Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

MISC - November 2007 l #03

Independent Woman: female artist special

britneyspears.jpgjahcoozi-blitz.jpglenamalmborg.jpgrykardaparasol.jpgmarbertrocel.jpgcirkus-laylower.jpgflowingtears.jpgzeep.jpg

Diesmal mit:

Jahcoozi | Kari Bremnes | Lena Malmborg | Rykarda Parasol | Marbert Rocel | CirKus | Zeep | Flowing Tears | Kitty, Daisy & Lewis etc.

Es ist mir ein besonderes Vergnügen, diese Rubrik mit dem wohl "most independent artist" überhaupt einzuläuten, hehe... Umso mehr, als Britney Spears allen ernstes ein beinahe famoses Album vorlegt. Auch wenn ihre Rolle dabei vollkommen obsolet ist: Als "executive producer" dürfte die Gute wohl beinahe ausschließlich als Finanzier dieses Versuchs, neu in die Öffentlichkeit zu treten, gedient haben. Wirklich präsent auf "Blackout" (SonyBMG) jedenfalls kann man das nicht bezeichnen, was fähige Hände wie Bloodshy & Avant, Danja oder die Neptunes in Form zerhackstückelter Versatzstücke von ihren Vocals übrig gelassen haben. Vielleicht funktioniert das Konzept deshalb: Der Trashfaktor der elf Tracks kann kaum noch getoppt werden. Die Berge an Dollars jedenfalls flossen in die richtigen Hände: Studiofanatiker, Frickel-Künstler oder Elektro-Heads werden ihre helle Freude haben. Und sicher nicht nur, weil die erwartete Katastrophe ausblieb. Gleichwohl dürften die Mainstream-Kanäle ihre Probleme mit dem wenig hittauglichen Material haben... Also: Heißen wir Britney Spears - respektive den sie umgebenden Marketingapparat - herzlich willkommen in unserer Szene. Denn, diese Aussage schmerzt nun etwas, schließlich findet das ganze stilistisch gar nicht so weit vom Zweitwerk der kongenialen Jahcoozi statt. Die zwei Berliner um Frontfrau Sasha Perera, welche sich mittlerweile nicht nur stilistisch sondern auch in Punkto Release-Zeitraum neben M.I.A. eingependelt hat, ziehen ihren Reiz jedoch vielmehr aus der Integrität ihres Sounds. Nicht nur, dass die Band eine bzw. mehrere (bitterböse) Messages verbreitet. Die Konsequenz, mit welcher auf „Blitz’n’Ass“ (asound) Elektro, Grime, Dub und R’n’B zu einem monströsen, breakdurchtränkten Tanzmonster zusammengekittet werden, ist frappierend. Und die Kaufansage gibt es spätestens deswegen, weil sich das Trio auf seiner Myspace-Seite als „Tropisch / Grindcore / Christlicher Rap“ kategorisiert… „Blitz’n’Ass“ steht der Brillanz des Debüts in nichts nach und darf somit als essentiell für das Genre bezeichnet werden.

