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MISC - sellfish.de Beifang 03/07 | 03

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

MISC - Tales Of Interest

Der Veröffentlichungswahn fordert seinen Tribut


Mit gleich sechs Veröffentlichungen im Monat März brechen Victory-Records die eigenen Rekorde. Und nach größtenteils vorbehaltloser Lobhudelei meinerseits für Comeback Kid, Bayside und A Day To Remember kommen wir in dieser Rubrik nun zu den weniger spektakulären Seiten des US-Labels. Und zwar in der Reihenfolge: 1. übel, 2. mittelprächtig, 3. holla! Den unrühmlichen Anfang machen Beneath The Sky, die mit "What Demons Do To Saints" (Victory Records/Soulfood) ein reichlich unspektakuläres Albumdebüt vorlegen. Denn eine mager produzierte US-Adaption typischen Göteborg-Deathmetals zuzüglich der üblichen Metalcore-Standards braucht derzeit wohl niemand mehr, oder? Genau. Etwas anders liegt der Fall dann beim zweiten Werk des quasi-Earth Crisis-Nachfolgers Freya. Nach dem Abgang von Gitarrist und Zweitstimme Darian Lizotte verzichtet man in deren Lager prompt komplett auf cleane Vocals. So rüpelt sich Karl Buechner auf "Lift The Curse" (Victory Records/Soulfood) durch zehn metallische Hardcore-Songs mit überraschend rohem Sound, während derer man eigentlich nur für das finale (und ziemlich erbärmliche) Black Sabbath Cover "War Pigs" die Geschwindigkeit etwas drosselt. Am Ende bleibt eine okaye Platte - zumindest für all jene, die über das Ende der Militant Straight Edge Institution nie wirklich hinweg gekommen sind. Den Lichtblick in diesem Reigen bilden die seltsam betitelten Emmure, welche auf ihrem ersten Album ein (mit 29 Minuten ziemlich knackiges) Manifest aus Verzeiflung, Aggression und Chaos anrichten. Ihr meint, diese Attribute hättet ihr andernorts schon tausendmal gelesen bzw. gehört? Nun, "Goodbye To The Gallows" (Victory Records/Soulfood) wird euch eines besseren belehren. Was zum einen an den markerschütternden, packenden Vocals von Frontmann Fankie liegt. Zum anderen an der unglaublichen Fusion aus disziplinierten Mathcore-Bestandteilen in Kombination mit extatischer Intensität. So entsteht eine Wall Of Sound, deren sehr dezent vorhandene avantgardistische Bestandteile selbst durch die erschlagende Produktion von Zeuss nicht ganz platt gemacht werden können. Wer nun allein in der kurzen Spielzeit ein Argument gegen Emmure sieht, dem sei gesagt, dass nach dem finalen "When everything goes wrong take the easy way out" ohnehin die Grenze des tolerierbaren erreicht ist.

Black Stone Cherry sollen eine Newcomer-Band sein? Kaum zu glauben, angesichts des staubtrockenen, kraftvollen Südstaaten-Sounds auf diesem selbstbetitelten Debüt. Zu hören gibt es 13 kernige Songs, welche gleichermaßen gediegen vorgetragen wie souverän inszeniert wurden: Feinstes Riffing, gleichermaßen prägnante wie derbe Tracks sowie ein paar wunderbar mehrstimmig eingesungene Chöre machen nachdrücklich auf diese jungen Formation aus Kentucky aufmerksam. Überhaupt: Nicht nur, dass Frontmann Chris Robertson über ein herrlich rauhes Organ verfügt (welches angenehm an einen Mischung aus Phil Anselmo und Chris Cornell erinnert), seine ganze Band unterstützt ihn tatkräftig an den backing vocals. Ganz ehrlich: Den Jungs merkt man ihr geringes Alter (alle vier sind gerade einmal Anfang zwanzig) lediglich in der Hinsicht an, als sie so wunderbar frisch agieren. Von Richard Young (übrigens der Vater von Schlagzeuger Jon Fred) und David Barrick stark produziert, wurde "Black Stone Cherry" (Roadrunner Records) eine Art Lynyrd Skynyrd-Adaption von Audioslave oder frühen Alice In Chains: Große Harmonien mit der richtigen Portion Druck - ohne lästiges Image-Geseiere, dafür mit einem bemerkenswerten Gefühl für den Blues. Anspieltipp: Das eröffnende Rockgewitter "Rain wizard" sowie der Ohrenschmaus "Hell and high water". Merken!

