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MISC - sellfish.de Beifang 10/06 | 02

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Heute: Wir torpedieren die Deutschrock-Quote

mit: Teamkiller | Duesenjaeger | Tent | Ray Lamontagne | Kamelot | Righteous Jams

Diese CD hätte definitiv Berücksichtigung unter den regulären Rezensionen verdient. Dank Umzug, Problemen mit dem Nachsendeauftrag und der nun bevorstehenden Veröffentlichung kann ich aber dennoch nicht mehr als einen ersten Eindruck schildern. Doch der steht dem positiven Nachklang des Debüts in kaum etwas nach: "Es sind halt nicht nur drei Akkorde, es ist deutsch, es reimt sich nicht immer und ist ein wenig aggressiver" - sagte einst Jan von Turbostaat über die Musik seiner Band. Mit "Schimmern" (Go Kart Records Europe) kommt nun eine weitere entsprechende Veröffentlichung aus dem Norden des Landes. Zitierte Prädikate passen im Falle Duesenjaeger jedenfalls wie die Faust auf's Auge. Spätestens jetzt wird sich die Band trotz der schön rauhen Produktion, gleichermaßen Lärmgitarren wie ordentlich Pop im Refrain und Tobis eigenwilligem Gesang über noch mehr Aufmerksamkeit freuen dürfen; die Zeiten stehen schließlich günstig für deutschsprachigen Punkrock der intelligenten Sorte. Und genau dazu darf man "Schimmern" über weite Teile zählen. Mit Texten, die sich unverkrampft (und nur manchmal ein klein wenig plakativ) Themen wie Politik, Medien, Zwischenmenschlichem und Persönlichem widmen. Und Musik, die zwischen ganz nett und richtig gut zumindest das weitere Potential von Duesenjaeger anzeigt...

Seit Jahren schon liefern Kamelot ihren zumeist langhaarigen Fans hochkarätige Alben ab - und haben sich so Stück für Stück eine stabile Fanbase erarbeitet. Die man für die erste Live-Veröffentlichung "One Cold Winter's Night" (Steamhammer/SPV) noch einmal zusammen trommeln wird. Das gesamte Package besteht aus zwei CDs und zwei DVDs, welche das komplette Konzert vom 11. Februar 2006 in der legendären Osloer Rockefeller Music Hall enthalten. Das Florida-Outfit um Bandleader Thomas Youngblood versteht es prächtig, dem konventionellen Powermetal durch große Songideen, technische Finesse sowie den Verzicht auf Scheuklappen frisch und unverbraucht klingen zu lassen. Sänger Khan (ex-Conception) und seine fähigen Instrumentalisten lassen dabei nichts anbrennen: Großartige female vocals im Titeltrack des letzten Albums "The Black Halo" kommen ebenso zum Einsatz wie frickelige Gitarrenarbeit und straighter Rock. Schließlich hat man für die insgesamt 18 Tracks noch jede Menge Gäste am Start, was dem ohnehin kurzweiligen Werk zusätzlich Abwechslung verleiht. Besonders deutlich wird wird diese Tatsache in den eher Orchestral ausgerichteten Tracks, allen voran "Abandoned". Kamelot schaffen es, ein Un-Ding - nämlich neo-klassizistischen Metal - dank leicht progressiver Kante salonfähig zu machen: Episch, melodisch, mitreißend. Da mir nur der Audio-Part dieses Packages vorliegt, gibt es zur visuellen Umsetzung keine Bewertung.

Singer-Songwriter-Musik. Inklusive Kammerstreicher, Geige, Harmonika. Albumname: "Trouble" (14th Floor/Echo). Erste Textzeile: "Trouble, trouble, trouble, trouble, trouble." Oh ja, hier leider jemand ganz massiv. Doch was an dieser Stelle zynisch klingen mag, ist nicht unbedingt so gemeint. Denn über die Authentizität des Materials mag man zwar noch streiten können. Musikalisch gehört diese zehn Songs von Ray Lamontagne definitiv zu den schönsten, welche es in den letzten Jahren aus diesem Genre zu hören gab. Der warme Sound von Produzent Ethan Johns (u.a. Ryan Adams) tut sein übriges, dieses stimmige Album abzurunden. Der mit Blues- und Soulmusik aufgewachsene Musiker aus New Hampshire gehört in den Staaten zwar schon zu den gefeierten Protagonisten seiner Zunft, hierzulande tingelt er aber nach wie vor durch kleinste Clubs. Mit diesem Re-Release seines Debüts von 2004 könnte sich das schnell ändern. Denn wer beispielsweise als Glitterhouse-Kunde etwas auf sich hält, der ordert "Trouble" schnellstmöglich... Und dazu am besten gleich seinen Nachfolger "Till the Sun Turns Black". Fazit: Ein von Anfang bis Ende gelungenes, ja makelloses Album, auf welchem sich partout keine schlechten Songs finden lassen.

