Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Digitalism Interview

Hedonismus Now

 

Solangsam dürfte es auch auf der hinterletzten Musikschulbank angekommen sein: elektronische Musik hat die Clubs zurückerobert. Selbst die kleinste Indie-Butze darf wieder ungezügelt bratzige Beats und flirrende Synthies durch die Anlage nudeln. Ein Duo sticht dabei besonders hervor: Digitalism.

digitalism5.jpg

Jens Moelle

Das Gute an einem Revival ist selten die Geschichtsklitterung. Daft Punk und Chemical Brothers gelten wieder als die heiligen Kühe elektronischer Clubmusik. Vergessen wird dabei, dass sowohl "Human after all" als auch "Push the Button" nicht gerade der Weisheit letzter Schluss waren. Weil aber allem Anschein nach wieder ein großes Bedürfnis nach stampfenden Bässen und Beats herrscht, braucht man ein paar leuchtende Ikonen, um deren Nachgeburten ordentlich einstufen zu können. "Klingen wie Daft Punk? Geil, leg ich auf!" Dass man angesichts dieser Entwicklung aber nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen muss, zeigt ganz einfach die Klasse der neuen Protagonisten einer wieder erstarkten Szene, die eigentlich keine ist. Grund: Bands wie Digitalism haben das Prinzip Achterbahnfahrt auf Albumlänge perfektioniert.

"Idealism" zeigt auf beeindruckende Weise, dass die Evolution elektronischer Musik inzwischen soweit vorangeschritten ist, dass man, wenn man nur ein bischen Hirn im Kopf hat, aus einem schier unendlichen Fundus an Stilarten schöpfen kann. Auch wenn das Duo Digitalism da wiedersprechen wird: es ist einfach, bei diesem Ideenreichtum ein homogenes Album zusammenzufrickeln. Wenn man erstmal eine Trademark, eine Handschrift hat. Digitalism haben diese Handschrift. Die erinnert zwar in ihrer zackigen Kühle unweigerlich an Daft Punk (und weniger an Chemical Brothers). Human after all sind sie trotzdem, schließlich zeigen die Hamburger Jens Moelle und Ismail Tuefekci ihr Gesicht sowohl auf Zeitschriften-Covern als auch im Booklett ihres Debüt-Albums. Keine Moped-Helme, kein klinischer Robot-Walk. Es regiert das menschliche Bedürfnis nach Ausgelassenheit, Selbstvergessenheit - auch, ja, Hedonismus. Und wenn der Idealismus dieses Albums tatsächlich Hedonismus bedeutet, dann umso besser. Sich in diesem Bad aus Electro, Techno, Electroclash und Synthie-Rock zu verlieren ist wahrlich keine Schande.

Jens Moelle gibt sich aufgeschlossen und redselig. Unter Strom steht er auch noch. Schließlich startet das Duo Digitalism endlich auch in Deutschland durch - nachdem sie jahrelang auf Kitsuné (ursprünglich ein Fashion Label) Remixe veröffentlichen. Nach Arbeiten für Klaxons oder Depeche Mode jetzt also das Album-Debüt "Idealism". Und das ganze gleich mal mit einem dicken, fetten Stempel versehen...

digitalism4.jpg

Digitalism

Der Spiegel hat euch wieder brav in die New Rave Ecke geschoben. Stört euch das noch? Oder ist das inzwischen egal?
Jens Moelle: Da kann man nichts machen. Generell wäre uns gar kein Stempel recht, aber ohne geht es anscheinend nicht bei der Vermarktung von Musik. Aber es passiert zum Glück selten, dass man uns in einem Atemzug mit den Klaxons nennt. Das sind zwar gute Freunde von uns, aber musikalisch haben wir nun wirklich sehr wenig mit ihnen gemeinsam.

Eure Musik findet selbst in den Feuilletons statt. Wundert euch das?
Ja, ein wenig schon. Es ist eine große Ehre, dass es kulturell doch so hoch angesehen wird, was wir da fabrizieren.

Ihr erreicht sehr viele Hörer, die sich mit elektronischer Musik eher wenig beschäftigen. Woran liegt das, könnt ihr euch das erklären?

Ich glaube das liegt an den abwechslungsreichen Songs und den einzelnen Songstrukturen. Als wir das Album angefangen haben, war uns sofort klar, dass es nicht bloß eine Compilation werden soll, sondern inhaltlich und strukturell Hand und Fuss haben sollte. Wie ein Buch oder ein Film mit vielen verschiedenen Kapiteln. Soundtrackmäßig. Und mittendrinn immer wieder Melodien, die einem auch mal das Herz öffnen. Dazu kommen noch die Texte, die nicht unbedingt gänzlich bescheuert sind. (lacht) Außerdem gibt es eine Klammer, ein Grundthema: Reise und Sehnsucht. Das sind alles miteinander verbundene Faktoren, die es für einige Menschen anscheinend interessant macht. Meine Eltern zum Beispiel mögen das Album. Ein DJ Set hingegen finden sie uninteressant. Die haben kein Verständnis dafür, wenn man mal Techno spielt. Das Album jedenfalls mögen sie, was ich erstaunlich finde, weil sie ja doch schon etwas älter sind und mit der ganzen Szene überhaupt nichts zu tun haben. Das freut mich dann, nicht nur weil ich ihr Sohn bin.

