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MISC - Januar 2008 l #02

EP, 7"es und was vom Feste übrig blieb

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Diesmal mit:

Des Ark | Gavin Portland | The Black Atlantic | Outsmarted | Tiles uvm.

Beinahe zu spät kommt das Zweitwerk von Bloodsimple auf dieser Seite zu verdienten Ehren. Und wo man zwischenzeitlich geneigt war, eine Entwicklung in Richtung trendiger Gewässer zu befürchten, belehrt uns "Red Harvest" (Warner Music) eines Besseren. Tim Williams, ehemals Sänger der längst verblichenen Extremisten-Core'ler Vison Of Disorder (deren Alben übrigens noch heute für Aufhorchen sorgen sollten!), fusioniert mit seinen drei Kumpanen lediglich verschiedenste musikalische Stile in einen klanggewaltigen Koloss zusammen. Und wo der famose Opener "Ride With Me" mit The Doors Referenzen auf die zu erwartende Vielschichtigkeit einstimmt, werden im Laufe der elf Tracks zwei Dinge bewusst: 1. Die Stimme von Tim Williams gehörte immer schon zu einer der brachialsten des Genres - mittlerweile wurde aus ihr zusätzlich eine der vielseitigsten! 2. Wenn man sich beispielsweise in einem Track wie "Dead Man Walking" tatsächlich an Nu-Metal-Elemente erinnert fühlt, folgt im Verlauf des ganzen Werkes doch ein differenziertes Urteil: Bloodsimple bedienen sich schlichtweg der Zutaten, welche ihre Songs zünden lassen. Ohne Rücksicht auf Neunziger-, Achtziger- oder Metalcore-Zitate. Dass einem auf diesem Weg Pantera ebenso begegnen wie frühe Korn oder auch mehrere Doom- bzw. Postcore-Zitate, macht das Werk ebenso außergewöhnlich spannend - wie diskussionswürdig. So oder so bleibt ein mehr als formidables Album, welches durch seine mutige „zwischen-den-Stühlen“-Positionierung die Breitenwirksamkeit konsequent auf’s Spiel setzt. Beachtlich.
Durchaus in den Windschatten von Bloodsimple dürfen sich Flowers For Whores stellen. Wenngleich auch deutlich rauer und Untergrund-orientierter. Trotz des dämlichen Bandnames überzeugt die Debüt-EP "Equilibrium" (Damage Done Records) nämlich mit abwechslungsreichem, schwer metalinfizierten (Post-)Hardcore, der sich klar an Vorbildern wie Shai Hulud oder eben Vision Of Disorder orientiert. Die junge Prager Formation, welche sich aus ehemaligen Abhorrence-, Ambrosia- und Kevorkian-Mitgliedern rekrutiert, lässt nach einer vorab veröffentlichten 7" durchaus aufhorchen... schließlich umschiffte man Stagnation gleichermaßen in der eigenen Entwicklung wie auch hinsichtlich seiner Vorbilder. Und sogar die Texte schaffen es, trotz direkter Ansagen an Genreklischees vorbeizuschiffen. Spätestens also, wenn diesem überraschend intensiven Einstand ein echter Longplayer folgen sollte, wird es Zeit, aufzuhorchen. Respektable Vorstellung.

