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MISC - Oktober 2007 l #01

diesmal: somewhereinbetween Elektro_HipHop_Soul

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Diesmal mit:

58Beats Armamda | Booka Shade | Simphiwe Dana | The Dynamics | Marteria | Public Enemy | So & So uvm.

Wenn da 'mal Deichkind mit der Entwicklung ihres Post-HipHop-Prolo-Elektrosounds nicht eine gesunde Vorreiterrolle eingenommen haben: Auf 80's Flashback (Virgin Music) trifft sich so ungefähr alles, was in "'schlands" HipHop Rang und Namen hat. Die Mission: Simple Elektro-Beats über dem Verfallsdatum zu reanimieren. Und dazu textlich ein gigantisches Klischee-Schwein mit Phrasen zu füllen, deren Inhalte nah am schwer erträglichen sitzen. Aber was soll's? Die 14 Tracks bringen immerhin die tristesten Tupper-Partys dazu, dass leicht bekleidete Damen zur neu gefundenen Einigkeit zwischen Hamburg (Das Bo, Absolute Giganten, Samy Deluxe), Berlin (Sido), Stuttgart (Afrob) und H.P. Baxxters Dorfdisco-Parolen auf die Barrikaden gehen. Einzige elegante - und nicht unerhebliche - Tatsache am 80's Flashback: Die Tracks wurden allesamt dreist umarrangiert. Highlight: "Sturm & Drang" mit Dendemann und Jan Delay, ein Remake von Tears For Fears "Shout". Oder: "I Need Love" von LL Cool J, welches Sido mit dem ihm un-eigenen Charme in "Ich brauch Schlaf" umdichtet. Ehrlich gesagt: Das ganze ist genau so kaputt wie groß.

Vor beinahe zehn Jahren eigentlich als Releaseplattform von Main Concept für deren (Split-)Singles angelegt, mauserte sich das Münchner Label 58Beats mit ebenso ausdrucksstarken wie mutigen Signings innerhalb der letzten Monate zu einer interessanten Plattform für einheimischen Rap: Die jüngst unter der Banner 58Beats Armada veröffentlichte Compilation "...Haben Wir Nicht Nötig" (58Beats/Groove Attack) bringt Neu- wie Quereinsteigern nun einen eleganten Überblick - schmackhaft angerichtet mit jeder Menge exklusivem bzw. unveröffentlichtem Material. Darunter die auf diesen Seiten hochgelobten Creme Fresh, Vierzueins, Minute, Rekless sowie natürlich Main Concept samt deren Produzenten Glam. Am Titeltrack wirkten sogar fast alle Interpreten mit; und unterstreichen so eindrucksvoll die "familiäre Atmosphäre" im Hause 58Beats. Und selbst wenn der erste Eindruck von Blumentopf' Schu mit Janna, "Komm Mit", enttäuschend hüftschwach ausfällt: 58Beats dürften die Company sein, welche dank eines enorm starken Band-Rasters das Gesicht des deutschen HipHops in den kommenden Jahren entscheidend mitprägen wird. Dieses Vorbereitungssemiar gibt's zwar nicht zum üblichen Labelsampler-Ramschpreis... dafür bekommt man aber eben auch einiges mehr geboten.

Booka Shade sind Arno Kammermeier und Walter Merziger sind Get Physical. Alles klar? Jedenfalls dürften die beiden Produzenten mit zwei Alben im Rücken und eigener Labeltätigkeit offenbar nicht genügend ausgelastet sein. Beziehungsweise verspüren einfach die Lust, via der anerkannten Plattform "DJ-Kicks" (!K7/Rough Trade) ihren ausgewählten Musikgeschmack zu demonstrieren. Hier wird nun also weder geremixt noch ganze Tracks gebastelt, sondern es geht um eine Zusammenstellung. Deren Spannungsbogen über 70 Minuten tragen muss. Doch selbst wenn das Duo in diesem Metier - zumindest kommerziell - noch keinerlei Referenzen vorweisen kann: Nicht zuletzt durch die Vielschichtigkeit des ausgewählten Materials wird Kurzweiligkeit garantiert. Die Interpretenriege reicht dabei von The Streets über John Carpenter bis hin zu Aphex Twin. Alles gepackt in ein schlüssiges Sound-Gerüst aus Elektronika, House und sogar Pop. Demonstration gelungen.

