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The National Interview

And tonight I'm gonna burn this town down

 

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Das Jahr 2007 neigt sich dem Ende zu. Es werden wieder allerorts Bestenlisten erstellt und „Boxer“ zählt sicherlich zu den Alben, welches bei vielen Freunden von düsterem Indiepop ganz oben auf dem Zettel steht. The National heißt die Band, die mit dieser Platte bewiesen hat, dass der herausragende Vorgänger „Alligator“ kein bloßer Zufallstreffer war.

Erschienen ist „Boxer“ zwar bereits im Frühling, doch seine ganze Wirkung entfaltet das Album erst jetzt, wo es draußen nass-kalt und innen dunkel wird. Der Soundtrack für den Herbst kommt wie schon zwei Jahre zuvor von The National, die einen mit ihrem melancholischen Shoegazerpop gefangen nehmen und trotz der oft brutal ernüchternden Texte eine Wärme geben, wie es zur Zeit nur wenig andere hinkriegen.

Und um ihre Position zu behaupten, gehen The National genau in diesen Herbstagen ein weiteres Mal auf Tour. Die ausverkauften Shows und die in größere Clubs verlegten Konzerte sprechen eine deutliche Sprache. Auch die in diesem Jahr bisher einzige Deutschlandshow in Berlin Ende Mai war ausverkauft.

Zeit für ein Interview bleibt dennoch. Sänger Matt Berninger nimmt sie sich. Er wirkt zerstreut, ein wenig fahrig, fast genauso wie in den Momenten, wenn er die explosiven Stücke auf der Bühne vorträgt. „Ich weiß nicht, was mit mir heute los ist...“, murmelt er vor sich hin und zündet sich eine Zigarette an. „Bei unserem letzten Interview hast du gesagt, dass du mit dem Rauchen aufhören willst“, erinnere ich ihn. „Stimmt. Und eigentlich hatte ich jetzt seit Monaten nicht mehr geraucht, aber heute geht es nicht anders.“ Ein Satz, frei für jede Interpretation in den Raum gestellt. Ausgeglichen geht anders. Aber genau so entstehen wohl die tollsten Songs von The National.

Letztes Mal haben wir darüber gesprochen, dass ihr ziemlich ausgebrannt ward und ihr gesagt habt, dass sich das mit dem nächsten Album ändern muss. Jetzt seid ihr mit diesem fast wieder ohne Pause unterwegs.
Ja, das stimmt. Ich meine, wir mögen es auf Tour zu gehen, bis zu einem gewissen Grad. Aber zuviel touren ist nicht gut für mich. Manche Bands gehen 15 Monate auf Tour, um ein Album zu promoten – das kann ich nicht. Am Ende werden es wohl acht Monate sein, bevor wir eine größere Pause einlegen, das müsste gerade noch gut gehen.

Zur Album-Veröffentlichung habt ihr alleine fünf Abende hintereinander in New York gespielt, ihr ward als Support von Arcade Fire unterwegs, ist es manchmal schwer „Nein“ zu sagen bei solchen Möglichkeiten?

Ja absolut. Man will natürlich für sein Album Werbung machen. Man hat hart dafür gearbeitet und dann sollen das die Leute auch mitkriegen, aber irgendwann kann einen die Werbetour natürlich auch kaputtmachen, was die Gesundheit oder Beziehungen betrifft. Wir versuchen einen Mittelweg zu finden, aber wenn dich natürlich Arcade Fire fragen, ob du mit auf Tour gehst, dann stellt sich da keine Frage. Im Moment ist alles noch ok, aber frag mich mal in zwei Monaten... (lacht ein zynisches Lachen).

Als ihr begonnen habt, die neue Platte zu machen. Gab es da irgendeinen bestimmten Ansatz in welche Richtung es gehen sollte?
Wir wussten eigentlich gar nicht, was wir für eine Platte machen wollten, als wir angefangen haben neue Songs zu schreiben. Wir sind nicht in der Lage an so was bereits im Voraus zu denken. Wir tauschen einfach Ideen aus und ich überlege mir zu Gitarrenideen erste Texte oder beobachte einfach, ob ich dazu singen kann und dann entwickelt sich das langsam. Wir hatten ungefähr 30 bis 40 Skizzen und die besten haben wir dann ausgearbeitet bis sich dann ein Album herauskristallisiert hat. Wir merken meistens erst kurz vor Schluss in welche Richtung so ein Album gehen wird.

Für mich wirken die Songs oft sehr reduziert auf die Grundgerüste.

Ja es war tatsächlich das Ziel in den Songs zunächst etwas mehr Raum zu lassen und sich nicht in Details zu verlieren. Erst danach haben wir noch viele Sachen, wie Hörner oder Klaviermelodien integriert. We didn’t want to overcook them, sondern wollten sie erst später richtig arrangieren. Die Songs klingen simpler, obwohl sie teilweise komplexer als die alten sind.

