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Tele Interview

Die Grenze des guten Geschmacks

 

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Manchmal bestraft einen die eigene Arroganz. Knallhart, wie ein ordentlicher Schlag ins Genick. Man macht es sich halt gerne leicht und winkt bei so mancher Band schnell ab. „Das ist nichts für mich, viel zu kitschig.“, „Das ist doch Schlagermusik für Deutschpop-Scheitelträger!“, „Was die treten auch noch bei Raabs Songcontest auf?“ Die Freiburger und inzwischen Wahl-Berliner Tele sind da so ein wunderbares Beispiel.
Eine Band, die es bei vielen Leuten wohl einfach deswegen nicht in die Anlage schafft, weil die eigene Coolness im Weg steht. Weil man Songs wie „Falschrum“ oder „Mario“ mit einer unnötigen Lässigkeit und einer unerträglichen Unaufmerksamkeit, vielleicht sogar Ignoranz unter Kitsch verbucht. Dabei sollte man genauer hinhören, denn natürlich spielen Tele mit Klischees, vielleicht sogar mit zunächst kitschigen Elementen und natürlich mit jeder Menge Pop, aber genau hierin liegt ja die Herausforderung: sowohl für die Musiker, als auch für die Hörerschaft. Die schwierigste Aufgabe ist es immer noch einen perfekten, aber nicht oberflächlichen Popsong zu schreiben. Aber wie wird dieser eigentlich definiert und wo liegen die Grenzen zwischen Pop und Kitsch?

Da bietet es sich an die Grenzgänger selbst zu befragen. Es ist Anfang Juni. Die Sonne scheint und das Immergut Festival hat gerade seine Pforten geöffnet. Tele sind da, um ihr aktuelles Album „Wir brauchen nichts“ vorzustellen. Eine ganz vorzüglich gelungene Platte mit elf Liedern, die nur auf den ersten Blick einfach gestrickt sind. Musikalisch elegant und eingängig, textlich unglaublich tiefgründig. Und wir stellen sie, die Frage: Wo liegt die Grenze des guten Geschmacks? Rede und Antwort stehen dabei Keyboarder Patrick Reising und Bassist Jörg Holdinghausen.

Bezeichnet ihr eure Musik selbst als Popmusik?
Patrick Reising: Ja schon, das ist zwar recht breit gefächert und ich weiß nicht, ob sich darunter die Leute etwas vorstellen können, aber es beschreibt es wohl immer noch am besten.

Das ist ja immer nicht ganz einfach, weil der Begriff „Popmusik“ in Deutschland anders besetzt ist, als in anderen Ländern, wie zum Beispiel in England, wo auch viele Independent Bands oben in den Charts vertreten sind.
Reising:
Ja der Begriff ist einfach schwierig, weil auch sogenannte Indie-Bands zu Kassenschlagern geworden sind und sich das immer mehr vermischt. Man kann da viel über den Begriff reden, aber was beschreibt Popmusik eigentlich? Wahrscheinlich am besten, dass es keine Rockmusik ist.
Jörg Holdinghausen: Wir verstehen Popmusik auch als Rahmen, den wir uns selbst gegeben haben, aber indem wir uns dann wieder frei bewegen. Popmusik ist so ein unglaublich weiter Begriff, der höchstens vielleicht die Länge von einem Stück setzt, ansatzweise auch die Struktur, wobei man die natürlich jederzeit aufbrechen kann. So ein Rahmen ist manchmal auch ganz gut, um damit arbeiten zu können und dann macht es aber erst recht Spaß diesen auch wieder zu sprengen.

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Wo würdet ihr die Grenze zwischen Pop und Kitsch ziehen, gibt es irgendetwas, was bei euch überhaupt nicht geht?
Holdinghausen:
Ich finde da geht’s um Substanz. Kitsch ist eine oberflächliche Schönheit ohne tiefere Substanz. Ich finde es zum Beispiel nicht kitschig über Gefühle zu sprechen und zu singen und schöne Melodien zu spielen. Da kommt es einfach auf den Gehalt der ganzen Geschichte an.

