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Brakes Interview

Feel My Shoulders

 

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Hamilton

Eamon Hamilton ist die Sorte humorvoller Mensch, mit der man liebend gern mal durch die Bars einer Großstadt ziehen würde. Wahrscheinlich hätte man danach nicht nur einen Haufen mehr Handynummern von verrückten Frauen, sondern auch einen unglaublichen kater und ein trübes Erinenrungsvermögen an die zurückliegende Nacht. Schon Hamiltons Stimme strahlt einen gesunden Optimismus aus, den man Lebensfreude nennen könnte. Während er davon erzählt, wie es überhaupt zum neuen Brakes Album kam, dudelt im Hintergrund sanft der Amelie-Soundtrack vor sich hin. Auch so ein Ding, das man nicht erwartet, aber dann so hin nimmt, weil es letztlich doch zu passen scheint.

Wer die Brakes sind und was sie im internationalen Musikzirkus überhaupt zu suchen haben, erklärt sich wohl am besten aus der Geschichte ihrer Einzelteile heraus. Alex und Tom White, nicht nur im Geiste Brüder, sind 2/2 von Electric Soft Parade, die ungefähr den merkwürdigsten Superstar-Status im Indie-Bereich genießen, den man sich überhaupt vorstellen kann: jeder scheint sie zu kennen, im Dunkeln bleiben sie trotzdem immer. Marc Beatty ist Mitglied bei den ominösen Temple Foot. Und Eamon Hamilton - tja - der war mal bei British Sea Power. Zusammen haben sie vor ca. vier Jahren die Brakes gegründet, wurden mit ihrem Debüt "Give Blood" noch als spaßiges Nebenprojekt abgetan und belächelt - und schicken sich jetzt an, den Leuten mit "The Beatific Visions" zu zeigen, was man im Seebad Brighton so über den Rest der Welt und deren jüngerer Musikhistorie denkt.

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Band-
leader

Es ist erstaunlich, wieviele Freak-Bands und Gruppen man im Internet findet, die sich den namen Brakes gegeben haben. Ich habe bei youtube sogar eine Mini-Bike-Dance-Gruppe gesehen ...
Eamon Hamilton: Ja, der Name ist wie geschaffen fürs Internet. Es gibt auch eine amerikanische Psychedelic-Funk-Rockband namens The Brakes. Die haben sich auch kurzerhand dazu entschlossen, uns zu verklagen. In den USA nennen wir uns deshalb BrakesBrakesBrakes. Der ganze Rechtsstreit war so absurd, dass wir uns den Namen einfach dreimal gegeben haben. Unsere offizielle Lüge, sozusagen.

"The Beatific Vision" scheint wesentlich seriöser als euer Debüt zu sein. Fühlt ihr euch inzwischen mehr als eine Band?
Wir haben die Brakes immer seriös genommen. Das wurde nur außerhalb der Band immer so falsch aufgefasst: dass wir das ganze aus Spaß machen. Aber es stimmt schon: jetzt, da wir so viel getourt sind, fühlen wir uns sicherer als Band. Wir merken jetzt, dass die Menschen unsere Musik mögen und hören wollen. Das Selbstvertrauen ist definitiv größer geworden!

Das Cover macht auf mich einen sehr nostalgischen Eindruck ...
Ja, wir wollten ein zeitloses Cover. Es ist ein alter Pub in Soho, eine Art Members Club. Früher war das mal eine italienische Spielhölle, jetzt ist es nur noch eine winzige Bar. Selbst für London ziemlich urig.

Der Club in Brighton, in dem ihr die Brakes gegründet habt, war wohl nicht schön genug für das Cover?
Nein, der Club ist jetzt eine Rugby-Bar. Das sollte unsere Band nun wirklich nicht repräsentieren.

