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Erdmöbel Interview

Altes Gasthaus Popmusik

 

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Wer noch "Altes Gasthaus Love" in den Ohren hat, weiß, dass es immer einen bestimmten Erdmöbel-Sound geben wird. Immer. Das liegt zum einen an Ekimas beruhigender, präziser Produzenten-Hand (und am Erdmöbel-eigenen Tonstudio ohne fremde Einflüsse). Zum anderen liegt das aber auch sowohl an der seit Anfang der 90er Jahre dauernden Bandkarriere als auch an Markus Berges charmanter, fremdartiger (und ebenfalls beruhigender) Sing-Stimme. Dass diese Band irgendwann mal ausgerechnet bei SonyBMG ein "No.1 Hits"-Album aufnehmen würde, war deshalb schon überraschend. Dass es sich dabei aber keineswegs um ein hundsgewöhnliches Cover-Album handeln würde, war nur logisch. Und so ist es dann auch geworden: die absurdesten Hits, tausendmal gehört, tausendmal verflucht, ausgerechnet auf deutsch und dann noch im Erdmöbel-Korsett. Verständlich, dass viele Kritiker und Außenstehende erstmal aufstöhnen würden. Aber vielleicht sollte man "No.1 Hits" als etwas anderes begreifen, als es einem im ersten Augenblick in den Sinn kommt. Es ist weniger ein Cover-Album (und noch viel weniger ein eigenständiges Erdmöbel-Album), sondern viel mehr eine Aussage zu Popmusik. Mutig, dass diese Band ausgerechnet beim Sony-Einstand das Versprechen abgibt: wir machen, was wir wollen. und sei es noch so absurd.

Wieviel Kalkül und wie viel Mut steckt denn hinter "No.1 Hits"?
Ekimas: Kalkül, da sind nicht besonders gut drinn. Wir machen Sachen, die uns reizvoll erscheinen. Und in diesem Fall fanden wir es sehr interessant, uns mal mit richtiger Popmusik auseinanderzusetzen. Damit haben wir normalerweise ja nicht besonders viel zu tun. Man muss ja auch ganz ehrlich sagen, dass wir die meisten Originalsongs, die wir auf "No.1 Hits" neu interpretiert haben, gar nicht besonders mögen.
Markus Berges: Außerdem kann man schlecht über sich selbst sagen, man sei mutig. Wir haben uns diesmal an Sachen gewagt, die eigentlich absolut fernliegend waren, die wir noch nie gemacht haben. Wir wussten nicht immer, wie das ganze weitergehen soll. Aber es ging dann trotzdem irgendwie. Über verschiedene Umwege. Es war also nicht mutig. Höchstens: Neuland. Das war aufregend und manchmal schwierig.
Ekimas: Ich glaube auch, dass das mit dem Mut eine zweischneidige Sache ist. Denn uns war durchaus bewusst, dass wir auf Menschen treffen würde, die das ganze Projekt ganz ganz furchtbar finden würden. Bisher hatten wir ja immer eine einmütig tolle Presse gehabt - das wird sich jetzt wohl ändern. Ich glaube wir gehen mit "No.1 Hits" einigen Menschen ganz schön auf den Senkel.

Habt ihr das Gefühl, euch diesmal mehr erklären zu müssen als bei früheren Alben?
Ekimas: Nein, man kann einfach viel mehr darüber erzählen, das ist ein großer Vorteil. Erklären kann man Musik ja sowieso nicht.

Wer hatte denn die Idee? Und gab es zu der Zeit, als "Weihnachten ist mir doch egal" veröffentlicht wurde, schon andere fertige Stücke?
Markus: Die Idee hatten wir eigentlich gemeinsam. Wir hatten eigentlich alle schon die Idee herumgetragen, mal ein Coveralbum zu machen. Und zwar keins, das nur aus Lieblingsstücken besteht. Und der Funken, der gewissermaßen wie der heilige Geist auf uns nieder stürzte, war gewissermaßen die Idee: Ey, dann müssen eben ausschließlich No.1 Hits sein! Die Idee zu "Weihnachten ist mir doch egal" kam aber ursprünglich von außen. Da gab es Sampleranfragen, doch mal ein Coverstück zu machen. Und als wir uns damit beschäftigt haben, fiel uns auf, dass das ganze einen Heidenspaß macht.

Mussten Bandmitglieder erst überzeugt werden?
Ekimas: Wir sind keine Basisdemokratie. Wir waren uns über viele Stücke nicht einig. Es gab häufiger den Kommentar: "Nein, nicht dieses Stück. Nur über meine Leiche!" Aber das finde ich auch gut an der ganzen Sache. Die Spannung muss erhalten bleiben. Geschmacksspannung belebt das ganze ja. Das unterscheidet es ja auch von einem Lieblingslieder-Album. Außerdem wollten wir zeigen: die Spitze der Popmusik ist auch etwas wert.

