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MISC - November 2007 l #05

Spezial: Punk.Rock.Metal.Core

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Diesmal mit:

Cloak/Dagger | Bloodlights | Boss Martians | Endhammer| O.H.L. | The Ocean | Bury My Sins | Melummeh etc.

Das heimliche Highlight in dieser kleinen aber feinen Rubrik ist schnell ausgemacht: The Now-Denial rödeln sich auf ihrem neuen Longplayer "Mundane Lullaby" (Sabotage Records/X-Mist) durch zwölf bärenstarke Tracks, die nicht zuletzt (neuerdings) durch eine zweite Gitarre an Intensität noch zugelegt haben. Das Bremen- bzw. Münster-Quintett lässt seinen Hardcore-Punk damit nicht länger auf From Ashes Rise-/Cursed-Referenzen limitieren, sondern entwickelt durch dezent vielschichtigere Songstrukturen eine ungewohnte Dynamik. Welche manchmal an die frühen Nine, vor allen Dingen aber an Großmeister der Liga Hope Conspiracy denken lässt. Soll heißen: Crust-Rock-Bastard plus Breakdesaster – was für ein fettes Album! The Now-Denial gehören spätestens mit Werk Nummer drei (neben ihren Labelmates Mönster) zu den respektabelsten Formationen dieses Genres. Aber auch Cloak/Dagger sind gut - richtig verdammt gut sogar. Und vielleicht die ersten, bei der sich das Info mit den Black Flag und Minor Threat-Vergleichen nicht übernimmt. Sänger Jason Mazzola, Gitarrist Colin Barth, Bassist Aaron Barth und Schlagzeuger Colin Kimble bewegen sich mit ihren 14 Songs nämlich in einer Tradition, die dank Emo-, New School- und Metalcore beinahe in Vergessenheit geraten ist: Ehrlicher, energetischer Punkrock ohne jede Schnörkel, dicke Produktion oder poppige Anbiederungen. Dass die Amis dabei zu gleichen Teilen in Punk und Hardcore stehen, stört wenig. Schließlich wählte man seine Vorbilder mit Bedacht und beamt den Hörer ein paar Jahrzehnte zurück. Umso erstaunlicher, als Cloak/Dagger bisher kaum in Erscheinung traten. Dazu passend dauert die Scheibe gerade 'mal 26 Minuten - mehr war und ist für ein Genrealbum dieser Klasse einfach nicht nötig. Oben drauf gibt es eine herrlich oldschoolige Produktion von Chris Owens (Lords). Fest steht, dass der selbstbetitelte Silberling eines der bisher stärksten und überraschendsten Debüts des (Hardcore-)Jahres darstellt. Und ich bin gespannt, wie die Reflections Records/Jade Tree Zielgruppe auf die geballte Ladung old school von "We Are" (Reflections Records/Cargo) reagieren wird. Vielleicht nützt ja die Tatsache, dass hier (ex-)Mitglieder von American Nightmare (!), Count Me Out und Trial By Fire am Start sind...

