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MISC - April 2008 l #18

sellfish.de spezial: Rock And Beyond.

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Diesmal mit:

30 Days Of Night | Crisis What Crisis | The Death Set | Newton Faulkner | La Papa Verde | Matthew Ryan | Supernichts | Tent

Im Falle der Charakterisierung von Soundtracks sollten Referenzen zu großen Momenten der Filmgeschichte behutsam gewählt werden. Nur selten schließlich gelingt es derartigen Vorhaben, Substanz über das übliche „Begleitmaterial“ hinaus zu liefern. Insofern kommen berechtigte Zweifel auf, wenn bei dieser Hollywood-Verfilmung eines Comics in Bezug auf die musikalische Umsetzung Vergleiche zu Lost In Translation oder Virgin Suicides gezogen werden. Immerhin: Für "30 Days Of Night" (Ipecac/Soulfood) fand sich mit Ipecac Records ein Label, welches nicht gerade auf einfache Musik abonniert ist und sich nach dem kürzlich gelungenen Einstand "A Perfect Place" zum zweiten Mal – und sehr bewusst - für eine derartige Veröffentlichung (wenn auch sehr spät) entscheidet. Produziert und komponiert wurden die 17 Tracks von Brian Reitzell, welcher sich neben seiner Tätigkeit für Redd Kross und Air auch für deren The Virgin Suicides-Entwurf mitverantwortlich zeichnete. Rein instrumental gehalten wird die bedrohliche Atmosphäre der Vampir-Geschichte gelungen eingefangen, wenngleich auf Songstrukturen komplett verzichtet wird. Stattdessen: Kuriose Geräusche, bedrohliche Stille oder aufbrausende Arrangements. Erwähnenswert überdies die gelungene Aufmachung des Digipaks, welche jedoch auch nicht über einen Fakt hinwegtäuschen kann: Wie der Film selbst überzeugt der Sountrack durch einige innovative Elemente, entpuppt sich letzten Endes doch nicht als eine Pflichtangelegenheit.

Lange hörte man nichts mehr vom Kölner Friendly Cow Records Label, welche uns in der Vergangenheit Platten von so sympathischen Künstlern wie The Fixtures oder Radiobaghdad bescheerten. Die Rückkehr folgt nun quasi über die hauseigene Band Crisis What Crisis. Zunächst via EP, jetzt dank "Bad Toast" (Friendly Cow Records/Flight 13) auch in Albumlänge. Ska, Metal und vor allem Punkrock bleiben dabei die Zutaten der 16 Songs; das ganze allerdings so herrlich kernig eingespielt, dass man spätestens mit "Taking Off" die Prämisse, derartige Soundfusionen hätten die Höhe der Zeit längst hinter sich, links liegen lässt. Überhaupt klingen die Tracks nicht nur frisch, sondern geradezu „roh“… nicht eben das, was man von einer – bei allem Respekt – Altherrenband erwartet. Klasse, auch wenn mich die metallischen Elemente nicht immer überzeugen. Und die "Sweet Dreams" Coverversion hätte man sich getrost ebenfalls schenken können: Das eigene Material klingt schließlich stark genug. Naja, vielleicht huldigt man damit auch nur einer alten Punk-Platten-Tradition... Gelungene Rückkehr!

Rumpelige Elektronik-Samples, Punkrock/Hardcore-Attitüde sowie minimalistische Rock-Muster: The Death Set klingen nach einer lo-fi Hinterhof-Variante von Atari Teenage Riot. Währenddessen "Worldwide" (Counter/Rough Trade) in 26 Minuten bzw. 18 Tracks reguläre Songmuster konsequent ausblendet. Wenn zu dieser Platte überhaupt etwas möglich ist, dann ekstatisches Tanzen. Und viel mehr dürfte die Formation aus Baltimore auch gar nicht im Sinn haben, denn so wirklich ernst nimmt sich Johnny Siera samt seiner ständig wechselnden Tourpartner selbst nicht. Wer mit dieser Attitüde kein Problem hat und die Plattensammlungs-Lücke zwischen Beastie Boys, Spank Rock und Quit Your Dayjob schließen möchte – bitteschön.

Ungewöhnlich genug, dass in diesen Tage ein an sich altbackenes Gitarren-Pop Album die (UK-)Charts erklimmt. Noch dazu, wenn sich die instrumentale Seite nicht an wehleidiges James Blunt-Geseiere anlehnt, sondern eher von Folk und Progrock inspiriert wirkt. Mit seinem elegant betitelten Werk "Hand Built By Robots" (SonyBMG) beweist Newton Faulkner, dass sich guter Geschmack sporadisch eben doch auch kommerziell durchsetzen kann. In einer knappen dreiviertel Stunde zupft sich der gerade einmal 21-jährige Brite auf seiner Gitarre durch ganze 16 Tracks, äußerst dezent untermalt von einer Band. Unbestrittenes Highlight: Die grandiose Massive Attack-Adaption von "Teardrop". Schade eigentlich, dass sich hinter dieser die Eigenkompositionen verstecken müssen. Denn wenngleich die instrumentalen Fähigkeiten und ein Gespühr für Melodien allgegenwärtig sind: Selbst die Single-Auskopplung "Dream Catch Me" löst nicht allzu viel mehr als anerkennendes Kopfnicken aus. Dabei verfügt Faulkner über eine wunderbar warme, an Eddie Vedder erinnernde Stimme. Und doch: Im gegenwärtigen Pop-Zirkus pirscht sich hier ein sympathisch ehrliches, ungekünsteltes Album zu einem echten „Grower“ heran…