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Nach welchen Kriterien habt ihr denn die Stücke ausgewählt? Die sind ja aus allen möglichen Epochen und Genre.
Markus: Eki hatte eine Liste von hunderten von Songs zusammengestellt. Und dann ging der Auswahlprozess los: Welche Songs gefallen uns und brauchen dringende Bearbeitung? Wir wollten Stücken, die so abgenudelt wurden, dass man sie kaum mehr ertragen konnte, wieder eine interessante Note geben. Wir wollten für uns selbst die Stücke vom unangenehmen Charakter befreien. Damit die Songs wieder ganz für sich allein stehen.

Habt ihr ein ambivalentes Verhältnis zu Popmusik? Oder würdet ihr Erdmöbel widerstandslos als Popmusik bezeichnen?
Ekimas: Ich glaube wir haben eher ein positives, kein ambivalentes Verhältnis zu Popmusik. Schließlich gehört ja eine Band wie die Beatles zweifelsfrei zum Kulturkomplex Popmusik. Und diese Band findet jeder gut. Zu recht. Das ist die beliebteste Band der Welt. Da muss man dann schon schlucken und zugeben: vielleicht ist die Wahrheit komplexer als man glaubt - und Popmusik, die kommerzielle Popmusik hat durchaus auch ihre gute Seiten.
Markus: Es gibt den guten und den bösen Ansatz von Popmusik. Der gute: Ich mache etwas Neues und Tolles für alle. Der böse: Ich mache etwas blödes für die Blöden. Und letzterer funktioniert natürlich sehr gut und sehr oft!
Ekimas: Das gibt es ja sehr oft, dass jemand so blöd ist wie seine Zielgruppe. Oder so zynisch, deren niedere Instinkte auszunutzen.

Das sind ja alles keine Coverversionen, sondern Neuinterpretationen. Das war euch schon wichtig, oder?
Ekimas: Natürlich. Mehr kann man dazu fast gar nicht sagen. Wenn man einen Song spielt ist es entscheidend, dass man ihn zu seinem eigenen macht. Das unterscheidet uns ja auch von einer Top40 Band. Das gruseligste, das ich mal gesehen habe: eine Coverband, die in ihrem Rocky Horror Picture Show Block ein Motorrad auf die Bühne gestellt hat. Das ist total bescheuert. Da wird Musik auf eine Ebene geholt, wo sie eigentlich überflüssig wird. Das sind ganz niedere Schlüsselreize. "Früher war alles besser!" "Geil, wie das doch früher war!"
Markus: Unser Anspruch war aber auch, die Stücke nicht komplett zu verändern. Wir wollten nicht wie diese gealterten Theaterregisseure daherkommen und Stücke so zu verändern, nur um die eigenen Regieträume zu verwirklichen. Es ging uns auch um Respekt vor dem Original. Wir wollten den Kern ausfindig machen. Und gleichzeitig auch uns selbst neu kennen lernen, etwas Neues über unsere Musik und uns als Band ausfindig machen.

Welches Ziel habt ihr denn? Was soll der Zuschauer "erleben"?

Markus: Nach Möglichkeit wollen wir kein nostalgisches Gefühl auslösen. Sondern einen Zugang anbieten, tausend mal gehört Stücke neu zu erleben. Schließlich verbindet ja jeder seine eigenen Erinnerungen mit den Songs.
Ekimas: "Smells Like Teen Spirit" war so ein Fall. Das Stück wollte ich eigentlich nicht machen, weil daran ein Rattenschwanz von Verklärung hängt. Aber wenn man das Stück erst mal von seiner transzendenten Bedeutung löst, ist es ganz wunderbar. Ich kann jetzt erklären, warum der Song so beliebt ist, warum er so vielen Menschen etwas bedeutet. Es liegt an den Melodien, an der Dramatik. Und sogar an dem Text, den eigentlich keiner so richtig verstanden hat.

Hat euch das gewundert, wie einfach man einen internationalen Megaseller auf einen intimen Erdmöbel-Song herunterbrechen kann?
Ekimas: Nein, das hat mich nicht gewundert, weil ich beim produzieren immer sehr darauf bedacht bin, genau diese Intimität herzustellen. Da bin ich mir inzwischen eigentlich ziemlich sicher, dass ich das immer und mit jeder Musik hinbekomme. Da gibt es so einige Tricks, die immer funktionieren. Wenn Markus zu singen anfängt, weiß ich schon, dass es genau die Form von Intimität wird, die mir persönlich so gut gefällt. Da sind wir sehr selbstbewusst. Wir brauchten einfach nur loszulegen...