Captain Poon steuerte nur kurze Zeit ohne Raumschiff durch die Galaxie: Nach 15 Jahren Gluecifer geht es nun mit neuer Besatzung unter der Flagge Bloodlights weiter. Dramatischer stellt sich vielmehr die Tatsache dar, dass dem skandinavischen Quartett ein wenig der Arsch in der Hose fehlt, welcher zumindest die Vorgängerband phasenweise unentbehrlich für das Rock'n'Roll Publikum machte. Nun ist es zwar nicht so, dass "Bloodlights" (Mate In Germany/Soulfood) nicht ein Dutzend feiner Hooklines für die verbleibende Anhängerschaft bereithält. Im Vergleich zu Kollegen wie den Bones allerdings wirkt das Material etwas zu unspektakulär, um in diesem immer noch hoch frequentierten Genre wirklich nachhaltig Bestand haben zu können. Dennoch: Dank Treffern wie „Addiction“ ein zumindest nettes Album. Anders sieht die Sachlage bei den Punk'n'Roll - mit 13 Jahren Bandhistorie kann man wohl sagen – „Urgesteinen“ Boss Martians aus. Auf deren neuem Werk "Pressure In The Sodo" (India Records/Rough Trade) brennen die Seattler wieder ein Feuerwerk an Garage-Power-Pop-Hymnen ab. Welche eben genau über das Quäntchen Brillanz bzw. songwriterische Finesse verfügen, die einem an sich wenig innovativem Genrealbum überproportionale Rotation auf Plattenspieler wie MP3-Playern verschaffen wird. Diesmal produziert von Sänger und Gitarrist Evan Foster überzeugen die zwölf Tracks vorbehaltlos und vor allen Dingen: Alleine durch die musikalischen Qualitäten. Jenseits Mando Diao- oder Hives-Hypes ziehen die vier Sympathieträger ihr Ding durch… das ganze ähnlich einem guten Wein: Die Boss Martians werden mit den Jahren offenbar nur noch besser.

„Nordisch by nature“ könnte man das Konzept hinter Endhammer aus Hamburg schlicht und einfach betiteln. Jedenfalls lassen sie ihre Heimat nicht eine Sekunde außen vor. „Hafenklang“ (Eigenvetrieb) heißt die zweite EP, die vier Songs tragen Titel a lá „Kapitän“ und es mangelt nicht an entsprechenden Samples… Tja, doch auch bzw. gerade weil ich mit der Neuen Deutschen Härte noch nie etwas am Hut hatte, laufen mit die dreckig rockenden Tracks gut rein. Ebenso unsauber wie druckvoll gröhlt sich der Fünfer durch die viertel Stunde. Und selbst wenn erwähntes unsägliches Genre Spuren hinterlassen haben mag: Weitere Vergleiche fallen schwer. Die richtigen Einflüsse jedenfalls haben sie, das verrät schon die Myspace-Seite. Mich überrascht selbst, dass Pathos-getränktes Material wie „Sehnsucht“ keinen Brechreiz auslöst. Wen das jetzt dennoch nicht überzeugt, keine Sorge: Endhammer behalte zumindest ich ´mal im Auge… irgendwie haben die etwas. Und, apropos Pathos: Den kann die geneigte Deutschpunk(-core) Fraktion natürlich auch in kämpferischer Natur bei O.H.L. finden. Die konsequent umstrittene Formation um Frontmann Deutscher W hat es ja Zeit ihrer Existenz geschafft, bei allen erdenklichen musikalischen und politischen Gruppierungen anzuecken (Motto: „Gegen rechte, linke und religiöse Systeme!“). Von dem enormen Unterhaltungswert des Leverkusener Quintetts kann man sich prima via der Doppel-CD „Im Westen Nichts Neues“ (Bad Dog/Rough Trade) überzeugen. Die eigentliche Zielgruppe dürften angesichts der teils sehr raren Aufnahmen zwar eher bereits überzeugte Anhänger sein. Als 60-Song Querschnitt durch die frühe Phase der Bandkarriere (vertreten sind vor allem die 80er Jahre) eignet sich das Werk jedoch auch für neugierige Jung-Punks auf Entdeckungstour.