Habt ihr ein Rezept für einen perfekten Popsong oder gibt es das nicht?
Reising:
Drei Akkorde (lacht). Nee.
Holdinghausen: Dieter Bohlen würde jetzt sagen: Klar!
Reising: Es ist natürlich unser Ziel schöne Popsongs zu schreiben, aber es stellt sich immer die Frage, was ein großer Popsong ist und was nicht. Und wenn es dafür ein Rezept geben würde, dann...
Holdinghausen: ...würden wir es natürlich anwenden.
Reising: Ich würde nicht sagen, dass wir noch nie einen schönen Popsong geschrieben haben, aber es ist auf jeden Fall nicht einfach. Manchmal hört man wunderbare Stücke und denkt sich, dass die total einfach gemacht sind. Aber genau das ist dann wohl das Große daran.

Wenn der Unterschied zum Kitsch die angesprochene Substanz ist, wie kann man diese messen?
Holdinghausen:
Kann man nicht, das hängt nämlich immer vom Hörer ab. Musik wird von jedem anders aufgenommen und wahrgenommen und da muss auch jeder für sich entscheiden, ob ihn das berührt oder nicht. Da würde ich mir nicht zumuten eine Messlatte aufzusetzen.

Ihr ward auf Anfrage des Goethe-Instituts in Afrika auf Tour, ist das vielleicht der beste Beweis, dass gute Popmusik überall funktioniert, egal in welcher Sprache?
Reising:
Auf jeden Fall hat das dort gut funktioniert, auch ohne dass die Leute die Texte verstanden haben. Es lag vielleicht aber auch daran, dass sich eine dortige Konzertsituation völlig von einer in Deutschland unterscheidet, weil da die Menschen am Konzert viel stärker teilnehmen.
Holdinghausen: Wir hatten da auch fast jeden Abend Leute mit auf der Bühne, die nicht zur Band gehörten, egal ob das jetzt Leute von anderen Bands waren mit denen wir gespielt haben oder Leute aus dem Publikum und irgendwie sind wir in Deutschland noch nicht so richtig auf die Idee gekommen. Obwohl es gerade auf einem Festival genug Musiker geben würde, wo man mal sagen könnte: Wer ist der Freestyle-König vom Immergut und ab auf die Bühne.
Reising: In Deutschland ist es halt auch oft so, dass Leute sich auf Konzerten treffen, um zu reden. Für die Bands ist das natürlich nicht so schön.

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Abgesehen von den erfolgreichen Konzerten in Afrika, bedauert ihr manchmal, dass ihr aufgrund der Sprachbarriere wahrscheinlich in England oder in den USA nie den Erfolg haben werdet, den ihr hier habt?
Reising:
Natürlich würde man dort gerne touren und hätte gerne, dass die Leute dort die Musik hören, aber das ist nun mal die Sprache der Band. Das ist die Sprache in der Francesco singt. Wenn man da jetzt Ambitionen hätte, würde man wohl eine andere Band machen oder ganz gezielt mal ein Album auf italienisch rausbringen. Aber es wäre jetzt schon sehr komisch, wenn wir auf englisch singen würden.
Holdinghausen: Ja, diese Band ist einfach verknüpft mit dieser Sprache. Das muss man als gegeben hinnehmen. Natürlich ist das manchmal schade, denn ich würde schon sehr gerne um die Welt touren mit dieser Band, aber da müsste man dann eben wirklich eine andere Band machen. Es gibt ganz spezielle Arten von Musik, wo man unabhängig von der Sprache um die Welt touren könnte, aber dazu gehört nicht die Popmusik. Da müsste man dann Ethno machen.

Noch einmal zurück zur Grenze zwischen Pop und Kitsch. Spielt das auch bei der Promotion für euch eine Rolle, was man eben macht und was nicht. Ist der Bundesvision Contest schon über der Grenze bzw. macht so was dann noch richtig Spaß?
Reising:
Da gab’s eigentlich keine Diskussion, da haben alle Ja gesagt.
Holdinghausen: Was anderes wäre es bei so was wie The Dome. Bei Raab hatte man das Gefühl, dass ihn die Musik wirklich interessiert, dass er da auch mal seinen Zynismus stecken lässt und es ist halt eine der wenigen Shows im deutschen Fernsehen, wo noch Live-Musik gespielt wird, was ich absolut unterstützenswert finde, abgesehen davon, was man jetzt von Stefan Raab hält, da hat er seine Verdienste auf dem Gebiet. Und was den Songcontest betrifft, hatten wir da zumindest nach dem Auftritt jede Menge Spaß.

