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MISC - Mai 2007 | #05

Bastian Streitberger: Top Of The (POP UP 2007

mit: Faraday l The Valkyrians l Wortfront | Ellen Klinghammer

Die (POP-UP 2007 in Leipzig war für die Sellfish-Redaktion absolutes Neuland - konnte man doch im Vorfeld weder Nutzen noch Kosten so recht abschätzen. Zurückblickend können wir diese Bedenken aber zerstreuen: Viele, nette Leute, mit denen wir in Kontakt treten durften und von denen wir fleißig Promos und Demos in die Hände gedrückt bekommen haben. Aus dieser Flut gibt es heute meine kleine ganz persönliche Auswahl...

Eine geballte Ladung aus Emo und Postrock laden uns da Faraday aus dem schönen, hohen Norden auf. Mit ihrer Debüt-EP „The Dying Art Of Composure“ (Ratio Records) gelingt es den vier Jungs außerordentlich gut, dynamische Strukturen geschickt in ihrer Dramatik zu arrangieren, dem Höhepunkt zuzusteuern und an ihrem höchsten Punkt brechen zu lassen. Die Beschwörung des Laut-Leise-Moments, die geduldstrapazierende Entzerrung von Melodien, das Spiel mit süßen Pop- und Rockelementen kombiniert mit berstenden Gitarrenwällen, instrumentalem Zwischengas und krachenden stimmlichen Ausbrüchen: Große Momente für eine so junge Band, die es auf dieser 6-Track-Scheibe in Albumlänge schafft, alle Künste und Kniffe des modernen Postrock zu vereinen. Angst, Ödnis, Verzweiflung, Leere, Wut und Energie - all das implodiert in den gelungenen und wohl dosierten (Gefühls-) Ausbrüchen von Melodien, Songkonstrukten und Gesangslinien. Großes Kino und - wenn es nach mir geht - mit Sicherheit eine große Zukunft für die Jungs von Faraday.

„The Spirit auf Ska“ posiert in großen Lettern über der Presse-Info zu „High And Mighty“, dem Album der finnischen Combo von The Valkyrians (Pork Pie / Broken Silence). Nicht zuviel versprochen, wie sich relativ schnell zeigen wird. Die Mischung aus klassischen Ska- und Reggae-Klängen in Verbindung aus Rock Steady und 2Tone lässt wahrlich die Sonne aufgehen. Die Gefühle gehen spazieren wenn das Quintett aus Helsinki ihre Trompoete, Violinen, Cello und Saxophone auspacken. Und nicht zuletzt die eigenwilligen aber wie-Faust-aufs-Auge-passenden Vocals zaubern auch beim letzten das Sonnen-Feeling ins Gesicht. Das Gesamtpaket erinnert irgendwie an das neue, gediegene Album der Mad Caddies - ohne aber seinen eigenen Style und Charakter missen zu lassen. Mit der ihnen ganz eigenen Dynamik vielleicht etwas abgefahrener, aber auch mitreißender. Wem das noch nicht reicht, der findet auf der schön aufbereiteten DigiPak-Version von „High And Mighty“ zudem noch Bonus Tracks und ein Videoclip. Besonders empfehlenswert für alle Genre-Junkies.

Ganz schwere Kost dagegen sind Wortfront, dem „literarischen Duett“ um Sandra Kreisler und Roger Stein. Das aktuelle Album „Lieder eines Postmodernen Arschlochs“ (Wortfront Records) ist erstmal schwer zu fassen: HipHop, NDW-Sprechgesang spielt mit Klassik-Themen und poetischen Wortergüssen. Klingt verwirrend? Ist so. In den besten Momenten sind das große Momente, wenn harte deutsche Grammatik auf Cello, Piano und Chanson trifft. Wenn sperrige Wort durch sanfte Vocals von Sandra Kreisler abgefangen werden. Wenn Synthesizer-Klänge das dynamische Strophen-Reiten von Roger Stein unterfüttern. Wenn mit Augenzwinkern und Melancholie Poesie in Musik unter Verwendung von Katalysatoren wie Samples und Arrangements verwandelt wird. Immer hart an der Grenze eines Kunst-Milieus, das ich weder greifen noch verarbeiten vermag. Denn manchmal erinnert das auch sehr stark an gekünstelter, aufgesetzter Pseudo-Dramatik mit intellektuellem Anstrich. Klingen doch manche Parts eher so als würde Thomas D. mit Rammstein-Chor und MTV-Unplugged-Begleitung eine Lesung im literarischen NDW-Quartett vollführen. Muss also jeder für sich selbst entscheiden, ob er derartigen „Literarischen HipHop“ verdauen und genießen kann.

Richtig emotional wird es dann erst bei Ellen Klinghammer, die mit ihrem Debütalbum „Holly´s Songs“ (Holly Records/Eigenvertrieb) dank wundersamer Singer/Songwriter-Feinfühligkeit, Jazzigkeit und dramatischer Piano-Unterstützung mit zarter Stimme Gefühle weckt. Das melodramatisch bis frohlockende Debüt der Pianistin aus Frankfurt glänzt in seiner Mischung aus Blues, Jazz, poppigen Elementen, elektronischen Hintergrundspielereien und dynamischem Vortrieb ohne die Schönheit und Klarheit von Poesie und Melancholie in den Hintergrund zu drängen. Ein ernstes, beängstigend ausgereiftes Album der erst 24 Jahre alten Ellen Klinghammer, die im Fahrwasser von Genre-Ikonen wie Norah Jones oder Tori Amos schon einiges an Staub aufgewirbelt hat - und das in Zukunft mit Sicherheit auch tun wird. Ein Kleinod, das mir ohne die (POP UP wohl gar nicht in die Hände gefallen wäre. Dafür allein hat es sich also schon gelohnt.


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