Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Muff Potter Interview

Steady Fremdkörper

nagel01.jpg

Das muss man sich einmal vorstellen: mit leichtem Kater wacht man an einem Sonntag Morgen in Leipzig auf, die (Pop-Up, Deutschlands größte Indie-Fachmesse, liegt hinter einem und man ist beseelt vom Gedanken an Netzwerke, an Vertriebsmöglichkeiten, an DIY-Projekte. Und dann schaltet man MTV an und sieht diese Knallchargen: Daniel Küblböck, Nevio. "Und außerdem dabei in der Runde: Nagel, Sänger der Punkband Muff Potter!" Ungläubiges Staunen. Das zumindest war bis vor zwei Jahren noch undenkbar. Und ist es eigentlich noch. Nagel im TRL Studio kommentiert die illustre Runde, es fliegen die Fetzen. Es macht Spaß, da zuzusehen. Aber man merkt auch, dass Nagel in diesen Kontext einfach nicht hineingehört. Das ist nichtmal dieselbe Dimension.

Haben Muff Potter noch Feindbilder?
Nagel: Feindbilder? Den Begriff müsste ich jetzt erstmal auseinander nehmen. Geht es denn um berechtigte Feindbilder? Oder unterstellt das gleichzeitig eine Notlösung und Projektion? Also mir gefällt der Begriff nicht, das ist zu sehr Schwarz-Weiß-Schema. Klar haben Muff Potter noch Feindbilder, aber die sind nicht mehr sehr deutlich umrissen. Nicht so wie vor zehn Jahren, als man alles noch etwas einfacher gesehen hat.

Wir fragen, weil wir dich bei MTV-TRL gesehen haben...

Oh ja, das gibt es definitiv noch Feindbilder. Die ganze Sendung ist Schrott. Ich wurde einen Tag vorher gefragt, ob ich da hin gehe. Ich habe Thees Uhlmann (Tomte) gefragt - und die alte Mediensau meinte, ich solle das machen. (lacht) Nein, so war es natürlich nicht ganz. Ich bin aber in allem bestätigt worden, was ich mir vorher schon gedacht hatte. Das war völliger Blödsinn. Schon dass ich überhaupt mit Chasting-Idioten geredet habe, hat mich auf die selbe Stufe gestellt. Unabhängig davon, was man dann zu sagen hat. Man befindet sich dann auf dem gleichen Niveau. Und um mich herum lauter Teenager, die alles abgefeiert haben, was irgendwer außer mir gesagt hat. Ich habe das vorher noch nie gemacht. Und werde das auch nie mehr machen. Ich fühle mich total besudelt davon. Als hätte ich irgendwas ganz ekelhaftes angefasst. Zum Glück nicht rund um die Uhr...

Haben die anderen in der Band keine Probleme damit gehabt, dass du da hin gehst?
Ne, wenn einer in der Band Magenschmerzen bei solchen Aktionen hat, dann bin ich das. Die anderen hatten nichts dagegen. Ein wenig Promo-Nutte sind wir ja auch. Die Aufmerksamkeit wollen wir irgendwo ja auch. Da gab es im Vorfeld ganz andere Aktionen, über die wir heiss diskutiert haben. Zum Beispiel diesen MTV-Road-Trip, den anstelle von uns jetzt Madsen machen.

nagel02.jpg

Es ist Dienstagabend und in weniger als einer Stunde wird sich Nagel fleißig Vodka mit O-Saft mischen, während er aus dem Nähkästchen des Tourlebens plaudert. Lesereise nennt sich das. Zusammen mit Intro-Volkmann und Visions-Uschmann, die sich beide ebenfalls als Literaten versuchen. Auch hier passt Nagel nicht so ganz rein: links Volkmann - genau so wie man sich einen Intro-Redakteur vorstellt. Und rechts Uschmann - brummbärige Inkarnation eines studierten Musikjournalisten. Dazwischen sitzt ein großflächig tätoowierter Nagel, säuft, lacht, kratzt sich. Und starrt manchmal etwas abwesend in den Saal. Vielleicht auch auf den Punker-Freund aus alten "Bordsteinkantengeschichten"-Tagen, den er vor Beginn noch so herzlich und freudestrahlend umarmt hatte. Man versteht plötzlich, warum das neue Album "Steady Fremdkörper" heisst.

