Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

MISC - sellfish.de Beifang 11/06 | 03

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Der Winter naht - Finsternis legt sich über das Land...

mit: I | Unleashed | White Daughter

Falls jemand hinter dem prägnanten Bandnamen I die alte Glitterhouse-Band vermutet haben sollte, wird diese Person binnen kürzester Zeit eines besseren belehrt. Spätestens dann, wenn diese CD - unter Ignoranz des einschlägigen Coverartworks - in seine Anlage wandert. Der Opener "The storm i ride" nämlich rödelt schon in bester Motörhead-Manie aus den Boxen; sogar die Vocals fallen beinahe schockierend ähnlich aus. Und für einen Moment mag man deswegen auch dem Frontsticker auf der CD kaum glauben, laut welchem sich hinter "Between Two Worlds" (Nuclear Blast/Warner) Mitglieder renommierter Blackmetal-Formationen wie Immortal oder Enslaved verstecken. Aber genau zwischen diesen zwei Welten scheinen die Beteiligten des Projektes gefangen zu sein: Da ist einmal erwähnter Sound im Stile von Lemmy Kilmister. Und eben die barschen Wurzeln der norwegischen Szeneherkunft. Jene macht sich zwar weniger in blechernem Geknüppel fest. Doch trotz reduzierter Midtempo-Geschwindigkeit wird hier eine ähnliche Atmosphäre heraufbeschworen, wie sie den typischen Genrealben zu eigen ist. Der Bastard, der daraus entsteht, klingt zwar nichtmehr ganz so konsequent wie vielleicht erwartet - offeriert umgekehrt aber dank prägnanter Hooks und melodischer Gitarrenarbeit vielleicht auch für szenefremde Gestalten seine Reize.

So wirklich noch auf dem Plan gehabt hatten Unleashed wohl nur die wenigsten. Nach ein paar für die schwedische Deathmetal-Szene durchaus wegweisenden Alben wurden Veröffentlichungen wie Shows der Band um Sänger Johnny Hedlund in den letzten Jahren immer seltener - und auch qualitativ liess man nicht gerade aufhorchen. Nach einem Wechsel der langjährigen Plattenfirma (sollte so etwas tatsächlich Auswirkungen auf die Keativität einer Band haben?) überrascht das Urgestein nun aber mit einem echten Hammer: "Midvinterblod" (Steamhammer/SPV) strotzt nur so vor Energie und bringt die Stärken der Herren derart konsequent auf den Punkt, dass man im Jahr 2006 nur staunen kann. Songs wie das Titelstück oder der Nackenbrecher "This is our world now" sind mit das stärkste, was mir seit "Victory" (immerhin 1995) von Unleashed zu Ohren gekommen ist. Dem reichlich klassischen, schwer an die neunziger Jahre erinnernden Artwork setzt man dafür einen perfekten Sound entgegen. Der typische Unleashed-Groove kommt so richtig stark zur Geltung; vor allem weil das steinalte Deathmetal-Schlachtschiff diesmal ein ziemlich unglaubliches Tempo vorlegt. 15 Stücke in 45 Minuten dürfte jedenfalls zu den bisherigen Höchstleistungen gehören - wobei die Tracks sogar noch über enormen Wiedererkennungswert verfügen. Gemeinsam mit Entombed, Dismember und Grave soll man dieser Tage zudem deutsche Bühnen beehren. In dieser Konstellation - und mit der beeindruckenden Verfassung aller Beteiligter - könnte das eines der Konzerthighlights dieses Jahres werden. In jedem Fall gelang mit "Midvinterblod" ein sehr starkes, stimmiges Album.

