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MISC - November 2007 l #01

Eklektisch.Elektrisch: HipHop.Soul.Elektronika.Postrock.

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Diesmal mit:

Imani Coppola | Luckyiam | Puscifer | Jill Scott | Special Teamz | Stars Liek Fleas | Twang | Weiss uvm.

Halten wir uns nicht lange damit auf, dass die Hives zufälligerweise zeitgleich mit demselben Albumtitel (in vorliegendem Fall offenbar eine Hommage an Hautfarbe und Musiktypus der Interpretin) am Start sind: Imani Coppola wurde von Ipecac Records - erstmals ziemlich berechnend - als Künstlerin an den Start gebracht, welche dem sich sonst eher auf (reizvollen) musikalischen Abwegen befindenden Label etwas Geld zurück in die Kassen spülen soll. So legt man im Promoinfo von "The Black And White Album" (Ipecac Records/Soulfood) das Werk ausdrücklich den Hörern von Amy Winehouse und Alicia Keys ans Herz. Mit traurigem Resultat: Die beiden Chart-verwöhnten Diven verfügen nämlich über mehr Charisma, als diese bereits seit Mitte der neunziger Jahre (und damals noch auf einem Major) veröffentlichende New Yorker Solo-Künstlerin. Ihre soulful Popmusik mit dezenten HipHop-Ingredienzen wurde zwar recht abwechslungsreich arrangiert, bleibt dennoch aber viel zu unspektakulär. Und markiert deswegen auf seltsame Weise eben doch eine, wenn auch wenig schöne, Überraschung für Ipecac.

Germany’s next Top-Rapper? Nach zahllosen Features auf den Werken und Shows von Kollegen nun also das Solo-Album des ehemaligen Klan-Rappers. Für sein Debüt "Die Stunde Der Wahrheit" (Alles Real Records/Groove Attack) organisierte sich der Mindener unter anderem (nahe liegender weise) Unterstützung seines Nachbars bzw. Tour-Homies Curse. Das Ergebnis bewegt sich im erwarteten Rahmen: Schon beim Quasi-Titelsong "Der Meist Unterschätzte" landet man zum ersten Mal bei altbekannten Oriental-Samples. Und auch sonst strahlen die 19 Tracks nicht unbedingt vor stilistischer Originalität. Aber solide Handwerkskost, darauf versteht sich Germany: Wortgewandt, mit ambitioniert ausgefeilten Produktionen und jenseits von den Soul-Untiefen des Kollaborations-Partner Italo Reno untermauert er die Vermutung, dass sich seine über Jahre in der Szene gesammelte Erfahrung auszahlen dürfte. Insofern: Ein überraschend reifes Werk innerhalb üblicher (musikalischer wie lyrischer) Genregrenzen. Den Künstlernamen muss er mir bei Gelegenheit trotzdem erklären…

Akzente zu setzen gelingt Luckyiam im Vergleich zum vorhergehenden Interpreten wesentlich überzeugender. Denn der MC aus Los Angeles hebt sich ja bereits durch seinen höchstmöglich Szenejargon-untypischen Künstlernamen vom Gros der Konkurrenz ab. Viel wichtiger aber: Musikalisch agiert das Living Legends-Gründungsmitglied bzw. der Mystik Journeymen-Kollaborateur auf "Most Likely To Succedd" (Cornerstone Records/Cargo) auf seinem dritten Soloalbum viel versprechender denn je. Schon die enorm positive Stimmung, welche mit den 13 Tracks transportiert wird, sorgt für ein Alleinstellungsmerkmal. Ohne dabei Rücksicht auf dummdreiste Party-Lyrik irgendwelcher Bling-Bling-Artists zu nehmen, wird hier entspannt-unkomplizierte Lebensfreude vermittelt. Eine mittelfristige Sensation, wenn man hört, dass an dem Material mit u.a. The Owls, Aesop Rock oder Slug einige Referenzgrößen des progressiven/komplexen HipHop mitgebastelt haben. Doch eben durch diese Fusion entstehen enorm eingängige, interessante und spannende Produktionen mit einem Vibe, welcher am ehesten an Künstler wie Common oder (entspannte) The Roots erinnert. Beachtlich.