La Papa Verde aus Köln sind eine Mestizo-Band. Und wem das - wie mir - nichts sagt, dem seien hier die Ergebnisse einer Kurzrecherche bei Wikipedia mitgeteilt. „Mestizo: In spanisch- und portugiesischsprachigen ehemaligen Kolonien eine Person mit europäischen und autochtonen Wurzeln, (…)davon ausgehend eine Musikform, die lateinamerikanische und europäische Elemente enthält.“ Und genau so klingt "Ich verstehen nicht kann" (Bayla Records/Galileo), das zweite Album der Band denn auch. Abgesehen von ein paar rockigen oder Ska-haltigen Passagen zwar gänzlich sellfish.de untypisch. Doch beispielsweise im Titeltrack wird der politische Anspruch der Band auf unterhaltsame Weise in einen herrlich tanzbaren Song verpackt. La Papa Verde mögen vor allen Dingen eine Live-Band sein - mit diesem gelungenen Longplayer werden sie Freunde südländischer Musik problemlos auf ihre Seite ziehen.

Der dem Album beiliegende Promosheet fügt eine unglaubliche Reihe Anhänger von Matthew Ryan ins Feld: Mark Knopfler und Nick Hornby seien dem Amerikaner bereits verfallen; Lucinda Williams und Badly Drawn Boy holten ihn als Live-Support an Bord. Woher diese Euphorie stammt, wird angesichts "Matthew Ryan vs. The Silver State" (One Little Indian) jedoch nur bedingt nachvollziehbar. Zwar gefällt der folk-inspirierte Singer-Songwriter-Sound auch auf Album Nummer elf (!), wirklich ergreifende Höhen allerdings werden nicht erklommen. Allein die Tatsache, dass die Stücke allesamt live eingespielt wurden, hinterlässt Spuren: Der Mann mit der charismatisch gehauchten Stimme drängt sich dichter an seine Hörer, als man es gewohnt ist. Matthew Ryan, offenbar ein weiterer chronisch trauriger Musiker aus Nashville, hebt sich damit vom glatten Sound vieler ähnlicher Produktionen positiv ab. Und kann auf diese Weise in Kombination mit dem gutklassigen Songmaterial eben doch Spuren hinterlassen.

Witzischer, deutscher Punkrock aus Köln bzw. dem Rheinland scheint prädestiniert dafür, die Klamauk-Geschmacksgrenze heftig zu attackieren. Nicht so im Falle der "Ü-30 Punks“ von Supernichts. Deren Erfahrung einer gut zehnjährigen Bandgeschichte sich im Falle "Fixpunkte & Bojen" (Impact/Broken Silence) wohl schlichtweg auszahlt. Ohne Klamauk geht es freilich dennoch nicht: Thematische Abhandlungen zu Gruppensex-Parties bei der Jungen Union oder Songtitel wie "Müde Durst Revolution" deuten vielleicht dennoch darauf hin, dass sich im Kosmos von Supernichts nicht nur Anhänger ihrer Labelpartner Dödelhaie samt Konsorten wohlfühlen dürften. Es mag Spekulation sein: Aber mit Texten voller Wahrheiten und hohem Identifikationsfaktor ("Viva El Paraguay") wird man vielleicht den einen oder anderen (weniger stylishen) Tomte-Fan auf seine Seite ziehen. Musikalisch wohl auch aus dem Grund, weil hier Punk eher am Rande stattfindet. "Fixpunkte & Bojen" liebäugelt mit Rock und Pop... das Info ordnet Supernichts gar "irgendwo zwischen Black Flag und Bläck Fööss" ein. Fazit: Nicht nur kurzweilig, sondern auch mit ein paar potenziellen Statements für den nächsten T-Shirt Druck ausgestattet - "Freizeit Freizeit Kill Kill".

Ein knappes Jahr ist das offizielle Debütalbum von Tent aus Marburg nun schon auf dem Markt. Warum wir es erst jetzt berücksichtigen? Vor allem, nachdem die EP bei sellfish.de seinerzeit schon auf euphorisches Echo stieß? Tja, manchmal brauchen wir eben etwas länger. Oder den Hinweis darauf, dass die Band mit "Excuso" (Records&Me/Pias) nun ein weiteres Mal auf Tour unterwegs ist. Also, Gelegenheit genutzt und prompt auf die überraschende Qualität dieser knappen halben Stunde hingewiesen: Die zwölf Tracks kommen einmal mehr im schicken Digipak und zeigen das Trio nochmal eleganter bei seiner Mission, eingängige doch niemals beliebige Indie-Hits auf’s Parkett zu legen, welche zu höchsten Weihen geboren scheinen. Denn wer unbedingt Vergleiche in Richtung Insel braucht: Der Track „Lucy“ kling auf angenehmste Weise nach den Arctic Monkeys, und auch sonst hapert es nicht an großen Referenzen (Pixies, Placebo, to name a few…). Tent bewegen sich charmant auf ihrem Weg durch die kontemporäre Gitarrenmusik mit hohem Tanzbarkeitsfaktor; und nach den bekannten Regeln/Rhythmen des Musik-Business sollte bald ein weiterer Longplayer anstehen. Ich freu’ mich!

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