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MISC - sellfish.de Beifang 11/06 | 02

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Neulich auf dem Konzert vs. Neulich in meinem Briefkasten

mit: Ghost of Tom Joad | Replico

MySpace in allen Ehren, aber am schönsten ist es doch immer noch Bands völlig unvoreingenommen auf Konzerten zu entdecken. Vorher nichts zu wissen, außer dem Bandnamen. So geschehen mal wieder vor Kurzem in Münster. Gleis 22. The Lost Patrol. Und als Vorband Ghost of Tom Joad. Ein Trio, das sich nach einem Song von Bruce Springsteen benannt hat und musikalisch dennoch rein gar nichts mit ihm zu tun hat. Vielmehr ist das schon im Stammbaum Postpunk anzusiedeln, wobei dieser Begriff in den letzten Jahren komplett neu besetzt wurde. Passt also auch nicht so richtig, zumal die Musik von Ghost of Tom Joad keine Gemeinsamkeiten mit der aktuellen Hype-Welle aus den UK zu tun hat. Die Vorbilder dürften eher The Police (1. Generation) und Maxeen (2. Generation) sein. Markanter Bass, verspielte Gitarren während den Strofen und schöne Gitarrenbretter beim Refrain. Das macht Laune, hat auf Band sogar noch einen leichten Emo-Touch, der einem live nicht so ins Auge gefallen ist und ist insgesamt eine sehr runde Sache. Auf dem ersten selbstvertriebenen Demo gibt es drei Songs, die kraftvolle Refrains und gutes Songwriting vereinen. Well done. Nachschlag bitte!

Diese Jungspunde... Die Band Replico kann kein einziges Bandmitglied vorzeigen, das bereits volljährig wäre und dennoch knallen sie uns jetzt schon eine blitzsaubere Demo EP vor die Füße. Produziert wurde diese von keinem anderen als Blackmail-Mastermind Kurt Ebelhäuser und anscheinend tut sich die Band nicht schwer den ein oder anderen heißbegehrten Support-Gig zu bekommen. Im Vorprogramm von Pale und Sometree konnte sie man schon sehen. Auf weitere Konzerte mit Revolverheld sollten sie allerdings in Zukunft besser verzichten, das könnte den Sound von Replico schnell verwässern. Eben jener Sound kommt breitbeinig daher und so mancher schäbige Radiomoderator würde wohl sagen: „Das rockt!“ Naja tut es ja auch, nur kann man das auch schöner ausdrücken: eine Dame und drei Herren spielen laute Gitarrenmusik, die sich Alternativ schimpfen könnte, gerne aber auch Indierock genannt werden darf. Schlichte Strofen, kraftvolle Refrains. Ein bisschen wie Madsen auf englisch, nur weniger peinlich. Gefühle sind hier wichtiger als der Kopf. Klingt bereits ganz schön reif und bekommt hoffentlich noch genug Zeit sich zu entwickeln und den eigenen Charakter weiter herauszubilden. Behalten wir im Auge.

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Kopfmusik, Schönklang und Bastard-Rock united

mit: The Evens | Mumm-Ra | October File


Fast wäre dieses Kleinod im spätherbstlichen Veröffentlichungswust verloren gegangen; mit einiger Verspätung fand es dann aber doch den Weg aus dem Review-Stapel-Chaos in meine Anlage. Hinter The Evens verbirgt sich mit Ian MacKaye kein geringerer als der Fugazi-Kopf, Minor Threat-Begründer und Dischord-Labelbesitzer aus Washington DC. Auf "Get Evens" (Dischord Records/Alive) arbeitet er bereits zum zweiten mal mit Amy Farina (The Warmers) zusammen. Amy ist die Schwester von Karate-Kopf Geoff Farina - und das hört man den Aufnahmen zwischen den Zeilen immer wieder an. Zumindest, was die leicht verschrobene Jazzigkeit des Materials angeht. Beide teilen sich dabei die Vocals, während die Evens instrumental sehr spartanisch auftreten: Neben Farinas Schlagzeugspiel und MacKayes Baritone-Gitarre braucht es nichts weiter, um diese zehn Stücke zu reizenden, minimalistischen Songfragmenturen zu machen. Und der Ansatz setzt sich im Sound konsequent fort: Das vierzigminütige Werk wurde im Erdgeschoss des Dischord-Büros eingespielt und sah nur zum Mix ein professionelles Studio (... wie in diesem Falle üblich das Inner Ear). "Get Evens" ist sicher kein Werk, welches es mit den Studioalben von Fugazi, Karate oder den Warmers aufnahmen könnte. Aufgrund ihrer entspannt groovenden Art verfügen die zehn Songs dennoch über einen nicht zu verleugnenden Charme.

