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The Veils Interview

Platte mit Sprung


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© Fabienne

Am Ende des Interviews tritt ein hagerer, großer Mann an Finn und Sophia heran. Er fragt in gebrochenem Englisch, ob sie bereit wären, im ein Autogramm zu geben. Sophia ginst und schüttelt, unbemerkt, den Kopf. "Das haben wir außerhalb von Deutschland noch nicht erlebt. Ganz merkwürdiges Gefühl!" Und Finn muss lachend anmerken, als der Bittsteller schon längst verschwunden ist, dass er "ganz genauso aussieht wie der Typ gestern in Berlin! Wahrscheinlich verkauft er die Autogramme bei Ebay, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass das etwas einbringt!"

Finn und Sophia sind von einer tiefen Zurückhaltung geprägt. Sie sprechen zwar nicht ungern über ihre Musik. Aber sie können schwerlich fassen, dass sich jemand so sehr dafür interessiert. Und die Sache mit den Autogrammen, das ist sowieso eine ganz andere Welt. Dabei müsste Finn Andrews gar nicht so verhalten sein. Schließlich hat er vor zwei Jahren mit dem Veils-Debüt "The Runaway Found" England wach gerüttelt, galt er doch als der Gralsbringer traditionellen Songwriter-Pops. Der neue Jeff Buckley, munkelte man. Vor allem wohl, weil auch Andrews einen mehr oder weniger berühmten Vater hat: Barry Andrews von XTC. Aber der Neuseeländer sieht das natürlich etwas anders. Im Tourbus spricht er leise, behände, ziemlich geduckt. Irgendwie eine etwas andere Person, als man beim Hören des neuen Meisterwerks "Nux Vomica" glauben könnte. Da erwartet man einen jungen Tom Waits, mit irrem Sendungsbewußtsein. Fehlanzeige! Stattdessen: Understatement und eine beeindruckende Gewissenhaftigkeit bei den Deutungsversuchen seiner Musik.


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© Fabienne

Finn, bist du auf der Bühne ein anderer Mensch?
Finn: Ich will auf der Bühne wesentlich extrovertierter sein, als abseits der Bühne. Das muss man als Künstler auch, wenn man mit den Konzertbesuchern irgendwie in Kontakt treten möchte. Ich bin mir noch nicht ganz darüber im klaren, wie ich mich auf der Bühne geben soll. I'm quite new to the game!

Du siehst es also als Spiel an?
Finn: Ja. Ich glaube nicht, dass es real ist! Es ist ein schönes, aber gleichzeitig ein bizarres Leben, dass schnell zu einem Alptraum werden kann.
Sophia: Das Gefühl ist merkwürdig. Zu wissen, dass die Leute vor der Bühne stehen, um dich zu sehen. Wie oft kommt das im Leben schon vor, dass da eine Gruppe von Menschen ist, die explizit dich sehen will!? Wir brauchen anderthalb Stunden, bevor wir bereit sind, auf die Bühne zu gehen.

Was macht für euch eine wirklich gute Show aus?
Finn: Die besten Shows sind die, an die du dich kaum noch erinnern kannst. Das kommt nicht häufig vor. Es gibt eben diese Momente. Meistens sind sie kurz und ziehen sich nicht durch eine ganze Show. Da denkt man dann überhaupt gar nichts mehr. Und ganz plötzlich wird man dann wieder zurückgeworfen und realisiert, dass man auf der Bühne steht, vor all diese Menschen. Live-Spielen ist der permanente Versuch, die ganzen Ängste und die Panik hinter sich zu lassen.

Hängt das auch vom Publikum ab?

Finn: Ja. Wenn du das Gefühl hast, alle im Raum denken das Gleiche, dann kannst du aufhören zu denken und gehst in der Musik auf. Das ist ein großartiges und seltenes Gefühl!

