Wegweiser durch sellfish.de

independent online music  |  info@sellfish.de

The Long Blondes Interview

Planespotting

 

longblondes4.jpg

Kate Jackson, Frontfrau der Long Blondes

Schuld ist Erol Alkan. Auf seine Kappe geht der neue Long Blondes Sound, irgendwo festgebissen zwischen Buzzcocks und Blondie - mehr denn je. Erol Alkan ist Schuld, weil er ein so großes Vertrauen als Produzent und DJ in der englischen Indie-Szene genießt, dass kaum noch einer zu widersprechen wagt, wenn er erstmal loslegt und den Sound einer Band umdreht. Erol Alkan hat Erfahrung darin. Er war Mitbegründer der legendären Londoner Trash-Club Reihe, die von 1997 bis 2007 als der Ingebriff der urbanen Coolness galt. Wer da nicht alles war: Peaches, LCD Soundsystem, Yeah Yeah Yeahs, The Kills, Gonzales, Klaxons, The Rapture, Death From Above 1979, Electric Six - und die meisten von ihnen hat Alkan ein paar Monate mit Mash-Ups und Remixes in die Mangel genommen. berühmtestes Beispiel: Kylie Minogue's "Can't Get You out of My Head" trifft auf New Order's "Blue Monday". Diese bizarre aber passende Mischung wurde dann auch prompt bei den Brit-Awards 2002 live ausprobiert. In die Mangel genommen wurden nun also auch die Long Blondes. Herausgekommen ist ein Disco-Album mit Punk-Referenzchen und einer großen Portion Selbstbewußtsein. Das lässt Frontfrau Kate Jackson, Stilikone der britischen Indie-Jugend, auch gerne mal anklingen.

Seit ihr noch eine Sheffield-Band?
Kate Jackson: Oh ja, eigentlich schon. Schließlich hat dort alles angefangen. Da wurden die Long Blondes gegründet, da haben wir unsere ersten Gigs gespielt. Außerdem kommen unsere größten musikalischen Einflüsse daher: Pulp und Human League. Inzwischen würde ich die Long Blondes aber eher als internationale Band bezeichnen.

Ihr seit jetzt zwei Jahre fast nonstop unterwegs gewesen. Welche Eindrücke haben sich dir eingeprägt?
Das Reisen. Ich liebe es. Die Welt ist für mich kleiner geworden, irgendwie zusammengerückt. Wir haben in Amerika, in Japan, in Australien das erste mal gespielt - und allein die Tatsache, dass Menschen dort mit unserer Musik vertraut sind, hat mich tief beeindruckt. Und es ist gleichzeitig krank und beängstigend. Das Internet hat die Welt geschrumpft. Heute kannst du die selben Bands kennen wie alle anderen auch, das ist großartig. Außerdem hat mir das Touren ermöglicht Dinge zu sehen, die ich schon immer mal sehen wollte: Alcatraz, Golden Gate Bridge, Sydney. Wie bei "Amelie", wo sie sich Postkarten schicken lässt, auf denen der Gartenzwerg vor jeder Sehenswürdigkeit der Welt abgebildet ist. Der Gartenzwerg bin ich! (lacht)

Du bist also ein typischer Tourist?
Definitiv.

Denkst du viel nach über deine Zukunft, wenn du unterwegs bist?
Ja, wer tut das nicht? Aber gerade als Musiker, wenn man unterwegs ist, hat man sehr viel zeit für sich selbst. Endlose Kilometer im Flugzeug, im Bus, Backstage. Da lässt man sehr viel Revue passieren. Seit fünf Jahren gibt es nun schon die Long Blondes und es beruhigt mich zu sehen, was wir alles erreicht haben.

longblondes6.jpg

Kate Jackson's selbstgestaltetes Cover

Viele Musiker klammern sich an die Gegenwart, weil morgen alles schon vorbei sein könnte. Wie ist das bei dir?
Klar, die Angst gibt es auch bei mir. Deswegen hat sich wohl so eine kleine Marotte bei mir eingeschlichen. Ich photographiere leidenschaftlich gern Flughäfen. Ich bin wohl eine art "Planespotter". (lacht) Für mich sind Flughäfen das Sinnbild für Zeit: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft - alles kommt auf einem Flughafen zusammen.

