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Junges Glueck l Matula

Raus Aus Flüsterleben l Kuddel

Junges Glueck. Matula. Zwei Beispiele für den "Sound Of Hamburg", der eben längst auch von Wahlhanseaten / Zugezogenen definiert wird. Und auf diesen beiden Platten einmal gesetzter und undurchsichtiger, einmal ungehobelt und direkter inszeniert wurde. Doch trotz objektiver Gemeinsamkeiten, wie den deutschen Texten über ebenso persönliche wie berührende und unpeinliche Gefühlswelten- Alltagsanekdoten, sind die zwei Bands eigentlich ziemlich unterschiedlich. Um ehrlich zu sein: Die einzige Begründung beiden zusammen eine Betrachtung zu widmen, hängt dann doch mit ihrer derzeitigen Heimatstadt zusammen.

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Junges Glueck haben in der Vergangenheit schon ein rühriges Album aufgenommen, mit den Nachbarn von Janka gekuschelt und bringen die Forderung des Titels ihres neuen Werks kaum überzeugend herüber: "Raus Aus Flüsterleben" darf jedenfalls nicht als klares Statement verstanden werden. Dafür transportieren die zwölf Stücke zu viele Unsicherheiten, zu viele Zweifel. Dafür hat man sich vom deutlich direkteren Material des Vorgängers viel zu weit entfernt. Dafür braucht das Album zu viel Zeit, um in seiner Ganzheit überrissen zu werden. Dafür wurden die bisherigen musikalischen Dissonanzen zu elegant auf die Inhalte übertragen. Denn was bei den ersten Hörkontakten noch unspektakulär wirkt, entpuppt sich bei näherer Beschäftigung als frappierend tiefgründig und komplex. Dass sich Junges Glueck dabei nicht auf eine Stimmung festlegen wollen, sorgt zusätzlich für Verwirrung: Das reduzierte Stück "Am allerletzten Tag" beispielsweise macht bei eingehender Betrachtung nicht als melancholische Ballade Sinn, sondern als tieftraurige Konfrontation mit der Vergänglichkeit. Beim bewegenden Ausklang in "Verschlungen" genügen Stimme und Gitarre von Niclas Breslein, um das tatsächlich deutlichste Statement über den aktuellen Stand von Junges Glueck zu formulieren: "Raus Aus Flüsterleben" stellt allen offenkundigen Vergleichsversuchen unauffällig ein Bein; alle Beteiligten haben sich nach neuerlichen Wechseln in der Besetzung auf den Weg gemacht: Und dabei eine reizvolle Abzweigung genommen, die so gar nicht in der Karte zu finden war.

Bewertung: 8 von 10 Sternen / Spielzeit: 43:31 / Independent


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Tja, Vergleiche. Die sind im Falle Matula vielleicht schneller zitiert, als den Beteiligten recht sein dürfte. Oder auch nicht, denn "Kuddel" wird mit eben jener eigenwilligen Form des "Erzähl-Punkrocks" vorgetragen, wie man sie sonst halt nur von Oma Hans oder Turbostaat kennt und schätzt. Und doch tut man den zehn Tracks mit solchen Abstempel-Aktionen unrecht, ließe man diese Behauptung einfach so stehen. Schließlich verfügt das Material des Debüts über ein ziemlich eigenes Charisma; übrigens nicht nur, weil die Musik in so wunderbar raubeiniger Machart vorgetragen wird, dass die an sich simplen kompositorischen Strickmuster einfach in Vergessenheit geraten. Dafür wird Platz für zwei andere Un-Wörter: Energie und Intensität; beide sind hier zur genüge vorhanden. Woran alle vier Bandmitglieder gleichermaßen beteiligt sind: Vielleicht lässt sich daran das fraglos vorhandene, besondere Etwas dieser jungen Band festmachen. Mag Tobbe an sich gar nicht singen können, harmoniert sein eindringlicher Sing-Sprech-Stil doch hervorragend mit den beiden minimalistischen Gitarren und der treibenden Rhythmusarbeit. Das Resultat macht den Eindruck, als wäre dafür die Grundskizze eines Jawbreaker-Songs auf ein zerknittertes Butterbrot-Papier abgepaust worden. Genau dadurch packt der eigenwillige Reiz dieses Ansatzes den Hörer: Allen voran "Agenda s.c.h." und das famose "4.8 Milliarden" sind Tracks, die einem nicht mehr aus dem Ohr wollen. Aber Obacht: Zeilen wie "Ich fühle mich wie ausgekotzt und dabei nicht mal gut durchgekaut" führen auf die falsche Fährte. Die Geschichten um und mit "Kuddel" sind keine Eintragungen ins Phrasenbuch, sondern entfalten nur im Kontext des Songs ihre ganze Größe: 27 Minuten lang und dann - bestimmt nicht - "aus". Einen Extrapunkt für die bildhübsche Aufmachung gibt es noch dazu.

Bewertung: 9 von 10 Sternen / Spielzeit: 27:18 / Punkrock

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