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MISC - sellfish.de Beifang 02/07 | 01

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Heute: Debüts, Demos, Denkwürdiges

mit: Killed By 9V Batteries | Ten Volt Shock | Nordic Notes | itsatrap.com uvm.

Musik aus Österreich, gerne einmal Garant für Ausgefallenes. So zumindest im Falle von Binder & Krieglstein. Hinter denen sich übrigens nicht zwei Köpfe verstecken, sondern ein gewisser Rainer Binder-Kriegelstein. Der Grazer könnte einem Teil der Indie-Community noch aus seiner Arbeit mit Festish 69 und den wunderbaren Sans Secours bekannt sein. Aber wer mit ähnlichen Klängen rechnet, der wird nach der Konfrontation mit "Alles Verloren" (Essay Recordings/Indigo) etwas vor den Kopf gestoßen sein. Wie jeder, der nicht eine gehörige Portion Humor - besser - Zynismus mitbringt. Oder musikalische Offenheit. Warum? Zum Beispiel, weil schon der in bester Humppa-Tradition stampfende Opener "Raupe" völlig auf die falsche Fährte führt. Das anschließende Titelstück nämlich könnte glatt von Seed stammen, wären da nicht die arabesken (!) Zwischentöne. Und auch im weiteren Verlauf entpuppt sich das Material zwar als nachhaltig einprägsam, jedoch schlichtweg unkategorisierbar. Von Dub über Euro-Dance bis hin zu Deutschpop-Imitationen (so zum Beispiel die brillante Wir Sind Helden-Parodie "Piraten") reicht die mit reichlich Gastbeiträgen versehene Melange. Und selbige setzt sich so gekonnt und selbstbewusst zwischen die Stühle von Club-Publikum, Comedy und Formatradio, dass man auf die Resonanzen wirklich gespannt sein darf...

Pink Floyd. Lasst mich diesen Namen einfach so an den Anfang der Rezension setzen. Aus einem einzigen Grund: Um Blind Ego Aufmerksamkeit zu sichern. Denn dazu wäre eine Floskel wie "Das Seitenprojekt des RPWL-Gitarristen" wohl eher weniger zuträglich. Schließlich dürfte der Bekanntheitsgrad der Freisinger Progrock-Formation außerhalb von Insiderkreisen gegen Null tendieren. Und das, obwohl deren letztes Album "World Through My Eyes" ein veritabler Prog-Opus ganz ohne Kitsch oder seichten Bombast war. Protagonist Kalle Wallner tritt auf seinem Werk "Mirror" (Red Farm Records/Rough Trade) nun jedoch weitaus weniger episch in Erscheinung: Die ausgefeilte, nie aufdringliche Gitarrenarbeit bestimmt stattdessen den im Vergleich beinahe straighten Sound. Und für die Präsenz des Saiteninstruments weicht selbst Sänger John Mitchell (Kino, Arena) gerne in den Hintergrund. Gleiches gilt für die weitere Rige an Gastmusikern: Ob RPWL Kollege/Produzent Yogi Lang oder IQ/Jadis-Bassist John Jowitt - sie alle folgen den Vorstellungen von Wallner. Und jene zeichnen sich trotz einiger Longtracks sowie anspruchsvoller Arrangements stets durch eine angenehme Songorientiertheit aus. Und weil letzten Ende die eingangs erwähnte, legendäre Band als Referenz sicher überzogen war, schließe ich mit einem weiteren großen Namen - in dessen Liga dieses liebevoll inszenierte Album tatsächlich beinahe spielt. Also, Aufmerksamkeit, bitte: Die Rede ist von... Porcupine Tree.

"Dutchs best kept secret will blow you away with their debut 'Darday Carnival' (Rusty Cage/H'art). Death/Thrash in the tradition of bands like In Flames, Slayer and Morbid Angel", meint das Presseinfo zu vorliegendem Album. 'Nuff said? Nicht ganz. So könnte man in der Reihe der Referenzbands noch Meshuggah, Face Down und The Haunted ergänzen. Oder zugeben, dass Cypher natürlich eine ganze Ecke weniger brillant - weil monotoner - abschneiden als ihre Vorbilder. Insbesondere die Vocals von Gitarrist T klingen einfach etwas zu gleichförmig und bremsen die erste Euphorie. Dafür kann man auf der Habenseite einen schnörkellosen Sound, technische Rafinesse an den Instrumenten, ein feines Digipak sowie die für ein Debüt erstaunlich hohe Professionalität verbuchen. Wem das genügt, der kann seine Sammlung mit einer weiteren gutklassigen "Irgendwas-zwischen-Neothrash-und-Metalcore"-Veröffentlichung ausstatten. Und darauf bauen, von "Anfang an dabei gewesen" zu sein: Vorausgesetzt Cypher arbeiten weiterhin konstant an ihrem Sound, dürfte nämlich eine breitere Resonanz nichtmehr lange auf sich warten lassen.

