Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

Heinz Strunk Interview

Vollkommene Tiefenschärfe


StrunkAugen.jpg

Heinz Strunk ist allein unterwegs. Vielleicht mit dem Zug, vielleicht mit dem Auto. Man weiß es nicht genau. Wie er die ganzen Instrumente schleppen will ist allerdings ein Rätsel. Quetschkommode, Querflöte, Saxophon - was sich da auf der Bühne tummelt, ist ja nicht wenig. Aber vielleicht ist es auch ganz gut, dass zumindest dieses Geheimnis heute nicht gelüftet wird. Im staubtrockenen Backstage-Raum des Erlanger E-Werks, dessen Baustellencharme irgendwie unangebracht wirkt, sitzt Strunk neben einer kalten Platte, mit einem Brötchen in der Hand, und wirkt bisweilen ernst, konzentriert und teilweise nahezu wütend. Zumindest eines ist er nicht: saukomisch. Aber das wäre ohnehin traurig. "Du Heinz, sag mal was Lustiges!" Seine Komik gehört auf die Bühne. Genauso wie seine Tragik. Und sein funkelnder Sarkasmus. Ein Sarkasmus, wie ihn in Deutschland die wenigsten haben.

Seit über einem Jahrzehnt konstruiert Strunk diese Kurzhörspiele, seit zwei Jahren auch auf der Bühne. Meist sind es kurze, absurde Alltagsbeobachtungen, verschachtelte Brachial-Poesie und meist äußerst komische Charakterbeschreibungen eigentlich ziemlich belangloser, langweiliger Menschen. Jürgen Dose, ein Charakter, den Heinz Strunk für das Album "Trittschall im Kriechkeller" entwickelt hat, ist solch ein Mensch. Langweiliger Job, eine kranke Mutter zuhause, keine Hobbys und in erster Linie einsam wie eine Stubenfliege. Oder Bernd, Dose's Freund, der dauernd masturbiert und wie in einem kafkaesken Paralleluniversum an seiner zwanghaften Gier nach weiblicher Zuneigung zugrunde geht. Natürlich zerreißt es einen, diesen Worteskapaden Strunk's zu lauschen. Man lacht Tränen. Aber man schämt sich auch, weil man sich auf der sicheren Seite glaubt. Bloß: diese Menschen gibt es eben wirklich. Sie stecken in jedem von uns.

Ist dein Humor auf Verlierertypen fixiert?
Strunk: Das hat mir neulich jemand zum Vorwurf gemacht. Ich würde mich immer nur mit den Deformationen und den kaputten Typen auseinandersetzen. Das klang so, als seien diese kaputten und deformierten Typen in der Minderheit und 80% der Menschen vollkommen normal. Aber überall, wo man einen Blick hinter die Kulissen hat, findet man so unfassbar kaputte Typen. Und ich meine noch nichtmal die klinisch Depressiven, sondern alltägliche zerrüttete Existenzen, die ihre ganze Kraft und Energie aufwenden, um genau das zu kaschieren. Zu tun, als sei das Groß der Menschheit vollkommen richtig im Kopf, ist falsch.


Gibt es bei menschlichem Schicksal eine Grenze, die du nicht überschreiten würdest? Dinge, über die Witze zu machen sich der Anstand verbietet?
Witze über Auschwitz verbieten sich grundsätzlich. Da, wo das menschliche Leid so monströs groß ist, muss man sich einschränken. Das muss man spüren, ob etwas möglich ist oder nicht. Das ist dann der Unterschied zu Komikern wie Ingo Appelt, die einfach keine Ästhetik, keinen Geschmack haben, keine Haltung. Und deswegen ziemlich schnell ziemlich ekelhaft werden. Gerade wenn man sich im Bereich von Sex- und Fäkalhumor bewegt, ist es umso wichtiger, auf jedes Wort zu achten, das eine ganze Konstruktion kippen könnte.

Du schonst dich auch selbst nie. Warum?
Man darf sich selbst nicht herausnehmen. Bei "Fleisch ist mein Gemüse" habe ich viele Charaktereigenschaften, die eigentlich den Kollegen um mich herum anhafteten, auf mich genommen, um sie zu schonen, aber dennoch abzubilden. In der Kunst geht es eben um Wahrhaftigkeit.

