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Kevin Hooyman Interview

Heilungsprozess im Hühnerstall

 

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Es ist nicht ungewöhnlich, aber aus Zeitgründen doch selten, dass wir unseren gewohnten Interviewrahmen aufsprengen und Menschen Fragen stellen, die in gar keiner Band spielen oder gerade eine Platte veröffentlicht haben. Marc Spitz hatten wir schon, aber der war immerhin Musikredakteur und hat ein Buch über The Smiths geschrieben. Heinz Strunk gehört auch ein wenig in diese Reihe, aber der ist schließlich auch Musiker, obwohl er inzwischen eher als Autor bekannt ist. Auch diesmal hat der Interviewte Bezugspunkte zu Musik, allerdings bezeichnet er sich selbst nicht als Fachmann und Kenner, was wohl in erster Linie daran liegt, dass er sein Leben einer anderen Kunstform widmet. „Malen“ und „zeichnen“ würden wir wohl ganz banal dazu sagen. Es geht um Kevin Hooyman, über dessen Namen man in letzter Zeit stolpern konnte, wenn man sich etwas ausführlicher mit den aktuellen Alben von !!! (Chk Chk Chk) und The Robocop Kraus beschäftigt hat. Kevin Hooyman hat nämlich die beiden atemberaubenden detailverliebten Covermotive beigesteuert und somit für enormen Wiedererkennungswert gesorgt.

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Während auf dem Cover des New Yorker Tanzkollektivs eine prächtige Weltuntergangsstimmung zelebriert wird und Hooyman das biblische Szenario der Arche Noah in die Neuzeit transportiert hat, scheint auf „Blunders And Mistakes“ grundsätzliche Anarchie zu herrschen. Neben den dominierenden Grüntönen der verschiedenen Baumsorten lassen sich dort Affen mit Eis in der Hand finden, allerlei niedliche Tierarten und sogar ein Bayer mit schicken Sandalen. Keine Frage: Der Typ hat’s drauf, vielleicht hat er sogar eine echte Meise, aber was will er eigentlich mit seinen Bildern ausdrücken, schließlich lassen sich auf seiner Website noch vielmehr abstruse Motive finden. Deswegen Fragen sammeln und nach ein paar Emails liegen die Antworten bereits auf dem Tisch, die der in New York lebende Hooyman mit folgenden Worten veredelt hat: „Those were great questions. Very thoughtful and more interesting than the ones people ask in the US.“ Ein viel besseres Kompliment kann man ja eigentlich nicht bekommen. Danke dafür. Und los geht’s:

Du hast schon sehr früh mit dem Malen begonnen. Hast du damals auch schon in erster Linie Tiere und Naturmotive gewählt? Wo ist die Verbindung zu all den Naturbildern- und Comics, zumal man bei New York nicht gerade an einen Ort mit denkt.
Meine Mutter hat mir kürzlich einen Packen meiner Kinderzeichnungen geschickt. Sie hat auf die Rückseite geschrieben, dass sie von 1979 sind, da war ich fünf Jahre alt und natürlich sind das eigentlich ganz normale Kinderzeichnungen, die sich nicht von denen unterscheiden, die bei allen Eltern am Kühlschrank hängen – was aber witzig ist, ist dass meine Mutter sie alle betitelt hat, damit man weiß, was all die kleinen scribble blobs darstellen sollen und es ist tatsächlich so: Ich habe damals genau das gleiche gezeichnet wie heute. Tons of animals in giant zoo or forest scenes. Ich denke Tiere zu malen, ist nicht gerade ungewöhnlich für Kinder. Das ist einfach das, was Kinder zeichnen oder zumindest was wir 1979 gezeichnet haben. Später als ich etwas älter wurde, waren es für eine Weile vielleicht Raumschiffe, aber mit fünf ging es für mich nur um Tiere. Es war für mich keine bewusste Entscheidung als ich 20 wurde wieder Tiere und Natur zu zeichnen, aber vielleicht war ich da mit meiner Kindheit verbunden oder es ist vielleicht einfach die Sprache, die ich zuerst gelernt habe. Was New York betrifft: Ich merke, dass es für mich einfach ist, all die Menschen aus meiner Umgebung und Nachbarschaft in Tiercharaktere zu verwandeln. Es ist so ein toller Ort, um Menschen zu studieren. Ich bin letztes Jahr aufs Land gezogen, weil mir die Stadt zu teuer ist, aber seitdem schätze ich die Stadt noch mehr. Ich denke ich zeichne meine Fantasiewelt, welche in der Natur spielt, die aber mit den Charakteren von New York City bevölkert ist.