Die Rückseite, mit der geöffneten Tür, scheint mir ein Symbol für den Albumtitel "The Beatific Visions" zu sein.
Exakt. Diese geöffnete Tür, das gleißende Licht - das ist eine wunderbare Metapher. Ursprünglich sollte ein Mädchen in dieser Tür stehen, diese Idee haben wir dann aber fallen gelassen. Die Botschaft sollte etwas unklarer bleiben. Eher die Suche nach Gott symbolisieren, nach Erlösung. Und dafür steht ein weiblicher Körper nicht unbedingt. Wobei: vielleicht ist Gott sogar ein attraktives Mädchen. Das hofft man ja eigentlich auch, oder? Nun, jedenfalls wollten wir schon die Suche nach Gott auch im Album-Artwork verwirklichen, nicht nur in der Musik. Denn die letzten Jahre scheinen eines ganz besonders zu zeigen: jeder hat seine Vision von Gott. Und einige meinen, diese Idee mit Bomben verteidigen zu müssen.

Du meinst aber nicht, eine "Beatific Vision" gefunden zu haben?
Um Gottes Willen, nein! Wobei, wenn man Pilze einwirft, sieht man manchmal merkwürdige Dinge... Nein, alles was ich weiß, ist, dass ich gerade jetzt lebendig bin. Mehr weiß ich nicht. Mehr wissen die anderen auch nicht, auch wenn sie gegenteiliges behaupten. Das verstehe ich auch bei vielen religiösen Menschen nicht. Wie baut man sein Leben um eine Sache herum auf, von der man nichts sicher weiß!? Was wir sicher wissen, ist: es gibt menschliche Gefühle, wie Liebe oder Freundschaft. Warum bauen wir nicht darauf unsere Gesellschaft auf?

Kurz zurück zum Cover. Bist du in solch einer Umgebung aufgewachsen? In Pubs und Bars in Brighton?

Ja, klar. Da haben wir auch unsere Band gegründet, in ...

..."Palmers Bar", richtig?
Genau.

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Die Band, die Einzelteile

Ich las von eurem ersten Auftritt dort. Ihr habt im Vorprogramm von "The Lonesome Organist" gespielt. Was genau war denn das?
Haha (lacht). Ja, keine Ahnung was aus dem geworden ist. Das war eine Ein-Mann-Band aus Chicago. Komischerweise war der in Brighton ziemlich angesagt. Ständig hat man uns angesprochen: "Wow, ihr spielt bald vor The Lonesome Organist!" "Ja, genau. Wer zur Hölle ist das eigentlich?" Egal, wir haben gespielt, es war großartig. Wenn du als Band auftreten willst, ist jeder Gig ein guter Gig.

Ihr habt euer neuestes Album nicht in England aufgenommen, sondern in Nashville. Warum das?
Du wirst es nicht glauben, aber es war einfach billiger! Außerdem: Nashville, man! Das ist ein legendärer Ort mit einem Haufen großartiger Musiker. Wir haben mit Stuard Sikes aufgenommen, der auch schon mit Cat Power und den White Stripes gearbeitet hat. Ein riesiger Schwarzer aus Alabama. Er hat uns dann viel in Nashville herumgeführt. Es ist ja eine einzige Community dort, jeder kennt jeden, alle machen ständig Musik. Ständig wuseln irgendwelche Aufnahmelegenden im Studio herum. Und viele mochten unsere Musik und haben uns das auch gesagt. Das war eine wunderbare Zeit.

Wie war denn die Zusammenarbeit mit Stuard Sikes. Ist er ein typischer Südamerikaner?
Er ist ein Riese und unglaublich still. Aber sobald du ein paar Bier mit ihm trinkst, taut er auf. Dann fängt er auf einmal an: "Ey, come and feel my shoulders!" Und dann holt er diese Granitblöcke von Muskelbergen hervor, und du bekommst einen Heidenschreck. Und dann fängt er auf einmal an davon zu erzählen, wie irgendjemand ihn mal umbringen wollte und er noch Kugeln in seinem körper mit sich herumträgt, und du denkst nur erfurchtsvoll: "Holy Shit, a tough life." Jedenfalls hat er eine Menge mit unserer Musik angestellt. Der Nashville-Gitarrensound scheint so viel satter zu klingen als der Britische.