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Im Vergleich zu „Alligator“, schreist du auf „Boxer“ nicht mehr. Stücke wie „Abel“ oder „Mr. November“ findet man nicht. Bist du weniger wütend oder ausgeglichener?
Nein. Es kam diesmal einfach nicht dazu. Ich habe darüber nachgedacht, was mich dazu bewegt hat bei diesen Songs zu schreien und ich kann mich nicht wirklich daran erinnern, wütend gewesen zu sein. Vielleicht kommt das mit der nächsten Platte wieder. Diese zwei Nummern gehören zu den beliebtesten und als wir „Boxer“ fertig hatten, haben wir auch darüber diskutiert, ob wir nicht noch so einen Song hinzufügen. Wir haben dann ein paar ausprobiert, aber das hat einfach nicht funktioniert, das wirkte zu erzwungen. Ich denke mal die meisten Hörer werden damit leben können, dass es diesmal nicht passiert ist.

Es gibt einen Song – „Mistaken For Strangers“ – da klingt es so ein bisschen, als könnte es gleich ausbrechen und als würde es bei dir unter der Oberfläche brodeln.
Ja stimmt, da ist so eine ganz bestimmte Spannung. There is a boiler that never explodes. Bei einigen anderen Stücken ist das ähnlich und ich bin mir nicht sicher, was es zu bedeuten hat, aber das Album funktioniert auf diese Weise sehr gut, wie ich finde. Ich mag diese Atmosphäre.

Man könnte das auch als Resignation werten. Im Booklet steht folgende Zeile: „Stay down Champion / stay down / let them all have your neck“. Geht es auf “Boxer” ums Aufgeben?
Das ist eine Textzeile aus einem Song, der es nicht auf das Album geschafft hat. Es gab einige kleine Zeilen, die sich im weiteren Sinne aufs Boxen bezogen haben. Es geht nicht wirklich ums Aufgeben, sondern mehr darum die Dinge lockerer zu nehmen und zu sehen. Gib nicht auf, aber hör auf zu kämpfen. Es geht auf dem Album immer wieder darum der Realität zu entfliehen und bestimmte Dinge einfach mal zu ignorieren. Take it easy and relax.

Apropos Textzeilen. Man findet die bei euch nie im Booklet, sondern höchstens auf eurer Homepage. Welchen Grund hat das?
Ich mag es nicht, wenn die Leute die Lyrics mitlesen können, während sie die Songs hören. Zumindest nicht am Anfang. Sie funktionieren meiner Meinung nach nicht in der geschriebenen Form, sie kommen nicht an wirkliche Poesie heran. Sie wirken einfach ohne die Songs nicht. Manchmal versteht man ja auch das ein oder andere Wort nicht ganz und das mag ich sehr. Sie wirken so einfach länger und man interpretiert sie vielseitiger. Die Gitarren-Tabs stehen schließlich auch nicht im Booklet.

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Du siehst deine Texte also einfach als ein weiteres Instrument?
Genau und selbst wenn sie niedergeschrieben sind, stehen sie nie für sich alleine, sondern machen nur im Kontext mit den Songs Sinn.

In den Credits wird Carin Besser aufgeführt, die ebenfalls Textteile beigesteuert hat. Wie ist das entstanden, ich könnte mir vorstellen, dass es nicht ganz einfach ist Texte zusammen zu schreiben.
Carin und ich sind seit vier Jahren zusammen und so kommt es auch, dass wir ab und zu zusammen an Texten arbeiten. Sie ist Autorin und da ergänzen wir uns einfach oder ich klaue Zeilen aus ihren Gedichten. Sie war dadurch einfach automatisch involviert. Sie ist ein sehr kreativer Arbeitspartner.

Ihr habt noch einige andere Gäste auf dem Album – Sufjan Stevens zum Beispiel – ihr macht daraus aber keine große Sache. Andere Bands hätten deswegen große Sticker auf ihr Album geklebt.
Sufjan hat bei zwei Songs Klavier gespielt, war also nur wenig, dafür aber auf fantastische Art und Weise eingebunden. Die Zusammenarbeit geschah letztendlich an nur einem Tag. Wir kennen ihn aus New York und Bryce (Dessner, Gitarre) spielt in seiner Live-Band, da haben wir ihn gebeten bei ein paar Songs mitzumachen. Das war also keine große Kollaboration.

„Alligator“ wurde damals überall gelobt und auch Bruce Springsteen hat sich zum Beispiel als Fan geoutet, Ist es nach so einem Erfolg schwer wieder runterzukommen?
Bei der Veröffentlichung selbst war das Interesse ja eher gering, aber im Laufe des Jahres hat sich das entwickelt. Das mit Bruce Springsteen ist super, denn er hat irgendwo gesagt, dass er alle unsere Alben hat und er ging auch gleich auf bestimmte Textzeilen ein. Er hat beschrieben, wie er in seinem Zimmer sitzt und unser Album über Kopfhörer hört, was völlig absurd ist, weil ich wohl währenddessen in meinem Zimmer sitze und parallel dazu seine Songs höre. Aber schwer war es danach nicht wieder runterzukommen und an neuen Songs zu arbeiten, denn wir haben keinen Druck verspürt. Wir müssen nicht groß darüber nachdenken, wir machen einfach was wir machen und wenn es dann viele Menschen interessiert, umso schöner. Wir haben Songs geschrieben bei denen wir dachten, dass sie wohl perfekt bei unserem Publikum funktionieren müssten. Wir haben sie fast nach einem Muster angelegt und es hat damit geendet, dass wir sie gehasst und schließlich verworfen haben.

Interview und Text: Sebastian Gloser
Fotos: Abbey Drucker (Pressefotos), Sebastian Gloser (Live-Fotos)


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