Diese DVD ist vor allen Dingen eines: Der Mitschnitt einer wahnwitzigen Party - samt ihrer Geschichte. Veranstaltet von niemand geringerem als, wie unschwer zu erraten, MTV-Vorzeigestar Dave Chappelle. Auf der Gästeliste von Dave Chappelle's Block Party (Arthaus): Erykah Badu, The Roots, Mos Def, Talib Kweli, Kanye West und viele andere Stars der US Soul-/HipHop-Szene. Persönlich ausgewählt vom Gastgeber, der sich glücklicherweise zum überwiegenden Teil geschmackssicher auf die gesellschaftlich relevanten Vertreter des Genres konzentrierte (... abgesehen vom etwas überflüssigen "Hand-Dampf-in-allen-Gassen" Wyclef Jean vielleicht). Chapelle läuft im Verlauf des Streifens aber zu absoluter Höchstform auf, macht sich gekonnt über einschlägige Rap-Klischees lustig und erweist sich jenseits der MTV-Studios tatsächlich als exzellenter Moderator. Sicher nicht zuletzt deshalb, weil die Party in Brooklyn - zu welcher der Protagonist die Karten einfach verschenkte - der zu erwartende grandiose Erfolg wird. Effektvoll in Szene gesetzt wurde der gut eineinhalbstündige Film von Michel Gondry, welcher die letzten Tage vor der Veranstaltung unterhaltsam dokumentiert. Und, viel wichtiger, immer wieder mit soundtechnisch wie visuell großartig eingefangenen Impressionen der einzelnen Shows auflockert. Übrigens: Block Party kommt sinnigerweise nur im Originalton. Und, letzte Randnotiz: Gewidmet hat Gondry den Film dem verstorbenen Detroiter HipHop-Produzenten J Dilla. Empfehlenswert für all jene unserer Leser, welche einen innigen Bezug zu "social councious" HipHop-Szene hegen.

Na, wenn diese Band in Kombination mit ihrem Namen und Sound nicht ein paar heftige Wortspielereien forcieren wird... lassen wir das besser. Dyse (mit i-Tüpfelchen über dem "y") sind mit ihrem Debütlongplayer bei Exile On Mainstream gelandet, seinen Ursprung fand die Band aber im Blu Noise-Kontext. So verwundert es auch nicht, dass das selbstbetitelte Album alles andere als straighten Rock beinhaltet. "Dyse" (Exile On Mainstream/Soulfood) steckt stattdessen voller Überraschungen und Wendungen. Im Opener "Underlaydisk" mischt sich ein minimalistisches Gitarrenriff mit rudimentären Drums. Und was aus dieser Basis entsteht, ist gleichermaßen lärmig wie funky. Nicht übel bzw. ziemlich mutig. Immer wieder im Verlauf der 40 Minuten: Ungewöhnliche Rhythmen und Vocals, welche ebenfalls eher wie Rhythmus-Instrumente eingesetzt werden. Um so beeindruckender, als sich hinter Dyse mit Andre (Gitarre, Mikrofon) und Jari (Drums) nur ein Duo versteckt. Das heißt, von Verstecken kann keine Rede sein: Auf der Bühne werden die beiden Thüringer - auch ohne Bass - zu Derwischen; während die Studio-Variante eher an eine progressive Noise-Rock-Variation ("Der Mann aus Gold") denken lässt. So oder so: Grenzen spielen im Falle von Dyse eigentlich keine Rolle. Die Band hat einen derben Spaß an dem, was sie tut. Und der überträgt sich ab 23. März nun auch via Compact Disc auf die Hörer!