In einem Interview, das man auf deiner Website nachlesen kann, sagst du: „Mein neues großes Projekt ist es eine bewohnbare Umgebung auf einer verlassenen Farm zu schaffen.“ Erzähl uns mehr darüber.
Oh man, it is a project. Gerade in den letzten Tagen ist es hier draußen kalt geworden und ich habe den ganzen Sommer über in einer Baracke gewohnt so times are tough. Ich trage einen Schlafsack und demnächst ziehe ich in einen kleinen Hühnerstall, den ich isoliert habe und mit einem Holzofen beheizen kann. Ich liebe das Land. Es ist wunderschön und ich liebe es die Natur zu betrachten. Wenn ich gestresst bin gehe ich einfach in den Wald spazieren oder setze mich einfach in die Landschaft und denke darüber nach, was diese Welt wirklich ist, was wir wirklich sind.

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Auf deiner Website bewegt sich unglaublich viel und auch in deinen Zeichnungen kann man unglaublich viel Bewegung ausmachen. Ist das ein zentrales Motiv deiner Kunst?
Ich bin besessen davon Dinge in Bewegung zu bringen. Animation ist ein Haufen Arbeit, der nicht wirklich Spaß macht, aber die Möglichkeit ein Bild zu bewegen ist einfach zu cool, um sie auszulassen. Ich habe noch nicht so viele Animationen hinbekommen, die ich wirklich mag, aber ich bin dabei es zu lernen. Es scheint so, dass bewegte Bilder das Medium unserer Zeit sind. Jeder schaut Fernsehen und auch den ganzen Kram im Netz und es wirkt so, als würden die Leute erst jetzt so richtig beginnen mehr und mehr bewegte Bilder zu konsumieren. Ich habe eine 17 Jahre alte Schwester und sie saugt Filme, Fernsehen und YouTube gerade zu auf. Hoffentlich wird sich das Internet ohne Kontrolle durch die Unternehmen entwickeln, so dass es die Möglichkeit gibt, dass viele Stimmen gehört werden. Das könnte eine schöne Zukunft sein.

Wie würdest du deinen Stil in eigenen Worten beschreiben? Was ist wichtig für deine Art zu zeichnen?
Das ist eine schwere Frage. Style is a really tough thing to think about. Ich war für eine Weile fast paralysiert, weil ich zu sehr über einen Stil nachgedacht habe. Ich habe die Idee „einen Stil zu haben“ nicht wirklich verstanden, weil es wie etwas Verschwommenes wirkte, das einem gar nicht zugerechnet werden könnte. Du hast eine Stimme, die deine ist, aber das Instrument um zu sprechen könnte sich ändern. Es könnte alles sein. Irgendwann habe ich dann einen Weg gefunden mir keinen Kopf mehr über einen Zeichenstil zu machen, indem ich einfach losgezeichnet habe, ohne darüber nachzudenken; Zeichnungen auszugestalten so schnell ich konnte und das erste zu zeichnen, was mir durch den Kopf ging... Fast wie wenn ich wieder ein Kind wäre. Vielleicht kommen daher all die Tiere. Those early memories of drawing started to guide me again.

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Du hast an einer Kunsthochschule studiert. Ist es nicht merkwürdig Menschen in einer Kunst auszubilden? Kunst ist schließlich nicht vergleichbar mit Mathematik oder Wirtschaftswissenschaften.
Ja, diesen Einwand kann ich vollkommen verstehen. Ja, es ist verrückt Kunst zu studieren. Ich war an einem aufgeschlossenen Kunst-College, welches sich ein wenig von einer Kunsthochschule unterscheidet, weil nur die Hälfte der Kurse, die ich belegt habe, hatten mit Kunst zu tun. Dennoch war es verrückt, zumal ich auf einer weiteren Schule war, um noch mehr Kunst zu studieren. Diese Schule hat sich sehr mit Theorie beschäftigt und sie wollten einen dort beibringen ein sehr intellektueller Künstler zu sein. Das kann interessant sein, aber es war so frustrierend, dass jeder so damit beschäftigt war die gleichen, einfachen Ideen über Kommunikation immer und immer wieder zu wiederholen. Und dann hat jeder gelernt Kunst zu machen, die kleine Rätsel aufgaben. Es war einfacher irgendetwas zu machen bei dem es unmöglich war es zu verstehen, als zu riskieren verstanden zu werden und dabei nichts Interessantes zu sagen zu haben. Ich halte Kunst für ein Werkzeug eine Botschaft zu transportieren und in der Schule ging es nur um: „Was ist die Idee einer Botschaft“. Niemand wusste, was seine eigene Botschaft war oder sie kümmerten sich schlicht weg nicht darum. Ich denke das ist heute ein Problem in einem großen Teil der Kunstwelt. Jeder will in diesem Spiel einfach nur gewinnen und dieses Spiel besteht aus zwei Dritteln Sytle und einem Drittel über die Kunst zu reden.