Wunderbar schwelgerisch war die Musik von Kari Bremnes schon als die Norwegerin vor 20 Jahren anfing, ihre Gedanken in Lieder zu fassen. Bei diesen Aufnahmen der Tour durch ihre Heimat sowie Deutschland allerdings läuft die Sängerin und Poetin zu Höchstform auf. Die zum überwiegenden Teil in ihrer Heimatsprache gehaltenen Titel entfalten auf "Reise" (Strange Ways/Indigo) beinahe hypnotische Qualitäten: Pop, Folk und Jazz fusionieren zu einem atmosphärisch dichten Ganzen, welches im sechsminütigen Postrock-Erguss "Skrik" seinen Höhepunkt findet. Doch auch die anderen 13 Titel verdienen das Prädikat "durchweg empfehlenswert". Nicht zuletzt, um einen Einstieg in das Repertoire dieser - neben Kari Rueslatten - wohl ausdrucksstärksten Künstlerin Skandinaviens zu finden. Lena Malmborg, ungleich jüngere Kollegin aus dem benachbarten Schweden, findet da deutlich direkter den Weg in unsere Herzen: Veröffentlicht über das Friska Viljor-Label pendelt sich das musikalische Spektrum von "A New Time, A New Life, A New Religion" (Crying Bob Records) zwischen Singer-Songwriter-Wurzeln und bluesinfiziertem Rock ein. Gerne auch etwas forscher inszeniert beweist die Stockholmerin, dass sich niemand zwangsläufig dem häufig assoziierten Melancholie-Diktat ihrer nordischen Heimat unterwerfen muss. Ein Track wie "The Accident" drängt so selbstbewusst und überzeugend in den Mittelpunkt, dass man es der zierlichen Künstlerin kaum zugetraut hätte. Das extrovertierte „China“ anschließend wischt jeden Zweifel weg: Diese elf Stücke markieren eine der erfrischendsten Angelegenheiten der letzten Zeit. Übrigens bezeichnet Malmborg die einst von ihrem Bruder geschenkte Muddy Waters LP als "the best gift ever"... Geschmackssicher. Wer an PJ Harveys' letztem Werk die finstere Schärfe vermisst hat, wird bei Rykarda Parasol aufhorchen. Und schnell feststellen, dass die Sängerin und Gitarristin aus San Francisco sich doch auf ziemlich eigenwilligem Terrain bewegt. Dessen Boden sich jedoch aus der Essenz von Künstlern wie David Eugene Edwards (Woven Hand) oder der schrecklich unterbewerteten Carina Round nährt. Parasols’ finstere Schärfe klingt jedoch durch jeden Ton, jede Note von "Our Hearts First Meet" (Glitterhouse/Indigo). Nicht umsonst wird die Stimmung der 15 Tracks gerne mit cineastischen Vordenkern wie David Lynch verglichen. Dabei stehen neben der auf den ersten Blick erdrückenden Dramatik von instrumentalen Stücken wie "Good Fall" doch immer wieder faszinierende Songs. Welche Rykarda Parasol mit ihrer von maskulinem Timbre getränkten Stimme auf eine Weise veredelt, die nicht darauf schließen lässt, dass hier eine studierte Opernsängerin agiert. Im Gegenteil: Beinahe bewusst rudimentär und ohne Bombast wirkt die abgründige Tiefe ihrer Kompositionen noch überwältigender.

Im Folgenden soll es um trippige Elektrosounds verschiedenster Intensität gehen. Und CirKus hatten vor einiger Zeit mit ihrem (seiner Zeit in 500er Auflage erschienenen) Debüt „Laylow“ schon grandios vorgelegt. Die überfällige Wiederveröffentlichung „Laylower“ (Tent Music/Groove Attack) wartet nun neben dem Originalalbum mit einer im Studio durch Live-Instrumentierung rekonstruierten Fassung auf. Welche beide gleichermaßen über einen besonderen Reiz verfügen. Das Künstler-Konglomerat aus dem Umfeld der TripHop-Hochburg Bristol sowie Neneh Cherry und weiteren Produzenten aus dem Spannungskreis HipHop/Elektro/Pop erfindet sich schließlich fortwährend neu und somit darf vorliegendes Doppelwerk auch nur als Zwischenstation bezeichnet werden. Jammerschade, dass die Tour – und damit eines der spannendsten Ereignisse des Konzert-Jahres – kurzfristig gecancelt wurde. „Laylower“ offeriert allen Portishead/Massive Attack-Anhängern jedoch auch so hochwertige, anspruchsvolle Unterhaltung… schließlich agierten die Beteiligten nicht umsonst in den letzten Wochen an der Seite von Künstler wie Youssou N’dour und haben mit Lolita Moon auch genau die Sängerin in den eigenen Reihen, welche eine Präsenz in dieser Rubrik legitimiert. Marbert Rocel - alias die beiden Produzenten Marcel Aue und Robert Krause - verirrten sich also nicht als einzig maskuline Interpreten in diese Rubrik. Ihr Werk "Speed Emotions" (Compost Records) lebt allerdings zu einem guten Teil von den zurückhaltenden Vocals ihrer Kollaboratorin Antje Seifarth; welche die Atmosphäre immer wieder in Richtung der weniger direkten Momente von Morcheeba rückt. Die zwölf gemeinsamen gebastelten Tracks pluckern teilweise sogar im easy listening-Stil durch die Kopfhörer (recommended!), wären da nicht im Hintergrund emsige Laptop-Frickeleien zu hören. Dass hier diskographische Querverbindungen in Richtung Clueso gezogen werden können, soll nicht ablenken: Mit „Speed Emotions“ gelang den Thüringern ein wunderbar stimmiger Mix aus Pop, Club-Musik, Elektronika und Jazz. Zum Schluss noch einmal der altbewährte Griff zum Namedropping: Ein großer Aufkleber auf dem Booklet kündigt es schon an – Zeep überraschen zumindest am Mikrofon mit einer alten Bekannten. Nina Miranda war schließlich die Sängerin von Smoke City, welche mit „Underwater Love“ nicht nur einen Levis-Werbespott fein vertonten, sondern ein gleichsam wunderbares Album veröffentlichten Auf dem schlicht „Nina Miranda & Chris Franck presents: Zeep“ (Farout Recordings) betitelten neuen gemeinsamen Werk (Franck schlüpfte bereits bei Smoke City in die Rolle des Produzenten) überwiegt jedoch der „brasilektrische“ Folk-Anteil. Anstelle von zurückgenommener Melancholie regiert sonnig-leichte Lebensfreude. Was neben dem zurückgefahrenen Elektronik-Anteil ebenso verwundert, wie die neu gewonnene Freude an Funk- und Samba-Rhythmen. Lässt man sich darauf ein, findet man schnell gefallen an den dezent gutgelaunten Songs. Wer jedoch - wie ich - die lieb gewonnene Vergangenheit der beiden nicht aus seinem engstirnigen Hirn bekommt, steht dem mit zahlreichen Gästen verwirklichten Material etwas hilflos gegenüber.

