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MISC - sellfish.de Beifang 04/07 | 01

Miscellaneaus: Genrekram*EP*Vinyl*MCD*Sampler*Demos*Soundtrack

Eine neue Heimat bei sellfish.de: Für Sachen, die normalerweise unterzugehen drohen. Oft verdient und von manchen verachtet lassen sich in dieser Rubrik immer wieder auch echte kleine Perlen entdecken...

Heute: From antisocial to social awareness

mit: Still Screaming l Omnium Gatherum l Hivitality l Take Action Vol. 6

Es braucht nur ein kurzes orchestrales Synthie-Intro, bevor die veganen Metalcore-Hexenmeister von Deadlock losballern. Allerdings nicht in gewohnter Manier, sondern mit verstärkter Unterstützung der Sängerin Sabine Weniger, die sich auch um die Keyboards kümmert und nach einigen Kollaborationen mittlerweile zum festen Line-Up gehört. Zudem öffnet man sich auch stilistisch wieder ein ganzes Stück weiter. Und, hoppla, was entsteht denn daraus? "Wolves" (Lifeforce Records/Soulfood) klingt durch die Female-Vocals, welche das Gebrüll von Johannes Prem etwas relativieren, wie die poppige Bombast-Gothic-Version einer Deathmetal-Band. Schließlich findet man unter den elf Songs wirklich keine Spur von Hardcore mehr. Mittlerweile haben mit diesem Sound sogar Vorbilder wie Dark Tranquillity mehr am Hut, auch weil selbst bei jenen die Keyboards eine vergleichsweise untergeordnetere Rolle spielen denn bei Deadlock. Irgendwie ist "Wolves" aufgrund der vielen ruhigen Passagen, schwer poppigen Melodien und erwähnten Vocals dennoch eine mutige Platte geworden. Schon deswegen, weil neben mir wohl auch weite Teile der Herkunftsszene derbe Probleme mit dem fett produzierten Material haben werden. Da trifft es doch am ehesten, die (witzigerweise aus einem Kaff namens Schwarzenfeld stammende) Band als die "Cradle Of Filth des Metalcore" zu kategorisieren. Und wen eine solche Beschreibung neugierig macht, der möchte dieses äußerst professionell inszenierte Werk gerne antesten.

So sehr ich das Hannoveraner Label Swell Creek bzw. Superhero Records aus Berlin schätze: Die Veröffentlichung des Hate Edge Albums "On Field" (Swell Creek/Superhero/Alive) ist mehr als nur ein Griff ins Klo. Und dies nicht nur, weil Frontmann Paul Hate auf einem Festival in der Hauptstadt eine "Good Night - White Pride"-Banner heruntergerissen hatte bzw. die Band keine Veranlassung sah, etwas gegen die Nazis in ihrem Publikum zu unternehmen. Ebenfalls schlimm: Die Musik dieses Albums klingt so traurig kraftlos und stümperhaft, als würde eine Proberaumband versuchen, die Songs ihrer Helden von Blood For Blood zu covern. Aber vor lauter konzentriertem Nachspielen jegliche Leidenschaft vermissen lassen. Ganz zu schweigen von bösen, bösen Titeln wie "Motherfuck" (boah!) oder "Suck my dick" (krass, ey!)... Wenn schon Kindergarten, dann doch bitte richtig; zum Beispiel mit Schwachmatten wie M.O.D. oder der One Life Crew. Fazit für vorliegende Platte, besonders in Zeiten der CO2-Diskussion: Schade um die wertvollen Rohstoffe!

Mit dem gegenwärtigen Great Britain-Hype um Bloc Party oder die Arctic Monkeys haben Failsafe aus Manchester höchstens noch am Rande tun: Dafür ist das Material ihres Debüts "What We Are Today" (Deck Cheese/Rough Trade) wohl schlichtweg zu sehr in klassischen Punkrock- und Hardcore-Kontexten verhaftet. Was dem Spaßfaktor des guten Dutzend Songs natürlich keinen Abbruch tut. Im Gegenteil. Schließlich orientieren sich die Fünf mit Thrice, The Movielife oder Rise Against an den richtigen Vorbildern. Und setzen noch ein paar melodische Chöre mehr oben drauf. Zumal mit den beiden Sängern James Norris und Matthew Cogley bereits eine gesunde, vielseitige Basis besteht, welche durch den Abwechslungsreichtum noch kurzweiliger wird. Wenn es ihnen passt, bedienen sich Failsafe nämlich gerne auch mal bei Emorock, Ska oder gönnen sich gänzlich ruhige Augenblicke. Dank einem guten Gespühr für eingängige Melodien bleibt am Ende trotz einiger "schonmal-gehört"-Momente sowie dem Ausbleiben eines Überhits dennoch kein fader Beigeschmack: Zu motiviert rockt man sich durch diesen Erstling. Tut euch einen Gefallen und gebt Failsafe eine Chance: Nicht umsonst empfehlen wir die aktuelle Tour der Engländer!

