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MISC - Januar 2008 l #05

sellfish.de Spezial: Pop.Punk.Rock.Exotika

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Diesmal mit:

Big Strides | D-Sailors | Dub Trio | The Hoosiers | Lemuria | Memphis May Fire | Pascal | Un Kuartito

So, in diesem Fall ´mal nicht von Art Brut oder Snow Patrol Produzent Dan Swift ablenken lassen: Die Big Strides spielen alles andere als den derzeit so typischen Brit-Indierock. Mag man auch ähnliche Einflüsse verarbeiten - so zum Beispiel den spröden Rhythmus der Arctic Monkeys: "Cry It All Out" (Tall Order/India Media/Rough Trade) muss in einer anderen Liga angesiedelt werden. Und der naheliegendste Kontrahent dort lautet: Mother Tongue. Denn die Big Strides bedienen sich keineswegs im derzeit üblichen Retro-Fundus von Velvet Underground oder Joy Division. Ihr furztrockener Sound steckt stattdessen voller roher Blues-Zitate, liebäugelt mit Funk und steckt doch immer bis zu den Knien im „stripped down“ Rock. Zu den vielen eigenwilligen Trademarks des Trios gehört übrigens auch ein Kontrabass, welcher den Tracks den letzten Schliff verleiht… ohne dass es zu Lasten der Direktheit des Materials ginge. Ganz im Gegenteil: So manche Rockabilly-Formation könnte sich von der Roots-Bezogenheit der fabelhaft spontan klingenden Kompositionen etwas abschneiden. Ein kongeniales Debüt neben der Spur.

Die ehemaligen Vitaminepillen-Partner D-Sailors erweitern den typischen Melody-Punk-Sound ihres verblichenen Labels neuerdings ebenfalls mit einigen moderaten Rock-Zitaten. Und machen damit "Between The Devil And The Deep Blue Sea" (Zwei Music/Baldringer) durchaus zu einem Album, welches für die Emo-Fraktion von Interesse sein könnte. Zum Glück merkt man dem musikalischen Inhalt keineswegs an, dass die derzeitigen Bandmitglieder mittlerweile über die ganze Republik verteilt leben und somit der Songwritingprozess weitgehend mittels digitaler Datenübertragung stattfand. Obwohl: Ohne größere Umwege ist das Album eigentlich nur auf den Konzerten oder eben als Download zu bekommen. Wirklich mitreißen allerdings können die zwölf Tracks leider nicht durchgehend. Zu abgeschmackt klingt das anständig produzierte Material, wobei zumindest mit "Catcher in The Rye" ein kleines Highlight verbucht werden kann. Mit welchem die D-Sailors sicherlich auch wieder in Brasilien, seit jeher eine Hochburg der 15-jährigen Bandgeschichte, Fuß fassen können.

Es war eines der intensivsten Konzerterlebnisse im vergangenen Jahr: Das Dub Trio als Opener für eine Drum'n'Bass Party im Hamburger Hafenklang. In beinahe stoischem Eigenbrötlertum ließen die New Yorker ihre Riff-Salven auf das nicht selten irritierte Publikum los. Nein, ihr Sound lässt sich nicht auf relaxte Zeitlupen-Bassläufe limitieren. So lebt auch "Another Sound Is Dying" (Ipecac/Soulfood, das Vinyl kommt über Kultlabel Roir) von einer immensen Dynamik, welche allein durch Gitarre, Bass, Schlagzeug und die charakteristischen Keyboard-Effekte erzeugt wird. Im Resultat entsteht damit abermals der offenbar kleinste gemeinsame Nenner zwischen Helmet und Bill Laswell. Welcher jedoch von Anhängern beider Seiten ein Mindestmaß an Toleranz einfordert. Denn wo die Ganja-Fraktion im Sekundentakt aus ihren Träumen gerissen wird, müssen sich trotz der erhöhten Songorientiertheit des Materials selbst Freunde des progressiven Postrocks an die ´mal wabernden, ´mal zerklüfteten Soundlandschaften gewöhnen. Seltsam nur, dass mit dem Mike Patton-Feature "No Flag" (ein echtes Meshuggah-Soundalike!) ausgerechnet die Zweitverwertung einer früheren Kollaboration abermals als einziger Vocal Track aus dem zwar eigenwilligen, doch homogenen Konzept fällt.

Als "Odd Pop" wollen diese drei – längst durch heftiges Radioairplay renommierten - Herren ihren Sound verstanden wissen. Wenngleich an den zuckersüßen Hits des Debüts "The Trick To Life" (SonyBMG) schon gleich gar nichts Seltsames und noch viel weniger Hässliches zu Erkennen ist. Im Gegenteil, wer nur die erste Single „Worried About Ray“ kennt, weiß, in welche Richtung das Material tendiert: The Hoosiers verlieren sich nur zu gerne in überdrehter Pop-Gestik. Gut gelaunt, beschwingt und konsequent Hit-orientiert trällern sich die Londoner durch die elf von ex-Jamiroquai Toby Grafty-Smith produzierten Stücke, so dass es bei der weiteren Single-Auswahl unter den A&R's vermutlich heftige Diskussionen gab. Auf die Dauer wirkt das Ganze dadurch allerdings etwas anstrengend: Wer auf der Suche nach Ecken, Kanten oder gar Substanz hinter den Kompositionen ist, braucht sich nicht lange mit den Hoosiers aufhalten. Wer dagegen dringend Nachschub für die Gute-Laune-Single-Outputs von Mika benötigt, wir hier schon eher fündig.