Mit acht Songs und einer knappen halben Stunde Spielzeit handelt es sich beinahe um ein reguläres Album - Nicht der einzige Grund, dem Debüt von Des Ark besondere Beachtung zu schenken. So wurde "Loose Lips, Sink Ships" (The Company With The Golden Arm/X-Mist/Flight 13) von niemand geringerem als J Mascis ko-produziert. Wenngleich wir es hier nicht mit einem Dinosaur Jr. Klon zu tun haben. Sondern vielmehr mit der schnoddrigen Indieversion einer PJ Harvey. Noch konkreter können sich diejenigen den Sound von Des Ark vorstellen, welche mit der wunderbaren Carina Round vertraut sind. Jene kommt einem zumindest relativ schnell in den Sinn, wenn hier die Vocals von Aimee Argote auf die Instrumentierung ihres damaligen Partners Timothy Herzog (mittlerweile ersetzt durch Schlagzeugerin Ashley Arnwine) trifft. Erst bei genauerem Hinhören entpuppt sich das spröde Werk als wirkliche Schönheit: In der Versponnenheit früher 31 Knots - Artwork-Ähnlichkeiten sollten dabei reiner Zufall sein... - werden hier die Grenzen zwischen Pop, Prog und Noise auf eine Weise ausgelotet, dass es eine wahre Freude ist. Deshalb: Wer sich angesichts dieser Worte angesprochen fühlt, möge auf obigen Bandlink klicken und sich von den Hörbeispielen endgültig überzeugen lassen.
Mit Guts Pie Earshot kehrt eine weitere vermisst geglaubte Formation des deutschen Independent/Punk-Undergrounds zurück. Vorerst zwar nur mit einer CD-EP (bzw. 7"), doch schürt "Revolt Against" (Tofu Guerilla/Broken Silence) durchaus die Vorfreude auf neuerliche Großtaten des unterschätzen Duos. Genau, seit 2004 bzw. dem Ausstieg von Anneke wird der G.P.E.-Sound lediglich durch Rizio am Cello sowie Schlagzeuger Scheng kreiert. Und, genau: Das bedeutet noch immer - Keine Gitarre. Was auf der 7-minütigen Ethno-Ambient-Techno A-Seite abermals für ungläubige Gesichter sorgen wird; und von der folgenden Hardcore-Nummer "Manu" gekonnt kontrastiert wird. Guts Pie Earshot bleiben übrigens ein rein instrumentales Erlebnis. Aber was für eines. Dazu passt der krönende Abschluss dieser drei Tracks: Das kuriose Goldene Zitronen-Cover "Karawane".

Bevor in zwei Monaten die Isländische Noiserock-Institution Minus endlich mit ihrem Drittwerk an die Öffentlichkeit zurück tritt, sorgt mit Gavin Portland aus Reykjavík ein Newcomer auf ähnlichem stilistischen Terrain für Erstaunen: Auf den ersten Blick reichlich verstörend zieht "III: Views Of Distant Towns" (12Tonar/Cargo) (es handelt sich trotz des Titels um das Debüt) den Hörer in gerade einmal neun Songs bei einer knappen halben Stunde Spielzeit ebenso abrupt wie nachhaltig in den Bann. Ihr lärmender Post-Hardcore zwischen Shai Hulud, Abhinanda oder (insbesondere) Drive Like Jehu sorgt zunächst für nostalgische Gefühle: Derart reduziert und dabei doch so vertrackt klang seit Ende der Neunziger kaum eine Band mehr. Wer dem Quartett aus diesem Grund nun übermäßige Innovation unterstellen möchte, befindet sich auf der falschen Fährte. Vielmehr ist es die Konsequenz des Songmaterials, welche sich in spartanischem Arwork und Sound fortsetzt, die das Schaffen von Gavin Portland spektakulär macht.
War hier gerade von Shai Hulud die Rede? Just deren ehemaliger Sänger Geert van der Velde steht nämlich hinter The Black Atlantic. Doch anstelle in bekannten Gewässern zu planschen, wagt sich der Gute mit einer reinrassigen Indieband auf neues Terrain. Wenngleich bei "Send This Home" (Midsummer Records/Cargo) neben ruhigeren, rockigen Klängen ein paar ganz wenige lärmendere Momente zu finden sind: Auf derart (Pop-)songorientiertes Material war zumindest ich nicht vorbereitet. Insbesondere wenn in "To Give Up The Summit" oder dem quasi-Titeltrack "A Letter In Sonic" neben rein akustischer Instrumentierung auch an den Vocals gelitten wird, stellt sich die Frage nach „würdevollem Altern“. Und ja: Gerade weil die vier Songs der EP alles andere als glatt geraten sind, gelingt es van der Veldes’ Quintett, (einmal mehr) Interesse zu wecken. Spannend auch, dass angesichts des Namedroppings kein Label wie Revelation Records Ansprüche auf diese (ursprünglich als musikalische Liebeserklärung an Geerts Freundin gedachte) Scheibe geltend gemacht hat. Stattdessen erscheint "Send This Home" via den frisch gegründeten sauerländischen Midsummer Records. In jeder Hinsicht sympathisch.