Eine gleichermaßen geschmacklose wie blutrünstige Knüppel-Vollbedienung präsentieren diese Woche Metalblade Records, die in regelmäßigen Abständen unter Beweis stellen, dass sie trotz temporärem Metalcore-Schwerpunkt oder Chartstürmern wie Amon Amarth noch im Untergrund residieren. Dabei geht es im Falle von Monstrosity noch relativ gesittet zu. Also, zumindest angesichts der Tatsache, dass die Amis eben ausgezeichnete Musiker sind und auch auf ihrem geschätzten zwanzigsten Album "Spiritual Apocalypse" (Metal Blade/SPV) nichts anbrennen lassen. In der klassischen dreiviertel Stund erklingt zehn Songs lang erhabener Mid-Tempo-Deathmetal, dessen Detailarbeit sich wirklich sehen lassen kann. Und während derer die Florida-Institution um Schlagzeugtier Lee Harrison beweist, dass sie nicht nur die gewohnte Brutalität an den Tag legt, sondern dank songwriterischer Finesse auch bei genauerem Hinhören überzeugt. Eben dieses "genauere Hinhören" wird einen von den schwedischen Vomitory eher erschwert: "Terrorize Brutalize Sodomize" (Metal Blade/SPV) erklingt getreu seines klischeetriefenden Titels derart derbe, dass nur die Hartgesottensten bis zum Ende der Scheibe durchhalten werden. Dabei verfügt die punkige Rotzigkeit, mit welcher sich durch's Repertoire gebolzt wird, durchaus über einen gewissen Charme. Ebenso, wie der witzige Drumsound. Naja, die skandinavische Herkunft lässt sich dagegen nur selten erahnen und in ihrer latent durchblitzenden technischen Kompetenz fühlt man sich eher an alte Thrashbands erinnert... Wenn es angesichts der Soundwände nicht so unpassend wäre: Ein gutgelauntes "Nett!" hätte ich für beide dieser - Entschuldigung für die ausgelutschte Metapher - Schlachtplatten übrig!

Wo Hate Edge ein paar Zeilen weiter unten ein Negativbeispiel gaben zeigen Still Screaming, dass man Hardcore (oder "Sportcore", wie die sechs Herren ihren Stil selbst nennen) auch 2007 noch packend inszenieren kann: 14 superdruckvolle Tracks, die zwischen alter Schule, dem rudimentären Metalcore-Verständnis von Terror sowie haufenweise Gangshouts nichts anbrennen lassen. In vorbildlicher Geschwindigkiet auf den Punkt gespielt können die ordentlich produzierten Songs vor allen Dingen durch die mitreißenden Vocals von gleich zwei Sängern überzeugen: Da macht es gar nichts, dass auf "Continue To Fight" (Ready To Fight Records) nicht nur im Titel das eine oder andere Klischee verwurstet wird. Schließlich ist sich die Band dieser Tatsache durchaus bewusst: "Same old story / same old shit / that's what they will say / but we won't quit" heißt es im Titelsong. Dabei kann man beispielsweise die Anti-Bollo-Aussage von "Out of our sight (the spirit of sportcore)" gar nicht genug wiederholen! Dass hier erfahrene Recken am Werke sind, merkt man schnell: Die Mitglieder von Still Screaming sammelten unter anderem bei Kassels finest Brightside, Shaft und Pointbreak Erfahrungen. Durch die Veröffentlichung dieses Debüts auf dem Kleinstlabel Ready To Fight Records unterstreichen Still Screaming zu guter letzt noch ihre Integrität. Dennoch werden Hits wie "O-H-P" in Kürze auch vor größerem Publikum Anklang finden, soviel sei prognostiziert. Fans genannter Bands müssen jedenfalls zugreifen; der Rest sollte dem Material zumindest live eine Chance geben. Ein mehr als vielversprechender Einstand!