Braucht ihr die Bühne?
Finn: Die Bühne selbst nicht. Aber das Publikum.
Sophia: Wenn man Alben veröffentlicht, aber nie Live spielt, gibt das eine verzerrte Wahrnehmung. Man kann so viel von den Gesichtern des Publikums ablesen. Man findet heraus, wie gut ein Song wirklich ist!
Finn: Menschen fangen auf einmal bei Songs an zu tanzen, bei denen du das nie für möglich gehalten hättest! Oder sie fangen an zu weinen, obwohl du den Song selbst ganz anders fühlst. Diese Erfahrungen müssen dir als Musiker wichtig sein, ansonsten wäre es sinnlos, Songs zu schreiben und aufzunehmen. Also ja: wir brauchen die Bühne. Eine seltsame Abhängigkeit ist das. (lacht)

Veils Songs sind eine emotionale Angelegenheit. Wie wichtig ist es, dass das Publikum auch mitfühlt?
Finn: Es dauert sehr lange, bis man als Band überhaupt an dem Punkt ist, das einfordern zu können. Du spielst ja eine halbe Ewigkeit als Support, da reden die Menschen miteinander und interessieren sich eher nebenbei für das, was auf der Bühne passiert.

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"The Runaway Found", das Debütalbum, hast du in einem Interview als eine "schmerzhafte, autobiographische Platte" beschrieben. Unterscheidet sich "Nux Vomica" in dieser Beziehung?
Finn: Als ich mit dem Debüt fertig war, hat mich vieles ziemlich angekotzt, vielleicht deshalb diese Aussage. Aber der Prozess des Schreibens ist immer ein sehr emotionaler für mich. Ich bin danach immer ganz aufgewühlt. Das ist auch nach "Nux Vomica" nicht viel anders gewesen.

Ihr beide kennt euch seit der High School. Seit ihr sehr vertraut miteinander?
Sophia: Ja. Wenn man eine so lange Zeit befreundet ist, dann hat man keine gemeinsame Vergangenheit. Man ist die die gemeinsame Vergangenheit. Wir erzählen uns Dinge, die wir niemandem sonst anvertrauen würden. Und wenn man zwei Jahre zusammen tourt, wird diese Bindung noch enger.

Hilft das auf der Bühne? Sich so gut zu kennen?
Finn: Sicher. Musik ist eine wahnsinnig transparente Angelegenheit. Wie gut du innerhalb einer Band miteinander auskommst hat natürlich Auswirkungen auf die Musik. Es vereinfacht auch so vieles. Du schreibst schneller Songs, du nimmst schneller auf, du bist auf Tour eingespielter. Normalerweise brauche ich eine halbe Ewigkeit, bis ich einen Song fertig habe. Ich will es immer noch ein Stück perfekter machen. In dieser Situation ist es gut Bandmitglieder zu haben, die das bemerken. Die dir sagen können: halt, der Song ist so perfekt! Früher konnte ich mir soetwas gar nicht vorstellen, gerade weil Musik eine Sache des Instinkts ist.

Für mich ist "Nux Vomica" ein Klassiker. Du würdest dich gegen diesen "Vorwurf" aber wehren, oder?
Finn: Ich lebe nicht gern in der Vergangenheit. Momentan ist die Welt besessen von diesem Retro-Gedanken. Ich bin das nicht. Ich glaube meine Alben wären so in den 60ern nicht möglich gewesen!

Du scheinst sehr interessiert an Storytelling, an Literatur in deiner Musik...

Finn: Das kommt wahrscheinlich daher, dass ich früher in Folkbands gespielt habe. Das war damals eine Art der Musik, die ich noch nie gehört hatte. Vorher habe ich Musik immer als etwas gesehen, zu dem man tanzt oder das man im Hintergrund laufen lässt. Ich habe vorher nie diese intensive, emotionale Kommunikation zwischen Songwriter und anonymen Hörer gespürt. Und plötzlich war da Folkmusik!

