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Los Campesinos! Interview

Feminin, camp und schrullig

 

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Gareth Los Campesinos! ist die Sorte Indie-Nerd, denen man ihren Outsider-Status noch abnimmt, ohne ihnen mit der Hand durch die Haare zu wuscheln. Alles an der walisischen Band ist so sonderbar und schrullig, nichts ist aufgesetzt und an jeder Ecke und Kante blitzt ein Funke Genialität auf, den eine Band in den Kinderschuhen braucht, um auf dem übersättigten Musikmarkt noch Aufmerksamkeit zu erregen. Wären die 7 Bandmitglieder nicht aus Cardiff und würden so verschrobene Popmusik machen, man hätte ihnen wohl jede Naivität und Lebensfreude spätestens kurz nach dem Uni-Abschluss ausgetrieben. So aber zappeln und schrammeln sich die Los Campesinos! durch ein grandioses, buntes Debüt-Album. "Hold On Now, Youngster..." erscheint in wenigen Wochen in Deutschland, gesprochen haben wir mit Gareth noch im letzten Jahr. Geändert dürfte sich an der Lebensfreude wenig haben - vielleicht sind jetzt bloß einen Funken abgeklärter.

Euch gibt es noch nicht besonders lang. Fühlt es sich schon normal an, über deine Musik zu reden?
Gareth: Über Musik generell rede ich gern. Das ist schließlich das einzige auf der Welt, wovon ich Ahnung habe. Über unsere eigene Band zu sprechen ist etwas surreal. Wir sind ja alles große Musikliebhaber, und plötzlich auf der anderen Seite zu stehen, das fühlt sich noch nicht "echt" genug an. Auf der Uni habe ich für ein Studenten-Magazin über Musik geschrieben und Bands interviewt. Im Moment ist also alles noch recht ungewohnt, irgendwie wie ein Kultur-Schock.

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War euch das von Anfang an klar, dass ihr Alben aufnehmen und Promotion machen würdet?
Nein. Als wir die Band gegründet haben, ging es darum überhaupt nicht. Wir wollten nur ein paar Songs spielen - und plötzlich sitze ich in Berlin und gebe Interviews. Mit Interesse an unserer Bands hatten wir gar nicht gerechnet. Aber das macht die ganze Sache noch viel spannender, weil Dinge passieren, an die wir noch nichtmal gedacht hatten. WIr können gar nicht verlieren, selbst wenn morgen alles vorbei wäre. Alles was wir mit der Band erreichen, ist ein Bonus.

Steigen die Erwartungen, je größer der Erfolg wird?
Eher nicht, was wohl daran liegt, dass wir fast ausschließlich Bands hören, die nie kommerziellen Erfolg hatten. Allein die Tatsache, dass wir durch Europa touren, ist mehr, als einige unserer Lieblingsbands erreicht haben.

Gab es eine Geburtsstunde der Band?
Wir haben zu siebt angefangen, Musik zu machen. Im März 2006 war das. Die richtige Geburtsstunde der Los Campesinos!, so wie sie heute existieren, ist wohl der August 2006, als wir Broken Social Scene supportet haben. Vorher hatten wir nie vor mehr als 60 Menschen gespielt. Und plötzlich wurden daraus 500. An diesem Abend war alles perfekt: die Besucher waren begeistert, Broken Social Scene klopften uns auf die Schultern und ein paar Labels waren auch noch mit dabei. An dem Abend wurde aus einem Hobby eine funktionierende Band.

Ihr habt als Studenten mit Musik angefangen. Seit ihr noch an der Uni?
Wir haben alle unseren Abschluss. Vor einem Jahr wollten uns einige Labels ermutigen, doch mit dem Studium aufzuhören und nur noch Musik zu machen. Aber das wollten wir nicht. Wir sind Pragmatiker und wir wussten: das Pop-Business ist sehr unbeständig. In ein oder zwei Jahren könnten wir schon längst wieder auf dem popkulturellen Schrottplatz landen und hätten dann nicht mal einen Abschluss. Das wollten wir uns nicht antun. Wichita hatten dafür vollstes Verständnis. Außerdem hat uns das letzte Jahr Uni als Band gefördert. Das Album wäre vor einem Jahr wahrscheinlich ein totaler Blödsinn geworden.

Waren die ersten Proben der Los Campesinos! eine Art konspiratives Treffen?
Ich kann mich kaum drann erinnern. Wir haben in Ollies Schlafzimmer geprobt. Selbst das Schlagzeug stand dort herum. Man konnte eigentlich kaum etwas hören, weil es keine Mikros gab. Aber ich denke wir waren damals schon recht ordentlich. Im Moment macht nämlich fast jeder Student in England Musik. Und dabei kommen dann Lad-Rock-Bands wie die Fratellis oder The View heraus, die totaler Müll sind. Allein die Tatsache, dass wir nicht so werden wollten wie die, hat uns angetrieben. Wir wollten etwas anderes machen, so wie die nordamerikanischen Bands.

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Haben die Los Campesinos! deswegen seit Anfang an eine Art Outsider-Charisma?
Ja, darüber haben Tom und ich uns neulich erst unterhalten, seit wir wegen des Albums ein Haufen Interviews machen. Wir sind wahrscheinlich auf der Landkarte britischer Musik Outsider, weil wir kein Lad-Klischee bedienen wollen oder auf Sex, Drugs and Rock'n'Roll scharf sind. Wir würden jetzt nie zu einem Major laufen, nur weil wir ein Album veröffentlicht haben. Das wäre total lächerlich. Außerdem sind wir aus Wales, das immer im Schatten Großbritanniens stand.

