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Thao Nguyen Interview

Die Wäsche fremder Menschen

 

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Thao

Ein besseres Label hätte Thao Nguyen gar nicht erwischen können. Ihr erstes ausproduziertes Album erscheint dieser Tage auf Kill Rock Star - dem amerikanischen Indie-Label. Elliott Smith war dort, die Decemberists, natürlich Bikini Kill und Sleater Kinney. Und jetzt eben Thao, eine 23-jährige Amerikanerin mit vietnamesischen Wurzeln, deren Musik irgendwo zwischen traditionellem Folk, Bluegrass und Pop hin und her poltert. Und dabei auf verzückende Weise naiv und mitreißend zugleich klingt. "We Brave Bee Stings And All" heißt das Album - gerade war Thao damit auch in Deutschland unterwegs. Also Hörer greifen, Nummer wählen - und irgendwo in Virginia landen...

Wo habe ich dich gerade erwischt?
Ich bin in Virginia, bei meiner Mutter, und entspanne ein wenig zwischen den Touren. Aber so richtig viel anzufangen weiß ich nicht mit mir. Mein Drummer und ich sind vor zwei Wochen aus Europa wiedergekommen. Wir sind von Venue zu Venue mit dem Zug gereist - was ganz schön anstrengend sein kann.

Das ist einigermaßen ungewöhnlich für Musiker...
...und es war wahrscheinlich auch nicht die beste Idee.

Das erste mal bin ich vor 1 1/2 Jahren auf deine Musik gestoßen. Jetzt hast du ein erstes ausproduziertes Album fertig - wird das ein besonderer Wendepunkt in deinem Leben sein, was glaubst du?
Oh ja, definitiv. Mittlerweile bin ich mit meinem Songwriting voll zufrieden und auch die Tatsache, eine komplette Band im Rücken zu haben, ist einfach großartig. Das Album ist das erste mit einem richtigen Label und einem Vertrieb. Und irgendwie fühlt es sich wie ein Debüt-Album an, obwohl es das ja nicht ist.

Deine Songs sind sehr persönlich und behandeln zum größten Teil schmerzvolle Augenblicke deines Lebens. War der Prozeß des Songwritings ebenfalls schmerzvoll?
Nicht so sehr das Schreiben, nein. Eher alles andere drumherum. Die Songs behandeln definitiv einschneidende Erlebnisse und sind wie Wegpunkte, die ich abschreite. Ich musste mich nach Ende der Aufnahmen auch von den Songs lösen und Abstand gewinnen - gerade weil ich sie ja immer wieder live spielen muss und will. Wenn ich heute auf der Bühne stehe, dann geht es weniger um die schmerzvollen Augenblicke, die ich in den Songs beschreibe, sonder viel mehr darum, eine gute Show zu spielen.

Der Song "Beat (Health, Life and Fire)" ist ungewöhnlich drastisch und offenherzig. Ganz im Gegensatz zu den anderen Stücke, die eher metaphorischer und uneindeutiger sind. War es dir wichtig, einen so klaren Song auf dem Album zu haben?
Ja. Der Text kommt aus einem sehr dunklen Teil meiner Seele. Und trotzdem ist der Song einer meiner liebsten auf dem Album.

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...quietschbunte Kulisse.

Wolltest du damit auch dein Leben zusammenfassen - in einem Song?
Meine Absicht war das sicher nicht. Aber ich wollte einen bestimmten Aspekt zwischenmenschlicher Probleme abhandeln, den ich ziemlich gut kenne. Und ich bin froh, dafür einigermaßen klare Worte gefunden zu haben.

Wie kommst du damit klar, dass einige Hörer die Texte anders auffassen werden, als du es beabsichtigt hast?
Das ist doch ganz normal. Menschen ziehen ihre ganze eigenen Schlüsse. Und ich bin froh darüber, genau das ist ja das schöne an Musik und Kunst. Ich finde es schon überaus großartig, dass sich andere Menschen meine Musik überhaupt nur anhören. Ich schreibe die Songs hauptsächlich für mich selbst - und dann muss man auch damit klarkommen, wie die Menschen das absorbieren und zurückgeben. Wenn ich damit nicht umgehen könnte, bräuchte ich die Songs ja gar nicht erst veröffentlichen.

Gehen wir mal ein wenig zurück: wie würdest du deine Kindheit beschreiben? Vor allem als Emigrant?
Oh, ich wurde in Virginia geboren! Ich bin also Amerikanerin. Und eine typische Vorstadt-Amerikanderin noch dazu. Wir waren etwas isoliert, weil meine Eltern als Vietnamesen sich nicht wirklich integrierten. Also gab es schon eine kulturelle Barriere, die ich aber ohne Probleme überwinden konnte, weil ich keine vietnamesischen Wurzeln hatte - außer der Tatsache, dass meine Eltern von dort kamen. Ich habe aber immer alles dafür getan, mich zu assimilieren. Eine ganze Weile hatte ich sogar verlernt, vietnamesisch zu sprechen.