Omnium Gatherum haben 'mal wieder eine mittelschwere Labelodyssee hinter sich. Was jedoch auch mit der etwas wechselhaften Qualität ihrer Alben zu tun haben dürfte. Nach einem übermäßig gelungenen Debüt konnte der Nachfolger (unglücklicherweise auch noch auf dem Branchenriesen Nuclear Blast) nämlich nichtmehr wirklich überzeugen: Zu direkt und routiniert zockte man nach den ausgefeilten Anfangstagen die neuen Stücke herunter. Nun also die Konsolidierungsphase beim aktuellen Partner Candlelight: "Stuck Here On Snakes Way" (Candlelight/Soulfood) bringt die wesentlichen Stärken der Skandinavier auf den Punkt und fusioniert daraus den Mix, welcher Freunde von Vergangenheit und Gegenwart vereinen soll. Die zwölf Tracks klingen dadurch einerseits natürlich nicht ganz so konsequent wie bisher. Vom songwriterischen Standpunkt her ist die Sache aber durchaus gelungen. Vor allem deswegen, weil Omnium Gatherum plötzlich zeigen, dass sie richtig dreckig rocken können. Less Katatonia, more Motörhead sozusagen. Keyboards sind in den Hintergrund getreten; treibendes, beinahe thrashiges Riffing dominiert den Sound des dritten Albums. Fans von Dark Tranquillity (abzüglich deren Bombast-Wände) sollten reinhören!

Das Genre Drum'n'Bass krankt nicht selten daran, dass es auf den Tanzböden heimischer Diskotheken zwar zu den zündendsten Auswüchsen der elektronischen Clubkultur gehört; auf Longplayer gebannt entbehren viele Acts jedoch an Vielseitigkeit: Die oft schwer verbreakten und aggressiven Tracks machen es schwer, die Begeisterung für diesen Sound auch auf der heimischen Stereoanlage nachvollziehbar zu machen. Genau hier möchte "Hivitality - Vital Styles Of D&B" (Beatalistics/Groove Attack) anknüpfen. Widmen sich die 19 Tracks doch vorwiegend den etwas poppigeren Ausprägungen dieses Genres. "A one hour trip through the versatile landscape of soulful drum'n'bass" kategorisiert das Promoinfo diese Compilation. Und tatsächlich klingen die von dem Bremer Label Beatalistics sorgfältig kompilierten und gemixten Beiträge mehr funky, sonniger und vor allem melodischer als vieles, was sonst die Banner Drum'n'Bass trägt. Ohne dabei seine Dancefloor-Kompatibilität zu verlieren, wohlgemerkt. Enthalten sind unter anderem Tracks von den Labelmachern Stadler&Waldorf selbst, Loxy & Amaning, Young Ax sowie einigen unbekannteren Newcomern. Das Booklet wartet mit kurzen Infos zu sämtlichen Interpreten auf und empfiehlt "Hivitality" somit auch als Ausgangsposition, neue Produzenten im Spannungsfeld von Drum'n'Bass bis hin zu Breakbeat-Auswüchsen zu entdecken. Fein.

Sub City und Hopeless Records gehen mit ihrer Compilation-Serie "Take Action!" bereits in die sechste Runde. Wie gehabt ist das Grundkonzept uneingeschränkt unterstützenswert: Fünf Prozent des Händlerabgabepreises von "Take Action! Volume 6" (Hopeless Records/Soulfood) kommt dem Kristin Brooks Hope Center zu Gute, der Jugendlichen in Krisensituationen u.a. mit einer Telefonhotline zur Seite steht. Der Käufer bekommt im Gegenzug für weniger als dem Preis eines regulären Albums zwei rappelvolle CDs mit so ziemlich allem, was momentan in der Emo-, Hard-, Metalcore bzw. Punkrock-Szene Rang und Namen hat: My Chemical Romance, Taking Back Sunday, The Bled, In Flames, Into Eternity, Rise Against, Anti-Flag oder Strike Anywhere sind nur eine kleine Auswahl der 30 Tacks hier, welche auch den einen oder anderen interessanten Newcomer featuren. Oben drauf gibt es noch eine DVD mit 29 Clips, darunter Beiträge von Converge, Terror, Funeral For A Friend, Heavens oder Underoath. Allesamt zwar nicht exklusiv, aber in dieser - auch optisch ansprechenden - Zusammenstellung durchaus lohnenswert. Vor allem, wenn man Interesse an einer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen US-Rockszene hat... und beim Kauf noch ein gutes Gefühl behalten möchte!