Du hast vom Filmen gesprochen. Habt ihr da ein konkretes Vorbild?
Nein, es geht eher um vage Bilder im Kopf. Bilder und Szenen, die wir erleben und die wir eventuell beim Zuhörer auslösen können. Wie dieser Moment kurz nach dem aufwachen, wenn man noch das Gefühl des Traumes in den Knochen spürt. Ein vager Eindruck. Das kann beim nächsten mal hören wieder ganz anders sein.

Würdest du "Idealism" unumwunden als Konzeptalbum bezeichnen?

Ja. Wir haben viel Zeit verwendet, uns über Songfolgen und Strukturen sowie Themen Gedanken zu machen. Das Album sollte nicht nur aus der Summe der Songs bestehen, sondern im Endeffekt mehr als das sein. Das Album bezieht seine Identität aus genau jedem einzelnen Song in genau der Reihenfolge und an der Stelle.

digitalism3.jpg

Ismail Tuefekci

Wie wichtig war euch ein homogener Sound? Gelingt das bei elektronischer Musik leichter?
Das ist bei elektronischer Musik eher schwerer, weil man so viele Möglichkeiten hat. Generell war uns die Unterschrift sehr wichtig. So unterschiedlich die Songs teilweise sind, sie haben alle diesen leicht spacigen Digitalism-Sound aufgedrückt bekommen. Selbst bei den sehr rockigen Stücken.

Ihr seit also nicht an Grenzen gestoßen?
Nein, wir mussten nicht plötzlich feststellen, dass unsere Signatur zu eng gefasst war. Der Digitalism-Sound lässt schon einiges zu.

Seit ihr geduldige Songschreiber?
Nee, überhaupt nicht! Wir sind komplett ungeduldig und können uns kein Stück konzentrieren. Deswegen haben wir auch einen Musikgeschmack von A - Z und keine einzige Lieblingsband. Und wir können nie länger als ein paar Tage an einem Song arbeiten. Das ist aber auch gut für die eigene musikalische, kreative Evolution. Weil man immer wieder neue Grenzen einstoßen möchte. Das ist wie mit Tieren, die nur ein halbes Jahr alt werden. Die tun dann natürlich alles schneller! (lacht)

Welche Emotionen könnt und wollt ihr denn mit eurer Musik auslösen? Welche Erfahrungen habt ihr denn bei Live-Auftritten gemacht?
Wir wollen aktivieren und euphorisieren. Und den Leuten das Gefühl von etwas idealem geben. Von einer idealen Situation - idealer Liebe oder Freundschaft - in der man vollkommen aufgeht. Und losgelöst ist. Was natürlich oft zu einer gewissen Hymnenhaftigkeit führt. Wir lassen uns eben gern von der eigenen Musik mitreißen. Und es ist schön zu beobachten, dass es unserem Publikum nicht anders ergeht.

Hat das auch etwas mit Kontrollverlust zu tun?
Definitiv. In "Moonlight" heisst es auch "No tomorrow / keep it now". Also Situationen, wo die Zeitachse einfach mal komplett weggedacht wird. Diese Situationen wollen wir herstellen. Das brauchen wir Menschen auch manchmal. Viele Leute verbieten sich soetwas, weil sie meinen sie müssten vernünftig sein. Wenn ich hier mein Album vor mir liegen habe, weiß ich nicht, warum ich nicht zehn Tage lang mit Freunden Sekt anstoßen sollte. Natürlich sollte ich das! Eine solche Freude muss man ja nicht unterdrücken... Viele Menschen speichern E-Mails und SMS-Nachrichten, damit sie sich hinterher nochmal vergewissern können, was sie alles geschrieben haben. Das ist falsch. Man sollte sich nicht für die eigene Persönlichkeit entschuldigen.

Warum hinken die Deutschen bei elektronischer Musik so hinterher? Ihr feiert überall auf der Welt große Erfolge, nur in Deutschland läuft das noch etwas schleppend.
Ich glaube die Menschen sind in Deutschland nicht weniger begeisterungsfähig als in anderen Ländern. Aber die meisten Deutschen meinen, sie müssten das verbergen. Oder unterdrücken. Deutsche fühlen sich, gerade auf der Tanzfläche, immer irgendwie beobachtet. Gehemt. Das Problem bei Digitalism war ohnehin einfach, dass wir bei Kitsune gelandet sind und damit erstmal raus aus Deutschland. Wir haben hier ja einfach nicht stattgefunden. Das ändert sich ja jetzt zum Glück. Wäre ja auch bescheuert.

Paris, Barcelona, Tokyo, London, New York - habt ihr einen Dauer-Jetlag? Müsst ihr manchmal die Handbremse ziehen?
Öh.....hm....Nein! Das ist alles so spannend, das nehmen wir einfach alles mit. Wir arbeiten ja eh immer Nachts, deshalb haben wir keinen normalen Biorythmus. Schlafmangel, Kater, Jetlag - das lässt sich bei uns gar nicht mehr auseinanderhalten. Deshalb wird es irgendwann auch völlig egal.

Interview + Text:
Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


Zum Seitenanfang

ERROR!