"Righteous Jams Boston Straight Edge In Your face!" - so wird man auf der Bandhomepage begrüßt. Und vielmehr bleibt eigentlich kaum zu sagen. Wer nähere Infos braucht, der schaut auf die Links bei righteousjams.com: Cro-Mags, Sworn Enemy oder Madball deuten die Marschrichtung noch exakter an. Sänger Elgin James sammelte seine Erfahrungen vormals in der Wrecking Crew und 454 Big Block. Mit den Righteous Jams haben sich Alveran Records somit ein ganz ursprüngliches, richtiggehend typisches Hardcore-Kaliber in den eigenen Stall geholt, welches in der Vergangenheit schon mit Bands wie Mental oder Blood For Blood die Straßen durchkreuzte. Im Falle von "Business As Usual" (Alveran Records/Century Media) allerdings abermals von einer Full-Length-Scheibe zu sprechen (wie schon auf dem letztjährigen, knapp viertelstündigen Debüt "Rage Of Discipline"), erscheint mir etwas dreist: Neun Songs und gerade einmal gut zwanzig Minuten lang dauert die Scheibe schließlich nur. Darin fröhnen die Rigteous Jams unbeirrt dem Midtempo und hier liegt für mich der Knackpunkt dieser insgesamt nicht herausragenden Scheibe: Wirklich überzeugende Abgeh-Tracks lassen sich zwischen dem an sich sehr rockigen Material schlichweg nicht finden. Zu oft klingt das im mittleren Drehzahlbereich dahinschippernde Album leider ähnlich gesichtslos wie sein unspektakuläres Artwork. Das reicht trotz guter Ansätze (darunter beispielsweise die allgemeine Trend-Resistenz des Materials) eben nicht für mehr als Durchschnitt. Womit der Albumtitel plötzlich richtiggehend zynisch klingt.

Lange haben sich die Stuggi-Town-Hardcore-Boys (sorry, dass musste ich loswerden...) von Teamkiller Zeit gelassen, bis sie ihrer "Some Scars Some Hope" EP einen Nachfolger mit regulärer Spielzeit - in diesem Genre traditionsgemäß ohnehin nur eine gute halbe Stunde - gedeihen ließen. Nun ist "Bad Signs" (Dead Serious/Cargo) im Kasten und übertrifft die Erwartungen mühelos. Die zwölf Tracks perfektionieren den metallisch angehauchten Hardcore des Debüts nämlich in jeder Hinsicht. Was sogar für die Texte gilt, welche lange nicht mehr so klischeebeladen ausfallen wie seinerzeit in Tracks a lá "Of friends and hope". Ählich Black Friday '29 steuert der Vierer musikalisch elegant an gegenwärtigen Trends vorbei und empfiehlt sich stattdessen als adäquater Kompagnon zu New Yorks' Killing Time, welche man ja passender weise auch auf Tour begleiten wird. Die Mischung aus alter Schule und Midtempo-Gegriffe jedenfalls geht zwar nicht unbedingt in den Kopf, dafür aber direkt in Nackenmuskulatur und Beine. Die Pits auf den anstehenden Shows werden da bestimmt für sich sprechen. Auch wenn Scott Vogel von Terror, welcher "Over & out" den letzten Schliff verleiht, da wohl nicht persönlich anwesend sein wird...

Nur gute zehn Minuten brauchen Alex, Benedikt und Malte alias Tent, um mich mit der in ein schickes Digipak gehüllten Debüt-EP in ihr musikalisches Universum zu entführen. Und man braucht auf diesem energetischenTrip gar keine Angst zu haben, denn das Areal bleibt immer überschaubar. Die Fixsterne sind in den Thermals oder Frank Black zu suchen, dazwischen besetzen Tent ein paar eigene Koordinatenpunkte. "Do Something" (Records & Me/Pias) nimmt die Essenz des Pop (in diesem Falle schmackhafte Melodien), pitcht die Geschwindigkeit um die Hälfte nach oben und entführt das Ergebnis in den Kontext einer Rockband, die gerne auchmal etwas lärmen möchte. Meistens werden die einzelnen Stücke in gut zwei Minuten abgehandelt, mit "Unwon" lässt man sich zum Schluss beinahe nochmal auf Airplay-Länge ein. Wobei der Basslauf für das breite Publikum wohl ohnehin zu gut sein wird. Dann sind die 11:58 Minuten vorbei und fertig ist ein ansehnliches Gebräu, dessen Substanz sicher auch auf Album-Dauer Sinn machen würde. Denn das hier ist so gekonnt inszeniert, so ideenreich ungesetzt - der Underground-Status verkommt da schnell zum Understatement. Die Herren Tent: Ich hoffe ich bin ihrem Trio nicht zum letzten mal begegnet! Repeat!