Neues aus Großbritannien, wenn auch in diesem Fall nur als kleiner Vorbote: "Out Of The Question" (Red Ink/SonyBMG) ist die Debütsingle von einer jungen Band namens Mumm-Ra. In den einschlägigen Foren tummeln sich stilgerecht auch schon die für die Herkunft der Herren bekannten Superlative - und natürlich steht bereits die "Fachpresse" Sparlier. Nicht ganz zu unrecht. Denn die tanzbare Mischung aus großen Harmonien, krachiger Gitarrenarbeit und typischem Britpop-Charme funktioniert zumindest im Falle des Titelsongs (auf dieser EP zudem als Clip vertreten) ausgezeichnet. Das ekstatische "Clocks tick louder at the dead of night" lässt in seiner gewieften, vielseitigen Form anschließend an eine hochkarätige Mischung aus den Arctic Monkeys und Franz Ferdinand denken. Und im finalen "When the lights go out" kehren die Fünf ihre akustische Seite heraus: Welche mindestens genau so charmant ausfällt wie die rockige Version. Schöne mehrstimmige Gesänge sind nämlich beinahe allen Tracks von Mumm-Ra zu eigen - und die saftige Produktion von Youth tut ihr übriges, um die Neugier auf den ersten Longplayer zu schüren...

Der britischen Band October File haftet ein regelrecht mythischer Ruf an. Welcher zum einen damit zu tun haben dürfte, dass sich unter anderem Ministrys' Paul Raven sowie Jaz Coleman (Killing Joke) euphorisch über den ebenso derben wie originellen Sound der Vier äußerten. Zum anderen aber auch schlicht damit, dass "Hallowed Be Thy Army" (Candlelight Records) abermals nur eine EP geworden ist. Ein Album kündigt sich nämlich erst für April nächsten Jahres an. Bis dahin kann man die vom Platteninfo treffend (!) als Mischung zwischen Killing Joke sowie Big Black samt einer Prise Hardcore charakterisierte Musik eben weiterhin nur im viertel-Stunden-Format erleben. Was die Vorfreude auf den dreckig rockenden Bastard nur steigert. Denn auch die vier neuen Tracks sind wieder beängstigend intensiv geraten. Was die aus den Ruinen von Yeast und Schindler hervorgegangenen October File zelebrieren, steht doch ziemlich für sich alleine. Und lässt spätestens 2007 auf eine echte Großtat hoffen. Bis dahin bleibt also noch ein wenig Zeit, sich mit "Hallowed By Thy Name" oder der nicht minder famosen Vorgänger-EP "Monuments" Insider-Status zu erwerben...

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Texas Chainsaw Massacre, Promo-Haufen und Kuschelrock

mit: Danja Atari | Mafuba | Campus

 

Manchmal sollte man eben doch nicht auf das Cover schauen. Danja Atari hat nämlich ein recht angenehmes Album zwischen Drum 'n' Bass, Electro und Hip-Hop gemacht. Was eben noch auf dem Promo-Haufen vor sich hingammelte, wird in der Anlage mal eben zu einem ziemlich ansteckenden Spießrutenlauf. Vorbei an fiepsenden Tönen, tiefgrabenden Beats und dem niedlichen Gesang Danja Atari. Die ist gebürtige Berlinerin mit tunesischen und französischen Wurzeln und lässt das auch immer wieder gern in ihre Musik einfließen. "Unknown" ist solch ein Beispiel, bei dem sich filigran die Akustikgitarren zwischen die Beats schieben. Insgesamt steht es mir nicht zu, hier über die Drum 'n' Bass oder die Hip-Hop Qualitäten ihrer Band zu urteilen, weil das mal gar nicht mein Fachgebiet werden möchte. Aber man kann sich durchaus vorstellen, mit einer Hippie-WG auf dem Sofa vor sich hinzurauchen und im Hintergrund Danja Atari laufen zu lassen. Nur der Massive Attack Vergleich will mir mal so gar nicht in den Kopf!

Im Grunde machen es Mafuba einem leicht: Texas Chainsaw Massacre Ästhetik im Booklet, geradezu lächerliche Gesangsqualitäten des Sängers, der ungefähr das tut, was sich selbst Nickelback inzwischen verbieten: zu klingen, als sei man Eddie Vedder, nur weil man eine Stimme hat, als rauche man jeden Tag pure Asche und trinke so viel Whiskey, dass es einem aus den Ohren wieder 'rauskommt. Aber mit ProTools hat man ja selbst Daniel Küblböcks Stimme Charttauglich gemacht. "Mafuba" ist glasklarer Alternative Rock, wie er in den Bundesrepublikanischen Proberaum-Kellern leider immernoch viel zu häufig gespielt wird. Riffgekloppe ohne einen Funken Kreativität. Und wer Anno 2006 als Rockband tatsächlich noch einen Song "No Excuse" betitelt, der wird mir außer einem heiseren lachen nichts mehr entlocken können. Mafuba sei Dank habe ich einen heiteren Nachmittag...