Schon mit seinem Debüt zu einer Legende des HipHop avanciert, versuchte Nasir Jones seitdem, an diesen Klassiker anzuknüpfen. Mit einmal mehr, einmal weniger Erfolg. Zeugnis davon verkündet die CD "Greatest Hits" (Columbia/SonyBMG), welche die zehn Jahre des US-Rappers bei Columbia Records seit 1994 kompiliert. Zum einen finden sich hier natürlich eine Reihe der genreprägenden Tracks von "Illmatic" (u.a. "It Ain't Hard To Tell", "One Love" und "N.Y. State Of Mind"), welche sich in Album-Form aber zu Recht mittlerweile in jeder Plattensammlung befinden sollte. Der Rest der 17 Song begibt sich jedoch auch teilweise in soulige Untiefen, welche Nas unter anderem mit R. Kelly ("If I Ruled The World") oder Lauryn Hill ("I I Ruled The World") erreichte. Dazwischen immer wieder: Rap in seiner ursprünglichen, intensivsten Form: Als ungehobelte, authentische One-Man-Show. Musikalisch bietet das Werk somit einen durchaus relevanten Überblick, welcher durch zwei unveröffentlichte Songs noch aufgewertet wird. Allein das etwas magere Booklet lässt an das bevorstehende Weihnachtsgeschäft denken...

Pustekuchen. All die hohen Erwartungen wie eine Seifenblase zerplatzt. Dabei hätte man ja schon früh misstrauisch werden können. Zum Beispiel, als das Projekt Puscifer bereits zu Anfangszeiten mit einer Lifestyle-Produktlinie auf sich aufmerksam machten. Oder die Beiträge zu Soundtracks zweitklassiger Actionfilme... Aber was erwartet man von bedingungslosen Fans, welche allein schon dem Kopf dieses Allstar-Treffens vorbehaltlos hörig sind? Schließlich schuf Tool-Chef Maynard James Keenan in seinem Leben bislang beinahe ausschließlich musikalische Klassiker. Und mit Danny Lohner, Brad Wilk oder Alan Moulder kann sich auch der Rest der auf diesem Debüt mitwirkenden Puscifer-Belegschaft mehr als sehen lassen. Aber, was hören wir nun? Bedeutungsschwanger inszenierten Elektrorock; bemüht mystisch und mit progressiver Note versehen. Das Problem dabei: Auf seinen Alleingangs-Trips schuf Mike Patton in den Neunzigern Ähnliches schon tausendfach konsequenter und spannender. Umso schlimmer, als hier mit dem pseudo-provokativen Titel "V Is For Vagina" (SonyBMG) offenbar über die enormen kreativen Mankos hinwegtäuschen will. Schade und überflüssig.

Album Nummer drei der Sängerin, welche für mich auf immer mit dem besten aller The Roots-Songs - "You Got Me" - verknüpft sein wird. Dem sie seinerzeit zwar nicht ihre Stimme lieh (das übernahm Erykah Badu), sondern vielmehr Songwriterqualitäten unter Beweis stellte. Jill Scott aus Philadelphia darf, nicht zuletzt durch diese Kompetenz, schon längst nicht mehr auf die Kollaborateurinnen-Position limitiert werden. Trotz Arbeiten mit Common oder Mos Def steht sie eher in der Tradition von Kolleginnen wie erwähnter Erykah Badu, welche einen selbstbewussten, femininen Platz nahe dem „conscious HipHop“ einnehmen. Als Mit-Initiatorin des typischen Philly-Sounds verschreibt sie sich auch auf "The Real Thing: Words And Sounds Vol. 3" (Ministry Of Sound) dem kontemporären Soul in seiner wohl authentischsten Form. Hier geht es nicht um glattproduzierte Popsongs. Die 17 Produktionen fallen stattdessen phasenweise durchaus anspruchsvoll aus und fusionieren neben typischen Genre-Elementen Versatzstücke aus Elektronik, Jazz und HipHop. Gelungen.