Ist das auch oft ein Thema mit wem man auftritt? Ihr habt zum Beispiel im Vorprogramm von Juli und Phoenix gespielt, für mich ist da ein himmelweiter Unterschied zwischen den beiden Bands.
Holdinghausen:
Ja unbedingt, das war auf jeden Fall ein Thema bei uns, was groß diskutiert wurde und am Ende ist dann die Entscheidung dafür gefallen das zu machen, auch wenn da nicht jeder froh drüber war.

Was ist dann der Knackpunkt, warum wird bei einer Band wie Juli diskutiert?
Holdinghausen:
Weil man in einen Kontext gestellt wird, indem man sich nicht sieht.
Reising: In dem Fall hat das einfach was mit der Musik zu tun. Persönlich verstehen wir uns wunderbar mit Juli, aber deren Musik ist halt ganz anders angelegt. Phoenix zum Beispiel machen Musik, die auf großen Bühnen funktioniert, aber auch in kleinen Clubs. Das könnte ich mir Juli jetzt nicht so gut vorstellen. Wir spielen auch lieber in kleinen engen Clubs, ich kann mir unsere Musik aber auch auf größeren Bühnen vorstellen.

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Es ist oft richtig schwierig „Außenstehenden“ zu vermitteln, warum man jetzt einen großen Unterschied zwischen Silbermond, Juli oder Tele sieht. Das Qualitätsargument hilft da nicht viel.
Holdinghausen:
„Hör doch mal hin!“, kann man sagen (lacht).
Reising: Das kann man den Leuten ja auch nicht verdenken. Wer sich viel mit Musik beschäftigt, hört den Unterschied sofort, dass das eine mehr Gehalt hat, als das andere. Wobei ich Juli gar nicht abstreiten will, dass die poppige Songs schreiben, es gefällt einem halt oder nicht. Die haben auch ihre Qualität, die ja viele Leute gut finden.
Holdinghausen: Das sehe ich anders, weil das meiner Meinung nach nichts mit Qualität zu tun hat, weil es viele Leute gut finden. Das ist für mich nicht per se Qualität.
Reising: Nee, ich hab ja nicht gesagt, dass die Musik qualitativ hochwertig ist, sondern dass die poppige Songs schreiben können und irgendwas muss da ja sein.
Holdinghausen: Das ist ja aber genau die Frage. Jetzt mal unabhängig von Juli, funktionieren diese Bands ja oft so, dass sie halt einen Single-Hit haben und die Platte ist völlig egal. So funktionieren ja auch die Plattenfirmen. Und das kann man Bands wie Juli und vielen anderen auch gar nicht absprechen, dass sie eine richtig gute Single hatten, die dann tatsächlich was gehabt hat, aber ganz ganz oft ist es so, dass dann kein Album dahintersteht. Und dann sind wir eben wieder bei dem Thema Substanz. Das sind auch verschiedene Herangehensweisen. Ob man jetzt versucht mit einer Single den Markt zu knacken oder wenn man ein schönes Album aufnimmt, wo die einzelnen Songs miteinander korrespondieren.

Interessant ist doch aber, dass diese Bands sich mit euch die Vorbilder teilen oder durch fest in der Szene verankerte Independent-Bands sozialisiert wurden und trotzdem eine völlig andere Herangehensweise haben.
Reising:
Schwierig zu sagen. Oft liegt das dann an einem Produzenten, der alles bewusst mainstreamig aufnimmt und dann möglichst alles wegkürzt, was zu bunt ist.
Holdinghausen: Es wird dann auch immer schwieriger für so eine Band, weil der Druck steigt, wenn du einmal so eine erfolgreiche Platte gemacht hast. Die Plattenfirma hat dann auf einmal bestimmte Ansprüche, was die nächste Platte verkaufen soll.
Reising: Ein gutes Gegenbeispiel sind da Wir sind Helden.
Holdinghausen: Die stehen einfach für sich. Die haben es geschafft sich davon zu befreien und machen was sie wollen.

Interview und Text:
Sebastian Gloser
Foto: Frank Eidel
Livefotos: Hajo Möller


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