Der Hang zum – kreativen – Größenwahn des Berliner Kollektivs The Ocean geht in die nächste Runde. Es war beinahe absehbar gewesen: Ein Doppelalbum musste her. Welches nun unter dem Titel „Precambrian“ (Metal Blade/SPV) erscheint. Und sich in knapp eineinhalb Stunden an der Vertonung der Geburtsstunde unserer Erde, respektive deren Tektonik (?) vergeht. Wobei ein höchst dynamisches, überraschend melodisches und vielschichtiges Werk entstand. Welches mancherorts näher an System Of A Down denn den ewigen Vorbildern Isis zu finden ist. Weshalb der (nach wie vor nicht ganz einfache) Genuss dieses Monolithen jederzeit spannend und lohnend bleibt. Es sei abschließend nur die Frage erlaubt, wie man mit einer derart aufwendigen Myspace-Seite im Rücken ausgerechnet ein Mammut-Werk wie dieses als Statement gegen eben die Form von Medien verstehen kann. Widerspruch galore. Ob die Welt nun darauf gewartet hat? Ausgerechnet nach ihrer respektablen Wiederkehr mit „Operation Mindcrime Part II“ legen Queensryche ein etwas halbgares Coveralbum vor. Und treffen damit wohl nicht nur in unserem Fall auf eine vom Weihnachts-Veröffentlichungswahn ohnehin angenervte Redaktion. Dabei enthält „Take Cover“ (Warner Music) durchaus ein paar unterhaltsame – wenn auch ziemlich originalgetreue - Neuinterpretationen. Neben Standards wie Pink Floyd („Welcome To The Machine“) oder Peter Gabriel („Red Rain“) finden sich auch ein paar Überraschungen (Crosby Stills Nash & Young, Police bzw. The O’Jays). Nur an Queens „Innuendo“ hätte man sich ´mal besser nicht gewagt. Das ging nämlich komplett in die Hose. Alles in allem deshalb also eine bestenfalls okaye Angelegenheit.

Mit Bury My Sins überzeugt eine weitere einheimische Band mit Metalcore US-amerikanischer Prägung, welche ohne viel Umschweife den Genregrößen nacheifert. Und damit in einer zwiespältigen, immer stärker ausufernden Tradition steht: Einerseits wird es für Fans wie Kritiker zunehmend schwieriger, bei Musik dieser Machart einzelne Formationen zu unterscheiden. Andererseits machen solche Outputs deutlich, welches musikalische und professionelle Niveau in dieser Szene zu finden ist. Auf "King Of All Fears" (Guideline Records/Pängg) jedenfalls kann man objektiv keine Aussetzer finden: Die neun Tracks ballern druckvoll, detailverliebt und dank einiger Harmoniebögen halbwegs abwechslungsreich aus den Boxen. Und trotzdem bleibt für mich durch den Mangel an eigener Identität ein Haken an der Sache. Schade. Malummeh aus Finnland würzen ihren Neothrash ebenfalls mit einer ordentlichen Metalcore-Note - und sorgen auf diese Weise (wahrscheinlich mit guter Absicht) dafür, dass "Revival" (Spikefarm Records) aus dem gegenwärtigen Veröffentlichungstrend gleichermaßen nur unwesentlich hervorstechen kann. Ja, da sind ein paar akustische Spielereien, da sind nette Melodiebögen und die ganze Produktion wirkt (einmal mehr) reichlich professionell. Im schnelllebigen Musik-Business allerdings wird davon in ein paar Monaten keiner mehr sprechen. Nichtsdestotrotz: Für ein Debüt knallen die zehn Songs geradezu unverschämt ausgefeilt aus den Boxen. Wer die Originale (Killswitch Engage, Darkest Hour etc.) durch hat, soll sich also gerne an der zweiten Liga verkosten… Im Falle Necromantia darf anschließend eine andere Schublade geöffnet werden: Auf „The Sound Of Lucifer Storming Heaven“ (Dockyard 1/Soulfood) ertönt – ziemlich überraschend für das Dockyars1 Label – Black Metal der alten Schule. Und zwar mit höchstem Unterhaltungswert. So räudig nämlich, wie diese acht Tracks angescheppert kommen, werden sich selbst Darkthrone als soundtechnische Genies fühlen. Dass die Formation in ihrer Heimat Griechenland schon als Legende des Genres gehandelt wird, überrascht nach bald 20-jähriger Karriere kaum. Ziemlich irres Album…

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