Ihr habt auf eurer Website ein Video, in dem ihr Dylan's "Subterranean Homesick Blues" kräftig auf die Schippe nehmt. Traut sich anscheinend sonst keiner...
...(lacht) Genau deshalb haben wir es auch gemacht. In unserer aller ersten Presseinfo haben wir geschrieben, dass wir NICHT von den Beatles, Rolling Stones oder Dylan beeinflusst wurden, weil das immer jeder schreibt. Ich persönlich habe nichts gegen Dylan. Wir haben da eher Scherze auf unsere Kosten gemacht.

Dylans Zeilen klingen erstaunlich gut mit diesem Sheffield-Akzent!
Das ist ein Newcastle-Akzent! Emma hat die Zeilen gesprochen, ihr Akzent ist wirklich...sehr breit und gedehnt.

"Look out kid / there's something you did / god knows when / but you're doing it again" - das hätten die Long Blondes auch ohne weiteres schreiben können, oder?
Ohja. Aber ob du es glaubst oder nicht: Emma hat den Song noch nie zuvor gehört und sprach diesen Text auf so wundervolle Weise, dass wir das ganze einfach einbauen mussten. Jede Zeile klingt bei ihr so, als sei sie besonders überrascht.

Ihr habt dem NME gesagt, dass sich euer Songwriting fundamental geändert habe - was meint ihr damit genau?
Die Songs des ersten Albums waren komplett fertig, als wir ins Studio gingen. Alles war genau an seinem Platz, jeder einzelne Song sollte den gewissen Long Blondes Style haben, der sich an eine gewisse Epoche der Musikgeschichte anlehnt. Bei "Couples" war das anders. Die meisten Ideen wurden erst im Studio entwickelt, was zu einem großen Teil auch an unserem Produzenten Erol Alkan lag. Unser Vertrauen ihm gegenüber war sehr groß und wir ließen ihn viele Dinge ausprobieren. Viele Songs sind durch ihn völlig verändert worden. Das beste Beispiel ist "Too Clever By Half". Ein sehr kalter, minimalistischer Song. Der Song entstand durch einen stupiden Drumsound und meinen A Capella Gesang, erst am Ende türmten wir die ganzen Gitarren, Synthesizer und Drums aufeinander. So hatten wir definitiv noch nie einen Song geschrieben. Genauso wie wir noch nie eine Ballade geschrieben hatten.

Wieso habt ihr euch gerade für Erol Alkan entschieden?
Wir kennen ihn schon ewig und er war schon immer ein Fan unserer Band. "Weekend without makeup" und "Once and never again" wurden von ihm geremixed, kaum dass wir auf Rough Trade waren. Außerdem lieben wir seine DJ-Reihe in London, "Trash" hieß die. Wir wussten also, was wir an ihm haben und dass er uns nie Steine in den Weg legen. Die Atmosphäre im Studio war sehr angenehm und locker.

War es ausschlaggebend für euch, dass er ein sehr erfolgreicher DJ ist?
Ja, weil er es beherrscht, so viele musikalische Einflüsse zu bündeln. Er hat ja einen gewissen Indie-Backround, kennt sich aber auch hervorragend in der Techno- und Minimal-Szene aus. Er schafft es, beides zu verbinden.

longblondes5.jpg

Die Long Blondes lieben die 80er

Hat er euch elektronische Musik nähergebracht? Hast du dich vorher mit elektronischer Musik beschäftigt?
Nicht mal annähernd.

