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MISC - März 2008 l #12

sellfish.de Spezial: TripHop.Elektronika.Soul.HipHop.

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Diesmal mit:

Alpha | Goldfrapp | Leander | Why? | Autechre | Mike Patton & Derrick Scocchera | Martin Eyerer | Club Files Vol. 3 | Pete Rock | Kelis | Morlockk Dilemma | Zwieback

Als Teil der Bristol-Szene konnten Alpha trotz vereinzelten Airplay-Auskopplungen (bzw. Veröffentlichungen auf dem Massive Attack-Label "Melankolic") nie zu wirklich großen Erfolgen gelangen. Im Jahre eins nach dem Hoffnungsschimmer auf ein neues Portishead-Album macht man jedoch mit "The Sky Is Mine" (Cat'n'Roof/Groove Attack) erneut - und einmal mehr gelungen - auf sich aufmerksam. Das Werk des Duos erscheint hierzulande auf Anhieb in einer Deluxe Edition, welche mit Bonus-Tracks und Remixen das cineastische Soundspektrum der zwölf Tracks nochmals erweitert. Abseits der üblichen Referenzen ihrer Heimatstadt verarbeiten Produzent Corin Dingley, Sängerin Wendy Stubbs sowie Instrumentalist Peter Wild in ihre Zeitlupen-Tracks reichlich Score-Anleihen; wenngleich Stubbs mit ihrer Balsam-gleichen Stimme fortwährend für liebliche Songorientierung im Material sorgt. "The Sky Is Mine" schleicht sich honigsüß in die Gehörgänge, bleibt dort kleben - fängt jedoch genau im richtigen Augenblick an, die ganz großen Momente zu zelebrieren. Als Resultat entsteht ein zauberhaftes Album mit Wellness-Charakter.
Welches sich in der heimeligen Nähe des neuen Goldfrapp-Werkes trefflich wohl fühlen darf. Heimelig? Genau, denn der Weg von Alison sowie ihres Komparsen Will Gregory führt sie zurück zu den Anfängen: Fernab von Disco-Sounds stellt sich hier plötzlich ein längst verloren geglaubtes "Felt Mountain" Gefühl ein. "Seventh Tree" (Mute Records) klingt organisch, warm... beinahe analog. So macht es sich das Duo zwischen Singer-Songwriter-Schule, Pop-Vergangenheit und Elektronika gemütlich, lässt in vier Tracks Soundgenie Flood mitgestalten - und hat auch sonst wieder spürbar Lust auf Natur. Im engeren (man höre nur die Vogelgezwitscher-Samples im Opener "Clowns"), wie auch übertragenen Sinne (derart viele "echte" Instrumente hat man noch auf keinem Werk der beiden vernommen). Nun könnte der Rezensent in Erörterungen über Sinn und Unsinn einer derartigen Rückkehr zu den Wurzeln schwadronieren... oder sich einfach in die traumhaft schwelgerische Songkulisse fallen lassen. Vielleicht auch deswegen, weil ich zu den beiden Vorgängern nie wirklich einen Bezug herstellen konnte: Für mich kommt nur letztere Alternative in Frage.
Nach zwei britischen Formationen bleiben wir jetzt zumindest labeltechnisch dem vereinten Königreich treu: "Pass Fail" (Kennington Recordings) erscheint nämlich bei den Machern der stilsicheren Londoner Kennington Recordings. Was nur insofern überrascht, als Leander aus Berlin stammen. Doch ihr in höchstem Maße von Notwist inspirierter Sound verdient ohne Frage überregionale Beachtung: Schließlich gelingt den elf Songs mühelos die elegante Grätsche zwischen Lagerfeuer-inspirierten Akustik-Songs sowie Laptop-Frickelei. Wobei das Duo eine imposante Mischung aus sphärischer Unterkühltheit und herzerweichender Melancholie kreiert, welches in der Tradition von Soundbasterln a lá Console bis hin zu Singer-Songwritern wie José Gonzales steht. Ein eindrucksvolles, mit viel Liebe zum Detail versehenes Debüt, dass dringend Beachtung verdient.
Beinahe drei Jahre nach dem phänomenalen Vorgänger "Elephant Eyelash" mehr als sehnsüchtig erwartet: Der neue Longplayer von Anticon-Künstler Why?. Welcher durch eine Lizenzierung an Tomlab zwar verspätet bei uns eintraf, im Umkehrschluss jedoch hoffentlich das Bewusstsein für die außergewöhnlichen Qualitäten dieses besonderen Künstlers hierzulande noch schärfen sollte: Denn sowohl in Punkto Songwriting als auch Detailverliebtheit erweist sich "Alopecia" (Tomlab/Indigo) als das zugänglichste wie gelungenste Werk bisher. Der Opener "The Vowels Pt. 2" dürfte dazu passend wohl der wunderbarste Ohrwurm sein, welchen Yoni Wolf in seiner Karriere bislang bastelte. Was nicht zu erwarten war: Folk-Pop mit Wurzeln im experimentellen HipHop - Dass dieses Experiment funktioniert, war alles andere als gewiss. Und dennoch markiert "Alopecia" den neuerlichen Beweis, dass dieses Trio (welches sich hier um Musiker aus den Reihen von Fog ergänzt) das Unmögliche möglich macht. Wo andere aktuelle Anticon-Veröffentlichungen wie Telephone Jim Jesus oder Thee More Shallows Songstrukturen immer weiter hinter sich lassen, fokussieren sich Why? auf das zentrale: Wunderschöne Lieder; mit Melodien, Ecken und Kanten – kurz: Dem gewissen Etwas.