Wer ist eigentlich mehr "Steady Fremdkörper"? Muff Potter als Band oder Nagel als Person?
(überlegt lange) Das it schon so mein Ding, denke ich. Das verstehen zwar alle in der Band, aber nicht jeder fühlt und denkt so. Wir sind ja sehr unterschiedliche Menschen. Brami zum Beispiel ist das komplette Gegenteil von mir, sehr geerdet. Der würde auch mit einem bürgerlichen Leben gut klarkommen. Er überlegt zum Beispiel gerade, mit seiner Freundin aufs Land zu ziehen und Bio-Kartoffeln anzupflanzen.

"Von Wegen" hatte eine fast optimistische Aufbruchsstimmung transportiert. Ist "Steady Fremdkörper" wieder ein Stück weit mehr Tristesse? Wieder mehr Resignation?
(überlegt noch länger) Jein. Der Ausgangspunkt ist natürlich recht negativ, aber das ist bei mir nunmal so. Aber die Stücke sind ja nie gänzlich negativ. "Das halbvolle Glas des Kulturpessimissmus" zum Beispiel, da heisst es am Ende ja auch: "Dieses Glas hier ist randvoll, Prost!" Dass der Song überhaupt existiert ist ja schon ein Gewinn. Ich kann die Lieder also sehr unterschiedlich hören. Aber ich weiß noch wie Shredder ankam, nachdem alle Demos fertig waren, und sagte: "Wahnsinn, wie negativ die Texte sind!" Das hat mich dann erstmal gewundert. Aber das ist bei mir nunmal so, ganz pathetisch: ich mache Musik, um nicht durchzudrehen.

Dabei transportiert "Steady Fremdkörper", das neue Muff Potter Album und das zweite auf dem Label-Flagschiff Universal, eine fast adoleszente Wut, Nachdenklichkeit, Euphorie und Resignation. Nichts durch die Bank negatives. Ganz im Gegenteil: "Steady Fremdkörper" lässt einen glauben, in der stärksten Tristesse noch etwas schönes zu finden. Das beste Muff Potter Album der Bandgeschichte vollbringt das Wunder, die Stärken der Band zu sammeln und die Schwächen einfach mal über Bord zu kippen. Das gewaltigste Punkrock-Album, das diese Republik in diesem Jahr zu hören bekommen wird. Dabei war "Von Wegen" doch schon so - groß...

Hast du nach "Von Wegen" zum ersten mal in einer kreativen Krise gesteckt?

Ja, tatsächlich! (energisch) Ich war zum ersten mal richtig zufrieden mit einem Muff Potter Album. Da dachte ich plötzlich: "Ey, die Platte ist so super, was soll ich denn jetzt noch machen?" Den anderen ging das auch so. Wir haben sehr lange gebraucht einen Ansatz zu finden, der sich lohnt, weiter Musik zu machen. Das kam erst, als wir uns im Emsland ein Ferienhaus gemietet haben. Möbel raus, Studio rein. Da fing es dann langsam wieder an. Die ersten zwei Tagen waren wirklich hart, da kam gar nichts bei rum. Aber irgendwann hat sich dann herausgestellt, wie gut die Entscheidung war, sich wie eine große Band aufs Land zu verziehen um Songs zu schreiben. Metallica machen das ja auch ganz gerne, dann aber für mehrere Jahre (lacht).

Also war die Situation nicht zu sehr konstruiert: wir müssen da jetzt hin und Songs schreiben...
Man darf nicht vergessen, dass wir alle in der Band gute Freunde sind. An dem Tag als wir ankamen hatte die WM gerade angefangen und die erste Zeit haben wir einfach auch viel Zeit mit Grillen und Trinken verbracht. Wir waren am See, haben den Sommer genossen. Da entsteht dann schon eine relaxte Atmosphäre.

nagel03.jpg

"Von Wegen" hattet ihr noch selbst fertig gestellt. "Steady Fremdkörper" ist jetzt das erste Album, das unter der Ägide von Universal enstanden ist. Gab es da Veränderungen?
Ich glaube da überschätzt man den Einfluss von so großen Plattenfirmen. Die waren nur ein einziges mal im Studio, für eine Stunde. Und das einen Tag vor Ende des Mixes. "Von Wegen" sollte schon weit vor dem Universal-Deal so klingen. Einen großen Verdienst hatte Nicolai Potthoff, und den Verdienst hat er auch diesmal wieder. Der ist auf der einen Seite Autodidakt, und auf der anderen Seite sagt er sich: diese Platte muss sich mit allem messen können. Eine Produktion, die nicht deutsch klingt. Also nicht klein und ängstlich. Und Nicolai hat damals schon gesagt: ich will eine internationale Platte machen, scheißegal ob die auf Huck's Plattenkiste rauskommt oder sonstwo.