Habt ihr beim neuinterpretieren die geheime Popmusikformel entdeckt?
Ekimas: Die gibt es ja eben nicht. Und vielleicht muss man auch ehrlich sagen, dass in der Erdmöbel-Welt die veränderten Stücke keine Welthits mehr werden könnten. Wir hoffen natürlich, das stimmt nicht. (lacht) Da müssen so viele Sachen zusammenkommen. Es gibt so viele Möglichkeiten, das zu erzielen, damit es für viele Menschen im richtigen Augenblick ganz viel bedeutet. Das ist vielleicht das eigentliche Geheimnis an einem Hit: Es muss vielen Menschen etwas bedeuten. Auf irgendeine komische Art und Weise. "Up And Down" von den Vengaboys hat unheimlich vielen Menschen etwas bedeutet, so absurd diese Vorstellung auch ist.

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Wenn Robbie Williams einen Erdmöbel Song neuinterpretieren würde, hätte das den gleichen Effekt? Die gleiche Aussage über Popmusik?
Ekimas: Das habe ich mir oft vorgestellt und ich glaube es würde funktionieren.
Markus: Das glaube ich auch. Bei Robbie Williams war es so, dass wir alle "Road To Mandalay" richtig gut fanden. Bloß die Person Robbie Williams nicht. Und die Klischees, die damit verbunden sind. Es war für mich als Songwriter überraschend, dass der Song so gut ist. Die Arrangements finde ich im Original etwas unpassend, aber an sich ein großartiges Lied mit einem wunderschönen Text. Also könnte ich mir das schon vorstellen, dass er auch mal einen Erdmöbel Song interpretiert. Eki müsste dann natürlich produzieren. (lacht)
Ekimas: Robbie Williams ist deshalb so berühmt, weil er bei so vielen Menschen ein Sentiment herstellen kann. Das ist eine Fähigkeit, die sollte man nicht klein machen. Auch wenn einem gewisse ironische Rockposen die er drauf hat gar nicht behagen wollen. Der trifft auch bei mir einen Nerv, muss ich ehrlich zugeben. Auch wenn ich mir nie ein Konzert von ihm angucken könnte.

Die Sprache spielt bei Erdmöbel ja eine große Rolle. Eignet sich die deutsche Sprache nun besonders gut oder besonders schlecht für Popmusik?
Ekimas: Ich glaube, dass sie sich besonders gut eignet. Ich schreibe die Texte zwar nicht, könnte das auch gar nicht. Aber viele Worte und Sätze, von denen man normalerweise sagen würde, dass sie militärisch und hart klingen, im Erdmöbel Kontext besonders schön klingen. Das ist eine reine Gewöhnungssache. In ein paar Jahren werden wir diese Frage nicht mehr hören, ob man deutsch singen kann. Das ändert sich gerade ganz gewaltig.
Markus: Die Perspektive ist einfach historisch bedingt und hat viel mit dem Nationalsozialismus zu tun. Und in den 80ern galt doch nichts schlimmer als französische Popmusik. Das war für mich ein Klischee: Franzosen können keine Rock- und Popmusik machen. Das hat sich ja auch in Luft aufgelöst, im Laufe der Jahre. Ich finde es gut, dass deutschsprachige Popmusik inzwischen so breit rezipiert wird. Wir haben zu einer Zeit angefangen, da war es verpönt, auf deutsch zu singen. Für uns ist die Entwicklung jetzt aber auch nicht wichtig und wir sehen uns auch nicht in einem bestimmten Kontext.

Einen Funken Ironie hat es aber schon, wenn das erste Album bei Sony gleich "No.1 Hits" heißt, oder?
Ekimas: Könnte man denken. Aber die waren erst gar nicht so angetan von der Idee. Wir haben ihnen aufgezählt, was man da alles für Möglichkeiten hätte, Promotion und alles. Da ging es dann auch. Aber wir hatten ohnehin das Gefühl, dass sie uns sowieso haben wollten, deswegen ging es dann auch so reibungslos vonstatten. Wir brauchten uns nicht verändern, nicht verstellen. Die haben uns so genommen, wie wir sind. Das macht die Zusammenarbeit auch so angenehm.
Markus: Ich finde es gut, dass es so viele Anknüpfungspunkte gibt bei diesem Album. Wir haben jetzt schon so viele Interviews gegeben, und mir fällt jedes Mal etwas Neues zu "No.1 Hits" ein.

Mir fällt auch keine Band ein, die das widerspruchslos hätte machen dürfen.

Ekimas: Da sind wir die einzigen, die so etwas komisches machen wollen. Etwas, das sich so wehrt.

Interview + Text:
Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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