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I'm Not There

von Todd Haynes

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Cate Blanchett als Jude Quinn (Foto: ©Tobis)

Am besten man nähert sich Dylan nicht durch Rechenspiele. Gut möglich, dass "I'm Not There" Regisseur Todd Haynes das Genick brechen könnte. Denn bis jetzt sieht es nicht danach aus, als könnte das mutige Bio-Pic die eigenen Kosten auch nur annähernd wieder einspielen. Gerademal acht Millionen Dollar hat der FIlm bisher weltweit eingespielt. Nichtmal die Hälfte seiner Produktionskosten. Und das bei einem Film mit Top-Stars wie Cate Blanchett, Heath Ledger und Richard Gere. Aber wie gesagt: am besten, man nähert sich Dylan erst gar nicht durch Rechenspiele. Schließlich waren Bob Dylans Songs und Alben auch nie Kassenschlager.

Nein, wie man sich Dylan nähert, wie man mit Dylan umgehen, wie man Dylan außer acht lassen sollte - davon erzählt Todd Haynes in seinem Meisterwerk "I'm Not There". Und er schert sich dabei wenig um Sehgewohnheiten und liebgewonnene Bio-Pic-Konventionen. Alles, was "Walk The Line" und "Ray" falsch gemacht haben, scheint "I'm Not There" spielerisch zu korrigieren, aufzufangen und umzudrehen. Davon zeugt schon die Idee: Sechs verschiedene Charaktere spielen Dylan in seinen unterschiedlichen Lebensphasen. Das ist nicht nur mutig, sondern auch waghalsig. Denn es steckt darin schon eine fundamentale Zweckentfremdung einer Biographie. Kein Mensch kann mehrere Menschen sein. Kein Mensch kann als Kind ein Afroamerikaner und als Erwachsener eine weiße Frau sein. Und aus einem weiteren Grund ist diese Idee schon fast zum Scheitern verurteilt, aus ganz filmtheoretischen Gründen: Sechs verschiedene Darsteller für ein und dieselbe Person gehen zu Lasten der Homogenität. Zum Glück hat sich Todd Haynes darum nicht geschert.

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Christian Bale als Jack Rollins (Foto: ©Tobis)

Denn Homogenität ist Haynes Sache ohnehin nicht. "I'm Not There" franst an einigen stellen aus und will gar nicht erst den Anspruch erheben, wie "Walk The Line" dem Wahrheitsgehalt der nachgezeichneten Figur chronologisch zu entsprechen. Stattdessen wirft der Regisseur bunte Collagen zusammen, experimentiert wie zu Zeiten der Nouvelle Vague mit Einstellungen und Kamerafahrten, entwirft Traumbilder, lässt Dylan wahlweise androgyn durch London stolpern und im nächsten Moment als entlaufener Elfjähriger nach der eigenen Stimme suchen. Todd Haynes ist 47 Jahre alt, aber sein größter und bester Film wirkt wie ein kindlicher Spaß. Wie die adoleszente Karikatur eines Künsterlebens.

Marcus Carl Franklin spielt den schwarzen, jungen Dylan, der auf Züge aufspringt, durch den mittleren Westen reist und dabei immer einen Gitarrenkoffer mit sich trägt, auf dem Woody Guthries berühmte Worte wie eine Drohung eingraviert sind: "This machine kills facists". Er trifft auf Landstreicher, auf Hobos, denen sich Dylan in seinen Songs immer so verbunden gefühlt hat und denen er auf seiner "Rolling Thunder"-Tour nachzuspüren versucht hat. Christian Bale spielt Jack Rollins, eine Version des politisch aufgeheizten Dylans Anfang der 60er Jahre, kurz bevor ihn die Bewegung auskotzt, die er selbst entscheidend mitbeeinflusst hat. Wer heute an Folk denkt, hat zuerst Dylan im Kopf, wie er da auf der Bühne steht, ganz allein, und vielleicht "Blowin' In The Wind" oder "Masters Of War" klampft. Dieses öffentliche Bild entspricht freilich nur zu einem Bruchteil der Wahrheit. Und man spürt an Christian Bale, wie es nagt, dieses Rollenverständnis. Wie er rotzbesoffen und ganz offensichtlich stoned auf einer Preisverleihung zum Entsetzen aller Upper-Class-Amerikaner sagt: "Lee Harvey Oswald, the man who shot president Kennedy - ya' know, i saw something of him in me".