Just das Gegenteil von sonnig-leichter Lebensfreude erwartet die Gothicrock-Anhängerschaft von den Flowing Tears. Die drei etwas glücklos im kreativen Windschatten von The Gathering herumeiernden Musiker um Neu-Frontfrau Helen Vogt wagen mit "Invanity - Live In Berlin" (Ascendance/Soulfood) den überfälligen Schritt nach vorne. Für den mitgeschnittenen Auftritt in der Berliner Passionskirche packte man das sonst recht straighte Songmaterial in akustische Wattepads. Und lässt auf diese Weise den eigentlichen Charme der Kompositionen erahnen. Kaum zu glauben: Mit gedrosseltem Bombast-Faktor ziehen mich die die Flowing Tears relativ mühelos auf ihre Seite. Und weil dann auch noch das Slayer-Cover von "Dead Skin Mask" im neuen Sound-Mantel funktioniert, spreche ich eine vorsichtige Empfehlung aus... Vielleicht habe ich da jemanden etwas unterschätzt? Folge Nummer vier der "Sunday Best"-Serie führt uns zurück zu den Wurzeln des Rock'n'Roll. Zumindest wollen uns diese Jungspunde verhelfen, das Gefühl der fünfziger Jahre zu reanimieren. Kaum zu glauben: Die zum Zeitpunkt der Aufnahmen gerade einmal zwölfjährige Kitty, Daisy (17) sowie ihr 15-jähriger Kompagnon Lewis gelingt dieser Versuch ganz ausgezeichnet. Unter der schlichten Banner Kitty, Daisy & Lewis musiziert man sich auf vorliegender Doppel-CD durch 26 mehr oder minder bekannte Standards des Genres. Und zwar in genau dem Soundgewand, wie man es aus jener Zeit eben kennt und schätzt: Roh und unverfälscht lässt "The Roots Of Rock'n'Roll" (Sunday Best/Rough Trade) den Spirit von Jerry Lee Lewis und Konsorten wieder auferstehen. Abgesehen von der beeindruckenden Konsequenz, mit welcher die Band (bzw. deren Erziehungsberechtigten?) dieses anachronistische Konzept durchzieht: Man kommt schon ins Schwärmen beim Nachdenken darüber, wie ihre Musik im Vorprogramm von Razorlight (!) gewirkt haben muss... Wesentlich weniger konzeptionell agieren The Riplets aus Dänemark: Janneke Riplet, Ryan Riot und Valesca Riplet stellen die elf Songs dieses Albums unter den Titel "Rock" (U-Sonic/Cargo). Und genau in diese Kerbe schlägt das Zweitwerk den auch. Wenngleich eben mit einer gehörigen Punk-Schlagseite, die den straight nach vorne steuernden Titeln auch recht gut tut. Wirklich spektakuläres lässt sich binnen der 37 Minuten jedoch leider nicht finden. Insofern braucht es wohl noch zumindest die Bühnenpräsenz des Trios, um mich restlos von dessen hymnischem Power-Pop zu überzeugen. Zum Abschluss noch der Hinweis auf Jennifer Rostock.... Die und ihre Band haben mit "Ich will hier raus" (Planet Roc/Soulfood) einen kleinen bis mittelgroßen Hit im Gepäck. Den gibt es nicht nur bei Myspace zum Probehören, sondern auch auf todschicker, weiß-neongrüner Vinyl-EP zu erwerben. Oben drauf finden sich dort ein Bonus-Track und zwei Remixe. Zumindest die Reinhör-Variante dürfen alle Mia-, Wir Sind Helden- und sonstigen Berliner-Schnautze-Szeneclub-Gänger gerne tun. Fazit: Tststs, rotzfreche Göre...

Autor:


Zum Seitenanfang

ERROR!