In Deutschland kennt man dich durch deine Arbeiten für !!! und The Robocop Kraus, hast du auch schon für andere Bands Cover gestaltet?
Nein, das sind die einzigen beiden. Aber ich würde gerne weitere machen. Das macht viel Spaß.

Ist es dir wichtig, dass du die Musik deiner „Kunden“ magst oder ist das einfach nur ein Auftrag?
Das ist wichtig, glaube ich. Ich würde mich selbst nicht als Musikexperten bezeichnen, aber ich muss die Band insoweit mögen, dass ich mir ihre Musik wirklich anhören will, ich ihre Botschaft mag und das Gefühl habe, dass das was die Musiker da tun interessant ist. Ich will die Musiker außerdem als Menschen mögen. Ich wusste nicht viel über The Robocop Kraus und ich habe sie bis jetzt noch nicht getroffen, aber ich habe mir mit Thomas Emails geschrieben and he seemed cool. Er hat nicht versucht sich anzubiedern mit massenweise guter Reviews oder hat mir nicht erzählt mit wem sie schon alles gespielt haben – manche Bands benutzen das ja, um einen zu beeindrucken. Er hat einfach nur gesagt, dass ich mir mal einen Song, nämlich „Snake“, anhören solle und meinte, dass ihre Songs sich teilweise um ähnliche Themen drehen, wie meine Zeichnungen. Das fand ich super, weshalb ich beschlossen habe den Auftrag anzunehmen. !!! sind wiederum alte Kumpels aus Brooklyn.

Bei dem !!!-Cover war ein Thema vorgegeben, war das bei The Robocop Kraus auch so?
Nicht wirklich. Toll, dass sie meiner Vorstellung vertraut haben.

Kannst du beschreiben, wie du an so einem Projekt arbeitest?

Es ging darum herauszufinden, was relevant wäre. Ich liebe Album-Cover, also habe ich an ein paar meiner Favoriten gedacht und mir überlegt meine eigene Version des Covers „Sweetheart Of The Rodeo“ der Byrds zu machen. Es sah nicht wirklich wie dieses Cover aus, aber es war das Layout mit dem ich begonnen hatte. Ursprünglich hatte ich diesem Robocop Typen als zentrale Figur eine Gitarre verpasst, bei der ich mir dachte Robocop might have had in the 80’s vision of the future. Das war die Variante, die der Band nicht so gefallen hat und sie hatten Recht. Thomas sagte mir, ich solle einfach ein paar Typen in meinem Stil zeichnen, anstatt Robocop zu kopieren und das war super. Das war so lehrreich. Vertrau dir einfach selbst. Das ist die beste Art zu zeichnen. Während ich also an so etwas arbeite, höre ich die ganze Zeit dazu das Album und hoffe, dass die Musik ihren Weg aufs Blatt findet.

The Robocop Kraus haben ihr Album „Blunders And Mistakes” genannt; unter anderem wohl deswegen weil sie bewusst kleine Fehler machen wollten. Ihr Sound sollte nicht perfekt sein. Gibt es da eine Verbindung zu deiner Kunst oder ist Perfektion etwas wichtiges für dich?
Ich bin hin- und hergerissen dazwischen Fehler zu mögen und sie nicht zu mögen. Manchmal verliere ich mich darin sie zu vermeiden, aber dann versteifst du dich so sehr, dass in der Zeichnung fast kein Leben mehr steckt. Ich weiß also, wovon sie sprechen.