Damit war angesichts des ärmlichen Coverartworks nicht zu rechnen: Special Teamz aus Boston liefern mit ihrem ersten gemeinsamen Album ohne mit der Wimper zu zucken das HipHop-Release des Jahres ab. Zumindest, wenn von Rap im klassischen Sinne die Rede ist macht den MCs Edo G (der auf eine äußerst respektable Solo-Karriere blickt), Slaine und Jaysaun (beide ebenfall nicht gänzlich unbeleckte Veteranen…) niemand etwas vor. So nehmen sie sich mit "Stereotypez" (Duckdown Records/Cargo) nämlich - entsprechend des Titels - auf humorvolle Weise den Klischees ihrer eigenen Szene an. Doch darum geht es nur am Rande: Die 16 Tracks bewegen sich musikalisch schließlich durchaus im üblichen Genrerahmen. Sie sind jedoch derart voll gestopft mit zündenden Hooklines, großartigen Produktionen (u.a. von Pete Rock, Young Cee und DJ Premier) sowie lyrischen Gewandtheiten, dass es eine wahre Freude ist. Und gerade weil das Rad hier zu keiner Sekunde neu erfunden wird: Special Teamz stellen sich mit diesem Werk in eine Reihe mit KRS One, Looptroop oder ihren Labelmates Boot Camp Clik. Im Bonustrack "Gun In My Hand" zusammen mit Hatebreeds’ Jamey Jasta erweist man gar dem neunziger Jahre Biohazard-Sound Referenz. Anspieltipps: „Home 2“, „Three Kingz“ sowie der Titeltrack. Feinste Kost.

Über eine Glitterhouse Frankreich-Verbindung erscheint das zweite Album der Stars Like Fleas mit leichter Verspätung auch bei uns. Das New Yorker Kollektiv, welches über Jahre hinweg nur vor Eingeweihten in heruntergekommenen Kellern irgendwelcher Brooklyn-Hochhäuser spielte, sollte mit "The Ken Burns Effect" (Talitres Records/Rough Trade) endlich eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Als Geheimtipp gehandelt, offeriert der schwer greifbare Sound zwischen Indie-Pop, Singer-Songwriter-Momenten sowie zahlreichen noisigen, teils elektronischen Effekten ein apokalyptisches, ergreifendes Konzept, welches trotz immenser Ambitionen Mühe haben wird, erwähnten Status zu verlassen. Immer wieder dient die ergreifende Stimme von Montgomery Knott als Ruhepol, um welchen sich die mysteriösen, teils ekstatisch aufblitzende Geräuschkulisse rankt. Kaum überraschend, dass Stars Like Fleas für den Feinschliff ihres Albums in das isländische Studio von Björk-Visionär Valgeir Sigurosson geladen wurden. Gleichermaßen beachtlich: Mr. Bungle Bassist Trevor Dunn, sonst an der Seite von John Zorn (!) und Fantomas zu finden, spielte in gleich drei Stücken den Bass ein. Fazit: Eine eklektisches Post-Rock-Album mit der Substanz, das Pop-Universum ein weiteres Mal aufzuwirbeln.

Auf die Independent-Landkarte hat sich unser Nachbar bei mir in diesem Jahr ganz frisch platziert: Dass elektronische Musik aus Österreich viel kann, dürfte dagegen spätestens seit Kruder & Dorfmeister samt der kompletten Vienna-Szene im Hintergrund kein Geheimnis mehr sein. Insofern sollte man ruhig aufmerken, wenn mit Twang (mittlerweile meines Wissens die dritte Formation unter diesem Namen) ein neuer Breakbeat-Kandidat in den Ring steigt. Die Soundgerüste wurden dabei von DJ Twang alias Thomas Rohrauer mit Hilfe seines Laptops im Alleingang gebastelt. Unterstützung bekommt er jedoch bei zwei Tracks aus der HipHop-Szene seiner Heimat: Die wunderbare Missverständnis und Manuva (Total Chaos) sorgen für die einzigen Vocal-Beiträge unter den zwölf Songs. Für Abwechslung bürgt außerdem noch ein Waxolutionists Remix sowie verschiedene Musiker, welche u. a. mit Saiteninstrumenten den Breakbeat/Experimental-Kosmos erweitern. "Code Complex" (Tonträger Records/Hoanzl) wird das Genre zwar nicht revolutionieren; Freunde des anspruchsvollen, atmosphärisch dunklen Drum'n'Bass kommen bei dem schick aufgemachten Werk jedoch absolut auf ihre Kosten.

