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|| Michael Streitberger ||


Top10
1. Karamel - Schafft Eisland // 2. Kinderzimmer Productions - Asphalt // 3. Anna Ternheim - Separation Road // 4. Ben Weaver - Paper Sky // 5. Clara Luzia - The Long Memory // 6. Son Of The Velvet Rat - Loss & Love // 7. MC Santana aka Semtex - Clockword Dark / Derailed // 8. The Holloways - So This Is Great Britain? // 9. Arctic Monkeys - Favourite Worst Nightmare // 10. Hell Is For Heroes - same

Dank einer (überfälligen) Konsolidierungsphase im privaten Bereich war im Vergleich zu 2006 ausreichend Zeit, sich mit dem Musikjahr zu beschäftigen. Und von 2007 enttäuscht zu werden. Denn Innovation ließ sich bestenfalls im Detail finden. Ein paar wirklich schöne Alben kamen überraschenderweise aus Österreich. Auf der Singer/Songwriter-Seite überzeugte Clara Luzia mit ihren wunderbar arrangierten Tracks. Das männliche Pendant dazu bot sich mit Son Of The Velvet Rat. Keine Ahnung, warum sein famoses Werk einfach komplett unterging. Auf der Elektronik-Seite steuerte unser Nachbarland mit den Manuva-Kollaborationen sowie dem Texta-Werk zudem ebenfalls stilsichere Sachen bei.

Zur Reihe „Brillant aber unbeachtet“ darf man Hell Is For Heroes zählen… Deren drittes, großartiges Postcore-Werk (beim dritten Label) abermals unbeachtet blieb. Die Freude über das neue Kinderzimmer Productions Werk verhallte zudem kürzlich auf unschöne Weise: Mit dem Duo quittierte die wohl relevanteste HipHop-Formation des Landes ihren Dienst. Und selbst wenn Newcomer wie Creme Fresh aufhorchen ließen und der Wu Tang Clan sein bestes Material seit Jahren vorlegte: In diesem Sektor passierte im Vergleich zum Vorjahr schockierend wenig. Ein kleiner aber feiner Lichtblick: MC Santana aka Semtex mit seiner Elektro/HipHop/Drum’n’Bass Gratwanderung.

Trost kam da aus anderen Sphären: Der Hamburger Singer/Songwriter Karamel schlägt stilistisch zwar in eine völlig andere Kerbe, hob sich mit seinem Zweitwerk nun aber nicht nur textlich, sondern diesmal auch musikalisch aus dem Einheitsbrei der hanseatischen Indie-Singer/Songwriter-Klicke hervor. Junges Glück und Turbostaat hielten mit gelungenen Nachfolgewerken ebenfalls die einheimische Flagge hoch; während Matula für mich aus dem Nichts kamen und so richtig mitreißen konnten.

Unter dem Banner „souverän und ohne Überraschung“: Jens Lekman, Kristofer Aström sowie Moneybrother. Selbige wurden derweil ja – einigermaßen zurecht – wieder von allen Seiten abgefeiert. Gleiches gilt für The Bones, die in bewährter Manier den Mike Ness heraushängen lassen. Allein Logh haben sich ein weiteres Mal neu erfunden… und schlichtweg ein herrlich bittersüßes Popalbum fabriziert. Gleiches gilt für Brummbär Ben Weaver, der auf Bühne wie auf Platte überwältigend war. Und in Lucinda Williams mit deren reflektierten Alterswerk „West“ einen adäquaten Gegenpol fand. Ach so: Aus all dem Brit-Wahnsinn 2007 ließ sich mit The Holloways doch tatsächlich noch ein kongenialer Newcomer herausfiltern.

Auf der Hardcore-Seite konnten This Is Hell und Capital mit bewährter Formel und neuer Energie überzeugen. Comeback Kid, 108, Poison The Well und Damnation AD meldeten sich ebenso gewaltig wie überraschend zurück, während mit Empty Vision und Deny Everything einheimische Thronfolger nach vorne preschten. Progressiv metallisch wussten die Kompositions-Federn von Primordial und Porcupine Tree zu begeistern; Death Breath, Obligatorisk Tortyr sowie Machine Head (sic!) knüppelten dagegen souverän die Gehörgänge frei. Und auf die leidige Sache mit dem Metalcore komme ich dann unten noch mal zu sprechen.

Live und direkt auf Bühne riss mich Promoe auf dem Stadtfestival in seiner Heimat Malmö richtig mit. Ben Weaver verzauberte seine Hörer im völlig unterbesetzten Hamburger Knust, während Anna Ternheim (vorweg unterstützt vom famosen Oren Lavie) auf wundervollste Art schwedische Songwriterinnen-Klischees vom Tisch wischte. Das gnadenlos überteuerte Tori Amos Pflichtprogramm lohnte sich in der wundervollen Laiszhalle dann auch noch irgendwie. Die Arctic Monkeys lebten hier im Stadtpark dagegen eher von der schönen Kulisse als von der Live-Umsetzung ihres (im Übrigen exzellenten!) Zweitwerks. Allein dem Charme eines Moneybrother, dem konnte ich mich trotz des nur gutklassigen Studiolongplayers live einfach nicht entziehen…

Und weil es diesmal keine Platzlimitierung gibt noch ein Wort zu zwei schönen Filmen, die mich dieses Jahr im Kino begeistert haben: Zum einen „Wer früher stirbt ist länger tot“. Sowie „Vorne ist verdammt weit weg“. Denn selbst wenn man diese feinen bayrischen bzw. fränkischen Werke in Norddeutschland wohl mit der Lupe suchen muss(te): Es lohnt sich. Musikhistorisch war „American Hardcore“ ebenfalls unverzichtbar. Und mit Chuck Klostermanns „Fargo Rock City“ sei auch noch ein höchst kurzweiliger (musikalischer) Buchtipp hierein geschmuggelt.

Was redaktionsintern gerade zum Ende des Jahres für große Diskussionen gesorgt hat: Wie tragen wir den immer heftiger grassierenden Trend der digitalen Bemusterung (neuerdings neben SonyBMG zum Beispiel auch Victory und Relapse Records etc.) Rechnung? Kann man ein ganzes Album anhand von zwölf .mpg’s und zwei .jpg’s beurteilen? Wir meinen: Nein. Und stecken derartige Auswüchse ab sofort in eine eigene MISC-Rubrik. Dort bleiben sie denn auch, bis uns das finale Werk vorliegt.

Und was passiert in 2008? Ich vermute mal, nach dem exzellenten Start (Gavin Portland, Minus) wird Island sich einmal mehr mit Nachdruck auf der Indie-Landkarte verewigen. Weitere Hoffnung: Die Metalcore-Schwemme ebbt ab (obwohl, das kommende Heaven Shall Burn Album interessiert mich dann doch noch…). Und vielleicht gipfelt die allgemeine Branchen-Jammerei ja doch darin, dass mehr Qualität als Quantität produziert wird. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn mir jetzt noch jemand sagt, ob das Album-Format trotz Download-Hysterie in zwölf Monaten noch relevant sein wird… mein Puls würde sich deutlich entspannen.

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