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Neue Inspirationen aus Altem

mit: Savalas | The Cheeks | The Victorian English Gentlemens Club | Me First & The Gimme Gimmes

Endlich gibt es wieder schöne Neuigkeiten aus Belgien: Nach Absynthe Minded, Sioen und den von mir verehrten Venus In Flames wissen auch Savalas (Supermusic/LC Music / Alive) mit ruhiger Stimme und gebremster Melancholie zu begeistern. Intention für das selbstbetitelten Album des Trios um Bandgründer David Poltrock war es Emotionen zu wecken: Traurigkeit, Fröhlichkeit oder Angst und pure Lust. Und verdammt: Das ist Savalas gelungen. Die ganze Palette an Gemütsregungen werden aber nicht auf dem Silbertablett präsentiert, sondern die ausgefeilten Melodien und drückende Lyrics in leichtem Pop gepackt, durch allerlei Keyboard-Sound verziert und mit Streicherarrangements verstärkt. So zielen die Tracks mit ihrer formellen Leichtigkeit auf direktem Weg in die Herzen und Gehörgänge und transportieren auf latente Weise eine gelungene Mischung aus Melodie und Melancholie. Gekonnt umgesetzt werden die elf Songs von Sänger Jan Roelkens, der mit sanfter Stimme und ohne große Allüren die anheimelnde Stimmung so perfektioniert. Ein gelungenes Debütalbum, dessen Songs genau die richtige Atmosphäre bietet für diese Jahreszeit. Heimelige Indiepop-Songs mit viel Gespür für Melodien und Befindlichkeiten, verpackt in flauschigen Soundlandschaften. Charakteristisch für Savalas sind die Keyboard-Sounds von David Poltrock, die zurückhaltenden Gitarren- und Drumteppiche und ein großes Aufgebot an Instrumenten: Violine, Chello, Saxophon, Flöte und allerlei andere Stimmungsmultiplikatoren finden sich auf der Scheibe, die in Savalas´ Heimatland übrigens schon richtig eingeschlagen ist. Zu Recht wie ich finde: Das perfekte Album für den Herbst, das uns - auch wenn der Altweibersommer uns so langsam alleine lässt - die Wärme zurückbringt.

Mindestens genauso schön lassen uns The Cheeks mit „Raw Countryside“ (Cargo Records) den 60´s Powerpop wieder entdecken und hüllen uns mit Melodien und Harmonie in Geborgenheit. Die 13 Songs auf „Raw Countryside“ sind inspiriert vom kitschig anheimelnden Sound der späten 60er und präsentieren ein sympathisches Sammelsurium an Power-Pop-Perlen für die schönen Seiten des Lebens. Rock´n´Roll paart sich hier ungeniert mit geschickten Arrangements aus harmonieschwangeren Bridges und blumigen Instrumenteinsätzen zu einem extrem mitreißenden Retro-Pop-Zeitreise: Banjo, Mandoline, Oboe, Cembalo und Glockenspiele schaffen das Ambiente für Songs, die wir so vielleicht nur von The Kinks kennen. Echte Beatles-Freunde werden auch ihre Freunde haben, aber auch Fans von Teenage Fanclub oder The Byrds dürften glückselig in die Pop-Welten von den Cheeks eintauchen. Nicht ganz so übertrieben klebrig (kennt jemand die Jessica Fletchers?) werden hier zuckersüß die Melodien mal rockig, mal flankiert von allerlei Soundspielereien gefeiert - aber immer ohne dabei ins allzu Überladene oder gar Schnulzige abzudriften. Kein naiver Flower-Power-Abklatsch, sondern atmosphärischer 60´s-Sound mit dem Gespür für die richtige Mischung aus blumiger Harmonie und california-surfin´ Rock´n´Roll. So bringt uns „Raw Countryside“ von The Cheeks mit glitzerndem Gitarrenpop und warmen Rockparts im Weichzeichner ein überaus gelungenes Debüt, das uns neben dem 60er-Feeling auch noch lange die Sonnenstrahlen über die Gehörgänge ins Herz senden wird.

