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MISC - Oktober 2007 l #07

Hart und härter: Rock/Punk/Metal/Core

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Diesmal mit:

The Pretty Things | The Duskfall | Japanische Kampfhörspiele | Maroon | October File | Shatter Messiah | Threshold uvm.

Ein echter Dinosaurier des Rock eröffnet diese Rubik: Bald ein halbes Jahrhundert alt. Würdevoll. Erhaben. Und schmutzig. Mit The Pretty Things werden die Wurzeln von Glitterhouse-Bands wie den Great Crusades freigelegt. Um sie im Anschluss gleich wieder mit dem Staub zu bedecken, welchen die 13 Songs hinterlassen. Schon der Opener alleine drängt mit einer Präsenz ins Bewusstsein, als wären die sechs Herren mit ihren schwarzen Sonnenbrillen niemals weg gewesen. Denn die Briten spielen nicht nur Rock'n'Roll, wie er sein muss. Sie leben ihn auch. In dem Line-Up, wie es 1966 einmal losging. Nur noch ergänzt um eine weitere treibende Kraft. Trotz mehrstimmigen Vocals, Keyboards, Banjo und Percussion: Die Basis bleibt rudimentärer Rock. Was als Abspaltung der Rolling Stones begann, wurde längst selbst zu einer Institution. Die anstelle von Stadien derzeit eben wieder in Clubs spielt. Genau da gehört diese Musik auch hin. Und mit ihr lebt ein Genre weiter, welches schon so oft totgesagt wurde. Doch selbst wenn auch die Stimmung von "Balboa Island" (Cote Basque/Soulfood) eher auf der dunklen Seite zu suchen bleibt: An der Vitalität der Pretty Things besteht auch 2007 kein Zweifel.

Abermals für Genreverfechter unverzichtbar dürfte diese schwer knallende, unüberhörbar schwedische und mit mächtig Pfeffer gewürzte Mischung sein: The Duskfall überzeugen mit der technischen Finesse von The Haunted, dem Rock'n'Roll-Spirit von The Crown sowie modernen Nu-Thrash-Zitaten a lá Darkane. Der Fünfer rekrutiert sich teilweise aus ehemaligen Gates Of Ishtar-Mitgliedern und hat seine Elchtod-Lektion spätestens dank dem gefeierten Vorgänger "Lifetime Supply Of Guilt" mit Diplom bestanden. Fesselnde Brecher wie "The Wheel And The Blacklight" jedenfalls dürften auf den anstehenden Liveshows ganz schön für Wirbel im Pit sorgen. Und auch wenn die feinen Melodielinien der Vorgänger auf "The Dying Wonders Of The World" (Massacre Records) nicht ganz so exquisit ausfallen, nimmt man es mit genannten Mitstreitern durchaus auf. Das Leadgitarristen-Doppel Lindholm/Sandorf (ex-Gitarrist Kai Jaakola konzentriert sich mittlerweile nur noch auf die Vocals) schießt zudem eine Göttergabe nach der anderen aus der Hüfte; immer angepeitscht vom ruhelosen Drumtier Oskar Karlsson (der schon im Opener "Paradieses Into Deserts" einen fulminant spannenden Einstand feiert). Oben drauf schließlich gesellt sich zum starken Songmaterial noch eine nahezu perfekte Daniel Bergstrand-Produktion sowie ein adäquates Artwork. Schade eigentlich, dass über die neun Tracks des vierten Duskfall-Longplayers in der Promoversion ständig darüber geplappert wird...
Und wo wir gerade dabei sind, sei an dieser Stelle noch an die stilistisch äußerst ähnlichen Engel hingewiesen. Die Schweden rekrutieren sich aus ehemaligen Gardenian-, Evergrey- sowie The Crown-Mitgliedern. Und ziemlich exakt so, addiert um eine dezente Neo-Thrash und Gothic-Note, klingt auch ihr Debüt "Absolute Design" (Steamhammer/SPV). Durchaus ansprechend also; und wer Gelegenheit hat, den Herren auf der anstehenden Atreyu-Tour einen Besuch abzustatten, dürfte diesen Eindruck bestätigen.

Zusammen ist man weniger allein... Dachten sich wohl die geschassten Mitglieder von The Indecision Alarm und Enemy Alliance. Welche in der Vergangenheit bereits mit Adhesive bzw. Satanic Surfers/Venerea (in dieser Reihenfolge) kleine bis größere Erfolge im schwedischen Melodycore-Zirkus der neunziger Jahre feiern konnten. Dabei überrascht der Entschluss durchaus, dass man sich in mageren Zeiten wie diesen zusammenrauft und jeweils noch einmal bei Null anfängt. Schließlich konnte man für die Veröffentlichung der gemeinsamen Split-CD "The New Wind And The Second Wave" (Horror Business/Green Hell) zwar eine ganze Reihe integerer, aber eben auch wenig vertriebsstarker Labels finden. Den jeweils sechs Songs tut das jedoch keinerlei Abbruch: Die halbe Stunde vergeht wie im Flug und hinterlässt beim in die Jahre gekommenen Hörer eine angenehmes "Summer of '98" Gefühl. Diese Herren haben ihre Skatecore-Lektion gelernt, keine Frage.