Weiss a.k.a. Martin Weiss kommt aus Nürnberg und seine einzige vorliegende Veröffentlichung ist mit nichts weiter als einem "c+p 2007" Hinweis versehen. Dieses brillante Stück Musik ist mittlerweile seit drei Jahren verfügbar. Erst im letzten nahm sellfish.de bzw. unser direktes Umfeld von diesem Highlight aus der direkten Nachbarschaft Notiz. Nun wird „Rephlex“ (Electroton) endlich mit Labelunterstützung wieder veröffentlicht. Dennoch, einfach macht es Weiss einem nicht: Ein richtiges Info gibt es gar nicht erst, das Artwork bleibt ebenso stilvoll wie schlicht. Ein kleiner Aufkleber mit den Spielzeiten ist alles, von was die rote CD begleitet wird. Und auch die Homepage hüllt sich über Hintergründe zu Musik oder Protagonisten in Schweigen. Bleibt als Anhaltspunkt nur der Albumtitel, welcher seinen Namen ja synonym zum Label von Aphex Twin trägt. Ein wichtiger Hinweis. Denn, was sich hier zwischen alle Gitarrenmusik auf diese Seiten drängt, ist etwas ganz besonderes. Hinter mit Bedacht zusammen gefrickelten Sounds und Effekten, Beats und Geräuschen lässt sich immer ein faszinierender Rhythmus finden. Es gibt unzählige Feinheiten zu entdecken, weshalb der Genuss dieser halben Stunde mit einem Kopfhörer nochmal mehr lohnt. Schade, dass sich Weiss derart in Schweigen über die Umstände seiner Musik hüllt. Doch auch wenn die Tracks keinen Namen tragen, kann der atmosphärische vierte Song mit seiner subtilen, immer wieder gebrochenen Melodielinie dennoch außerhalb des konzeptionellen Ansatzes als Anspieltipp hervorgehoben werden. Abschließend darf gesagt werden: Auch ohne Heimvorteil wurde hier etwas geschaffen, was sich mit Bravour und auf sehr eigenständige Weise zwischen Console und Aphex Twin positionieren kann. Großartig und definitiv eine Entdeckung wert!

Keine hochdotierte Album-Veröffentlichung ohne adäquates DVD-Pendant: Auch 2raumwohnung liefern zum letzten Studiowerk, welches rückblickend viel zu gering beachtet verhallte, einen adäquaten Live-Mitschnitt. Der kindliche Nena Elektropop-Charme entfaltet sich auf "36grad live" (It Sounds/Labels/EMI), immerhin die erste Live-DVD, durchaus effektiv. Und mit insgesamt 20 Tracks reicht der Querschnitt durch die gesamte Karriere der Berliner... inklusive "Wir trafen uns in eine Garten" in einem treibenden Elektro-Remix. Die aufwendige Licht-Show lässt den Auftritt in der heimischen Columbia-Halle zwar etwas steril erscheinen, passt aber durchaus zur in dieser Situation hochgedrehten Tanzboden-Kompatibilität. Visuell und audiotechnisch gibt es keinen Grund zu mäkeln, und das Bonusmaterial mit weiteren Livesongs, Musifilmen sowie Videoclips fällt ebenfalls üppig aus. Insofern eine durchaus lohnenden Anschaffung für Anhänger dieses – auf Bühne mittlerweile zur kompletten Band aufgeblähten – Duos.

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