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Interview mit Architecture In Helsinki

Smashy!

 

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Verspielt und ungestüm

"Places Like This" ist ein Stadtalbum geworden. Ein Großstadtalbum. Und gewissermaßen auch ein Album direkt aus dem Herzen New Yorks. Cameron Bird, Häuptling des niedlichen Musikerstammes Architecture In Helsinki, ist nämlich vor einem jahr in die Weltmetropole gezogen. Und das hat die ganze Band verändert. Nachdem man sich mehr oder weniger schön aufgrund von "kreativen Differenzen" von zwei Bandmitgliedern verabschiedet hatte (Isobel Knowles und Tara Shackell) wurde das neue Album komplett über den großen Teich geschrieben. Auf der einen Seite, Cameron, auf der anderen, nämlich in der Heimat Australien, der Rest der Twee-Pop-Band, Architecture in Helsinki. Es ist das dritte Album, es bedeutet einen Schnitt, und dennoch dürfte davon auszugehen sein, dass sich bei aller angemahnten Härte und Orchestrierung das weiche, umarmende Pop-Konzentrat erhalten hat. Cameron Bird und Kellie Sutherland jedenfalls sitzen im Bauwagen des Immergut-Festivals und pendeln irgendwo zwischen ausgeglichener Redseligkeit und gegenseitigen Missverständnissen.

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Die Sonne im Nacken

Wie würdet ihr die letzten zwei Jahre seit "In Case We Die" beschreiben?
Cameron Bird: Tour, Tour Tour, Tour, Sleep, Drink, Tour! Das hört sich nach Stress an, ist es aber eigentlich eher nicht. Was uns eigentlich am meisten beeindruckt hat und sich auch auf dem neuen Album niedergeschlagen hat, waren Eindrücke wie New York...
Kellie Sutherland: Das war eine ganz schöne Umstellung, dass Cameron nach New York gezogen ist. Sich plötzlich nicht mehr zu sehen beim Songwriting ist ganz schön gewöhnungsbedürftig. Aber wir haben es auch so gemeistert und auch ganz gut hinbekommen, denke ich. Das Album wäre definitiv anders geworden, wenn wir nicht plötzlich auf
diese Weise hätten weitermachen müssen.

Was hat sich denn am Songwriting selbst verändert?
Cameron: Konkret bedeutet das, morgens aufzustehen, ins E-Mail-Postfach zu schauen und den ganzen Tag an den Ideen herumzubasteln. Abends bin ich dann ins Bett, der Rest der Band stand am anderen Ende der Welt gerade wieder auf und so ging das dann hin und her.

Schreibt man anders, wenn man sich nicht sieht?
Cameron: Eigentlich ist es sogar ein Stück besser. Es sind keine Egos involviert, es geht nur um den Song, die Melodie, die Idee an sich. Man ist dann viel fokussierter, sieht viele Aspekte klarer.
Kellie: Für mich bedeutete diese Art des Songwriting vor allem, dass man sich nicht darum scheren muss, in welcher Umgebung man aufnimmt. Es geht nicht mehr darum, möglichst viel Harmonie herstellen zu müssen. Ich hatte dabei viel Zeit für mich und konnte mich mit Ideen und Songs arrangieren, bevor ich sie halbgar anderen zeigte. Das erspart einer Band viel Stress. Ich mochte es also, auf diese Art und Weise zu arbeiten. Obwohl es natürlich eine wahnsinnige Herausforderung war!
Cameron: Definitiv das Beste, was wir als Band je gemacht haben!
Kellie: Nein, eigentlich waren die Studioaufnahmen noch besser.
Cameron: Aber es geht doch um den gesamten Prozeß. Und der fängt nunmal mit dem Songwriting an!
Kellie: Das weiß ich, Cameron...

Wird der Hörer den Unterschied merken?