Nicht zuletzt durch ihren enormen Comedy-Faktor sowie die deutschen Texte gelang es Japanische Kampfhörspiele, deutlich schneller ihre Reputation zu erhöhen als sonst in diesem Genre üblich. Und auch "Rauchen Und Yoga" (Bastardized Records) spielt sich musikalisch wieder ungehemmt auf dem Grindcore-Bolzplatz ab. Vom We Will Rock You-Intro an geht es zwar etwas gemäßigter als in den Anfangsjahren zur Sache; bereits die Vocals der sechsköpfigen Formation decken aber - von tiefen Growls bis zu kehligem Gekreische - die gesamte notwendige Sound-Bandbreite zuverlässig ab. Zudem rekrutiert man seine Gäste nach wie vor aus dem Herzen der Szene: Oder welcher unserer LeserInnen hat schon mal von Zeroed, Aclys oder Hygnose gehört? Und wenn man hinter den neuerdings sogar etwas progressiven Songstrukturen erstmal die Inhalte herausarbeiten konnte, gewinnen die 17 Tracks (samt des krönenden Abschlusses "Verrat Am Metal") zusätzlich an Unterhaltungswert. Abgerundet durch eine famose Aufmachung stehen die Zeichen auf Sturm: Wenn das 'mal nicht das bestverkaufteste Album der Bastardized Recordings-Karriere wird. Zu gönnen wäre es allen Beteiligten.
Es war sicherlich keine leichte Aufgabe sich im einheimischen Metalcore-Zirkus zwischen Größen wie Heaven Shall Burn oder Caliban ein eigenes Standbein zu erobern. Maroon gelingt dieses Vorhaben spätestens jetzt: Durch ein sympathisch assiges Auftreten, mitreißende Liveshows... und nicht zuletzt eine Reihe von überdurchschnittlichen Alben; welchen man mit "The Cold Heart Of The Sun" (Century Media/EMI) ein weiteres Highlight hinzufügt. Diesmal ohne prominente Gästeliste, erweiterte man das bisherige Soundspektrum um einige atmosphärische Momente, um im nächsten Augenblick wieder gnadenlos nach vorne zu dreschen. Der Opener "[Reach] The Sun" zeigt die Nordhausener perfekt in ihrer neu gewonnenen Vitalität: Da wird mit Keyboards gekleistert, frech zitiert und ein fetter Refrain aus dem Ärmel geschüttelt, nur um Augenblicke später wieder den ungehobelten Bastard zu mimen. Eine Grätsche, welche diesmal nicht zuletzt durch Steigerungen im Songwriting-Bereich prächtig gelingt. Somit gilt auch für Traditionalisten: Nicht von der hässlichen Genreschublade abschrecken lassen... die können mehr!
Waren October File bis dato immerhin eine recht nette, etwas derbere Killing Joke-Adaption, laufen die Engländer mit "Holy Armour From The Jaws Of God" (Candlelight Records/Soulfood) endgültig zu Hochtouren auf. Glaubt man anfangs noch eine Anbiederung an den Metalcore zu erkennen, entpuppt sich im weiteren Verlauf die eigentliche Entwicklung der zehn neuen Tracks: Das Quintett agiert überzeugter, aggressiver und atmosphärisch dichter als bislang. Was sich vor allen Dingen musikalisch, zeitgleich jedoch auch in den deutlich direkteren Texten niederschlägt: "High Octane Climate Changer" beispielsweise verpackt die derzeitige Diskussion um den Co2-Ausstoß 'mal eben in ein packendes, fett rockendes Industrial-Gewand. Zu guter letzt hört man an den Gastvocals einen gewissen Jaz Coleman... Der hatte das Talent von October File schließlich schon recht früh erkannt. Und sorgt mit seinem Beitrag für eine gelungene Fusion aus Vergangenheit und Zukunft des Postcore. Überzeugend.

Den Ruf als Nevermore-Nebenschauplatz werden Shatter Messiah wohl auch mit ihrem zweiten Album nicht ablegen können. Warum auch? Lässt es sich im Windschatten von Jeff Loomis doch prima fahren. Und so hält auch "God Burns Like Flesh" (Dockyard 1/Soulfood) acht Grenzgänger zwischen Metal, Thrash und Progressive parat; welche zwar nicht die ganz große Euphorie auslösen, aber doch beweisen, dass Gitarrist Curran Murphy an der Seite von Annihilator und - öhm - Nevermore seine Lektionen gelernt hat. Das durchgehend treibende, fett produzierte Material wird Genreskeptiker sicherlich nicht bekehren; wer sich auf der Suche nach etwas substanzhaltigerer Kost wähnt, sollte aber ruhigen Gewissens ein Ohr riskieren.
Die Zukunft von Threshold scheint plötzlich unklar: Nach einem weiteren famosen Album als Nuclear Blast-Einstand lief den britischen Prog-Metallern der aktuelle Sänger McDermott davon (und wurde kurzerhand durch seinen eigenen Vorgänger Damian Wilson ersetzt). Das Geschehen wirbelte den - kontinuierlich mit einer ganzen Reihe hochkarätigen Veröffentlichungen aufgebauten - Erfolg jedenfalls ziemlich durcheinander. Ein exzellenter Zeitpunkt also, um mit einem Überblick der bisherigen Bandkarriere aufhorchen zu lassen. Diese Aufgabe nahm die langjährige, ehemalige Plattenfirma Inside Out äußerst gewissenhaft wahr. Und so wurde die Doppel-CD "The Ravages Of Time" (Inside Out/SPV) alles andere als eine lieblos zusammengeschusterte Compilation. Vielmehr bieten die 20 Tracks einen perfekten Querschnitt durch die Diskographie; wobei sogar das aktuelle Studioalbum berücksichtigt wurde (wenngleich aus lizenzrechtlichen Gründen dessen Songs hier in behutsam editierter Form enthalten sind). Dazu protzt das Booklet mit umfassenden Linernotes von Trevor Raggatt, Bildmaterial sowie sämtlichen Lyrics. Was am Ende ein schlichtweg großartiges Package ergibt, welches alle Anhänger von (pop-)songorientiertem Progmetal überzeugen wird. Zumindest dann, wenn man sich - Schande! - nicht im Besitz der regulären Longplayer befindet.

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