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MISC - Februar 2008 l #07

Post.Punk.Rock.Metal.Core

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Diesmal mit:

Bullet For My Valentine | Earth | Killwhitneydead | Moll Flanders | Mourning Caress | Protest The Hero | Reign Supreme | Time Again

Sie haben den Metalcore endgültig für die Kiddie- und Girlie-Fraktion salonfähig gemacht - Wofür Bullet For My Valentine auch regelmäßig von den "wahren" Vertretern dieser ominösen Szene etwas auf den Deckel bekommen. Dabei darf man keinesfalls ausblenden, dass "The Poison" angesichts seiner unbestreitbaren Hits rückblickend ein mehr als formidables Werk war. Was ich den Briten neuerdings zähneknirschend zugestehe… Insofern war ich auch ziemlich auf den Nachfolger gespannt. Welcher eine nachvollziehbare Entwicklung erkennen lässt: "Scream Aim Fire" (GUN/SonyBMG) tendiert wesentlich stärker in geregelte metallische Bahnen. Zwischen den nach wie vor vorhandenen derben Growls und (etwas zu selten eingesetzten) akzentuierten Breaks kristallisieren sich lupenreine Rocksongs heraus, die den unbestrittenen Vorbildern Metallica locker zu Ehre gereichen. In Kombination mit der famosen doppelläufigen Gitarrenarbeit von Padge sowie Sänger Matt Tuck entsteht zudem eine zusätzliche Referenz in Richtung Iron Maiden. Was meinetwegen, nicht zuletzt durch die neu gefundene Bombast-Affinität, wieder jede Menge Spott hinter sich herziehen darf: In Punkto Songwriting steht die Formation aus Wales nach wie vor verdammt weit vorne. Weshalb ich diesem, von Colin Richardson erwartungsgemäß perfekt inszenierten, Werk eine schüchterne Empfehlung ausspreche.

Jetzt ist es amtlich: Earth, seit jeher Innovatoren der Doom- und Postrock-Szene, haben die Bodenhaftung endgültig verlassen. Auf dem neuerlich rein instrumentalen Überwerk "The Bees Made Honey In The Lion's Skull" (Southern Lord/Soulfood) rückt kein Geringerer als Gitarren-Avantgardist Bill Frisell an die Seite der seit zwei Dekaden bestehenden Formation. Die sieben Tracks sind damit längst keine erschlagenden Song-Monolithen mehr, sondern atmosphärisch wie harmonisch fein austarierte Drone-Skizzen, welche des öfteren gar Americana-Stilistika erkennen lassen. Und nicht zuletzt durch den Einsatz einer Hammond-Orgel aufgeschlossenen Ohren schmeicheln. Dylan Carlson, kreativer Kopf hinter dieser beinahe mystischen Formation, hat mit seinem eigenwilligen Sound genau die richtigen Dimensionen erschaffen, um Earth weiter aufblühen zu lassen. Und im Kopf des Hörers, wie ein Soundtrack, immer neue Bilder zu kreieren. Dass sich in selbigen plötzlich immer mehr lichte Momente finden, tut der Faszination keinen Abbruch: Ein gewaltiges, aber schönes Album.

Wenn man als Rezensent dem Genre Metal in seinen derberen Ausprägungen nicht gänzlich abgeneigt ist, wird man ja desöfteren mit der einen oder anderen bemitleidenswerten Gewaltfantasie konfrontiert. Was Killwhitneydead jedoch mit ihrem Zweitwerk aus lyrischer Perspektive auf ihr Publikum loslassen, bringt mich schon ins Grübeln. Ihre Abrechnung mit enttäuschten Liebschaften fällt so krank aus, dass es mir die Freude an einem an sich musikalisch gutklassigen Werk verdirbt. Tatsächlich würde ich mich in dieser Hinsicht nicht als zart besaitet bezeichnen, doch "Nothing Less Nothing More" (Swell Creek Records/Soulfood) und insbesondere die aus Vocals und Samples gekoppelten Inhalte von Tracks wie "Skip The Break Up Get To The Make Up" oder "Time To Teach Her A Lesson Called 'Replacable'" dürften selbst tolerante Verständnisse von Rachefantasien oder Sexismus überfordern. Wobei: Das Stakkato-Gemetzel plus Thrash-Riffing und Industrial-Note mag phasenweise durchaus seinen Reiz haben; die relativ gesichtslosen, heißer geröchelten Vocals von Sänger Matt werden zudem von erwähnten Samples aufgelockert: Den monotonen Touch jedoch verlieren die 13 Tracks eigentlich nur, wenn die Lead-Gitarre einsetzt. Mag sein, dass das ganze seinen verstecken Witz hat… ich bin jedenfalls nicht dahinter gestiegen.

Ihr Sound mag retro as hell sein: "Out Of Fashion" (Crying Bob Records/Broken Silence) klingt die Musik dieser fünf Schweden dennoch keineswegs. Nicht umsonst bewegen sich Moll Flanders, benannt nach einer Romanfigur von Daniel Defoe, im Windschatten von den Hives. Durchaus gewollt offenbar, schließlich fällt der Name ihrer in den Vereinigten Staaten so unverschämt erfolgreichen Landsmänner alle Nase lang im Kontext dieses Debüts. Darüber hinaus huldigt man mit "Gimme Gimme Gimme" gar noch den Ramones und nimmt kurze Zeit später die Geschwindigkeit so weit zurück, dass sogar die eine oder andere Ballade entsteht; welche sich Folk-Zitaten bedient und gegen Ende die Frage aufwirft, woher eingangs zitierte Vergleiche eigentlich stammen? Na ja, an skandinavischen Referenzen – zum Beispiel Mando Diao oder Soundtrack Of Our Lives – herrscht trotzdem kein Mangel. Dabei halten die Songs auf lange Sicht nicht immer das, was das durchgestylte Artwork verspricht. Für kurze Freudenschauer jedoch genügen die elf Tracks allemal. Und über das enorme Livepotential derartiger Musik müssen ja nicht viele Worte verloren werden. Insofern…