Autechre waren seit jeher, selbst für ihr (den Experimenten nie abgeneigtes) - Label, eine Herausforderung. Wie soll das Marketing zu einer Formation aussehen, welche sich offenbar die Dekonstruktion von Sounds zum System gemacht hat? "Quaristice" (Warp/Rough Trade) liefert erwartungsgemäß keinerlei Antwort auf diese Frage. Dafür jedoch 20 neue Klanggerüste, eklektische Trips in die Welt der beiden Gründungsmitglieder Sean Booth und Rob Brown. Welche abermals eine zentrale Sache korrekt gestalten: Ihre Produktionen verlieren sich immer nur knapp in den Sphären des Unhörbaren. Zwischen all den Bleeps und Klonks, Breaks, Synkopen und Lärmmomenten lassen sich innovative Samples ausmachen; Man trifft auf akustische Elemente, Ambientflächen, vermutet eine Harmonie, rätselt über Herkunft und Bearbeitung der unzähligen Geräusche. Es ist wahr: Autechre kreieren Material mit Langzeitwirkung. Wenngleich auf seltsame Weise. Doch „seltsam“, in seiner positivsten und intelligentesten Konnotation, passt geradezu exzellent auch auf das neuerliche Output dieser Elektronika-Pioniere.
Dringen wir weiter in die Welt der experimentellen Sounds vor, landet man schnell bei Mike Patton. Seit dem Ende von Faith No More machte sich der in längst unzählbar gewordenen Formationen (derzeit u.a. aktuell: Fantomas, Kaada/Patton, Peeping Tom) aktive Visionär beileibe nicht nur Freunde. Nicht ungerechtfertigt war und ist der Vorwurf, die Innovation wäre bei Patton längst zur Makulatur verkommen. Doch immer wieder stellt er dann doch unter Beweis, dass das "gewisse Etwas" noch in ihm steckt. Nun ist es wieder soweit. Diesmal in Form der Kollaboration Mike Patton & Derrick Scocchera: "A Perfect Place" (Ipecac/Soulfood) bringt den knapp halbstündigen Stoff des Filmemachers auf DVD mit dem zugehörigen Soundtrack in CD-Form zusammen. Ersterer wurde ein höchst unterhaltsamer schwarz-weiß Undergroundfilm: Skurril, klar. Jedoch mit einer erfreulich kurzweiligen, tragik-komischen Geschichte sowie einigen quasi-Bekanntheiten. Der Soundtrack dazu offeriert keinesfalls nur Ambient-Geräuschfläche, sondern einen Mike Patton auf Hochtouren: Weirde Songs, zwischen Mr. Bungle und Fantomas, rufen glorreiche Frühwerke in Erinnerung. Und versetzen den Meister derart in Ekstase, dass es sein Schaffen auf beinahe die doppelte Spielzeit des Filmes bringt. Schließlich: Am ehesten steht das Material wohl in Tradition von "Pranzo Oltranzista" (1997), Pattons Vertonung diverser Rezepte... Ziemlich famos.

"Kling Klong" betitelt sich das eigene Label von Martin Eyerer beinahe schüchtern: Auf den ersten Blick passend zu den perfekt arrangierten Minimal-Soundkonstruktionen, für welche sich der Protagonist selbst verantwortlich zeichnet. Von dumpfen Housebeats jedenfalls findet sich unter vorliegenden zehn Tracks kaum eine Spur. Das Material lockt mit angezogener Handbremse, baut vereinzelt kleine Fallstricke ein und dient letzten Endes doch nur... dem Tanzflur. Dass Eyerer dafür ein elegantes Händchen hat, bewies er in der Vergangenheit als Produzent und DJ. Für sein erstes Album "Word Of Mouth" (Great Stuff/Groove Attack) braucht es, abgesehen von ein paar akribisch zusammengetragenen Vocal-Samples, keinerlei Sprache: Die zehn Tracks gehen in die Beine, in den Bauch, in den Kopf. Aus seinen bisherigen Erfahrungen, Auftritten und Reisen filtert er ein lupenreines Clubalbum - Keines für Großraum-Diskotheken, nichts für die Experimentalszene. "Word Of Mouth" will unter das musikinteressierte Partyvolk. Dass es als Bonus-CD einen DJ Mix von Eyerers’ bisherigem Labelrepertoire oben drein gibt, rundet diese Vollbedienung gelungen ab.
Apropos Vollbedienung: Mit den "Club Files Vol. 3" (Ministry Of Sound/Edel) erledigt das Berliner Label seinen Bringedienst für elektronische Dance-Musik souverän. Dank zweier randvoller CDs und einer nicht minder effizienten DVD-Dreingabe schafft es das Package auf stolze 45 Tracks; davon genau zwei Drittel im Audio-, den Rest im Clip-Format. Wenngleich wir es hier nicht gerade mit der innovativsten Veröffentlichungen zu tun haben, sorgt diese Compilation für einen lohnenden Überblick im gegenwärtigen Club-Geschehen. Dank Features von Bob Sinclar & Steve Edwards, Ian Oliver feat. Shantel über The Orb, Samim hin zu den Disco Boys kommen auch jene auf ihre Kosten, welche dem reinrassigen Clubgeschehen skeptisch gegenüber stehen: Für eine Zusammenstellung dieses Genres bringen es die "Club Files Vol. 3" zumindest quantitativ auf ein lohnendes Level.

