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Tokyo Police Club Interview

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Tokyo Police Club, Fahnenschwenker

Es war einmal: 4 Jungs in Newmarket/ Ontario gründen eine Highschool- Band. Man spielt miteinander, dann ist die Schulzeit vorbei, man trennt sich. Schließlich hat man ja Pläne für die Zukunft. Studium und so. Doch plötzlich vermisst man sich, will den letzten Sommer doch noch zusammen spielen, tut sich wieder zusammen und schreibt ohne Hintergedanken Song um Song, gibt sich irgendeinen Namen und spielt in kleinen Clubs der Umgebung. Dann erfolgt die Einladung zum großen Gig: Pop Festival Montreal (Sept. 2005), da sind auch noch die Labelvertreter da, die sich vorher auf dem MySpace Account angekündigt haben. Die Vertragsunterzeichnung folgt beinahe auf dem Fuße, nach einer dreitägigen Session ist auch die erste EP aufgenommen und erscheint im April 2006.

Eigentlich fällt es einem bei dieser Biographie fast schwer, das Erbrochene zurückzuhalten - oder sich doch nur kopfschüttelnd zu freuen, dass das Leben manchmal einfach unglaublich leicht ist. David Monks (Vocals, Bass), Josh Hook (Gitarre), Graham Wright (Keyboard) und Greg Alsop (Drums) sind diese Sonnenkinder, deren EP „A Lesson In Crime“ in Deutschland erst Februar erschien. Das erste richtige Album soll im Spätsommer folgen. Mit neuen Stücken, die nach eigener Beschreibung wieder „wide-eyed post-punk with a tendency to get over excited“ liefern.

Nach wirklich langem Warten stehe ich vor Graham Wright und Josh Hook. Letzterem werden keine Romane zu entlocken sein, er wirkt verschüchtert. Dass sie sich später während des Konzerts noch entrückt mit ihren Tambourinen bewerfen und eine rote Flagge schwingen, ist noch nicht so recht vorstellbar. Sympathisch sind sie trotzdem von Anfang an.

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Gepflegt Kickern - Graham und Josh im Tourstress

Ärgert ihr euch rückblickend über die Namensgebung, weil man dahinter so einiges vermuten kann?
Graham Wright: Großartige Frage, ihr habt auf dem richtigen Fuß angefangen. Es wird ziemlich nervig, immer wieder den Bandnamen erklären zu müssen, aber nur, weil wir solche Bastarde sind. Schließlich ist es gut, weil die Leute die Wurzeln kennen lernen wollen. Man kann sich uns besser merken, wenn man den Bandnamen versteht und seinen Ursprung kennt. Wenn es also der Preis ist, ins Gedächtnis der Leute zu kommen, dann ist es schon okay, immer wieder die gleiche Frage zu beantworten.

Fühlt ihr euch schuldig, weil ihr so problemlos an einen Plattenvertrag gekommen seid und sich alles einfach so ergeben hat?
Nein, eigentlich nicht. Zwar haben wir den Plattenvertrag leichter bekommen als die meisten anderen Bands, aber es wäre schon fair zu sagen, dass wir seitdem den Preis dafür gezahlt haben. Direkt nach der Unterschrift beim Label sind wir auf Tour gegangen und seitdem sind wir nonstop auf Tour gewesen. Wir haben sehr hart gearbeitet und uns schwer verdient, was jetzt um uns herum passiert. Wir hatten also anfangs Glück, weil wir den Vertrag ohne viel Aufwand bekommen haben, aber am Ende haben wir genau so hart gearbeitet wie andere Bands.

Wie gefällt es euch zu touren?
Gut! Es hat seine Vor- und Nachteile. Es ist nicht immer einfach. Aber jetzt im Moment sitze ich zum Beispiel in Hamburg, gestern war ich in Amsterdam und morgen werde ich in Berlin sein. Berlin?
Josh Hook: Ja, Berlin.
Ich reise zweieinhalb Wochen lang durch Europa, es ist schön. Ja, wir sehen nicht allzu viel von den Städten, aber definitiv mehr als wir zu Hause sehen würden, wenn wir jetzt studieren würden.
Hook: Außerdem bemühen wir uns schon sehr, so viel wie möglich zu sehen.

Was wolltet ihr eigentlich mit eurem Leben anfangen bevor ihr festgestellt hab, dass es mit der Musik klappen könnte?
Ich hatte eigentlich nicht die geringste Idee, nicht einmal eine verdammt kleine.
Wir wussten, dass wir studieren würden und nach diesen 4 Jahren irgendetwas arbeiten müssten. Ich habe aber schon immer geplant, irgendwie mit Musik zu tun zu haben, auf irgendeine Art und Weise. Als ich plante zur Universität zu gehen, hatte ich ja nicht einmal eine Band, also wollte ich etwas möglichst Sinnvolles tun, das keine totale Zeitverschwendung sein sollte. Anglistik/ Literatur, so etwas.
Hook: Ich wollte Geologie studieren.