Knapp eine Stunde lassen sich Face-About-Face für ihr Debütalbum Zeit. Und die brauchen die acht Stücke auch, um ihre gleichermaßen schwebende wie ungreifbare Atmosphäre zu entfalten. Fast jammig klingt das Material der Band aus Dresden an einigen Stellen, dabei sehen sich die Musiker selbst eher in der Tradition von Acts aus der Psychedelic- oder Postrock-Szene. Und sind von "posigem Muckertum" Lichtjahre entfernt. Dass "You Are A Weather Against My Window" (Palmo Music/palmo-music.com) nicht zuletzt aufgrund der gelungenen Elektronik-Einsprengsel ("Box of suggestions") reichlich einzigartig klingt, ist das zentrale Plus der Fünf. So mangelt es sicherlich nicht nur mir an wirklichen Referenzen, um Hilfestellung bei der Einordnung ihres Sounds geben zu können. Begriffe wir Constellation Records oder Tortoise aber dürften nicht auf die falsche Fährte locken. Nicht umsonst wurde ja schon das Demo von Face-About-Face mit reichlich wohlwollenden Stimmen der sogenannten Fachpresse bedacht. Zu recht: Hier entfaltet sich eine Band, die mit Mut und Hingabe ihren eigenen, sicherlich unbequemen Weg geht. Dazu passen auch die nicht immer treffsicheren Vocals von Matthias Welker, an der sich einige stören werden. Doch genau deswegen: Respekt, die Herren. Und an unsere Leser sei der unbedingte Tipp gerichtet, Face-About-Face und ihre Entwicklung im Auge zu behalten.

Bereits zum zweiten Mal in dieser Woche lässt unser Nachbarland Österreich mit unkonventioneller Musik aufhorchen: Waren da weiter oben in unserer MISC-Rubrik noch die gänzlich unkategorisierbaren Binder-Kriegelstein, so will ich im Falle Killed By 9V Batteries zunächst auf deren Label verweisen. Denn Siluh Records haben ihre Hände zwar - wie kürzlich bei Tchi - gerne auch an deutschen Bands. Beheimatet sind die Herren Robert Stadlober (genau, der von Gary!) und Bernhard Kern jedoch in Wien. Das neueste Output auf Siluh Records heißt nun genau so wie die Band dahinter. Und "Killed By 9V Batteries" (Siluh Records / Broken Silence) lehrt dem Hörer schnell eine Lektion: Steiermark hurts! Zumindest bei der ersten, unvorbereiteten Konfrontation. Wer jedoch hinter die dezent übersteuerten, reichlich lärmigen ersten Eindrücke blickt, der wird bald großartigen, wunderbar poppigen (Noise-)Rock entdecken. Denn hinter den ungestümen LoFi-Aufnahmen stecken richtige Songs mit einem unüberhörbaren Gespür für poppige Melodien. Doch wenn man in "A new border to run along" Placebo sehen will, muss man KB9VB aber gleichzeitig zugestehen, dass der spröde Charme wie auch die musikalischen Wurzeln dieses Debüts eher beim Washingtoner Dischord-Label zu verorten sind. Eine vielleicht übermächtige, aber nicht abwegige Referenz für die 13 Stücke. Fazit: Killed By 9V Batteries scheren sich nicht um ihre Herkunft, sondern nur um ihre Musik. Richtig so. Und mit dieser Attitüde gesellen sie sich zu recht neben Formationen wie North Of America oder die (leider verblichenen) Landsmänner von Sans Secours.

Er produzierte für Lana Lane, kollaborierte mit Arjen Anthony Lucassen (Ayreon) und veröffentlichte Alben unter eigenem Namen: Der amerikanische Komponist, Produzent und - vor allen Dingen - Keyboarder Erik Norlander. Mit den Rocket Scientists versucht er sich nun an einer eigenen, "richtigen" Band. Und wie das in sogenannten Progressive Metal-Kreisen eben üblich ist, gleichmal in epischer Breite: "Revolution Road" (ProgRock/H'art) erscheint auf zwei CDs, deren Inhalt entgegen des Titels jedoch leider in keinster Weise revolutinär klingt. Stattdessen offerieren die 18 Tracks vor allen Dingen Stangenware: Zwar wird musikalisch und handwerklich in den eineindreiviertel Stunden einiges geboten; für eine echte Großtat hat es aber nicht gereicht. Dafür klingt das Material der Rocket Scientists zu beliebig und, leider besonders durch die Keyboards Norlanders, arg kitschig. Davon unbenommen bleiben natürlich schöne Melodielinien - wie beispielsweise in "Forever nights". In diesen schön arrangierten Momenten werden sporadisch sogar Erinnerungen an Spock's Beard wach. Für den Sprung in deren Liga fehlt es aber gleichermaßen an der nötigen Distanz zum eigenen Genre wie am Mut, sich über stilistische Grenzen hinweg zu setzen. So dürfte "Revolution Road" vor allen Dingen diejenigen befriedigen, welche sich mit der konventionellen Definition von Progmetal anfreunden können...

