It's hart to take it. Und ich mag es auch nicht so recht glauben, wenn mir jemand soetwas erzählt.
Josh: Ich versuche so viel Kontakt wie möglich mit den Fans zu halten. Das ist bei der Fülle an E-Mails zum Beispiel schwer möglich. Aber ich versuche es weiterhin, weil ich es als wichtig erachte.

Wie sieht das mit der Presse aus? Die Aufmerksamkeit muss doch irgendwie surreal wirken!?
Charlotte: Das schlimme an der englischen Presse ist, dass sie sehr schnell obsessiv werden. Wir wurden davon zum Glück weitestgehend verschont. Da gibt es ganz andere, furchterregende Beispiele.
Josh: Als das Album erschien, ging es schon durch die Presse und sorgte für Aufmerksamkeit. Aber wir wurden nicht auf irgendwelche Titelseiten geknallt und in den Medien zerrissen.

Was wollt ihr noch erreichen?
Josh: Die Frage kann ich nicht beantworten. ich will einfach weitermachen. Ich schaue nicht so weit nach vorn, nur bis zur nächsten Show. Alles andere wäre ja auch gefährlich. In zwei Jahren könnte ich schon wieder im gleichen Pub arbeiten, in dem ich früher gearbeitet habe. Ich will mich nicht verrückt machen mit zu spektakulären Zukunftsaussichten.
Charlotte: Ich weiß, dass alles um mich herum, der Erfolg, die Musik, ein Privileg ist. Und selbst wenn ich einen Scheißtag habe, ist das nichts im Vergleich zu dem, was viele andere Menschen durchmachen.

Gibt es The Subways in sechs oder sieben Jahren noch?
Charlotte: Davon gehe ich aus. Ich sehe im Moment jedenfalls keinen Grund, warum das nicht so sein sollte.

Es hat also funktioniert. Bis zu einem gewissen Grade. Beide Bands machen nicht den Anschein, als würde ihnen der Erfolg zu Kopf steigen. Und es zeigt sich noch etwas anderes: im Kern sind sie alle gleich. Erfolg ist eine persönliche Sache. So persönlich, dass ich mich hinterher fast ein wenig geschämt habe, sie damit konfrontiert zu haben...

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Pressefreigaben


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