Die Wahrhaftigkeit wird zum Erfolg, als Strunk vor zwei Jahren seinen Einstand als Schriftsteller gibt. "Fleisch ist mein Gemüse" avanciert zum Bestseller. Das, was man leichtfertig als Kultbuch deklassieren würde, wird für Strunk zum Sprungbrett. Die Öffentlichkeit interessiert sich zum ersten mal verstärkt für den Outlaw. Aber, und das dürfte den Komiker eigentlich frustrieren, sie begreifen das Buch nicht. An diesem Abend im E-Werk gibt es erst dann tosenden Applaus, als Strunk eine Episode aus dem Bestseller erzählt. Seine ansonsten skurrile, auf positive Weise an die Grenzen des Erträglichen gehende Show, bleibt einigermaßen Unbeachtet. "Fleisch ist mein Gemüse" ist also gewissermaßen Fluch und Segen. Sein "Studio Braun", das er mit Rocko Schamoni betreibt, war und ist weitestgehend unbeachtet geblieben.

Buch.jpg

Du hast kaum Fernsehpräsenz, bist aber mit "Fleisch ist mein Gemüse" zu literarischem Ansehen gekommen. Du hast den Erfolg also dem Buch zu verdanken?
Klar. Das war der Türöffner. Studio Braun war zwar in Szenekreisen sehr beliebt, hat sich aber überhaupt nicht verkauft. Die beste Platte hat vielleicht 6.000 Stück verkauft. Das ist ja lächerlich. Und alles was ich die zehn Jahre davor gemacht haben, waren auch bloß Rohrkrepierer. Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet mit meinem Debüt als Autor mein Erfolg einsetzen würde.

Späte Genugtuung?
Ach, eigentlich nicht. Irgendwie hatte ich immer damit gerechnet, dass da irgendwie nochmal etwas passieren würde. Ganz tief drinnen wusste ich: es kann nicht sein, dass alles was ich mache komplett untergeht. Wenn ich das Buch nicht geschrieben hätte, wäre es wahrscheinlich nichts geworden. Da braucht man sich nichts vormachen.

Humor ist eine feinfühlige Sache. Ein Thema, das den Humoristen aus Leidenschaft gar nicht kaltlassen kann! Die deutsche Comedylandschaft ist eine Mondfläche, auf der nichts blüht. Und Strunk sieht sie als Groteske, die ihm gehörig den Spaß verderben kann.

Macht dich das wütend? Zu sehen, dass es die anderen sind, die den deutschen Comedy-Zirkus beherrschen?
Wütend macht es mich nur in Einzelfällen. Bei Mario Barth zum Beispiel. Der verkauft in Köln das E-Werk mit 20.000 Menschen aus. Und das mit einem einzigen Gag. Oder diese anderen Schranzen, Dieter Nuhr zum Beispiel. Der tritt 300 mal im Jahr auf. Und jedesmal tausende Besucher bei 20 Euro Eintritt: da verdienst du dich ja dumm und dämlich. Ich bin letztes Jahr 99 mal aufgetreten. Da war ich fertig, ich könnte gar nicht mehr touren. Ich weiß gar nicht wie das seelisch funktioniert, da jeden Abend auf der Bühne zu stehen.

Wo ist denn dieser unbestreitbare Unterschied zwischen dem was Mario Barth unter Comedy versteht und dem was du letztlich auf die Bühne bringst?
Es gibt mehrere Unterschiede. Zunächstmal ist das, was heute Comedy heißt, eine Geschäftsidee. Das fing Mitte der Neunziger mit RTL Samstag Nacht an und hat sich seitdem Krakenartig über die Republik verbreitet. Mein Ansatz ist es, den Schmerz des Daseins humoristisch etwas zu mildern. Dafür ist Humor da, das hat etwas Heiliges! Aber was sich heute Comedy nennt, bewegt sich auf Karnevals-Niveau. Nicht umsonst ist das Zentrum des deutschen Comedy in Köln beheimatet und zeichnet sich in erster Linie durch Banalität, Anti-Intellektualismus und fehlender Tiefenschärfe aus! Keine Subtexte, keine Tragik. Und diese tagespolitische Verwurstung, die Harald Schmidt ja auch betreibt, die finde ich furchtbar öde. Mein Anstand hätte es verboten, jemals einen Witz über Boris Becker und die Kleiderkammer-Geschichte zu machen. Und das ärgerliche an Leuten wie Mario Barth ist, dass sie auch privat solche Ärsche sind, dass sie sogar die Menschen, die für und mit ihnen arbeiten, schlecht behandeln. Und ich weiß das, weil ich zu der Zeit, als sein Erfolg langsam anstieg, gerade FleischmannTV in Köln gemacht habe. Der hat einen eisernen Willen.