Liebe Leserinnen und Leser! Bitte beachten Sie diese Band! Sie werden es nicht bereuen! Und würden sich vielleicht sogar richtig ärgern! Zumindest, wenn Formationen wie Jawbreaker oder die frühen Weakerthans eine Rolle in ihrem Leben spiel(t)en. Lemuria mögen nach einigen EPs und Split-Beiträgen zwar noch am Anfang der eigenen Karriere stehen. Die Zusammenstellung eben dieser Tracks jedoch lässt angesichts des enormen Potentials aufhorchen. "The First Collection" (Yo-Yo Records) vereinigt die ersten 18 Songs des Trios aus Buffalo, New York. Und überzeugt mit allerfeinsten Refrains, deren versteckter Charme immer einen Augenblick benötigt, um ganz wahrgenommen zu werden. Dann aber erliegt man den Kompositionen nachhaltig; nicht zuletzt wegen des Dreigesangs, der durch die Stimme von Gitarristin Sheena den letzten Schliff bekommt. Ein kleines aber feines Booklet mit allen relevanten Infos und Lyrics rundet diese durchweg sympathische Veröffentlichung ab. Das reguläre Albumdebüt für Asian Man Records sollte in Kürze ebenfalls erhältlich sein. „The First Collection“ jedoch taugt zu mehr als nur der Vorbereitung darauf. Ach so, und - nein: Hinter dem Bandnamen stecken keinerlei religiöse Ambitionen...

Keine zwanzig Minuten brauchen Memphis May Fire, um mich auf ihre Seite zu ziehen. Was sie vorab über den (mittlerweile klassischen) Weg via MySpace bereits mit über 20.000 so genannten Freunden taten. Und dank dieser selbstbetitelten EP werden sie sicherlich noch breitere Kreise ziehen können. Schließlich gelingt es den Texanern mehr als elegant, die Brücke zwischen Postcore-Atmosphäre, At The Drive-In Dynamik sowie einer ordentlichen Prise Billy Talent zu schlagen. Vor allem aber steckt "Memphis May Fire" (Trustkill/SPV) ausschließlich voller zündender Songs. Gut, es sind erstmal nur fünf davon. Aber welches Potential vermag ein in Kürze anstehendes Album entfalten? Also sei's drum. Für den Moment ist das hier einfach nur verdammt gut. Und vielleicht die letzte Chance, die junge Formation in einem ansatzweise unbekannten Status zu erleben. Über einen Reigen an Endorsement-Deals jedenfalls verfügen die "Memphis Five" nämlich schon. Angesichts der songwriterischen Klasse erspare ich mir diesbezüglichen Zynismus mal besser. Ebenso wie den durchaus legitimen Kritikpunkt mangelnder Originalität.

Pascal, das sind die majestätische Bassistin und Sängerin Manuela De Gouveia, Gitarrist und Sänger Isak Sundstöm sowie Schlagzeugerin Mimmi Skog. Drei schwedische MusikerInnen, deren viel zu kurzes Zweitwerk "Galgberget" (Novoton/Import) in vielerlei Hinsicht einzigartig klingt. Das Trio in den Mitt-Zwanzigern macht jedoch gar keine Umstände, sich auch dem europäischen Publikum zu erschließen: Lyrics, Hompage... alles in Schwedisch. Kein einfacher Brocken. Und dennoch: Der in heutigen Zeiten gar nicht mehr so aufwendige Import-Umweg lohnt sich durchaus. Oberflächlich schon aufgrund der besonderen Verpackung des Albums. Viel mehr jedoch durch den musikalischen Inhalt. Denn Pascal rocken auf eine Weise, die ihresgleichen sucht. Da mischt sich New Wave mit Noise-Einflüssen, da stampfen Disco-Beats, der lo-fi Sound lässt die Boxen zerbersten und am Ende des Tages geht man doch als verschwitzte Indie-Gitarrenband nach Hause. Eine Referenz hängt dem Material nämlich unablässig an: Den rohen Charme von The Jesus & Mary Chain vermag nicht nur ich in den zwölf Kompositionen zu entdecken. Reinhören lohnt sich definitiv. Denn, zumindest jenseits Skandinaviens ist das hier ein sicherer Geheimtipp.

Dass auch Buenos Aires seinen Beitrag zu dieser Rubrik leistet, mag für Überraschung sorgen. Un Kuartito rocken aber schon längst nicht mehr nur die eigene Heimat. Was sich prächtig an den beiden Gastspielen auf "Cerca Del Mar" (Übersee/Alive) nachvollziehen lässt. Ragga-Majestro Buju Banton beispielsweise engagiert sich ebenso unter den 15 Tracks wie Pop-Kosmopolit Fermin Muguruza oder Che Sudaka, seinerseits aus dem Manu Chao Umfeld. Nicht schwer zu erraten, dass einem während des Genusses der Scheibe mächtig warm wird. Un Kuartito verbreiten herrlich südländisches Party-Flair, wobei ihr viertes Werk gleichermaßen ihr kurzweiligstes darstellt. Nicht zuletzt auch wegen der Coverversionen von Sublime und (obligatorisch) Bob Marley rühren die Fünf einen Stilcocktail an, der kaum jemanden still sitzen lassen wird. Somit sei „Cerca Del Mar“ all jenen ans Herz gelegt, welche die ersten Sonnenstrahlen nicht erwarten können. Und an ihrer Musik eine ausgezeichnete Rhythmusfraktion schätzen.

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