Fujiya & Miyagi haben für ihre Debütalbum die Essenz des Krautrocks fein säuberlich herausgesiebt und das Ergebnis mit zeitgenössischen Independent-Klängen angereichert. Doch nicht nur aus diesem Grund könnte "Transparent Things" (Groenland/Cargo) die Kraft haben, ein arg anstaubtes Genre für neugierige Hörer wieder attraktiv zu machen. Denn die nicht gerade griffig betitelte Formation lässt bei den neun Songs immer wieder durchblitzen, dass sie jede Menge Spaß an ihrer Musik hat. Keine Spur von bierernstem, (pseudo-)künstlerischem Anspruch also. Fujia & Miyagi befinden sich stattdessen in Reichweite von (im weitesten Sinne) Dance-Acts wie Radio 4, Tiga oder LCD Soundsystem. Hinter dem Titel versteckt sich übrigens kein japanisches Duo, sondern David Best, Matt Hainsby und Steve Lewis - drei junge Männer aus dem britischen Brighton, welche Fujiya & Miyagi mehr oder minder als Alternative zu ihrem glücklosen Fussballer-Dasein gründeten. Mission gelungen: Gleichermaßen monotone wie treibende Basslinien, zurückgelehnte Vocals und ein paar effektive Spielereien an der Gitarre plus (vor allem) der charakteristische Sound des Moog-Synthesizer entwickeln ein kurzweiliges Potential: tanzbar und sexy zugleich. Call it funk, call it krautrock, call it disco punk / I call it all good.

Matthew Herbert, unbestrittener Meister aller Elektronika-Klassen, lebt in einem Produktivitäts-Strudel, der seinesgleichen sucht. Ob als DJ, Komponist oder Produzent, wirklich still Sitzen scheint der Brite in keinem Fall zu können. "Score" (K7!/Rough Trade) wurde nun dennoch kein neues Studioalbum, sondern besteht aus 17 Beiträgen, welche von Herbert als Nebenbeschäftigung (sic!) für verschiedene Independent-Filme komponiert wurden. Keine Frage, dass es auch für diese Auftragsarbeiten keinerlei Limitierungen gab. "Funeral" (aus "Vida Y Color") beginnt den Reigen dementsprechend auch mit reinrassigen Streicherarrangements, wie man sie derart unverfälscht nur selten von dem überschäumenden Talent Herbert's gewohnt ist. Doch die 17 Stationen umfassende Achterbahnfahrt legt danach erst richtig los: Die stilistische Bandbreite fächert sich im Verlauf der 50 Minuten enorm auf. Fette Jazz-Statements ("The Apartment") treffen auf David Lych Ästhetik treffen auf lebenslustige Passagen a lá Yann Tiersen treffen auf avantgardistische Geräuschkulissen. Wen dieses Stil-Sammelsurium nicht stört, der wird beim Staunen über die Ambitionen dieses Ausnahmemusikers definitiv seinen Spaß haben. Allerdings sollten all jene ihre Erwartungshaltung bremsen, die etwas in der Art der direkten Vorgängerwerke erwartet haben. Doch wer sich auf der Suche nach Konstanten befindet, der liegt bei Matthew Herbert wohl ohnehin falsch.

Auch nicht schlecht: Eine Zeitreise für 15 Euro. Und zwar zurück in die Mitte der Neunziger, als Millencolin Platten wie "Life On A Plate" veröffentlichten, No Fun At All noch existent waren und die US-Westküste im Wochenrhythmus schweißtreibende Skatecore-Bands hervorbrachte. Aber wie das Leben so spielt: Dieses Kapitel schien ganz und gar abgeschlossen. Viele Formationen versuchten sich an stilistischen Kurskorrekturen, ein guter Teil löste sich einfach auf und irgendwie war das ja alles auch gut so. Jetzt meldet sich plötzlich die mittelprächtige Melodycore-Band Not Available aus Eislingen bei Stuttgart, welche in den Neunzigern via Lost & Found zwei okaye Scheiben veröffentlichte, nach sechs Jahren Abstinenz mit einem neuen Longplayer zurück: "5 Aces" (ModernNoise/Cargo) wurde eine waschechte Überraschung! Und zwar allein aus dem Grund, weil sich die Band jeglicher (!) Entwicklung verweigert hat - Die 14 Stücke hören sich zu hundert Prozent exakt so an, wie der eingangs beschriebene Sound damals eben klang. Samt albernster Lyrics, Ska-Parts und reichlich "Ooooohs" und "Ahhhhhhs". Aber verdammt, bringt das einen Spaß! Die in Höchstgeschwindigkeit vorgetragenen Hymnen beißen sich gnadenlos im Ohr fest, sind optimal produziert und lassen mir ganz warm um mein nostalgisches Punkrock-Herz werden. Wer ebenfalls Lust auf einen solchen Trip hat: Den Kauf von "5 Aces" werdet ihr garantiert nicht bereuhen!