Mit neuem Label im Rücken legen Mourning Caress aus Münster ihr Zweitwerk "Inner Exile" (Restrain Records) vor. Und die Herren brauchen sich in der einheimischen Death-Thrash-Rige nicht zu verstecken; auch wenn man nach der Arise Records/Andy Classen-Produzentenvergangenheit nun etwas kleinere Brötchen backt: Das Soundlodge Studio verpasste schließlich schon Dew-Scented einen vernünftigen Klang. Und auch diese elf etwas nüchtern produzierten Tracks werden (harmonieverliebte) Elchtod-Anhänger begeistern. Nicht zuletzt deswegen, weil sich hinter den fünf Personen gestandene Szenerecken verbergen. Der im Vergleich erhöhte Anteil an Melodien wird vor allem durch das Gitarristen-Duo Benedikt/Florian gewährleistet, während Sänger Gerrit Mohr den rockigen Kompositionen mit seinem heißeren Organ den letzten, dreckigen Schliff verleiht. Wirkliche Hits lassen sich zwar noch nicht ausmachen, die Weichen für den nächsten Karriereschritt aber sind gestellt. Anspieltipp ist das dramaturgisch perfekt inszenierte „Nothing Is Lost“.

Vielleicht liegt es daran, dass das Debüt von Protest The Hero völlig ungehört an mir vorbei ging - Aber "Fortress" (Vagrant Records/Pias) hat mir völlig überraschend den Vogel herausgehauen. Und tut dies immer wieder. Das Zweitwerk der blutjungen Kanadier empfiehlt selbige nämlich als einen stilistischen Zwitter aus dem avantgardistischen Wahnsinn von Meshuggah, ausschweifender Gestik a lá Dream Theater sowie der punkigen Attitüde At The Drive In's. Zu Recht dürfen nun zwei Vorbehalte laut werden: Als da wären die mangelnde Kreativität bzw. treudoofe Orientierung an Heroen verschiedener Genres. Und außerdem der berechtigte Zweifel daran, ob ein solcher Stilcocktail auch nur ansatzweise funktionieren kann. Tja: Du meine Güte, und wie das Konzept aufgeht. Im Komplex-Ohrwurm "Bloodmeat" ebenso wie in den folgenden neun Songs. Welche nicht nur instrumental beinahe unverschämt frickelig agieren, sondern zudem auch noch in perfektem Sound glänzen. Tatsächlich aber steckt die Krönung dieses Opus darin, dass sich Protest The Hero nicht in der perfektionistischen Detailverliebtheit ihres ambitionierten Konzeptes verlieren. So steckt jeder einzelne der zehn Tracks zwar voller spannender Irrungen und Wendungen, welche letzten Endes aber immer in einem zündenden Refrain gipfeln. Fazit: Famos, ohne Einschränkung.

Dass Sänger Jay Pepito (ex-Blacklisted) auf einem Bild im Artwork dieser EP in einem Pantera-T-Shirt ("Cowboys From Hell") gekleidet ist, dürfte nicht nur Zyniker auf den Plan rufen: Reign Supreme sind sich nämlich sehr genau bewusst, wer für die fünf Tracks ihres Deathwish-Debüts Vorbildfunktion übernommen hatte. Und wäre der Rest der fünfköpfigen Formation aus Phildadelphia jeweils in einem Crowbar-, Comeback Kid-, American Nightmare- sowie Terror-Shirt abgebildet - ich hätte mir die Rezension gänzlich sparen können. Von daher jedoch zumindest noch ein paar Eckdaten zu den gut zehn Minuten: "American Violence" (Deathwish Inc/Indigo) trägt einen durchaus programmatischen Titel... und findet seinen Weg zwischen Hardcore und Metal ziemlich elegant. Schon deswegen, weil trotz der erwähnten Einflüsse die musikalische Verortung mit tonnenschweren Breakdowns und fetten Chören eindeutig zugunsten der Core-Schule ausfällt. Ein netter Einstand, welcher durch die auf Anhieb kickenden Tracks die Vorfreude in Richtung eines Longplayers schürt.

Time Again, von viele Seiten kurz (und nicht ganz zu Unrecht) als Rancid-Rip Off abgehandelt, gehen mit diesem Album in die zweite Runde: "Darker Days" (Hellcat Records/SPV) bietet erwartungsgemäß kaum Überraschungen. Und wird gleichzeitig all jene Geschmäcker zufrieden stellen, welche "And Out Come The Wolves" noch heute für das definitive Rancid-Werk halten. An diesen Quasi-Klassiker reicht die Qualität der 14 Tracks zwar nicht heran, ihr Gespür für catchy Songs haben Time Again jedoch nicht verloren. Im Gegenteil: Es braucht kaum mehr als einen Durchlauf, bis man die ebenso simplen wie melodieverliebten Refrains der Hellcat-Punks mitgröhlen kann. Nette Genre-Unterhaltung wird damit allemal serviert. Wenngleich das Ganze insgesamt eine Spur zu unspektakulär klingt, um auch nur ansatzweise nachhaltig hängen zu bleiben. Was Lars Frederiksen selbstverständlich egal ist: Er lobt Time Again in den Punk-Himmel - und die Kalifornier danken es zum Beispiel damit, Rancid auf Platz 1 ihrer Myspace-Freundesliste zu setzen. Underground war mal was anderes...

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