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Musika 77

Brave You Free May

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Manchmal ist es so einfach. Geht es doch bei bestimmten Alben nicht um all die Details, sondern einfach „nur“ um das große Ganze. Entschieden wird nicht nach Produktion oder Tanzflächentauglichkeit, gesucht wird nicht nach besonders progressiven Momenten oder dem next big thing, es geht schlichtweg darum, ob es berührt oder nicht. Musika 77 berührt – soviel steht nach dem eingängigen Studium von „Brave You Free May“ fest.
Ob es die große Masse berühren kann, ist dabei eine ganz andere Frage. Denn mit behutsamen Indiefolk und feinem Slowcore geht man als Musiker sicher nicht den einfachsten Weg. Viele werden sich gelangweilt abwenden und in Frage stellen, ob so was auf Band gepresst werden muss. Andere werden nach einer Anlaufphase die Arme nach oben reißen und Musika 77 auf den Thron der neuen Langsamkeit heben. Johann Krantz und seine Mitstreiter schaffen den Spagat: Gerade zu minimalistisch auf dem Boden zu bleiben und gleichzeitig orchestral nach dem Himmel zu greifen. Eben noch sitzt der junge Mann klagend an deinem Küchentisch und hangelt sich mit einer verstimmten Akustikgitarre durch einen Song, bis er sich und seine Zuhörer plötzlich in einen Orchestergraben katapultiert und ganz andere Seiten aufzieht („Mountain, Rhine, Ball“). Dann hagelt es Pauken und Trompeten und bevor man sich versieht, sitzt man schon wieder ganz wo anders. Auf einem verschneiten Berggipfel vielleicht. Wie in einem kaputten, aber guten Film. Zurück in der Realität, geht man mit dieser etwas anderen Herbstdepression direkt zum Psychiater. Martin Gustafsson (Boy Omega) kommt gerade aus dem Behandlungszimmer, im Wartezimmer sitzt bereits sein Bruder Daniel (The Book of Daniel) und Conor Oberst (Bright Eyes) war laut Gästebuch auch schon mal hier. Der Witz ist: einen behandelnden Arzt gibt es hier nicht. Selbsttherapie durch Musik lautet die Devise und die könnte aufgehen. Wie einem das Herz aufgeht, wenn sich bei „May, a Magpie, the Softest Feet“ nach schier endlosen dreieinhalb Minuten all die gefühlte Trauer in einem wunderschönen Kanon auflöst. Was hier mit bedrohlichen Streichern, heruntergebügelter Stimme, ein paar Bläsereinlagen, präzisem Schlagzeug und spröden Gitarren passiert, ist fast schon ein wenig unheimlich. Das klingt alles so nah und so traurig schön, dass man Angst hat, es könnte sich nur um einen Traum handeln. Auch auf die Gefahr hin sich zu wiederholen: das hier ist ein schüchternes Stück Musik, das Zeit braucht. Vielleicht sogar ein wenig Pflege zu Beginn. Aber ist der Patient erst mal wieder auf den Beinen, ist seine Kraft scheinbar unendlich.

Bewertung: 8 von 10 Sternen / Spielzeit: 38:32 / Indiefolk

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