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Digitalism | Simian Mobile Disco

Idealism | Attack Decay Sustain Release

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So langsam dürfte es auch auf der hinterletzten Musikschulbank angekommen sein: Elektronische Musik hat die Clubs zurückerobert. Selbst die kleinste Indie-Butze darf wieder ungezügelt bratzige Beats und flirrende Synthies durch die Anlage nudeln. Zwei Duos stechen dabei besonders hervor: Simian Mobile Disco und Digitalism.


Das Gute an einem Revival ist selten die Geschichtsklitterung. Daft Punk und Chemical Brothers gelten wieder als die heiligen Kühe elektronischer Clubmusik. Vergessen wird dabei, dass sowohl "Human after all" als auch "Push the Button" nicht gerade der Weisheit letzter Schluss waren. Weil aber allem Anschein nach wieder ein großes Bedürfnis nach stampfenden Bässen und Beats herrscht, braucht man ein paar leuchtende Ikonen, um deren Nachgeburten ordentlich einstufen zu können. "Klingen wie Daft Punk? Geil, leg ich auf!" Dass man angesichts dieser Entwicklung aber nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen muss, zeigt ganz einfach die Klasse der neuen Protagonisten einer wieder erstarkten Szene, die eigentlich keine ist. Grund: Sowohl Digitalism als auch Simian Mobile Disco haben das Prinzip Achterbahnfahrt auf Albumlänge perfektioniert.

"Idealism" zeigt auf beeindruckende Weise, dass die Evolution elektronischer Musik inzwischen soweit vorangeschritten ist, dass man, wenn man nur ein bischen Hirn im Kopf hat, aus einem schier unendlichen Fundus an Stilarten schöpfen kann. Auch wenn mir das Duo Digitalism da wiedersprechen wird: es ist einfach, bei diesem Ideenreichtum ein homogenes Album zusammenzufrickeln. Wenn man erstmal eine Trademark, eine Handschrift hat. Digitalism haben diese Handschrift. Die erinnert zwar in ihrer zackigen Kühle unweigerlich an Daft Punk (und weniger an Chemical Brothers). Human after all sind sie trotzdem, schließlich zeigen die Hamburger Jens Moelle und Ismail Tuefekci ihr Gesicht sowohl auf Zeitschriften-Covern als auch im Booklett ihres Debüt-Albums. Keine Moped-Helme, kein klinischer Robot-Walk. Es regiert das menschliche Bedürfnis nach Ausgelassenheit, Selbstvergessenheit - auch, ja, Hedonismus. Und wenn der Idealismus dieses Albums tatsächlich Hedonismus bedeutet, dann umso besser. Sich in diesem Bad aus Electro, Techno, Electroclash und Synthie-Rock zu verlieren ist wahrlich keine Schande. Schon der Opener "Magnets" schießt ab Minute 2:30 so dermaßen in den Orbit, das man willkürlich die Handbremse ziehen möchte. "Zdarlight" ist ebenfalls vertreten (und gilt schon jetzt als die Clubhymne der letzten Jahre). Die erste Single "Pogo" braucht nichtmal 15 Sekunden, um selbst zu den porösesten, skorbutgetränkten Kniegelenken muffeliger Indie-Hörer vorzudringen. "Idealism" dürfte das Konsens-Album des Jahres werden, weil es alles vereint: das Bedürfnis nach klinischer Perfektion, aber auch nach der menschlichen Wärme einer tanzwütigen Meute.

Simian Mobile Disco stehen dem eigentlich in nichts nach, verbeugen sich vor den Chemical Brothers ein wenig deutlicher als vor Daft Punk. "Sleep Deprivation" ist ein sphärisch-bedrohliches Ungetüm. Eigentlich unglaublich, dass die Band als Simian mal belanglosen Elektro-Rock gemacht hat. Das hier jedenfalls ist eine ordentliche Absage an den früheren Sound und es verwundert schon ein bischen, woher die beiden die Energie nehmen. Vielleicht aus dem Sommer-Club-Spektakel-Hit "We are your friends", den Simian gemeinsam mit Justice aufnahmen und das heute wohl als die Trendwende angesehen werden kann. Von da an war klar, dass James Ford und Jas Shaw allein weitermachen würden. Zum Glück. So wurde dem geneigten Clubgänger ein Album kredenzt, dass Acid House, Electroclash, Rave und Soul mixt - und damit gleich mal ein Referenzwerk auf den Musikmarkt wirft. "Attack Decay Sustain Release" walzt den Schlachtruf "We are your friends" zum einem homogenen Album aus. Und das funktioniert. Die Single "It's the Beat" wartet mit Go! Team Frontfrau Ninja auf, ist dabei aber noch nichtmal das Beste, was "Attack..." zu bieten hat. Das wartet in Albummitte, nennt sich "Tits & Acid" und lötet bratzigen Techno, Acid House und Electro aneinander, dass es eine wahre Freude ist.

Simian Mobile Disco oder Digitalism? Lieber beides und das die ganze Nacht. "It will work on any dancefloor".

Bewertung: 8 von 10 Sternen / Spielzeit: 53:03 / Electro
Bewertung: 8 von 10 Sternen / Spielzeit: 36:45 / Electro



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