Etwas ruppiger geht es bei The Victorian English Gentlemens Club zu, die gleichwohl die Titel „Längster Bandname“ und „Verwirrendster Bandname“ verdienen: Denn außer dem „English“ stimmt da nicht viel in dem langatmigen Titel, sind/ist TVEGC doch weder viktorianisch, noch Gentlemen - und unter einem Club verstehen wir wohl alle etwas anderes. In Echt ist TVEGC also ein gemischtes Trio aus Frontmann Adam Taylor und den gleichberechtigten Louise Maison und Emma Daman. Das selbstbetitelte Debüt (Fantastic Plastic / Rough Trade) der Drei aus Cardiff schlägt in Schräglage ein und hinterlässt erstmal ein Fragezeigen: Aufs Elementarste reduzierter Rock´n Roll mit den schmierigen Elementen des Retro-Brit-Rock und einem verpuzzelten Gitarren-Noise-Patchwork. Charakteristisch von der ersten Minute sind die Vocals von Adam Taylor, die sich insbesondere durch quietschige und chaotische Stakatto-Purzelbäume auszeichnen, mit denen er sich im 80er-Jahre-Punk-Stil durch die Gitarren- und Drumparts windet. Aber auch die weiblichen Parts bestimmen die wüste Szenerie: Anfangs nur als verquerer Backvocals, erleben wir beispielsweise in „dead anyway“ ein gelungenes Konzept aus gegenseitigem Ballzuspielen mit gleichzeitigem In-die-Fersen-treten. Über die gesamte halbe Stunde des extrem aufwirbelndem (aber auch nervenaufreibenden) Rock´n Roll kommt man nur schwer zum Luftholen, zu dicht ist das Paket aus schizophrenen Vocals, verqueren Backvocals, Chören und treibenden Gitarren geschnürt. Die Reduzierung auf die elementarsten Bestandteile des klassischen Rock´n´Rolls und die gleichzeitig eingewürfelten noisy Vocals erinnern an die Hives oder die Pixies und lassen auf ein gesundes Gleichgewicht aus Genie und Wahnsinn schließen. Eine musikalische Feinarbeit ist das Debüt von The Victorian English Gentlemens Club wahrlich nicht, aber dafür versprüht seinen derben Charme aus dem Essentiellen des Rock´n´Roll: Blut, Schweiß und Tränen. Nichts für leichte Gemüter, zumal die schiefen Vocals jetzt noch nachklingen. Für Fortgeschrittene.  

Nach so viel neuen Einflüssen nun zu den alten Bekannten von Me First & The Gimme Gimmes: Und bei den ersten Takten von „Love Their Country“ (Fatwreck / SPV) meint man noch, Me First... hätten sich selbst neu erfunden: Zum Country-Cover-Album lassen sie es ruhig angehen, es erinnert an Tony Sly und Joey Cape beim wunderbaren „Acoustic“-Album. Nach ein paar Sekunden aber die echte (erwartete/gefürchtete/geliebte) Harke:  Tempo-Wechsel, Punkrock-Geschrubber und Mitgröhlen im gewohnten Stil. So wie es Me First seit Jahren machen: Nämlich nichts anderes, als Künstler und ihre Genres durch den Kakao zu ziehen und Spaß dabei zu haben. Was hatten wir bis jetzt: Die 60er, Musicals, jüdische Bar Mizvah´s, R´n´B/Hip-Hop, Rock&Pop - da war der Weg zu Garth Brooks und Konsorten auch nicht mehr weit. Und machen wir es kurz: Auch diesmal sind den fünf Punk/Rock-Allstars (NOFX, Lagwagon, Singin´ Utters und Foo Fighters) wieder ein dreckiges Dutzend an wunderbaren Neuinterpretationen von Klassikern gelungen. Die Eagles, Dolly Parton, Kenny Rogers - alle mussten sie dran glauben. Und auch die Dixie Chicks wurden auf der knappen halben Stunde von „Love Their Country“ verewigt. Aber bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: Alle Coversongs sind mit viel Spaß zum Detail in Instrumentierung und Gesang umgesetzt, aber die wirkliche Innovation - die nun mal einen Coversong von einem richtig guten Cover unterscheidet - gibt es hier nicht. Me First ist mit „Love Their Country“ wieder ein absolut partytaugliches Album gelungen, das aber in seiner musikalischen Umsetzung nichts Neues birgt und nur ein erfolgreiches Modell auf die noch übrig gebliebenen Genres ausweitet. Das macht aber auch gar nichts, denn so einfach das Konzept auch ist, so gut ist es auch. Fans und Country-Fahnenflüchtige werden ihren Spaß dran haben.
 

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