Sämtliche Nu-Jazz-Bedenken bitte an der Garderobe deines stylishsten Elektro-Clubs abgeben: Cobblestone Jazz mögen ihre Sound-Szenarien zwar nicht gerade mit konventioneller Instrumentierung entwerfen. Dafür steht "23 Seconds" (!K7/Rough Trade) auch viel zu nahe an Club-Stilistiken und Dancefloor-Funktionalität. Reduziert, um Frickeleien einzelner Protagonisten bereinigt, geht das Material von Produzent Tyger Dhula, Mathew Jonson und Danuel Tate ziemlich direkt in die Hüfte. Anstelle Easy Listening-Beliebigkeit werden jedoch Grooves in Fragmente zerlegt und neu positioniert; analoge Drumcomputer sorgen im Gegenzug für eine ebenso warme wie treibende Atmosphäre. Und als Referenz an das eigene Genre: Ein "echter" Keyboarder, perfekt in den Albumfluss integriert. Das Resultat, verteilt auf zwei CDs mit einem Studio und einem Live-Segment, verfügt über Sog-artige Anziehungskraft fernab des Schubladendenkens. Ein echter Space-Night-Aspirant.

Die Musik dieser südafrikanischen Sängerin dürfte sicherlich nicht nur für World Music- und Jazz-Konsumenten interessant sein. Schon aufgrund der stimmlichen, kompositorischen und sogar optischen Parallelen zur wunderbaren Erykah Badu verfügt Simphiwe Dana über das Appeal, jenseits ihrer Heimat (wo das Debüt wie vorliegender Nachfolger bereits mit Grammys überschüttet wurden) Aufmerksamkeit zu erregen. Zumal sich auch die Kompositionen auf "The One Love Movement On Bantu Biko Street“ (Skip Records/Gallo) nicht auf klassische Stilistika-Rasterungen limitieren lassen. Ihre tief im afrikanischen Soul verwurzelte Musik lässt durchaus Referenzen zu gewissen HipHop-Formationen erkennen; wenngleich man durch die konsequent auf Xhosa vorgetragenen Texte von den Inhalten kaum etwas mitbekommt. Das Ergebnis mag für unsereins auf faszinierende Weise fremdartig klingen. In ihrer warmen, teilweise beinahe sakralen Atmosphäre verfügen die zwölf Tracks jedoch über eine beinahe hypnotische Anziehungskraft.

Ausgangspunkt für diese multinationale, multikulturelle Formation mag der kreative Melting Pot französischer Großstädte gewesen sein. Doch es brauchte nur ein paar 7" Singles, bis The Dynamics bei Vinylfreunden und DJs in ganz Europa und darüber hinaus rezipiert wurden. Kein Wunder, fallen ihre Adaptionen bekannter Hits doch derart stilvoll aus, dass es sich kaum ein Club mit Niveau leisten kann, nicht wenigstens einige der Neuinterpretationen im Jamaica-Style im Repertoire zu haben. Dank "Version Excursion" (GAP/Groove Attack), dem ersten Longplayer, kommen nun auch konventionelle CD-Hörer in den Genuss dieses soul-infizierten Soundcocktails. Für die erste Kontaktaufnahme erweist sich das "7 Nation Army" Cover als prädestiniert: Reggae-Elemente, ein dubbiger Groove und samtweiche Vocals machen aus dem White Stripes Rocker einen smoothen Tanzbodenfeger. Ähnliches gilt für Dylans "Lay Lady Lay" oder die obligatorischen Prince- und Curtis Mayfield-Huldigungen: Allesamt in ein Afro-Latin-Disco-Rootsrock-Gewand gepackt, welches sich als roter Faden durch die 15 Tracks zieht. Oder, wie es in einem Forum zu lesen war: "Yes, they only do cover versions… Who cares: they are good!".