Ihr habt das Album zusammen aufgenommen. Gab es für dich Punkte, an denen du Andrew zurückpfeifen musstest? Wo du ihm gesagt hast, was er lassen soll?
Sophia: Oh ja, da gab es einige! (lacht). Meistens waren das kleine, unbedeutende Dinge. Winzige Geräusche, an denen ich mich aufgerieben habe. Die ich so nicht auf dem Album hören wollte. Aber das waren immer Kleinigkeiten. Man muss Geduld haben, wenn man mit Finn im Studio ist. Er braucht mitunter Ewigkeiten. Er ist dann sehr zurückgezogen und man muss ihn da wieder rauszerren, mit aller Gewalt.

Du bist also ein Perfektionist?

Finn: Ach nein ...
Sophia: Komm schon, sei ehrlich!
Finn: ...ich bin halt schnell besessen von Musik. Und wenn ich diese kurze Zeit im Studio bin, möchte ich alles erlebte auch verarbeiten und auf das nächste Album packen. Nach "The Runaway Found" waren wir permanent auf Tour. Da sammelt sich viel an. Selbst wenn es nur kurze Gespräche drei Uhr morgens bei Burger King sind. Diesen Momenten will ich dann im Studio nicht unrecht tun, nur weil sie so kurz waren. Ich bin dann eben besessen und in mich gekehrt. Aber ich bessere mich so langsam! Denn je stärker man etwas perfektionieren will, desto eher kann man es auch wieder zerstören. Deswegen bin ich auch auf die Songs am stolzesten, die ich in kurzer Zeit eingespielt habe.

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© Fabienne

Brauchtest du einen Impuls, nach dem Debüt ein weiteres Album aufzunehmen?
Finn: Es war schon merkwürdig. Nach "The Runaway Found" hatten sich die Veils aufgelöst, aber ich hatte immernoch einen Deal mit Rough Trade für ein weiteres Album. Und das, obwohl ich ja gar keine Band mehr hatte. Ich habe dann fünf Monate gar nichts gemacht, bin zurück nach Neuseeland. Und kaum hatte ich Sophia und die anderen überredet, ein bischen zu proben, waren wir auch schon fast mit den Aufnahmen zu "Nux Vomica" fertig! Es war aber definitiv nicht der übliche Turnus. Ich musste mir erst beweisen, dass ich wirklich ein neues Album brauche!

Hast du eine Art Enthusiasmus ins Studio gebracht, Sophia?
Sophia: Als wir ins Studio gingen, war das schon gar nicht mehr notwendig, da waren wir alle völlig aufgekratzt!
Finn: Ich stand neben mir und war vollkommen irre!
Sophia: Aber davor, als wir die ersten Male geprobt haben, da dachte ich nicht, dass das was wird mit der Band.

"Nux Vomica", der Titel des neuen Albums, bezieht sich auf ein Heilmittel, das auch als Gift eingesetzt werden kann. Legt das nahe, dass du eine unausgeglichene, zwiegespaltene Person bist, Finn?
Finn: Ich war es zumindest lange Zeit. Gerade als ich anfing, Texte zu schreiben, war ich schrecklich unausgeglichen. Da waren diese Gedankengänge, die sich immer wiederholt haben. Wie eine Platte mit Sprung. Sogar morgens, als ich aufwachte, hatte ich noch die selben Gedanken wie den Abend zuvor! Inzwischen benutze ich das Schreiben, um mich aus diesem Loop zu befreien. Damit alles irgendwie Sinn macht! Denn oft ist es so, dass diese Gedankengänge, in denen ich stecke, für die meisten Menschen überhaupt keinen Sinn machen würden. Der Song "Advice for Young Mothers to be" hat mir da sehr geholfen. Das war nämlich eine Sache, über die ich damals täglich nachgedacht habe: "Was mag ich eigentlich?"

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Fabienne Mueller / sellfish.de


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