Ein eigenwilliger Brocken ist das Debütalbum von White Daughter, „Stiff with the Invisible“ (Onomato-Pop/Popup-Records/Cargo), geworden. Dabei ist das Material eigentlich frei von wirklichen Kanten. Es ist eher die Tiefe, die erschaudern lässt. Nathan Bennett und Mark Bihler - in ihrem zweiten Leben auch unter dem Titel Bridge And Tunnel bekannt - kreieren hier trippige Sounds mit einer kuriosen Melange aus Woven Hand, Future Sound Of London und Independent-Klängen, in welche sich regelrecht versinken lässt. Wenn auch mit ambivalenten Emotionen. Bei aller reduzierter Harmonie bleiben die Songgerüste doch kaum greifbar, beinahe unbehaglich düster. Und es wirft sich die Frage auf, was White Daughter auf ihrem Debüt eigentlich inzenieren? Das spärliche Booklet hüllt sich ebenfalls ziemlich in Schweigen. Fest steht nur: Die deutsch-amerikanische Kollaboration und ihre weitgehend instrumentalen Klangwelten lassen sich nicht so einfach in Schubladen drängen. Wozu wohl auch ihr ungewöhnlicher Entstehungsprozess beiträgt: Das Material besteht zwar zur Hälfte aus organischen Instrumenten; der zweite, gleichermaßen relevante Teil wird jedoch durch analoge Synthesizer kreiert. Und das Resultat hebt sich so eigenwillig wie beängstigend von anderen Postrock/Laptop-Produktionen ab.

Autor:


Zum Seitenanfang

Von wilden Kerlen und kleinen Rotzlöffeln

mit: Twelve Tribes | Four Letter Lie | Stonepark | V/A - Brats on The Beat

Zugegeben nicht ganz meine Richtung, aber Twelve Tribes präsentieren mit „Midwest Pandemic“ (Ferret Music) ein mehr als hörenswertes Album im dennoch altbekannten Dickicht aus New Metal, Hardcore und Moshpit-Geschrubber. In einer gekonnten Mischung aus Screamo-Attacken und im gut gelungenen Arrangement mit Ruhephasen lassen sich die 11 Songs des zweiten Albums gut an: Unterfüttert durch allerlei Spielereien wie das in drei Parts untergliederte „The Recovery“ mit Piano-Intro ubd allerlei Intermissions gefällt „Midwest Pandemic“ vor allem durch seine kurzweiligen Tempo-Wechsel, die einfallsreichen Melodien und das nicht allzu platte Songwriting. Am Ende läuft zwar alles auf bekannten Konzepte im Windschatten von Killswitch Engage und vielleicht Korn. Metalcore von der Stange, aber wenigstens mit Charakter - das muss man zugegeben. Auch nach mehrmaligem Durchlauf weiß das einfache aber immerhin kurzweilige Konzept aus harten Riffs, derben Shouts und melodiösen Parts zu unterhalten. Da macht es auch nichts dass der Charakter des Trios aus Ohio vielleicht noch nicht der eigenständigste sein mag. Vielleicht mit dem dritten Album, klassischerweise ja das Entscheidende.

Musikalisch geht „Let Your Body Take Over“ (Victory Records) des Fünfers von Four Letter Lie in etwa die gleiche Richtung: Extrem melodischer Hardcore mit fleißigen Scream-Alongs und rockigem Pathos. Auch nicht neu, aber dafür mit sehr viel Liebe zum Detail angereichert. So etwa die Lyrics, die mit allerlei Wortspielereien ausstaffiert sind oder die wahrlich dicken Vocals im Allgemeinen - traut man den etwas zu brav dreinblickenden Jungs auf dem Booklet gar nicht zu. Das Dutzend Songs des Quintetts aus Minnesota, das bis dato in DIY-Regie in Studios und auf Tour war, erinnert nicht überraschenderweise an die Label-Mates von Silverstein, Hawthorne Heights oder Taking Back Sunday. Dennoch ist die Grundstimmung wohl eher eine rockige als das melancholisch bis düstere Gehabe der aktuellen Bandschwemme aus den USA. Die Single-Auskopplung „Feel Like Frame“ hat zum Beispiel mehr Pop als Rock-Ambitionen, während die Brakes mit Shouts und Screams eher flankierenden Charakter haben. So präsentiert sich „Let Your Body Take Over“ als schöne Sammlung an Basis-demokratischem, melodischen Hardcore der sich mit allerlei Rock- und Pop-Elementen schmückt und dem nur gelegentlich mal richtig der Draht durchbrennt („The Ordinary Life“). Da ist dann für alle was dabei, allerdings auch ohne komplett zu überzeugen.