Ohne dass es jetzt allzu esoterisch klingen soll, aber gab es eine Verbindung untereinander? Ihr seit 7 Bandmitglieder, irgendetwas muss euch verbunden haben?
Das war wohl in erster Linie die Freundschaft, die wir lange vor der Bandgründung geführt haben. Außerdem war uns das Studentenklischee zuwider, dass die Jungs Rugby spielen, sich abends besaufen und mit dem slacky girl von nebenan ins Band steigen. Man glaubt ja gar nicht, wieviele Studenten diesem Klischee entsprechen. Außerdem haben wir die gleichen liberalen Ansichten.

Ist das auch der Grund dafür, warum ihr euch einen Bandnamen ausgesucht habt, der so unbritisch ist?
Unterbewusst bestimmt. Wir wollten die Hörer auch ein bischen fordern. In den letzten Woche habe ich oft von Journalisten gehört, dass unsere Songtitel so außergewöhnlich sind. Das freut mich, denn wir wollten - vom Bandnamen über die Musik bis zu den Lyrics - etwas anderes machen, die Menschen verwirren.

Habt ihr von Anfang an Strukturen geschaffen? Bei 7 Bandmitgliedern muss ja jemand das Alpha Tier sein...
Ja. Tom schreibt die Musik, ich schreibe die Texte. Das war schon deshalb sinnvoll, weil wir ja alle Studenten waren und selten alle zusammen Musik machen konnten.

War Cardiff ein gutes Pflaster, um eine Band zu gründen?
Absolut! Es ist auch noch eine wunderbare Stadt um zu studieren. Im Gegensatz zu London ist Cardiff sehr klein und sie Menschen sind ausgesprochen freundlich. In London bist du nur eine unter tausenden Bands. In Cardiff gab es eine Nische für uns. Viele Bands sind untereinander befreundet.

Legt ihr Wert darauf, Teil einer Szene zu sein?
Ja, absolut. Sich als Teil einer Szene zu begreifen, wird ja oft sehr negativ gesehen. Ich denke zum Beispiel an die New Rave Szene oder die Post-Libertines Szene, die im übrigen für einen Augenblick die britische Musik lahm gelegt und ein Stück weit ruiniert hat. All die tausenden Libertines-Copycats, die versuchen, so wie Pete Doherty zu sein und genau daran und genau deswegen scheitern. Szenen können immer ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Die Riot-Girl-Szene in den USA hat Ende der 80er wunderbare Bands hervorgebracht, die sich nicht alle gegenseitig hassen und zerfleischen.

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Was ist mit dem Begriff TweePop? Du scheinst den nicht besonders zu mögen, oder?
Viele TweePop-Bands liebe ich, deswegen habe ich schonmal grundsätzlich nichts dagegen. Die Pastels zum Beispiel. Das einzige Problem, dass ich mit dem Begriff habe, ist die Tatsache, dass wir gar keinen TweePop machen. Die Leute ordnen uns bloß deshalb so ein, weil im Moment nur Macho-Bands wie die Fratellis oder The View an der Spitze der Charts stehen. Im Vergleich zu denen sind wir regelrecht feminin, camp und schrullig. Im Gegensatz zum TweePop aber finde ich unsere Musik regelrecht rockig und noise. Eine einzige Unordnung. Die Menschen ordnen uns wohl hauptsächlich der TweePop-Szene zu, weil wir irgendwie "ordentlich", "nett" und "unbekümmert" aussehen.

Welchen Stellenwert hat das Internet beim Erfolg der Los Campesinos!?

Wir wissen alle in der Band, dass wir ohne das Internet nicht da wären, wo wir jetzt sind. Allein die Möglichkeit zu haben, Songs sofort und ohne Umschweife in die Öffentlichkeit zu entlassen, hat uns Türen geöffnet, die sonst verschlossen geblieben wären. Ich würde noch nichtmal unser Album verkaufen, wenn es nicht zumindest unsere Miete und die laufenden Kosten abdecken würde. Meinetwegen soll die Fans Songs kostenlos herunterladen können, solang sie zu unseren Shows kommen.

Die Welt des Internets scheint mir aber völlig unkontrollierbar zu sein. Ein Alptraum für jedes Label...
Aber das ist ja gerade das großartige - dass die Kontrolle den Bands und Fans überlassen wird. Aber ich sehe natürlich auch die negativen Aspekte: den Bands wird kaum noch Zeit gegeben, sich genügend zu entwickeln. Für uns war es am Ende in Ordnung, andere Bands kann es zerstören, bevor sie sich überhaupt richtig gegründet haben. Grundsätzlich aber sind MySpace und Blogs das beste, was dir als Band und als Fan passieren kann. Die Macht liegt da nicht mehr in den Händen der Plattenfirmen.

Gibt nicht doch ein Rock-Star-Klischee, das ihr gerne in Zukunft erfüllen wollt?
(lacht) Doch, ja, das gibt es. Wir haben kurz nach der Bandgründung viele Scherze darüber gemacht. Wir wollten das "All Tomorrow's Partys"-Festival in England spielen. Und jetzt spielen wir im Mai tatsächlich dort. Unser Manager rief uns an, sagte uns, dass wir da spielen werden - und hatte uns nichtmal gefragt. Wir dachten erst, das wäre ein dummer Scherz. Aber es stimmt. Wir haben dort vor der Bühne schon die besten Sommer unseres Lebens verbracht. Wir könnten uns direkt danach auflösen...(lacht)

Interview + Text: Robert Heldner
Fotos: Offizielle Pressefreigaben


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