StrunkCatering.jpg

Hast du Bildungsbürgerhumor? Oder doch eher Humor für die Zielgruppe, die gerade unsäglicherweise als "abgehängtes Präkariat" bezeichnet wurde?
Ich glaube, und das sehe ich ja auch anhand meines Publikums, dass zumindest eine gewisse intellektuelle Vorbildung zumindest nicht schaden kann. Obwohl ich das Bild des Volkskomikers eigentlich als ideal empfinden würde. Der letzte, der das so geschafft hat, war eigentlich Loriot, den fanden irgendwie alle gut.

Also ist Humor etwas klassenspezifisches?
Nein, muss es nicht sein. Ist es im Idealfall auch nicht.

Aber gerade heute, wo die Grenzen zwischen den Klassen so scharf festgelegt sind ...
Sind sie doch gar nicht! Die sind noch viel durchlässiger geworden. Klassen gibt es sowieso nicht. Diese Klassen-Diskussion ist vollkommener Blödsinn. Klassengesellschaft hieße, dass eine Klasse über die andere herrscht. Und das haben wir nicht.

Also ist Humor etwas Schichtenspezifisches?
Nichtmal das. Gut, die Titanic liest der gemeine Arbeiter nicht, dafür braucht man ein gewisses sprachliches und intellektuelles Instrumentarium. Aber deswegen ist die Titanic ja auch nicht bewusst elitär. Oder ausgrenzend. Das ist eine natürliche Sache. Diese bescheuerten Fun-Freitage im deutschen Fernsehen gäbe es ja auch nicht, wenn die Leute es nicht gucken würden.

Rocko Schamoni, mit dem du Studio Braun machst, war explizit Punk. Was warst du in deiner Jugend? Gab es da eine bewusste Abgrenzung?
Nein, Punk war ich nie. Ich komme ja eher aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und fand diese Protestattitüde immer ziemlich albern. Ich bin zwar auf AKW-Demos mitgelatscht, aber ich war immer viel zu individualistisch, um mich einer Partei oder Szene zugehörig zu fühlen.

Was ist denn dein Großes Ziel, was du unbedingt noch erreichen willst?
Nummer 1 der Spiegel Bestseller-Liste. Das kann ich mal so unumwunden sagen.

Mit dem neuen Buch?
Ja. Das mag vielleicht etwas vermessen klingen, aber warum soll man es nicht mal so formulieren? Ich glaube bei dem nächsten Buch wird die Pressebegleitung groß sein.

Setzt du dich da nicht selber unter Druck?
Doch klar. Aber ich weiß jetzt wie das geht, so einen Bestseller zu schreiben. Ich weiß, dass ich noch literarischer werden muss. Und eine Gag-Schippe kann auch noch obendrauf. Und in der Tiefenschärfe auch. Und der Tonfall muss erhalten bleiben. Ich staune manchmal, dass große Schriftsteller sich seitenlang über gähnend langweilige Dinge auslassen, anstatt alles etwas unterhaltender zu inszenieren.

Wie weit bist du denn?
Ich bin jetzt an der 3. Fassung meines Buches und schreibe seit 16 Monaten drann. Aber vor 2008 wird es wohl nicht erscheinen. Erstmal kommt ja der "Fleisch ist mein Gemüse"-Film im Herbst in die Kinos. Also muss man etwas dosieren. Man will die Menschen ja auch nicht überfüttern.

Hast du keine Angst, dass dein Humor auf die Kinoleinwand nicht übertragbar ist?
Nein. Ich habe das Drehbuch ja nicht geschrieben. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten: entweder der Film wird scheisse, dann sagen alle, wie toll das Buch war. Oder der Film wird spitze, dann umso besser.

Interview: Robert Heldner + Philip Bogdahn
Text: Robert Heldner
Fotos
: sellfish.de


Zum Seitenanfang

ERROR!