Noch ganz am Anfang ist dagegen das Quartett von Stonepark - aber dafür auch schon verdammt überzeugend. Das Debüt der Stockholmer nennt sich ganz pragmatisch „Tracks“ (B&B Records Sweden / India / Rough Trade) und bietet ein unglaubliches Repertoire an Soundeinflüssen. Dass Schweden den Staaten, England und dem restlichen alten Europa in Sachen Kreativität und Nachwuchsförderung seit Jahren um Längen voraus ist, ist ja nicht die neueste Nachricht. Aber Stonepark haben sich es zusätzlich noch zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Einflüsse zu ihrem eigenen Stil zu verbraten. Die 13 Songs der bereits 2001 gegründeten Band um Leadsinger Aleco Georgopulos schaffen dies in ziemlich homogener Art und Weise. Charakteristisch für Stonepark ist neben den überzeugenden Vocals vor allem der energetische Sound zwischen neuen Metallenem, klassischen Rockparts und leicht aggressiven Post-Rockigem. Schwer zu beschreiben das Ganze, aber irgendwie sehr schön im Abgang. Mag sein, dass für so manchem Kritiker „Tracks“ weder Fisch noch Fleisch sein mag, mit Songs wie „S.O.S“ oder „Lies“ bleiben aber dennoch echte Schmankerl zurück: Songs in echter Soundgarden-Manier, mit denen Stonepark sich als Begleitschutz für Audioslave oder Pearl Jam anbieten. Dabei gibt es mit „Follow Me“ auch echt was aufs Herz, der dichten aber melodischen Rock-Schwermütigkeit sei Dank. Am Ende bleibt aber auch hier erstmal nur eine Schlussfolerung: Der Weg ist für Stonepark noch weit, auch wenn mit „Tracks“ schon ein großer Schritt getan ist.

Da passt es doch gut, dass es Bands gibt die das alles schon hinter sich haben. Okay, etwas makaber, aber im Falle von den Ramones bietet sich diese Überleitung einfach an. Vielleicht ja auch ganz gut, dass jetzt also schon drei ehemals-Mitglieder den Sampler „Brats On the Beat: Ramones For Kids“ (Go-Kart Records) nicht aktiv mitbekommt - wer weiß Joey davon gehalten hätte. An sich eine gute Idee: Die Punkrock-Elite gibt sich die Ehre die besten Songs der wohl bedeutendsten Punkrock-Combo (darf man das rückblickend so nennen?). Im Tracklisting sieht das nämlich sehr fein aus, wenn Jim Lindberg (Pennywise) mit „Blitzkrieg Bop“ einleitet, die Front-Donna Brett Anderson „California Sun“ zum Besten gibt oder die wunderbare Emily der noch wunderbareren Go Betty Go „I Just Wanna Have Something To Do“ perfektioniert. ABER: Warum in aller Welt man mit den lästigen und auf Dauer der guten halben Stunde nervtötenden, ja unmöglichen Kinder-Chören und Back-Vocals (?) von irgendwelchen Knirpsen diese an sich gut produzierten Cover-Versionen offensichtlich versenkt bleibt mir ein Rätsel. Punkrock von Kids für Kids. Hallo? Ist das nun ernst gemeint oder einfach nur die Fortsetzung der absoluten Verklärung des Punkrock und seines ursprünglichen Selbstverständnisses. Oder warum kleiden sich heute 14-jährige Dank H(ager)&M(ager) mit Ramones-Shirts ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben was diese Band bedeutet hat. Oder hab ich das falsch verstanden, nehm mich zu wichtig und „Ramones For Kids“ infiltriert einer neue, sehr junge Generation das Gespür für gute Musik? Ein Generationenvertrag der anderen Art wenn man so will. Allein der Glaube fehlt. Für mich schade, denn ohne das komische, mir unverständliche Motto ist das ein echt guter Coversong-Sampler. Ich denk mir die Kinder-Geschichte einfach weg - immerhin wendet so mancher diese Methode ja schon bei seiner Lebensplanung an. 

Autor:


Zum Seitenanfang

ERROR!