Aber du hast es wieder gelernt?
Ja. Als Kind hat man ja erstaunliche Fähigkeiten was das Erlernen von Sprachen angeht. Meine Eltern fanden das im übrigen furchtbar - die eigene Tochter kann die Muttersprache nicht, schrecklich.

Warst du ein typisches Arbeiterklasse-Kind?

Ja, meine Mutter besaß einen kleinen Waschsalon. Ich bin quasi in der Wäsche anderer Menschen aufgewachsen.

Wann und warum hast du angefangen Musik zu machen?
Ungefähr im Alter von 12 Jahren. Da war mir furchtbar langweilig - und einsam war ich auch noch. Beste Voraussetzungen also, Musik zu machen. (lacht) Außerdem habe ich eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne. Und Musik war immer das einzige, dass mich auf lange Zeit faszinieren konnte.

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Steht etwas außerhalb: Thao Nguyen

Hattest du am Anfang musikalische "role models"? Oder hast du dir von Anfang an einen eigenen Stil zugelegt?
Meine Songs haben immer meine Einflüsse reflektiert, bis heute. Mich hat immer Pop und Rockmusik begeistert. Motown. Hip-Hop. Rythm' and Blues hat mich fasziniert. Später haben mich Singer/Songwriter in Beschlag genommen. Aus allem hat sich schließlich meine Art, Musik zu machen, zusammengesetzt.

Hattest du eine musikalische Initialzündung? Ein Album, dass dich geprägt hat?
Das ist mir jetzt ein wenig peinlich: es war "Fumbling Towards Ecstasy" von Sarah McLachlan.(lacht) Ich war 13 Jahre alt - und es hat mich absolut begeistert. Ich weiß nicht, wie das Album heute für mich klingt, weil ich es schon sehr lange nicht mehr gehört habe. Aber damals hat es mir sehr viel bedeutet. Damit hat mein Interesse an Songwriting angefangen. Später kam dann "Car Wheels on a Gravel Road" von Lucinda Williams dazu. Ein unglaubliches Album. Da habe ich angefangen, mehr über meine Songtexte nachzudenken - und sie so kurz und prägnant zu halten wie möglich.

Du hast Soziologie und Women's Studies am College studiert. Hat dich das als Songwriterin beeinflusst? Gerade was die Außenwirkung als Songwriterin angeht?
Ich habe nie versucht, das in meine Songs einzubauen. Mein Ziel ist es, nicht als weibliche Songwriterin wahrgenommen zu werden - sondern einfach nur als Künstler. Das Geschlecht sollte bei Kunst keine Rolle spielen. Außerdem habe ich keine politische, explizit emanzipatorische Agenda. Ich bewundere starke Frauen, die im Rampenlicht stehen und das tun. Meine Sache ist das aber nicht.

Wenn man deine Songs das erste mal flüchtig hört, scheinen sie ganz beschwingt. Die Texte allerdings sind ziemlich düster. Ist das bewusst gegenüber gestellt worden?
Das war eine bewusste Entscheidung. Denn ich mag beides: schwere Texte, leichte Musik. Außerdem will ich live eine gute Zeit haben und das den Zuhörern auch vermitteln. Die kommen ja nicht zu meinen Konzerten, um mich weinen zu sehen. Außerdem haben sehr viele Popstücke tragische und melancholische Texte. Die Menschen bemerken das nur viel zu selten.

Du hast also auch kein Problem damit, wenn jemand deine Songs beim Abwaschen hört...
Ganz und gar nicht. Solang sie meine Musik hören, ist das doch wunderbar.

Wie bist du eigentlich an Tucker Martine gelangt?
Mein Manager hat mich gefragt, wen ich gern als Produzenten hätte und ich dachte es sei ein Scherz, also antwortete ich: Tucker Martine. Ich liebe seine Arbeit, vor allem mit Laura Veirs, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass das wirklich klappen könnte. Ein paar Tage später rief mich dann mein Manager zurück und sagte: alles klar, er produziert das Album!

Wie würdest du seinen Einfluss auf das Album beschreiben?
Er hat ein unglaubliches Gehör. Und er kann dich in eine Richtung bewegen, an die du nichtmal gedacht hast. Und das in Momenten, in denen du eigentlich nur die Schnauze voll hast von Musik. Und das ist mir im Studio oft passiert.

Hast du ein Auge auf die amerikanische Songwriterszene?

Nein, nicht wirklich. Als wir in Paris waren, wurde ich tatsächlich gefragt, ob wir öfter mit Coco Rosie abhängen. Are you kiddin' me? They are way far to cool for us!

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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