Wie haben eure Eltern auf eine solche Entscheidung reagiert?

Als Eltern ist es natürlich deine Aufgabe, das Kind zu beschützen oder mindestens dafür zu sorgen, dass es versorgt ist. Nicht studieren und zu versuchen, eine erfolgreiche Rockband zu sein, erscheint also von Grund auf als schlechte Idee, denke ich. Sie waren also definitiv nicht glücklich über unsere Entscheidung, jedenfalls nicht von Anfang an. Aber wir benutzen das nicht gegen sie. Seitdem sie gesehen haben, wir sehr wir uns bemühen und dass wir auch in einem gewissen Maß erfolgreich sind, haben sie sich damit arrangiert und unterstützen uns.

Was kann man vom ersten richtigen Longplayer erwarten? Angeblich seid ihr reifer geworden…
Da gibt es noch nicht viel zu erzählen, wir haben angefangen es zu schreiben. Der Großteil ist fast fertig. Reifer geworden? Jedenfalls sagen das alle. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang, man wird ja sowieso immer reifer und das wollen wir ja auch. Den bereits geschriebenen Songs nach zu urteilen, kann man schon einige Anzeichen dafür finden. Wir sind halt noch nicht so alt

Wie schreibt ihr Songs?

Normalerweise fängt Dave in irgendeiner Weise an. Ob er nun mit einem schon fertigen Song kommt oder nur eine Idee liefert, ist unterschiedlich. Dann geht er damit zum Rest der Band und jeder feilt dann selbst an seinem Part. Schließlich setzen wir den Song wieder zusammen und machen uns gegenseitig Verbesserungsvorschläge. Ab und zu läuft das Songwriting aber auch ganz anders.

Was hört ihr im Tourbus? Habt ihr überhaupt einen?

Wir haben einen großen Van, einen Sprinter. Er hat einen Tisch und einen DVD- Player. Er ist fast schon ein kleiner Bus. Da hören wir im Moment die Shins und ganz viel Peter Björn and John. Eigentlich gucken wir aber doch mehr Fernsehen. Zum Beispiel Alien und mehrere Folgen von The Office, aber die US- Version! Und die neue Version von Dawn of The Dead.

Habt ihr Idole?
Für mich basiert unsere Musik darauf, Idole zu haben. Seit ich selbst Musik mache, geht es für mich immer darum, mich von meinen Idolen loszureißen. Zu allererst kommen mir immer Radiohead in den Sinn, wenn es um Idole geht. Sie waren die erste Band, die ich je richtig geliebt habe und heute sind sie immer noch meine Lieblingsband. Und so hat wohl jeder von uns seine Helden.
Es ist immer ein riesiger Einfluss für einen, wenn man Lieblingsmusiker hat, schließlich beginnt man damit, andere zu kopieren. Mittlerweile ist es schon ein Ansporn für uns, dass wir uns wünschen, dass möglicherweise irgendwann jemand so von unserer Musik spricht, wie ich jetzt von meinen musikalischen Vorbildern. Das wäre so toll! Und dass neue Bands damit anfangen könnten, unsere Songs nachzuspielen. Das würden wir gerne erreichen.
Hook: Meine Lieblingsband ist eigentlich auch Radiohead. Ich denke gerade darüber nach, ob ich mich eigentlich von meinen Idolen lösen wollte. Vielleicht sind wir auch nur zu schlecht darin, Radiohead nachzuahmen.

Zum Phänomen MySpace, das ja auch bei euch seine Finger im Spiel hatte…
Ursprünglich haben wir Witze über MySpace gemacht. Dann meinte unser Drummer: „Hey, wir sollten das doch machen“ und wir dachten: „Wie auch immer“. Dann haben wir also unsere Seite errichtet.
Offensichtlich hat das für viele Bands hervorragend funktioniert. Schnell und einfach die Musik reinstellen und die Community findet dich irgendwie und plötzlich bist du da und irgendwie bekannt.
Es ist fast wie eine Epidemie und es ist so cool, weil es darstellt, wie Musik sein sollte. Der Mittelsmann wird fast ausgeschaltet. Was aber auch schwierig ist, schließlich braucht man den Mittelsmann ja auch, um Geld zu verdienen.
Alleine die Tatsache, das jede Band, überall auf der Welt, Songs schreiben und aufnehmen kann und innerhalb einer Stunde jedem ermöglichen kann, sich das Ergebnis anzuhören, Bilder anzusehen, die Band- Biographie zu lesen, usw. Das ist das ultimative Alles- in- einem- Paket, das ist so krank. Wenn ich jetzt in diesem Moment ins Internet gehen würde, könnte ich dir sofort eine neue Hamburger Band nennen. Das ist unglaublich. Vor fünf bis zehn Jahren wäre das schwierig bis unmöglich gewesen. Das ist großartig, besonders für junge Bands, die gerade erst begonnen haben.

