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Modest Mouse

We Were Dead Before The Ship Even Sank

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Die Spatzen pfiffen es schon eine ganze Weile von den Dächern: Johnny Marr von den legendären Smiths taucht auf dem neuen Modest Mouse-Album als Co-Songwriter, zweiter Gitarrist und - ja - festes neues Bandmitglied auf. Aber nicht, dass hier Smiths-Fans überschnell und ungehört zugreifen. Sonderlich anders als bisher klingt die durchgeknallte Band um Frontmann Isaac Brock nämlich gar nicht.

Denn auch "We Were Dead Before The Ship Even Sank" überdreht das reguläre Independent-Spektrum in gewohnter Manier und positioniert sich einmal mehr eher in der Nähe von Ween (Abgefahrenheit) oder Against Me! (Rockfaktor) denn neben irgendwelchen Pop-Größen. Und das, obwohl an euphorisierenden Chören binnen der 14 Songs sicherlich kein Mangel herrscht. Genau so, wie die funkensprühende Energie der Vorgängeralben diesmal - obwohl langjährige Fans sie etwas gebremst empfinden mögen - große Aufmerksamkeit auf die Band ziehen dürfte. Alleinstellungsmerkmal dürften darüber hinaus einmal mehr deren unterhaltsame Form der Gesellschaftskritik sein, bei welcher der erhobene Zeigefinger von Sänger Isaac Brock mit selten gehörter Vehemenz ganz einfach durch eine enorme Portion Zynismus ersetzt wird ("March into the sea"). Letzten Endes also deutlich weniger Neues, als angesichts der Besetzungswechsel zu erwarten war. Was im Falle Modest Mouse ja kaum verkehrt sein kann. Denn selbst wenn die Tage ganz objektiv noch ein wenig zu kalt sind: Das Feuer dieser umtriebigen Platte hilft dem Frühlingserwachen ordentlich nach. Und die Seattler untermauern nebenbei ihren Anspruch, nach jahrelangem Wuseln um den unbesetzten Pavement-Thron selbigen endgültig zu übernehmen.

Bewertung: 7 von 10 Sternen / Michael Streitberger


Man könnte aber auch sagen, dass es das beste - weil kompletteste - Modest Mouse Album ever ist. Klar, der Überraschungseffekt, den die Band noch mit „Good News For People Who Love Bad News“ oder einem der Frühwerke auslösen konnte, ist passé. Ein neues „Float On“ sucht man auf „We Were Dead Before The Ship Even Sank” vergeblich, aber das braucht es auch gar nicht bei vierzehn Songs voller wahnsinniger Ideen, großer Melodien und Melancholie für hundert angeschlagene Seelen. Tatsächlich hat sich der Gesamtsound trotz des prominenten Neuzugangs nicht wesentlich verändert – zum Glück. Wie hätte das schief gehen können, wenn sich Johnny Marr zu sehr in den Vordergrund gedrängt hätte. Das Gegenteil ist aber der Fall: Der Vater des Gitarrenpops ist stets präsent, ohne sich dabei selbst herauszuheben. Isaac Brock ist immer noch tonangebend, nicht nur was den Gesang betrifft. Da wird immer noch genuschelt, hysterisch gelacht und in bester Volksfestatmosphäre mitreißend geleiert. Wenn dann doch mal die typische Marr’sche Schrammelgitarre aufblitzt, nimmt man das eher mit einem Schmunzeln war. Am auffälligsten ist das vielleicht bei der Single „Dashboard“. Ein knackiger Popsong, der zunächst ein wenig verstört und fast schon untypisch für die sonst so kantige Band wirkt. Dass diese Nummer mit jedem Hördurchgang wächst, ist nicht ungewöhnlich, denn so war es bisher mit jedem Modest Mouse Album und so verhält es sich auch diesmal mit den anderen 13 Songs. Das besondere dieser Truppe lässt sich nur schwer mit Worten beschreiben, man muss es sich anhören. Vom pumpenden Discoschlagzeug, über die sperrigen Indierockgitarren bis zum großen Pop oder einer schieren Experimentierwut ist hier immer alles möglich. Der lärmende Opener „March Into The Sea“ führt in die Irre und auch das sonnige „Dashboard“ ist nur ein kurzer Zwischenstopp. Die tanzbaren „We’ve Got Everything“ und „Invisible“ lediglich Momentaufnahmen, einzig „Education“ ist ein typischer Modest Mouse Song, wie er auf jedem Album der Bandgeschichte hätte sein können. Wem die aggressiven Brecher der Vergangenheit fehlen, sollte sich besser schnell mit der Zukunft anfreunden. Die könnte zum Beispiel „Spitting Venom“ heißen und präsentiert sich als ein achtminütiger Übersong mit Trompeten-Ausklang und ungeahntem Bombast. „Little Motel“ ist die pure Schönheit und wem dabei nicht das Herz aufgeht, war in seinem Leben wohl niemals Emo. Wer die erste Enttäuschung überwunden hat, wird sich in ein Album verlieben, das sich unter Garantie am Ende des Jahres in jeder geschmackssicheren Bestenliste wiederfinden wird.

Bewertung: 9 von 10 Sternen / Sebastian Gloser

Spielzeit: 62:35 / Independent





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