Cameron: Sicherlich. Und womöglich werden wir viele Fans verlieren. Aber das Risiko mussten wir eingehen. Das Album ist viel härter, tanzorientierter.
Kellie: Alles wurde hochgedreht. Alles ist viel orchestraler. Mehr Punk als Pop, diesmal.
Cameron: Punkpop? Skatepunk! Hahahaha.

Warum bist du nach New York?

Cameron: Ach, ich musste mal raus...

Und du bist ihm nicht gefolgt, Kellie?
Kellie: Nein. Nein. Aus...aus vielen Gründen nicht...

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...AiH spielen sich die Bälle zu.

Ihr habt mit "In Case We Die" ein Album veröffentlicht, das vor Ideen nur so überquoll. Habt ihr noch Ideen übrig gehabt?
Cameron: Das mit den Ideen sehe ich wie einen Muffin. Wenn der aufquillt, schiebt er sich über den Rand der Muffinschaale - wie das, was gerne mal an Fettpolstern über den Jeansbund quillt. Um es kurz zu machen: ich glaube, viele der übrig gebliebenen Ideen sind ganz brauchbar. Aber höchstens als eine dieser B-Seiten/Raritäten-Sammlungen. Wobei ich die fast immer schrecklich finde.

Hast du textlich was verändert?
Cameron: "In Case We Die" war textlich eher ein Zufallsprodukt. Diesmal habe ich mit Bedacht geschrieben. Und dabei kamen dann völlig absurde Kurzgeschichten, die alle irgendwie miteinander zusammenhängen. Wenn ich es zusammenfassen müsste: Bäume. Es handelt von Bäumen.

Welche Auffassung habt ihr als eher experimentelle Band von Popmusik?
Cameron: Wir sind natürlich eine Popband. Aber wir dehnen diesen Begriff, wie es uns gerade passt. Deswegen werden wir auch nie Top10 Hits schreiben können, weil man immer wieder auf Möglichkeiten stößt, die den Rahmen sprengen.

Sind Architecture in Helsinki eher eine Band oder eher ein Kollektiv bzw. eine Familie?

Cameron: Früher war es wohl eher ein Kollektiv und eine Familie. Inzwischen sind wir eher eine Band. Mit der Distanz hat sich das Songwriting und das Zusammengehörigkeitsgefühl erheblich verändert. Früher waren wir Kurzstreckenläufer. Jetzt dreht sich alles um Distanz...

"Heart It Races" ist so ein Beispiel...

Cameron: Siehst du?! Da merkt man das schon an den Songtiteln.

Ich will aber eher auf das Video hinaus. Da merkt man euren Kunst-Hintergrund.
Kellie: Wir lieben den visuellen Aspekt unserer Musik. Die meisten Bandmitglieder haben einen Film-Backround. Und meistens beschreibe ich die musikalischen Ideen, die ich habe, meinen Bandmitgliedern immer am besten dadurch, dass ich Filmbezüge herstelle.
Cameron: Speziell was das Video zu "Heart It Races" angeht mochten wir die Idee, dass wir eine Art Gang sind. Dazu kommen all die Farben und verschiedenen musikalischen Gangarten. Ich liebe es, wenn ein Song positiv und optimistisch daher kommt.
Kellie: Das zeigt eigentlich nur, dass wir auf alles den gleichen Wert legen. Artwork, Musik, Videos - alles ist gleichwertig und wird von uns auch so behandelt. Wir sind keine Band, die eine Videoproduktion aus der Hand gibt. Wir wollen das alles selbst machen.

Wenn man Architecture In Helsinki auf eine einzige menschliche Emotion herunterbrechen könnte, welche wäre das?

Kellie: Verwirrung.

Das hat aber einen recht negativen Touch, findest du nicht?
Kellie: Eigentlich nicht. Ich mag es, verwirrt zu sein (lacht).

Was ist mit dir, Cameron?
Cameron: Ich versuche etwas geistreiches und witziges zu antworten. Aber es funktioniert gerade überhaupt nicht. Ich glaube, ich muss passen. Es gibt einfach zu viele Worte in der englischen Sprache dafür.

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: sellfish.de


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