Welches Album hast du denn da im Hinterkopf?

"Pinkerton" von Weezer. Das schleppen wir jetzt schon eine halbe Ewigkeit von Studio zu Studio. Das hat selten eine Platte so gut hinbekommen: Popmelodien mit so einer brachialen Gitarrenmusik zu verbinden. Daneben gefällt mir die "In Utero" von Nirvana so gut. Die ganze Produktionsästhetik ist grandios.

Ich musste viel an Alkaline Trio denken.
Echt? Ne, also ich mag die Band, aber seit ein paar Jahren verfolge ich deren Karriere nicht mehr. Das war etwas, das ich auf "Steady Fremdkörper" gern vermeiden wollte: Pop-Punk. "Alles was ich brauch" war ja astreiner Pop-Punk. Das Feld wurde aber genug abgegrast. Gerne Pop und gerne Punk, aber keinen Pop-Punk!

War von Anfang an klar, dass ihr wieder mit Nicolai als Produzenten zusammenarbeitet? Oder hat das Label auch noch andere Alternativen suggeriert?
Nein, das war von Anfang an klar. Ob wir das beim nächsten Album wieder so machen, weiß ich nicht. Man will ja nicht zu festgefahrene Strukturen. Also, das war von Anfang an klar. Es gab nur mal die Überlegung, mit Moses Schneider (Beatsteaks) zusammenzuarbeiten. Aber da wäre Nico dann auch dabei gewesen. Also ohne Nico - das war nie das Thema.

Das Cover ist super und sieht irgendwie nach alten Punktagen aus . Bewusst gewählt?
Jein. Ich hatte mich eigentlich schon auf ein ganz anderes Cover und einen ganz anderen Titel eingeschossen. Und ich bin dann immer ziemlich schwierig, wenn es um Alternativen geht. Mein Lieblingscover ist "Heute wird gewonnen, bitte". Das ganze Artwork ist grandios, das kann nicht mehr übertroffen werden. Und irgendwann meinte Nico: "Ey, ein Kumpel aus Bielefeld macht super Artworks, den könnte man mal fragen!" Der Tim hat dann auch gleich diese Schildkröte geschickt, ohne überhaupt den Albumtitel zu kennen. Und da waren wir dann schon baff - das passte so gut.

Was war denn die erste Albumtitel-Wahl?
Meine erste Wahl war: "Brocken". Kommt auch in "Steady Fremdkörper" vor. Komischerweise schreiben ganz viele, die Platte wäre poppiger geworden, was ich halt überhaupt nicht finde. Die ist ein ganz schöner Brocken.

Der Verwaltungsstress muss durch den Wechsel zu Universal doch weniger geworden sein. Hat sich in den letzten zwei Jahren seit "Von Wegen" ein Vakuum gebildet? Hast du weniger zu tun?
Klar, vorher habe ich mit Huck's Plattenkiste natürlich den meisten Stress gehabt. Und ich hätte sicherlich das Buch "Wo die wilden Maden graben" nicht geschrieben, wenn wir nicht bei Universal gewesen wären. Aber andererseits: zwischen Fertigstellung der Platte und Veröffentlichung habe ich inzwischen mehr zu tun als früher. Bei einer großen Plattenfirma landest zu Ruck Zuck irgendwo, wo du nicht hin willst, wenn du dich einfach zurück lehnst und sagt: "Ich mach jetzt nur noch Musik, den Rest könnt ihr erledigen!" Wenn man ein Kontrollfreak ist, hat man bei einem so großen Apparat wie Universal mehr zu tun.

Interview:
Robert Heldner + Sebastian Gloser
Text: Robert Heldner


Zum Seitenanfang

ERROR!