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Kunst ist unglaublich wichtig, um den Alltag zu ertragen, dennoch haben die Künste in unseren Gesellschaften einen relativ geringen Stellenwert, warum ist das so?
„Kunst“ war in seinem ursprünglichen Begriff eigentlich fast nur für die Oberschicht da und etwas sehr Exklusives. So manche Kunst rühmt sich damit, dass man in der Welt der Kunst hoch gebildet sein muss, um sie überhaupt zu verstehen. Alle entwerfen diese Rätsel, die ich schon in der Schule gehasst habe und sagen dann: „Hast du gesehen, wie diese Leute überhaupt nicht kapiert haben, was ich damit aussagen will? Meine Kunst ist fantastisch!“ Ich kann die Leute verstehen, die diese Menschen nicht leiden können. Mögen die reichen Leute, die den Markt kontrollieren, überhaupt die Kunst, die sie kaufen oder wollen sie einfach nur exklusiv und cool wirken? Und die Künstler wollen natürlich alle nur Erfolg, seit dem wir uns in den USA nur noch darum kümmern reich und berühmt zu sein, so it has kind of become this big empty beast. Künstler wollen Stars werden, nur um sich diese Bezeichnung anheften zu können und damit die Reichen ihre Sachen kaufen wollen, um ihre Zeit rumzukriegen und um ihr Geld ausgeben zu können. Ich denke nicht, dass dieses Biest lange leben kann. Es scheint krank zu sein und im Sterben zu liegen. Ich hoffe auf einen Wechsel. Öffentliche Finanzierung könnte ihn vielleicht bewirken. Aber wer wäre dafür verantwortlich? Es ist kein Problem, das man einfach lösen kann. Vielleicht könnte aber auch die Freiheit in den Medien, vor allem im Internet, einen neuen Platz dafür schaffen gute Kunst populär und bekannt zu machen. Wenn ich „Kunst“ sage, meine ich damit natürlich auch Fernsehsendungen, Filme, Radio und Auftritte. Ich verbringe die meiste Zeit damit Bücher mit Zeichnungen zu veröffentlichen und es wäre natürlich toll einen besseren Vertrieb dafür zu finden. Ich bin zuversichtlich, was die Zukunft von Kunst betrifft.

Auf deiner Website gibt es eine Zeichnung, auf der man eine Frau sehen kann, die schreit: „Oh mein Gott, da sind überall Terroristen!“ Ist das die größte Paranoia, die im Moment die politische Landschaft durchzieht? Wie begenest du den Entwicklungen, die es in den letzten Jahren vor allem in den USA gegeben hat?
In den USA muss man inzwischen ja schon aufpassen das Wort „Terrorist“ zu benutzen. Niemand hat bisher in Frage stellen dürfen, dass ein Terrorist ein 100%-iges Übel ist, das sofort zerstört werden muss. Solange wir das Wort „Terrorist“ benutzen, ist es OK Menschen zu töten. „As long as we are trying to kill ‘terrorists’ then thank god.” Das ist die Einstellung, die wir immer wiederholen. Unabhängig davon, wie viel Leid wir verursachen. Ich habe kapiert, dass es bei einem Konflikt das wichtigste ist zu verstehen, warum es diesen Konflikt gibt. Du kannst ihn nicht lösen, wenn du ihn nicht verstehst. Aber wir dürfen in den USA solche Fragen nicht stellen, weil wir im ‚war on terror’ engagiert sind. Zu fragen, warum ein Terrorist überhaupt den USA schaden will, ist nicht erlaubt. ‘Who doesn’t want to fight terror? We all want to fight terror!’ Diese Zeichnung soll die neue Logik in den USA darstellen. Ich habe mir eine Zukunft vorgestellt, in der die Super-Reichen bereits die Erde zerstört haben und sich luxuriöse Fluchtkapseln gebaut haben, die sich nur sie leisten können. Um den Tod aller anderen freien Kreaturen der Erde zu rechtfertigen, werden alle freien Lebewesen als Terroristen bezeichnet. Als sie auf ihrem neuen Planet angekommen sind, sieht die Frau all die Kreaturen um sich herum, die nicht ihrer Dienerschaft angehören, weshalb sie ihren Horror zum Ausdruck bringt, indem sie ruft: ‘oh my god, gross, there are terrorists everywhere!’ Ich vermute es ist ein etwas schwierig zu verstehender Scherz.

Was ist die Aufgabe von Kunst als Opposition zur Politik und zu sozialen Problemen?
Ich finde den Gedanken toll, dass es die Aufgabe eines Künstlers ist den Leuten so zu helfen, dass sie das Gefühl haben mit ihren Problemen zurecht zu kommen. Ich denke wir haben riesige politische und soziale Probleme in unserem Leben. Wir sind richtig krank im Moment und ich bin der Meinung, dass Kunst eine große Rolle spielen könnte uns zu heilen. Kunst kann den Menschen ermöglichen über Dinge anders zu denken und ich glaube das ist es, was wir brauchen. All diese politischen und sozialen Strukturen, die uns so beschäftigt halten, verstecken die einfachen Wahrheiten, so dass wir überhaupt nicht mehr sehen, was eigentlich abgeht. Wir sind so habgierige Wesen, dass wir uns keine Gedanken darüber machen, wenn andere leiden, solange wir Ausreden finden nicht zu helfen. The social political structures are a sickness that spreads from the justification of our selfish cruelty. Vielleicht kann die Kunst durch diese Maske hindurch schauen, die wir alldem überziehen.

Fragen: Sebastian Gloser und Robert Heldner
Text: Sebastian Gloser
Grafiken / Bilder / Cover: Kevin Hooyman

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