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Heath Ledger als Robbie Clark (Foto: ©Tobis)

Dazwischen spielen Schauspieler wie Ben Wishaw, Heath Ledger und Richard Gere Fragmente der Dylan-Biographie. Eindringlich schildert Wishaw, der sich selbst Arthur Rimbaud nennt, die wichtigsten Regeln zum Versteckspielen auf. Letzte Regel: "Don't Create Anything! It will be misinterpret." Das alles aber ist nichts gegen Cate Blanchett's androgynen Dylan der Mitsechziger Jahre. Stoned und zugedröhnt wandelt sie durch das schwarz-weiße London aus Pennebakers "Don't Look Back"-Tourdoku. Und sie zeigt eindringlich, wie fremdartig der ganze Medienrummel für Dylan gewesen sein muss. So fremdartig, letztlich, dass er sich im Körper eines komplett anderen Menschen wiederfindet- in dem einer Frau. Jude Quinn ist die Dylan-Version, die Haynes am eindringlichsten gelungen ist. Vielleicht liegt das vor allem daran, dass es kaum eine Zeit gab, in der Dylan merkwürdiger, weltfremder, entrückter schien. Haynes hat das in einem Interview eindrücklich geschildert: "So war Dylan nur ein Jahr lang: Aussehen, Stimme, Haare, Gesten, diese Musik - das kam nie wieder. Dylan war Proto-Punk, der Anfang von Punkrock."

Punkrock ist auch "I'm Not There" - nur eben nicht die Finanzierung. Denn die muss die Hölle gewesen sein. Fast zehn Jahre hat es gedauert - von der Idee bis zur Premiere. Und die hat Haynes einige Augenringe beschert, wie er auf diepresse.com zugibt: "Wir brauchten einfach viel zu viel Geld. Es waren rund 17 Millionen Dollar, die durch die Produktion rausgeschleudert wurden - und von den Honoraren der Schauspieler rede ich gar nicht erst. Es war so, als würden wir Geld brauchen, um an Geld zu kommen, nur um dann daraus Geld zu machen." Dass Haynes ein großartiger Regisseur ist, musste nicht großartig unter Beweis gestellt werden. Seine Filme "Velvet Goldmine" über David Bowie und das Douglas Sirk Melodram "Far From Heaven" sprechen für sich. An die Travestie-Nummer mit sechs Dylan-Darstellern wagte sich allerdings kein Filmstudio. Zu heikel war die Idee, zu verschwurbelt und ideenreich das Drehbuch. Dem Bayrischen Fernsehen sagte er ganz unverblümt: "Ich habe an sämtliche Studiotüren geklopft und bekannte unabhängige Finanziers kontaktiert, ohne geringsten Erfolg. Die Filmindustrie rechnet nur noch buchhalterisch, guckt, was unter dem Strich rauskommt." Kommerziell floppen wird der Film, und es wird nicht an mangelnder Promotion liegen. Das wussten wohl auch die Studios und haben die Finger davon gelassen.

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Marcus Carl Franklin als Woody Guthrie (Foto: ©Tobis)

Dazwischen spielen Schauspieler wie Ben Wishaw, Heath Ledger und Richard Gere Fragmente der Dylan-Biographie. Eindringlich schildert Wishaw, der sich selbst Arthur Rimbaud nennt, die wichtigsten Regeln zum Versteckspielen auf. Letzte Regel: "Don't Create Anything! It will be misinterpret." Das alles aber ist nichts gegen Cate Blanchett's androgynen Dylan der Mitsechziger Jahre. Stoned und zugedröhnt wandelt sie durch das schwarz-weiße London aus Pennebakers "Don't Look Back"-Tourdoku. Und sie zeigt eindringlich, wie fremdartig der ganze Medienrummel für Dylan gewesen sein muss. So fremdartig, letztlich, dass er sich im Körper eines komplett anderen Menschen wiederfindet- in dem einer Frau. Jude Quinn ist die Dylan-Version, die Haynes am eindringlichsten gelungen ist. Vielleicht liegt das vor allem daran, dass es kaum eine Zeit gab, in der Dylan merkwürdiger, weltfremder, entrückter schien. Haynes hat das in einem Interview eindrücklich geschildert: "So war Dylan nur ein Jahr lang: Aussehen, Stimme, Haare, Gesten, diese Musik – das kam nie wieder. Dylan war Proto-Punk, der Anfang von Punkrock."