Marteria leidet zwar unter dem genrespezifischen Größenwahn, sein entsprechend klischeelastig betiteltes Album "Base Ventura" (Magnum 12/Groove Attack) allerdings überrascht mit einigem für den deutschen HipHop unerwarteten Grenzgängen. Gerade dann, wenn man sich über Sexismus und Gangsta-Gehabe des Berliners auslassen will, pariert Marteria mit einer famosen Portion Selbstironie. Gerade, wenn man sich über seinen etwas gemächlichen Sprachflow ärgern möchte, liefert er verbale Glanzleistungen. Gerade, wenn man angesichts der typischen Drogen-Glorifizierungen abkotzen will, wird das Ganze richtig witzig. Zudem läuft der Protagonist nicht gerade Gefahr, sich irgendwelchen Chart-Anbiederungen zu unterwerfen: Denn viel mehr als Raps, Bass und Beats, durchaus angelehnt an charismatische US-Produktionen, lassen sich unter den 17 Tracks (welche in gerade einmal vier Wochen entstanden) kaum herausfiltern. Also: Wer mit dem Schlimmsten rechnet, der könnte eine echte Offenbarung erleben. Doch trotz Jan Delay-Heiligsprechung des Interpreten: Wer mit HipHop - noch dazu in deutscher Sprache - nichts am Hut hat, der dürfte auch mit vorliegendem Material ein mittelschweres Problem haben.

Skepsis ist angebracht angesichts der aktuellen Verfassung von Public Enemy. Aus dem einfachen Grund, weil sich mit Flavor Flav ein gewichtiger Teil der sozialkritischen, anti-amerikanischen Rap-Institution mit einer Vehemenz an MTV verkauft ("Flavor Of Love"), dass einem angesichts des dümmlichen Sexismus prompt das Kotzen kommt. Dazu gesellen sich seit geraumer Zeit halbgare Live-Veröffentlichungen, welche allesamt etwas lieblos zusammen geschustert wirkten. Umso überraschender, als "How You Sell Soul To A Soulless People Who Sold Their Soul???" (SlamJam Recordings/Cargo) mit einem verdammt gelungenen Oldschool-Paket aufwartet. Die Zelebrierung des 20-jährigen (!) Bestehens der seit geraumer Zeit zu hundert Prozent unabhängig veröffentlichenden Rap-Formation kann nämlich als absolut gelungen bewertet werden. Songs wie der Titeltrack, "Sex, Drugs & Violence" (feat. KRS-One) oder "Harder Than You Think" sind derart voller Ideen und Energie gepackt, dass man die schier unendliche Schaffensperiode von Public Enemy kaum erahnen kann. Allein den gelegentlichen Crossover-Referenzen ("Black Is Back" ertönt im klassischen Run DMC Style) kann ich auch im Retro-Gewand nichts mehr abgewinnen. So oder so feiern Chuck D und Konsorten hier jedoch ein äußerst geglücktes Comeback.

War ein paar Zeilen weiter unten vom nicht ganz geglückten Quasi-Blumentopf-Comeback (Schu & Janna) die Rede, folgt entsprechender Sound-Nachschub stattdessen aus dem einheimischen Untergrund: Parka und Jotka alias So & So haben mit "Von Außen" (Yeotone/Bella Musica) jedenfalls das Zeug dazu, die gemischtgeschlechtliche Fanschar der Münchener auf ihre Seite zu ziehen. Die Baden-Württemberger mögen zwar auch mit Debüt und EP (seinerzeit noch unter dem Titel „Auftakt“) im Rücken noch nicht vielen Heads etwas sagen, spätestens dank dem vorliegenden Album und einigen Support-Shows für die kongenialen Kinderzimmer Productions sollten sich ihre Qualitäten schnell herumsprechen. Welche da sind: Relevante, ironische und persönliche Texte, die nicht auf Klischees angewiesen sind. Dazu soulig-poppige Hooks, mit denen das Duo recht geschickt über die nicht immer ganz so dicken Beats hinwegrettet. Auf dem richtigen Weg zu Helden wie Talib Kweli oder Nas ist man allemal. Dazu immer wieder: Blumentopf, insbesondere deren Frühphase ("Die Bombe feat. Meni"). Womit einmal mehr ein kleiner, aber feiner Kontrapunkt zur sonst so US-devoten Marschrichtung im Rap hierzulande gesetzt wird.

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