Manche Alben sollte man besser in der hygienischen Plastikfolie belassen, in welche sie in weiser Voraussicht verschweißt wurden. So definitiv im Falle der neuen Simply Red. Auf dem Ministry Of Sound-Label muss nun auch deren Mastermind Mick Hucknall im Independent-Vertrieb wieder kleinere Brötchen backen. Die verdiente Folge nach einer Dekade drittklassiger Pop-Produktionen, welche der Brite erfolglos unter dem Soul-Mantel zu kaschieren versuchte? Keine Ahnung. "Stay" (Ministry Of Sound/SPV) jedenfalls offeriert eine übliche dreiviertel Stunde mit nichts weiter, als standardisiertem Reisbrett-Pop samt analytisch berechnetem Kuschel-Faktor. Welcher seine zahlreichen Tiefpunkte unter anderem in einem üblen Quoten-Saxophon-Solo ("Good times have done me wrong") findet. Warum dennoch zwei Punkte unter dieser Rezension stehen würden (...welche wir aus Relevanz-Gründen in die Misc-Abteilung verschoben haben)? Nun ja, einen davon gibt es für die tadellose Hochglanz-Produktion - hierfür stand offenbar noch ausreichend Budget zu Verfügung. Einen weiteren spendieren wir als nette Dreingabe für den zweistimmigen Refrain in "The world and you tonight". Stellt sich dennoch die Frage, warum sich Ministry Of Sound eine weitere derartige Pfeife ins eigene Boot holen... Wo man doch mit Klee mittlerweile den Versuch unternahm, eine durchaus akzeptable, ernst zu nehmende Popband an Bord zu holen. Mick Hutchnall passt da eher zwischen das sonstige Repertoire von Eric Prydz und Kate Ryan...

Eigentlich könnte Rosie Thomas zufrieden sein. Drei gelobte Alben beim Independent-Riesen Sub Pop und Anerkennung von befreundeten Kollegen wie Damien Jurando oder Sufjan Stevens sind ihr sicher. Eben dieser überzeugte Rosie Thomas auch, für die Aufnahmen ihres neuen Werkes "These Friends Of Mine" (Sing-A-Long/Nettwerk) aus der Industriestadt Seattle zu sich nach New York zu ziehen. Schließlich bekam er als einer der ersten mit, dass Thomas unglücklich mit den immer gleichen, durchstrukturierten Abläufen im Musikgeschäft war. Sie folgte seinem Angebot. Und so teilte man sich in der US-Metropole für ungewisse Zeit ein Appartment mit Denison Witmer; seines Zeichens ebenfalls Singer-Songwriter (dessen durchweg empfehlenswerte Alben bei uns übrigens via Bad Taste Records erhältlich sind). Gemeinsam mit weiteren Freunden arbeiteten die drei, unterstützt von Gitarrist Josh Myers, nun ohne jeden Zwang an neuen Stücken: Die beiden Gastgeber übernahmen hier und da sogar die Vocals, viele andere Musiker traten in Erscheinung und wurden in den Aufnahmeprozess mit eingebunden. Dessen Ergebnisse nun mit gerade einmal einer halben Stunde Spielzeit das Licht der Welt erblicken. Nur auf diese ungezwungene Weise konnte wohl das zweifellos persönlichste und spontanste Werk einer Musikerin entstehen, die in der Vergangenheit immer etwas glücklos durch die Independent-Szenerie zu huschen schien. Das leicht verquere R.E.M. Cover "The one I love" beispielsweise zeigt Rosie nun erstmals seit den musikalischen Anfangstagen in etwas anderem Licht. Und in ihren Linernotes zu Stücken wie "Say hello" transportiert sich ebenfalls diese ungewohnte Zufriedenheit, welche den Entstehungsprozess der Scheibe begleitet haben muss: "These Friends Of Mine" wurde ein befreiendes, intimes und liebevoll arrangiertes Werk voll zurückhaltender Schönheit.

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