MISC - Müde Krätze

...wo sich Perle und Oyster gute Nacht sagen

Früher waren es immer die Super-Nerds, die sich am "Camelot"-Spieleshop trafen, im Hinterhof sich die Birne hohl kifften und über nichts anderes redeten als Warhammer4000 und Filmfehler in Herr der Ringe. Während sich im Laden selbst die 9-jährigen, angehenden Super-Nerds die Nasen an der Vitrine plattdrückten und unendlich überteuerte Plastikfiguren bestaunten, dudelte im Hintergrund immer leise die Folkmusik. Wahrscheinlich war das schon damals die Oysterband. Die gibt es nämlich schon seit fast 30 Jahren. Und wer nach so langer Zeit die Losung "Back to the Folk Roots" ausgibt, hat die musikalische Neuorientierung wohl bitter nötig. Musik ist eben kein Ponyhof. Und ohne das Oevre der "wichtigsten Folkrock-Band Englands" zu kennen - "Meet You There" ist allenfalls als Karikatur einer Folkrockband zu sehen. Allerdings eine durchaus gelungene Karikatur. John Jones (!) hat eine anheimelnde Stimme, klagt über die Liebe und das Leid. Und nebenher dudelt das gesamte Ensemble der Lord of the Dance - Ortsgruppe Neumünster-Einfeld. Ich war im Camelot-Spielshop genau einmal. Der wurde inzwischen dicht gemacht. Wo jetzt Warhammer gespielt wird, ist mir unbekannt. Unter umständen dort, wo noch die Oysterband aufgelegt wird.

Dass das Burning Heart Labelrooster mal eine deutschsprachige Indie-Pop-Band aufweisen würde, war wohl auch nicht abzusehen. Team Blender heißen die und machen Befindlichkeits-Pop mit kuschelweicher Stimme und abgeschliffenen Gitarren. Die nette Barbara Hanff singt von netten kleinen Gefühlswelten und drückt sich anschmiegsam an das CD-Laufwerk. Tut nicht weh, ist aber auch nicht besonders aufregend. "Lügen" klingt aggressiver, "Allein" klingt melancholisch, das Album heisst "Erstmal Für Immer", also muss es auch nach Konsens-Musik klingen. Dass das manchmal arg in Rosenstolz und Juli Gefilde abdriftet, liegt wohl vor allem an Sängerin Barbara, deren Stimme manchmal wie hinter einer dicken Plexiglasscheibe dumpf hervordringt. Die Band allein hätte sich wohl eher dem typischen Indie-Rock hingegeben. Aber so ist das eben mit dem Konsens: irgendwann ist Stagnation unvermeidlich. Aber schon mit dem zweiten Album?

Wer Popmusik so auf die Spitze treibt wie die Band Perle, der muss sich nicht wundern, wenn nachher die Schnürsenkel zugenotet werden und die Schulbücher im Mülleimer landen. Immer geht es um Glück, mal kommt es, mal geht es. Immer aber bleiben Perle da, leiern sich mit ihrer müden Rockmusik durch den sonnigen Sonntag-Nachmittag und wissen so wenig zu begeistern wie eine Stunde Steineschmeißen an der Elbe. Dazu gibt es 21 (!) Songs, einige mit gleichen Titeln (dreh dich weiter 1, dreh dich weiter 2, dreh dich weiter 3 / schöne astronautin 1, schöne astronautin 2), die meisten mit der immer wiederkehrenden, naiven Art, aus Lounge- gleich mal Popmusik machen zu wollen. Und die Tatsache, im Jahr 2003 einen Guerilla-Auftritt als "Zeugen Maffays" hingelegt zu haben, bei der später am Abend auch Barde Peter Maffay voller Begeisterung selbst auf die Bühne trat, all das trägt auch nicht zur Erheiterung bei. "Perle kommt" heisst das Album. Wie der Text endet, lässt sich erahnen. Müde Kalauer an einem trostlosen Nachmittag...

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