Da können die Produktionsaufträge noch so breitenwirksam werden: Für sein aktuelles Studioalbum kehrt Pete Rock zurück zu seinen Independent-Wurzeln. Ganze vier Jahre war "NY's Finest" (Nature Sounds/Groove Attack) in der Mache. Und es überrascht nicht, dass sich einmal mehr die créme de la créme des Genres um das Multitalent aus Mount Vernon reiht: Redman, Masta Killa, Raekwon aus dem Wu-Tang-Kontext finden sich neben aufstrebende Kollegen wie Little Brother. Gewohnt trocken und nicht selten auf das Wesentliche reduziert leben die 14 Tracks von Pete's Verständnis für die HipHop-Essenz: Der Mann entstammt der alten Schule, scheute sich jedoch nie vor Innovation (man denke nur an Ghostface’ "Fishscale")... Sofern sie songdienlich blieb. "NY's Finest" bringt nun die Hommage an Klassiker wie "Illmatic" mit einem nach vorne gerichteten Blick zusammen. Lediglich der Reggae-Standards von "Ready Fe War" hätte es meines Erachtens nicht bedurft. Davon abgesehen darf man bei dem, auch als DJ und MC erfolgreichen, Künstler gerne mit der guten alten "Wein-Metapher" arbeiten: Je älter, desto ...
Im direkten Vergleich etwas blass fällt "The Hits" (Virgin Music) von Kelis aus: Als schnöde Compilation diverser Singleauskopplungen sowie weiterer Highlights wird für hundertprozentige Fans sicher wenig Neues geboten. Vorausgesetzt, sie finden sich bereits im Besitz der Ol' Dirty Bastard-Kollaboration "Got Your Money", welche ja nicht auf den bislang vier regulären Longplayern der amerikanischen R'n'B Sängerin und Rapperin zu finden waren. Beim Durchhören wird man als semi-Verfolger ihrer zehnjährigen Karriere zumindest hellhörig, wie viele Hits sich im Repertoire der klassisch ausgebildeten Dame angesammelt haben. "Caught Out There", "Milkshake" oder "Trick Me" jedenfalls dürften Radio-Geschädigten noch als die angenehmeren Airplay-Momente in Erinnerung sein; gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit den Neptunes bzw. Andrew 3000. Und ein Großteil der zehn anderen Tracks kann mit diesem Niveau problemlos mithalten.

Unsere in dieser Woche etwas spärlich besetzte Deutsch-HipHop-Rubrik wird eröffnet von Morlockk Dilemma: Der Leipziger präsentiert auf seinem bereits dritten Werk "Omnipotenz In D-Moll" (Snuff Pro/Groove Attack) ein enormes Talent für abstraktes Storytelling, welches aufhorchen lässt. In völlig überzeichneten Stakkato-Raps und wahren Wortschwalls entwirft er stilisierte, beinahe Comic-artige Tracks, deren (meist in Eigenregie erstellte) Instrumentals im selben Zug phasenweise über die Harmonie-Qualitäten von Looptroop verfügen. Dabei kann der Protagonist darüber hinaus durch seine teils selbstironischen Lyrics punkten, welche in Kombination mit den gewöhnungsbedürftigen, seltsam keifenden Helium-Vocals (in early Eizy Eis-Manier) noch präsenter durchdringen. Allein angesichts des Textes von „Bootlegdeath“ hätte etwas mehr in der CD-Hülle sein dürfen als vorliegendes, arg liebloses Booklet: Dort gibt es neben nerviger Werbung nämlich rein gar nichts zu sehen. Davon abgesehen: Imposantes Album!
Quasi aus dem Nichts kommt Zwieback alias André Fuchs: Angereichert mit einer hookinfizierten Prise Soul richten sich die Inhalte von "Mach Was Du Nicht Lassen Kannst" (Sobeho/Groove Attack) auf die ernsten Dinge des Lebens; sicherlich auch bedingt durch die nicht einfache Biographie des Bad Honnefers. Leider wirkt Zwieback in Musik wie Texten unangenehm bieder: Weder Reimfluss, noch Texte oder die Instrumentals können wirklich überzeugen; da hilft es leider auch nicht viel, dass der „Onkel Zwieback“ als Person durchaus sympathisch herüber kommt…

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