Ohrenbluten der klassischen Sorte: Das stilsichere X-Mist Label veröffentlicht 27:29 Sekunden lang Noise Rock der alten Schule. Diesmal verantwortlich für den kreativen Teil: Ten Volt Shock aus Freiburg. Die zelebrieren auf ihrem zweiten Album abermals den Sound, den Rites Of Spring oder Big Black seinerzeit mitbegründet haben. Und zwar ohne den Versuch, irgendwelche Neuerungen einzubinden. Allein dass bei den zehn Stücken vehement auch die Amphetamine Reptile-Schule durchblitzt, macht nicht nur die Neunziger-Jahre Reminiszenzen perfekt, sondern gibt "6 Null 3" (X-Mist Records / Broken Silence) auch noch den letzten derben Schliff. Zwar erreicht man keineswegs die Intensität Unsanes oder der Kollegen von Kurt, dafür wird durch eine Betonung der rockigeren Komponente die Tanzbarkeit des Materials enorm nach oben geschraubt ("Some days in paris"). Also: Sicherlich kein Muss (... wie beispielsweise das aktuelle Werk der gottgleichen Todd!), aber für Freunde genannter Stilrichtung mindestens ein Kann!

Teil zwei der Samplerreihe zum Online-Informationsportal Nummer eins für skandinavische Musik: itsatrap.com. Doch wo die Internetseite vor zwei Jahren, zum Erscheinen des "Reader's Companion Volume One", noch eine reine Ansammmlung von spezifischen Neuigkeiten war, etablierte Avi Roig (der Mann hinter den Kulissen) mittlerweile einen kleinen US-Mailorder für seine Leidenschaft, erweiterte die Internetseite um ein Forum und schreibt mittlerweile selbst Rezensionen. Das Credo bleibt dabei das gleiche: "itsatrap.com is devoted to the promotion of scandinavian music to an international audience". Was anhand der bekannten musikalischen Qualität unserer nordeuropäischen Nachbarn nicht nur ehrenwert ist, sondern auch noch exzellent umgesetzt wird. So findet man auf der Seite nicht nur die aktuellen Charts der verschiedenen Länder und haufenweise kostenlose MP3s, sondern erfährt eben genau dort als erstes, wenn es in irgendeiner Hinsicht relevante Neuigkeiten aus der Welt skandinavischer Musik gibt. Während auf der Internetseite keinerlei stilistische Begrenzen festgelegt sind, dominiert auf "It's A Trap! Reader's Companion Volume Two" (itsatrap.com) die Vorliebe Roigs für Independent Sounds: Die Moonbabies, Ricochets, das Bear Quartet oder Tiger Lou steuern teils unveröffentlichte Stücke bei. Neuentdeckungen präsentiert der aus dem Umfeld von Seattle stammende Musikverrückte binnen dieser 70 Minuten unter anderem mit den genialen schwedischen Hello Saferide oder dem gut abgehangenen Country-Pop von The First Miles aus Dänemark. Die Compilation gibt es für 4$ nur direkt über itsatrap.com. Und eines sei euch versprochen: Ein Besuch dort lohnt auch für sellfish.de Leser immer!

Das kleine fränkische Label Nordic Notes entpuppt auf der Suche nach vielversprechenden skandinavischen Underground-Acts echte Trüffelschwein-Qualitäten. Davon kann man sich beispielsweise anhand des hauseigenen Samplers "Nordic Notes Vol. 1" (Nordic Notes/Broken Silence) überzeugen, welcher im schlichten Pappschuber Tracks von Dungen über HGH bis hin zu Schtimm, den Ricochets, Isolation Years, Lapko oder David And The Citizens enthält. Beinahe ausschließlich veröffentlichtes Material zwar, aber eben auch mit Verstand kompiliert ...und für Besucher von Seiten wie itsatrap.com durchaus essentiell. Ebenfalls vertreten unter den 19 Songs: Das eigene Signing Ulpa. Die Isländer spielen auf ihrem zweiten Album "Attempted Flight By Winged Men" (Nordic Notes/Broken Silence) eine ziemlich krude Mischung aus Independent, Progressive, Kraut- und Postrock. Also nicht von Songtiteln wie "Sexy dick", "Go!" oder "Yeah that's right" ablenken lassen: Denn Ulpa kombinieren die Sperrigkeit ihrer Landsmänner von Minus scheinbar mühelos mit der Extravaganz Björks - und sind damit von straightem Rock denkbar weit entfernt. Aber auch ohne jeden "Exotenbonus" hat sich dieses, in ein passend-dubioses Layout gekleidete Ausnahmewerk die Aufmerksamkeit von entdeckungsfreudigen Musikkennern verdient.

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