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The Rakes Interview

Es bleibt deskriptiv

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The Rakes, Pub-Band

Es ist ein Rätsel, warum ausgerechnet The Rakes nun gar nicht vom überraschenden Post-Punk und Britpop-Boom in Deutschland profitierten. Eddie Argos ziert den Rolling Stone, die Kaiser Chiefs gehen Top10 und Franz Ferdinand kennt in Österreich jedes Kind - aber The Rakes? Kein Mensch. Das Schlimme ist: auch mit Album Nummer Zwei wird das so bleiben, denn The Rakes lassen alle Singlehits in dieser Runde zu Hause, stellen den Punk in die Ecke und arbeiten weiter an ihrem ewigen Thema: der Scheißwelt, den 9-to-5-Jobs für 22 Grands und dem, was zwischen 5 und 9 bleibt: Alkohol, Drogen, Zigaretten und dann wieder in die Arbeit gequält.

Auf "Ten New Messages" formuliert Alan Donahue wie bereits auf den Höhepunkten des Debütalbums in "Retreat" ("Walk home / Come down / Retreat / To Sleep / Wake up / Go out / Again / Repeat") und "Work Work Work / Pub Club Sleep" (" From all this stress that is constantly going on / I just drift along / with no focus or meaning / Lean back, stare up at the ceiling / I just drift along with no focus or meaning") wieder treffend wie kein zweiter diesen ganzen Mist, der da draußen vor sich geht: The World was a mess but his hair was perfect. The Rakes sind des Fight Clubs Edward Norton zum Brad Pitt von Franz Ferdinand. Die Wahrheit. Die schlaflose, traurige Wahrheit.

Noch mehr schmerzt die Erkenntnis, dass dem besten Chronisten des Kampfes Mensch gegen Arbeitswelt wieder keiner zuhören wird, weil Ten New Messages ein, zugegeben schwerer zugängliches, aber hervorragendes Album ist, das alle Zweitwürfe der Bloc Partys, Futureheads, Kaiser Chiefs oder Maximo Parks bereits in der ersten Kaffeepause zum Frühstück verputzen könnte.

Matthew Swinnerton, Gitarrist der Rakes, scheint inzwischen zum Promotion-Tier gewuchert. War er im ersten Interview vor ziemlich genau zwei Jahren noch ein heavy drinker, ein Spaßfaktor und Gute-Laune-Onkel, so wirkt er zum zweiten Album ziemlich konzentriert, fast manisch-penibel bei den Deutungsversuchen seiner Band und des Nachfolgewerks. Nicht wie einstudiert, aber wie wohl überlegt wirken seine Äußerungen. Und sie machen deutlich, dass die Rakes etwas umtreibt. Ein Suche nach Bedeutung durch ihre Musik, die letztlich viel Arbeit bedeutet.

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Swinnerton

Letzten Endes ging es ja doch recht schnell. Nach gerade mal zwei Jahren habt ihr den Nachfolger zu "Capture/Release" veröffentlicht ...
Selbst wenn wir zehn Jahre gebraucht hätten, würden wir nach Fertigstellung immernoch Dinge finden, die wir verbessern wollen. Man verbraucht ja so viel Energie am Songwriting, am Arrangieren. Da geht immer etwas verloren, das man im nachhinein besser eingesetzt hätte. Aber letztlich bin ich froh, dass wir nur zwei Jahre gebraucht haben. Meiner Meinung nach ist es auch völlig unsinnig, länger an einem Album zu arbeiten. "Ten New Messages" sollte den Moment einfangen.

Wurde es langsam langweilig, die alten Songs zu spielen?
Man könnte meinen, wir wären der Songs überdrüssig. Tatsächlich geht es bei Live-Konzerten aber nicht darum, seine Lieblingssongs zu spielen. Jedenfalls nicht notwendigerweise. Es geht um Energie, es geht darum, noch immer davon fasziniert zu sein, wie das Publikum auf "22 Grand Job" reagiert. Das ist dann Ansporn, den Song beim nächsten mal noch besser zu spielen.

Im Vorfeld machte Alans Bemerkung, es handele sich beim Rakes-Zweitwerk um "eine Mischung aus Chormusik, der Fernsehserie '24', Bond-Titelmelodien, Dichter des 1. Weltkriegs und den Sugababes". War das ein Promotion-Schachzug?
Es ist egal, ob das französische, deutsche oder holländische Journalisten sind: alle kommen in den Interviews auf dieses Zitat zu sprechen. Eigentlich ist dieses Zitat nur ein Teil einer viel umfassenderen Beschreibung des neuen Albums. Es wurde vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. Es ging Alan vor allem darum zu beschreiben, dass eine bestimmte Strophe eines Sugababes Songs genauso inspirieren kann wie eine Melodie eines Filmsoundtracks. Auf dem Album wirst du keine einzige Referenz zu "24" finden, weil wir nie etwas direkt übernehmen würden. Aber es beeinflusst uns. Popkultur im allgemeinen.

Bezogen auf den Titel: welche "Message" habt ihr der Welt mitzuteilen?
Die Rakes liefern kein öffentliches Statement ab oder geben eine bestimmte politische Weltanschauung vor. In erster Linie ist es eine Songtext-Zeile. Das haben wir bewusst so gewählt, es sollte quasi ein Anker sein, der das Album dort hält, wo wir es haben wollen. Außerdem bezieht sich die zahl 10 auf die Anzahl der Songs auf dem neuen Album. Das heisst aber nicht, dass die Songs einzelne "Messages" sein sollen. Es sind eher in sich geschlossene Geschichten. Sie alle aber erzählen vom alltäglichen Leben, von der Tristesse und der Angst der Menschen. Es ist aber deswegen keinesfalls als politisches Album misszuverstehen. Die Rakes sagen nicht: "So sollte die Welt sein." Wir geben keine Weltanschauung vor. Es bleibt deskriptiv.

