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Man Vs. Nature

Mould < > Mouth

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Saftkugler Unlimited heißt das neue Label aus Köln und schmeisst mit seiner ersten Veröffenlichung "Man vs Nature" gleich mal einen dicken Batzen schwer verdaulichen Wahnsinn in den musikalischen Ring.
Es bleibt dabei: wer sein Label Saftkugler nennt, kann grundsätzlich schonmal keine Musik machen, die sich an gegenwärtigen Strömungen reibt. Auf "Mould <> Mouth" erinnert alles an - ja, an gar nichts. Wirre Klanglandschaften wabern da bei "Manslave" durch den Raum, ein nervenzerfetzendes Blasintrument eiert sich durch den Aufnahmeraum, Sänger Raouf D. Khanfir flüstert und krakelt sich schleichend vorwärts. Immer hängte die Musik zwischen etwas Noise, kleinen Jazzpassagen, ganz kaputter Elektronik und einer Menge undefinierbarem fest. Wer sich "Mould <> Mouth" anhören will, braucht nicht nur Zeit, sondern auch eine gehörig große Portion Abgebrühtheit. Mit den Hörgewohnheiten bricht die Band jedenfalls. Davon zeugen bereits die Songtitel: "Teach me the pigeon, mr. smith", "Inattractive dressing habits" oder "Gabel + Mann". Am besten ist die Band immer dann, wenn sich die wirren Klanglandschaften mal gehen lassen und nicht immer wieder die Handbremse ziehen, wie bei "Gabel + Mann" etwa. Es bleibt also dabei: wer sein Label Saftkugler nennt und seine Band darüber vertreibt, muss sich zwangsläufig ganz weit draussen befinden. "Die Zeit pfeift durch die Löcher". Und auch noch God Bullies covern? Na dann.

Bewertung: 7 von 10 Sternen / Spielzeit: 40:42 / Independent

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Man vs Nature

Was genau ist eigentlich ein Saftkugler?
Raouf D. Khanfir (Labelgründer und "Man vs Nature"-Frontmann): Saftkugler (Glomeriden) gehören zur Familie der Tausendfüßler. Sie sehen aus wie Asseln, sind häufig aber viel breiter, glänzender und tragen wesentlich mehr Beine. Saftkugler können sich zu einer vollkommenen Kugel einrollen. Um sich vor Feinden zu schützen, geben Saftkugler stark riechenden, giftigen Wehrsaft ab. Der Saftkugler wurde übrigens vom Umweltzentrum Waldschule Cappenberg zum Wirbellosen Tier des Jahres 2006 gekürt.

Wie und unter welchen Umständen kommt man auf die Idee ein Label zu gründen? Und das auch noch Saftkugler zu nennen?

Raouf: Vor ein paar Jahren stand ich unter der Erde in einem Club, und auf der Bühne standen JESUS LIZARD. Dave W. Sims schielte wie üblich über die Köpfe hinweg und ich schaute nach oben, um zu sehen, was er sieht. So bemerkte ich nicht, dass David Yow die Bühne verlassen hatte und mittlerweile direkt vor mir stand. Als ich ihn sah, war es bereits zu spät. Er sprang an mir hoch und hielt sich an mir fest, die Beine um meine Taille, die Arme um meinen Hals geschlungen. Sie spielten irgendwas, ich weiß nicht mehr, Killer MacHann vielleicht. Er sang weiter, war ziemlich leicht und roch angenehm nach Seife. Ich hielt ihn hoch. Er sagte: „Thank you, my dancing partner.“ Er sagte: “Raise your own business, man.“ In einer Ecke rollte sich eine Assel zusammen. Yow blickte das Tier an, in einer Mischung aus tiefer Traurigkeit und Bewunderung, dann sagte er: „Call it Saftkugler Unlimited!“ Es dauerte eine Zeit, aber dann tat ich wie mir geheißen.
Silke Peters: In meinem Brötchenjob verkaufe ich Dinge, die keiner haben will. Das erfordert viel Energie und irgendwie lernt man dabei auch was. Ich hatte Lust, dieses Können für etwas zu nutzen, was mich wirklich interessiert. Nur so kann ich den anderen Job überhaupt weitermachen.

Labelgründung heute: Perlen vor die Säue und finanzieller Wahnsinn? Oder dringende Notwendigkeit?
Raouf: Eher „Perlen vor die Säue“! „Dringende Notwendigkeit“ wissen wir nicht, es gibt eh von allem zu viel, wahrscheinlich auch zu viele Label. Über so etwas wie das allgemeine Musik-Business hat sich Saftkugler Unlimited bisher wenig Gedanken gemacht, einfach weil es uns dann vielleicht nicht geben würde. Und dann säßen wir jetzt nicht in einem Edinburgher Café und hätten Spaß dabei, deine Fragen zu beantworten.

Wie genau sieht Saftkugler aus? Hierarchische Strukturen? Chefetage? Mindestlohn?
Raouf: Saftkugler Unlimited ist die Geheimexistenz der Eheleute Silke Peters und Raouf Khanfir, im normalen Leben mehr oder weniger respektable Existenzen. Und sie haben Geschäftsfreunde, allen voran Dietmar Bosch von Allscore, einem Stuttgarter Label, dass sich solchen Projekten wie Soundtracks alter Edgar Wallace- und DEFA-Filme oder Hits aus 40 Jahren englischer Fußballgeschichte widmet. Für ihre Zwecke nutzen sie die fantastische Vertriebstruktur von Indigo. Saftkugler-Produkte können aber auch direkt bei www.saftkugler.eu erworben werden. Der Erlös geht zu 100 % in die Produktion neuer, immer innovativerer Saftkugler-Produkte. Derart dynamische Firmenpolitik schließt Hirngespinste wie „Mindestlohn“ selbstredend aus.

Gibt es eine inhaltliche Ausrichtung? "Man vs. Nature" und "Electric Beatniks" unterscheiden sich ja schon arg.
Raouf: Nein, Saftkugler Unlimited hat erstmal keine inhaltliche Begrenzung. Wir werden sicher nur etwas veröffentlichen, das uns gefällt. Das ist das einzig Ausschlaggebende. Was die nächste Veröffentlichung sein wird, wissen wir noch nicht, allerdings wollen wir das Cover-Artwork (Digipacks aus selbst bestempelter Pappe) beibehalten.

Langfristiges Ziel von Saftkugler?
Raouf: Wir arbeiten an einem Zeppelin in Saftkuglerform, der zur nächsten Popkomm über Berlin schwebt. Langfristig soll das Familienunternehmen von unserem Nachwuchs übernommen und zu ungeahnter Größe geführt werden, bis dahin machen wir noch ein paar nette CDs, vielleicht Vinyl, mal sehen.

Letzte Frage: Was ist eigentlich Punk?
Raouf: Das wäre mal ein langfristiges Projekt für Saftkugler Unlimited: eine Paperbackreihe (natürlich selbst bestempelt) von 1-4 zum Thema Punk (Musik, Mode, Gesellschaft, Persönlichkeiten). Punk ist ein Wort, das man vielleicht besser nicht benutzt, um die Musik einer Band wie Man vs. Nature, die weder irgendwie nach Ramones, noch irgendwie nach The Exploited klingt, zu beschreiben. Aber Punk hört sich für uns immer noch besser an als Indie, Emo (ohgottohgott!), Alternative, Noise, etc.

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