War er auch Antrieb?
Definitiv. Aber auf eine sehr merkwürdige Art. Im einen Moment sagt er: "So, noch ein Take bitte!" Dann spielen wir den Song live ein, bis er wieder sagt: "Noch ein Take bitte!". Also spielen wir nochmal, bis er sagt: "Fertig!" Das wars, mehr sagt er nicht. Kein Kompliment, kein Danke, nichts. Daran muss man sich erstmal gewöhnen.

Habt ihr viel von Nashville gesehen?
Klar! Es gibt eine britische Sängerin, Caris Matthews, die dort lebt. Bei der hingen wir ständig rum. Ihr Ehemann Seth hat die ganze Zeit Gras angeschleppt, und da saßen wir nun, auf der Terrasse. Mitten in der Sonne, in Nashville, völlig dicht und überall diese wahnsinnig guten Musiker, die vorbeigeschlendert kommen und ein paar Licks und Riffs mit dir spielen. Wie im Rockerhimmel. Man muss einfach mal in Nashville gewesen sein, wenn man Musik liebt.

Siehst du Musik auch als sozialpolitisches Forum?
Klar, das sollte Musik auch sein. Ich kann keine Band verstehen, die Musik nur des Spaßes wegen macht. Du hast in deinem Leben wenn es hoch kommt anderthalb Stunden Zeit, deinen Kommentar zur Welt zu hinterlassen. Wenn du Musiker bist, solltest du das nutzen, um etwas zu hinterlassen, das Sinn macht.

...viele Menschen werden eure Musik aber wahrscheinlich eher mit einem Bier in der Hand auf einer Party hören, oder?
Klar, so höre ich ja auch die meiste Musik. (lacht) Es ist tatsächlich seltener geworden, dass ich mich mit Kopfhörern hinsetze und in ein Album eintauche. Ich liebe Alben, die beides können. Soetwas möchte ich schaffen. Vielleicht ist mir das mit "The Beatific Visions" noch nicht gelungen. Aber das wird dann mit dem dritten Album erledigt!

Du bist der einzige bei den Brakes, der seine ursprüngliche Band, British Sea Power, verlassen hat. Was machst du, wenn Tom, Alex und Mark sich wieder Electric Soft Parade und Temple Foot widmen?
Ganz einfach: ich schreibe neue Brakes Songs. Das bin ich gar nicht gewohnt, irgendwie Freizeit zu haben. Mit British Sea Power haben wir eine Tour nach der anderen abgerissen. Ich versteh auch gar nicht, wie Songwriter das machen, auf Tour Songs zu schreiben. Ich kann auf Tour ja nicht mal lesen! Höchstens mal einen schlechten Thriller wie DaVinci Code. Das war es aber auch schon. Ja, wie gesagt: wenn die anderen unterwegs sind, sitze ich in meiner winzigen Kellerwohnung und schreibe Songs.

Das Video zu "Hold me in the river" hat mir sehr gefallen. Vor allem das Bild, wie du gegen die Brandung boxt. Eine schöne Metapher!
Ja, das war ein super Tag. Wir hatten 200 Kröten, um das Video zu machen. Und es gab trotzdem noch Regisseure, die Schlange standen, und sagten: "Yeah, ich mach das für euch!" Und dann kamen sie mit diesen völlig wirren und abstrusen Ideen, bei denen wir uns gefragt haben: "Wie zur Hölle willst du das für 200 Pfund bitte schön machen?" Irgendwann haben wir uns kurzerhand dazu entschlossen, es selbst zu machen.

In welcher Stimmung muss man sein, um die Idee für ein solches Video zu haben?

Wir waren gerade im Bandbus unterwegs und haben uns Ideen zugebrüllt. Es sollte also um einen Boxer gehen, und Alex meinte irgendwann, dass ich doch nackt durch die Gegend laufen könne und wild um mich schlagen. Ich habe ihn dann fassungslos angestarrt und gesagt: "Wenn ich das auf der Straße vor meiner Wohnung mache, werde ich umgebracht!"

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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