Meine Herren, was für ein Kraftakt ist das denn geworden? Konnten Misery Index ja schon mit ihren Alben für Relapse und Nuclear Blast überzeugen, huldigt die zum Quartett aufgestockte Formation mit dieser Veröffentlichung dem Untergrund. Was für die noch reichlich unbekannten Split-Partner, Mumakil aus der Schweiz, einen Quantensprung bedeuten könnte. Schon deswegen, weil sich die beiden Parteien auf "Ruling Class Cancelled" (Power It Up) musikalisch nicht allzu viel nehmen: Die besten Momente des Grindcore werden mit Thrash- und Deathmetal Songstrukturen angereichert... und dürften bei sämtlichen Anhängern dieser Szenen kollektiv für (Hochgeschwindigkeits-)Kopfnicken sorgen. Musikalisch spielt das Ganze jedenfalls in einer Tempo-Liga, in der sich ansonsten nur Kumpanen wie Eric Rutan oder Trey Azagthoth herumtreiben. Wobei mir im Falle Misery Index deren Longplayer "Retaliate" dank der deftigen Hardcore-Schlagseite noch eine ganze Ecke besser gefiel als die neuen Songs. Nichtsdestotrotz: Diese Misery Index / Mumakil Split EP, zu welcher übrigens jeweils vier Tracks beigesteuert wurden, dürfte nicht nur für Sammler unentbehrlich sein.
Die vermisste Hardcore-Schlagseite findet man schon eher bei Outsmarted. Die blutjunge Linzern untermauern nach Red Lights Flash nämlich die Ansprüche ihrer Heimat Österreich, in dieser Szene (wieder) ein Wörtchen mitzureden. "The Panic Theory" (Eigenproduktion/Eigenvertrieb) frönt in 22 Minuten und 22 Sekunden über sieben Songs einer Mischung aus melodischem Hardcore, Screamo und metallisch angehauchten Youth Crew Momenten. Das ganze klingt zwar phasenweise noch ein wenig holprig, weiß aber über weite Teile durch eingängige Hooklines und rockige Parts zu überzeugen. Fazit: Outsmarted in ihrer gegenwärtigen Form mögen alles andere als essentiell sein. Aber die Fünf stehen ja noch am Anfang. Und der ist ihnen durchaus gelungen.

Trotz seiner „nur“ acht Songs verfügt "Fly Paper" (Inside Out/SPV) über alles andere als EP-Charakter. Schließlich nimmt das Konzept von Tiles abermals knapp 50 Minuten in Anspruch. Und es geht auf: Hardrock sowie Progrock mischen sich zu einer überraschend ohrenfreundlichen Scheibe samt Wiedererkennungswert. Von den enervierenden Überlängetracks der Vergangenheit lässt man mittlerweile zum Glück die Finger: Den zwei sich nur langsam entknotenden Achtminütern stehen einige Tracks im (beinahe) radiotauglichen Format gegenüber. Wohin diese Rocksongs der gehobenen Klasse wohl auch gehören würden. Schon nach kurzer Aufwärmphase reißt zum Beispiel der knackige Opener "Hide In My Shadows" mit und macht klar, dass die seit bald 15 Jahren aktive Formation ihre Lektion in Sachen Songwriting gelernt hat. Allein die Instrumentals gemeinsam mit der etwas blassen Produktion sowie einigen farblosen Durchhängern bilden Kritikpunkte an "Fly Paper". Fans des melodischen Art- und Progrocks in stilistischer Nähe von Rush, Marillion oder Porcupine Tree liegen mit dem (auch als limitierte Edition erscheinenden) Werk dennoch richtig.

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