"We know where we've been / We know where we're going" Na, wenn da mal nicht einer die Katze aus dem Sack lässt! So Großspurig sollten Campus vielleicht mit ihrer "A New Beginning"-EP nicht gerade daherkommen, schließlich ist 08/15-Coldplay Pop nicht gerade eine Referenz-Boa, mit dem man den Hörer aus seinem Versteck locken kann. Oder doch? Campus haben nach ihrem Debüt "Popular Music" einiges hinzugelernt. Die Songs auf dieser EP sind pathetisch und trumpfen auf, sowohl produktions- als auch Emotionstechnisch. "Running" ist eine Hymne, "Take your Time" könnte so auch prima auf dem letzten Keane-Album Verwendung gefunden haben und "Somewhere New" rubbelt sich arg an Snow Patrol. Schade, dass ich beide Bands gar nicht besonders gut leiden kann.

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Tod im Steinbruch vs. Des Herzogs neue Kleider

mit: Betontod |180Grad

Was erwartet man von einer Band deren Name Betontod ist? Eine SaufPunk Band, eine Blackmetal Combo mit Gröhlgesang, eine Konsumkritische NeoEmo Gruppe mit künstlerischen Anspruch? Oder vielleicht gar nicht von allem, doch da muss man Betontod eins lassen: Irgendwie ist es eine Mischung aus allem!
Ich gebe es zu: Der Bandname ist genial! Schon allein daher bekommt die Band einen dicken Pluspunkt auf dem Zettel. Die Qualität der Aufnahme ist in Ordnung, wobei leider beim Mastering ein bisschen geschlampt wurde und bei fast allen Liedern eine zu dominante Leadgitarre im Vordergrund steht. Textlich sind Betontod grundsolide und machen daher leider auch keine großen Experimente: „Worauf wir warten weiß ich längst nicht mehr. Die Gedanken sind frei, doch die Gehirne sind leer, “ „Wir werden Essen nie vergessen.“ Überhaupt hat Betontod irgendwie eine revolutionären Anspruch: Kurs halten, rebellieren, Veränderung. Wobei sie aber ein bisschen an ihrem eigenen Anspruch scheitern, denn ihr Musikstil ist überhaupt nicht revolutionär. Stattdessen irgendeine unausgegorene Mischung aus Motörhead, Terrorgruppe und Bon Jovi, wobei man sicher sein kann, dass jedes Lied fast gleich klingt und auch den Selben Aufbau hat. Insgesamt ein gutes Booklet und ein interessantes CD-Package im Paperback. Übrigens: Limitiert auf 2000 Stück, das heißt schnell zugreifen.

Wer sich etwas mit Oi! auskennt, dem sind Bands wie Volxsturm, Smegma oder die Springtoifel ein Begriff. Was zum Ende der 70er Jahre noch als Gegenbewegung zur Kommerzialisierung des Punks entstand, entwickelte sich schnell zu einer eigenen Richtung mit einer Anhängerschaft die in ihrer Leidenschaft allerhöchstens noch mit der Hardcores oder der StraightEdge Gemeinde verglichen werden kann. 180 Grad kommen aus Iserlohn und haben nach ihrer Gründung im Jahr 2003 nach einigen Demos und Auftritten (z.B. mit Toxpack oder Discipline) im Jahr 2006 den Weg ins Studio gefunden und ihren Erstling „Des Herzogs neue Werke“ aufgenommen. Ungeschliffen ist der Sound, und das ist Absicht, denn: „100% Streetrock muss nicht aufgestylt schön klingen“. Spätestens da hätte ich dann doch was ein zuwenden, denn die Aufnahme klingt so dreckig und hingerotzt, dass es schon Absicht gewesen sein muss, denn selbst der schlechteste Produzent kriegt das durch Unvermögen nicht hin. Nach erstmaligem Durchhören stellte sich die Frage, ob die Band überhaupt einen Bassisten hat, von dem hört man nämlich auf „14 geradlinigen Songs“ so gut wie gar nichts. Gut getroffen sind das Schlagzeug und der Gesang, der letztenendes wirklich den Spirit von Oi! transportiert und es schafft das eine oder andere mal aufhorchen zu lassen. Auch wenn mir die vier Kerle widersprechen werden: Etwas weichgespülter, etwas massenkompatibler, etwas besser produziert, und man könnte sich nicht nur den Fankreis der Punkrocker und Oi!s erspielen, sondern auch mal an der Indie-Szene schnuppern. Aber irgendwie hat man das Gefühl, dass das ja auch nicht Sinn und Zweck der Sache ist

Autor:

Philip Bogdahn


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