"Here comes the serious bit" und "I'm going to hell" sind noch typische Long Blondes Songs, der Rest hat sich dramatisch verändert. Habt ihr über den neuen Kurs der Long Blondes gestritten?
Interessant, dass du die beiden Songs nennst. Denn das waren die ersten, die wir für "Couples" geschrieben haben. Sie sind tatsächlich noch "traditionelle" Long Blondes Songs. Wir haben einen Song geschrieben, "Every man has your voice", der leider noch nicht fertig ist. Es ist ein Hip-Hop-Song. Das beweist eigentlich, dass die Long Blondes sich jederzeit in jede Richtung bewegen können. Unser erstes Album klang ja schließlich auch anders als unsere ersten Demos.

Das Album fängt gleich mit einer Standortbestimmung an: "Century". Jedes Jahr behauptet jemand, Pop sei tot, aber ihr scheint neuerdings vom Gegenteil überzeugt zu sein, oder?
Oh ja. Ich nehme das außerdem als Kompliment! (lacht) "Century" war einer der letzten Songs, die wir geschrieben haben. Er ist sehr komplex, anders als die meisten unserer frühen Songs. "Century" war nie als Opener gedacht, es sollte eher unser Magnus Opus sein, mit all den Melodien und Harmonien. Den sehr abstrakt gehaltenen Text habe ich erst geschrieben, als der Song Struktur angenommen hatte. Er sollte sich anpassen.

Kennst du den Song "Supreme" von Robbie Williams?

Nein...

Da heisst es: "When there's no love in town / the new century keeps bringin' me down". Daran musste ich denken.
Das ist ja richtig tiefgründig, hätte man Robbie Williams gar nicht zugetraut. Den Einfluss kann ich aber verneinen! (lacht)

Glaubst du der Song wäre in der goldenen Disco-Ära möglich gewesen?
Ja, ich denke schon. Vielleicht nicht textlich, dafür ist er zu dunkel. Mit solchen Texten hat man sich einfach nicht beschäftigt, es ging ums Tanzen, sonst nichts.

Ich konnte den Blondie-Vergleich nie nachvollziehen, bis ich auf "Couples" den Song "Guilt" das erste mal gehört habe...

Wirklich? Für mich klingt "Here comes the serious bit" Blondiesk. Aber stimmt, ich sehe auch eher weniger Ähnlichkeiten mit Blondie. Das einzige, das wir gemeinsam haben, sind die verschiedenen musikalischen Einflüsse und die Herangehensweise. Blondie haben immer viel ausprobiert und waren neugierig - da sind wir uns sehr ähnlich.

Ihr habt als Gegengewicht zur dem sehr offenen, melodischen Pop ein sehr intimes Thema gewählt: "Couples"...
Irgendwie war das als Roter Faden naheliegend. Damit haben wir uns ja schon auf unserem Debüt stark auseinandergesetzt. Beziehungen und Liebe - meistens vor allem die dunklen Seiten zwischenmenschlichen Kontakts.

Wieviel Wissen über zwischenmenschliche Probleme konntest du denn beisteuern?
(lacht) Viel zu viel. Und es wird mit jedem Tag...komplexer.

Sind die Long Blondes eine romantische Band?
Definitiv. Obwohl wir eher Realisten sind. Uns ist klar, dass das Leben voller Rückschläge steckt. Und trotzdem brauchen wir diesen romantischen Fluchtpunkt. Kunst ist ja meistens das Gegengewicht zur Realität. Deswegen sind wir auch so froh, ausgerechnet mit Musik so erfolgreich zu sein.

Und trotzdem haben die Long Blondes diesen ironischen Unterton...
...ich würde sogar sagen, dass wir eher zum Zynismus neigen.

Sehe ich die Long Blondes deswegen immer als "Ratgeber"-Band?
Kann schon sein. Wir sind in der Position, Ratschläge zu geben. Wir haben uns unseren Erfolg hart erarbeiten müssen.

Im Moment sind wieder viele Musikfilme im Kino zu sehen. Wer sollte am besten die Long Blondes verfilmen?
David Lynch! Und mich soll Sherilyn Fenn aus "Twin Peaks" spielen!

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


Zum Seitenanfang

ERROR!