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Die Band, die Einzelteile

Zehn Songs - das scheint mit die perfekte Länge für ein Album!
Ja, das sehe ich ähnlich. Grundsätzlich gibt das auf einer Vinylscheibe jeweils fünf Songs pro Seite! (lacht) Außerdem war uns eine gewisse Symmetrie wichtig. "Ten New Messages" soll eine Art Reise sein. Unser Debüt "Capture/Release" war eher noch eine lose Ansammlung von Singles. Auf dem neuen Album alerdings sollten die Songs eine Verlinkung untereinander haben.

Ihr habt euch gewandelt: weg vom rohen Punksound, hin zu einem eher poppigeren Gewand. Warum das?
Ein weiteres rohes Punkalbum schien uns nicht angemessen. Es war ja ohnehin kein Punkalbum, weil die Drums zum Beispiel gesequenzt wurden. Wir hatten ein fast elektronisches Album im Hinterkopf. "Ten New Messages" ist weniger auf den Punkt produziert, alles ist ein wenig loser, fahriger. Sie hätten in einem Punk-Korsett überhaupt keinen Sinn gemacht. Deswegen wollten wir auch keinen Produzenten, der bisher nur mit Punkbands aufgenommen hatte.

Der Pop-Aspekt war euch also schon wichtig?
Ja. Das hört sich zwar ziemlich cheesy an, aber es ist so. Wir wollten definitiv zeigen, dass die Rakes Popsongs schreiben können. Wir lösen uns mehr und mehr von der Punk-Attitüde. Wir sind inzwischen wesentlich reflektiver, was unsere Musik angeht. Wir wollten mit dem zweiten Album herausfinden, wie man einen wirklich guten Song schreibt. Und es nicht nur aus uns herausfließen zu lassen. "Capture/Release" war vom Sound her genau das, was unsere Möglichkeiten, unsere finanziellen Mittel und die Venues hergaben. Wir haben zu dieser Zeit unsere kleinen Jobs gehabt, sind in Pubs und Bars aufgetreten - da wäre ein Album wie "Ten New Messages" gar nicht möglich gewesen. Damals waren wir aggressiv, wegen unserer Lebensumstände. Wir wollten gehört werden. Seitdem haben sich
die Dinge aber geändert. Ein weiteres Punkalbum hätte womöglich nicht die gleiche Vitalität gehabt. "Capture/Release" hatte genauso den Moment festgehalten, wie es jetzt "Ten new Messages" tut.

Was brachte euch dazu, einen Rapper wie Raxstar auf ein Album zu nehmen?
Der Song "Suspicious Eyes" hatte von Anfang an mehrere Charaktere. Der Grund, warum wir einen Rapper und eine Sängerin einfügen wollten, war der, dass die Stimmen dieser Charaktere gehört werden sollten. Sie sollten hervorstechen, um die Stimmung voranzutreiben. Als Alan den Song die ersten Male allein sang, wurde überhaupt nicht ersichtlich, dass es mehrere Charaktere waren, aus deren Sicht Alan sang. Die Stimmung der Protagonisten, wie sie in der Londoner U-Bahn sitzen, nach den Anschlägen, und unter großer Angst und Paranoia leiden, all das wurde nicht so recht deutlich. Mit den beiden Gastsängern klingt "Suspicious Eyes" nun wie ein Theaterstück.

Ihr habt mit zwei Produzenten zusammengearbeitet. Hat euch das vor gewisse Herausforderungen gestellt?
Das wichtigste war, das Album nicht so klingen zu lassen, als hätten da zwei Produzenten drann gearbeitet. (lacht)

War das von Anfang an geplant?
Nun, wir wussten, dass Jim Abbiss gern mit uns arbeiten wollte. Und Brendan Lynch war auch nicht abgeneigt. Beide hatten eine unterschiedliche Herangehensweise, die sich aber letztlich nur im eigentlichen Aufnahmeprozess niedergeschlagen hat, nicht so sehr im Ergebnis. Natürlich könnte man argumentieren, dass die poppigeren Stücke auf Jims Konto gehen und dann Brendan, der ja schon mit Primal Scream zusammengearbeitet hatte, für das
Kompliziertere zuständig war.

War es euch wichtig, mit solch renommierten Produzenten zusammen zu arbeiten?
Klar, wir waren vom Jims Goldplatten an der Wand schon beeindruckt. (lacht) Aber das ist völlig egal, wenn du eine gewissen Verbindung aufbaust.

"Capture/Release", euer Debüt, war ein Abgesang auf die miesen Drecksjobs und den tristen Alltag. Das hat sich bei euch inzwischen ja geändert. Worüber schreibt man denn dann so ...?
Inzwischen neigt Alan sicherlich eher zur Interpretation und Observation, als sich selbst zum Gegenstand der Songs zu machen. Diesmal ist der Fokus nach außen gerichtet, nicht nach innen. Im wesentlichen geht es um Manipulation durch die Medien, um Angst, um Panik.

Das Motiv "Stadt" scheint gerade bei vielen aktuellen Bands aus England ein Thema zu sein. Bei euch kommt das Motiv auch immer wieder vor. Woran liegt das? An London selbst?
Auf jedenfall hat London ein starke Präsenz in unserem Songwriting. Wir leben ja alle dort, das schlägt sich unweigerlich nieder. Songs wie "Suspicious Eyes" oder "Leave the city and come home" haben natürlich großen Bezug auf die Stadt in der wir leben. Aber es ist kein Stadt-Album geworden

Text: Christian Ihle
Interview: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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