Punkrock ist auch "I'm Not There" - nur eben nicht die Finanzierung. Denn die muss die Hölle gewesen sein. Fast zehn Jahre hat es gedauert - von der Idee bis zur Premiere. Und die hat Haynes einige Augenringe beschert, wie er auf diepresse.com zugibt: "Wir brauchten einfach viel zu viel Geld. Es waren rund 17 Millionen Dollar, die durch die Produktion rausgeschleudert wurden - und von den Honoraren der Schauspieler rede ich gar nicht erst. Es war so, als würden wir Geld brauchen, um an Geld zu kommen, nur um dann daraus Geld zu machen." Dass Haynes ein großartiger Regisseur ist, musste nicht großartig unter Beweis gestellt werden. Seine Filme "Velvet Goldmine" über David Bowie und das Douglas Sirk Melodram "Far From Heaven" sprechen für sich. An die Travestie-Nummer mit sechs Dylan-Darstellern wagte sich allerdings kein Filmstudio. Zu heikel war die Idee, zu verschwurbelt und ideenreich das Drehbuch. Dem Bayrischen Fernsehen sagte er ganz unverblümt: "Ich habe an sämtliche Studiotüren geklopft und bekannte unabhängige Finanziers kontaktiert, ohne geringsten Erfolg. Die Filmindustrie rechnet nur noch buchhalterisch, guckt, was unter dem Strich rauskommt." Kommerziell floppen wird der Film, und es wird nicht an mangelnder Promotion liegen. Das wussten wohl auch die Studios und haben die Finger davon gelassen.

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Regisseur Todd Haynes (Foto: ©Tobis)

Und trotzdem ist der Film so durch und durch gelungen, lässt neben den vielen Bildern und Songs noch Platz für richtige Schauspielkunst. Etwa wenn sich Charlotte Gainsbourg und Heath Ledger lieben lernen und am Ende ihrer Ehe konstatieren müssen, dass nur der schmutzige Sex auf dem teuren Teppichboden die beiden noch verbindet. Gerade Heath Ledger ist es, der, als hätte er es gewusst, am Ende seines Lebens die schauspielerischen Glanzleistungen abliefert, die ihm viele bis dato nicht zugetraut hatten, weil sie alle nur den Sonnyboy in ihm sahen. Eine fast schon schreiende Parallele zu Dylan selbst, der Zeitlebens für die meisten nur "Blowin' in the wind" bleiben wird. In der "Morgenpost" sagte Regisseur Haynes etwas bemerkenswertes: "Ich hatte gerade Heath Ledger in "Brokeback Mountain" gesehen und war von ihm völlig überwältigt. Ich hatte gehört, dass er eine zweijährige Pause machen will wegen seiner Tochter, aber ich ließ es drauf ankommen und verabredete mich mit ihm. Er erzählte mir, dass er die Pause nutzen wolle, um selbst einen Film über den Folksänger Nick Drake zu drehen, der mit 26 an einer Überdosis Antidepressiva starb. Aber Heath verehrte Nick so sehr, dass es auf keinen Fall ein normales Biopic werden sollte. Es kam ihm falsch und grausam vor, Nick nachts depressiv in einer Bar zu zeigen, er sah ihn eher als Mädchen in einem Zug."

Und so ist auch "I'm Not There" letztlich das außergewöhnliche Bio-Pic geworden, dass man sich erhofft hatte. Bunte Filmzitate, "8 1/2" von Fellini etwa, oder Godards "Masculin/Feminin" - jede Sequenz atmet Kinogeschichte. Und Musikgeschichte. In seiner Gänze ist er ebenso narrativ wie expressionistisch - und ähnelt dabei einem Dylan Song. Man kann nur hoffen, dass "I'm Not There" ein kleiner Aufbruch ist, wieder mehr zu wagen im internationalen Kinogeschäft. Und wer weiß, vielleicht gefällt Dylan der Film ja sogar. "Es beschäftigt mich nicht den ganzen Tag,", hat Haynes der FAZ gesagt, "aber ich will unbedingt, dass er ihn sieht, und ich hoffe, dass er sich amüsiert und ihn genießt. Dass er vielleicht sagt: Er handelt nicht von mir, aber ich habe ihn gerne angeschaut."

 

Autor:

I'm Not There - Trailer





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