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Tokyo's exklusiver Club

Manch einer erwartet von euch das nächste große Ding im Musikgeschäft zu sein: Steht ihr jetzt unter Druck oder verarbeitet ihr solche Erwartungen als Ansporn?
Es macht einen schon nervös, aber wir versuchen, da nicht zu viel drüber nachzudenken. Wenn wir wirklich glauben würden, das nächste große Ding zu sein, dann würden wir ständig mit stolz geschwellter Brust herumlaufen, uns richtig arrogant benehmen und fürchterlich sein. Das wäre wohl für niemanden gut. Wir sind halt erst um die 20, da wäre es absurd, sich richtig zu feiern.
Wir haben zwar schon mal solche Prophezeiungen gehört, aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass für uns bis jetzt das einzige Maß für Erfolg das Schreiben von Songs war. Insofern kann man nicht wirklich von Druck von Außen sprechen, der uns besonders beeinflussen würde.
Als wir die Songs für die EP geschrieben haben, waren wir nichts. Wir haben nicht einmal versucht, eine erfolgreiche Band zu sein. Es ging um nichts, außer Spaß. Vielleicht noch ums Zeit- tot- schlagen. Weil wir echt nur versucht haben, uns selbst zu huldigen und uns nicht viel dabei gedacht haben, total locker waren, mochten die Leute die Songs vermutlich. Ich denke, dass das der einzig richtige Weg ist, Musik zu machen: nur für sich selbst und nicht für andere, die irgendwelche Forderungen stellen.
Das wollen wir auch möglichst weiterführen. Würden wir ständig darüber nachdenken, dass wir noch richtig groß werden könnten, würden wir vermutlich ganz fürchterlich versagen. So halten wir uns lieber an dem Spaß fest, Musik zu machen und hoffen, dass es den Menschen ebenfalls gefällt und wenn nicht, ist das schade. Man macht aber immer auf irgendeine Art weiter.

Was habt ihr sonst für musikalische Pläne für die Zukunft?
Wir wollen im Sommer auf einigen europäischen Festivals spielen, es ist aber noch nichts sicher. Es ist ziemlich teuer hierher zu kommen und wenn wir hier sind, wollen wir so viel wie möglich und vor so vielen Menschen wie möglich spielen.

Was haben wir in der nächsten Zeit von Torontos Musikszene zu erwarten?
Born Ruffians! Diese Band hat in etwa zur gleichen Zeit angefangen wie wir und wir haben einige Shows zusammen gespielt. Das war noch ganz am Anfang. Sie haben gerade eine EP heraus gebracht. Ich weiß nicht, ob hier auch, wohl eher nicht. Aber die touren jetzt sehr viel und kommen gut an. Ich denke, die werden noch einigen Erfolg haben.

„A Lesson In Crime“ ist erst kürzlich in Europa veröffentlicht worden, ärgert euch so etwas und wäre das für euch eventuell ein Grund, über einen Majorvertrag nachzudenken?
Paperback Records, bei dem wir unseren Vertrag haben, ist ein sehr kleines Indielabel, das nur in Kanada veröffentlicht. Dann hören die Leute in den USA davon, man schlägt sich in bürokratischen Angelegenheiten herum, dann wird es da veröffentlicht. Dann hören in der Regel die Briten davon usw. Das ist schon irgendwie blöd.
Aber ein Wechsel zu einem Major steht im Moment nicht zur Debatte, damit die sich für dich interessieren, musst du wirklich viele Platten verkaufen und so weit sind wir noch nicht.
Und selbst, wenn man genug Platten verkauft hat und einen Majordeal bekommt, muss man noch mehr Platten verkaufen, damit sie sich auch um einen kümmern. Man hört ja immer diese Horrorgeschichten. Vielleicht möchten wir das eines Tages mal, wir sind nicht ganz dagegen. Aber der Zeitpunkt sollte schon der richtige sein.

Interview + Text: Ulrike Penk
Fotos: 1. Ulrike Penk, Rest: Offizielle Pressefreigaben


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