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MISC - April 2008 l #21

sellfish.de spezial: HipHop.Jazz.Elektronika.

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Diesmal mit:

The Roots | Braille | Franky Kubrick | Mono & Nikitaman | 12bitphil | Madcon | Nôze | Camille | Cosmic Disco, Cosmic Rock

Weite Teile ihrer mittlerweile zwanzigjährigen (!) Karriere wurden The Roots, und nicht zu Unrecht, als Innovatoren des HipHop gefeiert. Ein Rausch der Euphorie von Kritiker und Fanseite, welcher erst mit dem letzten Werk "Game Theory" abzuflauen drohte. Ausgerechnet nach dem Wechseln zum renommierten Def Jam Label. Insofern kommt "Rising Down" (Def Jam / Universal Music) in mehrfacher Hinsicht besondere Bedeutung zu: Entgegen des Titels muss dem Abwärtstrend nämlich dringend entgegen gesteuert werden. Die fünfköpfige Crew um ?uestlove und Rapper Black Thought begegnet dem Druck auf elegante Art und Weise: Sie besinnt sich auf ihre eigenen, tja, Wurzeln. Und liefert damit ein gekonntes, politisch infiziertes Manifest des old school HipHop ab. Für welches sie sich durch langjährige Wegbegleiter und aufstrebende Talente supporten ließ. Talib Kweli, Common und Mos Def beispielsweise sind die alten Hasen; wobei in "Get Busy" ausgerechnet das erste Highlight des 10. The Roots Longplayers mit Dice Raw & Peedi Peedi von echten Geheimtipps gefeatured wird. Spannend bleibt die Angelegenheit glücklicherweise wieder von Anfang bis Ende. Keine Frage: Auf Bühne wird "Rising Down" mit seinem roughem Klangbild vielleicht sogar nochmal effizienter funktionieren. Doch der strickt reduzierte Sound sorgt nun endlich wieder auch im Album-Format für Begeisterungsstürme. Nicht zuletzt deswegen, weil die Jazz- und Rock-Anteile auf eine Art und Weise in den Bandkontext involviert werden, wie es seinerzeit bei Gang Starr oder dem frühen Nas der Fall war. Übrigens trotz eines Gastauftritts des Fall Out Boy-Frontmanns…
Kaum weniger genreübergreifendes Potential steckt in Braille. Der nach der Blindenschrift benannte Rapper aus Portland, Oregon, bastelt seine Tracks jedoch auch mit dem vierten Album noch für ein kleineres Publikum. Doch mit "The IV Edition" (Fat City Records/Groove Attack) allerdings wurde nun der Grundstein gelegt, breite Resonanz zu forcieren. Mit Produzenten, die unter anderem dank DJ Spinna, Ohmega Watts oder Shuko, zu den respektiertesten der Rap- und Elektronik-Landschaft gehören. Außerdem mit einem Label, welches bereits für social consciouss Rap/Soul-Interpreten wie Erykah Badu veröffentlichte. Und schließlich einem musikalisch breitenwirksamen Appeal, welches dem Euro-HipHop-Style von Looptroop nicht unähnlich klingt. Auch wenn noch immer nicht der ganz große Griff gelungen ist: Als Underground-Alternative zu den Roots eignet sich der Protagonist durchaus.

Es scheint der Weg der meisten HipHopper zu sein: Zu Beginn der Karriere erstmal direkt, intolerant und auf die Fresse. Spätestens mit dem Drittwerk dann plötzlich reflektiert, engagiert und gnadenlos sozialisiert. Siehe Samy Deluxe. Oder Sido. Nun eben auch Franky Kubrick. Der wetterte auf "Mein Moneyfest" noch gegen alles Mögliche. Mittlerweile ist der Stuttgarter aber Vater geworden. Und schlägt auf "Dramaking" (Optik Records/Groove Attack) plötzlich deutlich ruhigere, persönlichere Töne an. Was auf den 15 Tracks teilweise gut gelingt, nicht zu selten jedoch auch reichlich konturlos am Hörer vorüber rauscht. Zum Beispiel dann, wenn Deutschlands Plastik-Gefühlsmensch Nummer Eins – Xavier Naidoo – ans Mikrofon darf. Nichtsdestotrotz zeichnet Kubrick ein besonderer Sprachfluss aus, welcher auch in reglementierter Form noch zu überzeugen weiß. Natürlich darf textlich das Gangsta-Image nicht außen vor bleiben… Apropos: Mag Optik Records auch noch so sehr die letzte integere Bastion des Hauptschüler-HipHop (und das ist jetzt nicht böse gemein!) sein: Etwas mehr Mut in Themenwahl und Produktionen seiner Künstler würde schnell dafür sorgen, dass auf breitere Ebene von den respektablen Leistungen Notiz genommen wird.
Weniger kritisch gelingt die Herangehensweise an die deutsch-österreichische Konnektion Mono & Nikitaman. Das gemischtgeschlechtliche Duo macht es einem auf "Ausser Kontrolle" (Rootdown Music/Soulfood) aber auch denkbar leicht, Zugang zu finden. Vor allem, wenn draußen wie jetzt gerade die Sonne scheint. Dann nämlich fügen sich die Ragga-Vocals von Nikitaman am besten mit Mono’s poppiger Stimme zusammen. Und die schwer eingängigen Hoolines von „Kann Ja Mal Passieren“ oder dem Quasi-Rio-Reiser-Cover „Das Alles“ entfalten ihre volle Wirkung. Ein wenig mehr Tiefgang würde der Musik der beiden in der Rap-Szene verwurzelten Protagonisten zwar gut zu Gesicht stehen. Abgesehen davon aber können die 16 Tracks einiges. Und Querverbindungen in Richtung Texta passen angesichts einer so sympathisch-unpeinlichen Platte ebenfalls blendend ins Bild.
Mit 12bitphil wird uns diese Woche dann auch noch eine lohnende Produzentenplatte herein gereicht. Der Hamburger konnte sich dank seiner traditionellen, detailverliebten Herangehensweise in den letzten Monaten als einer der gefragtesten Nachwuchs-Beatbastler der Nation etablieren. Und schnürte zum Beispiel Patrick Mit Absicht, Morlockk Dilemma oder Pimpulsiv passende Tracks für ihre Raps. "12bitphil" (Flavamatic/RTD) dient nun als 17-Song-Überblick seines Schaffens. Und auch wenn ein Teil des Materials bereits auf den Studioalben der jeweiligen Interpreten veröffentlicht wurde – Dank der hohen Trefferquote der vertretenen Newcomer (z.B. Tarantado) lohnt sich das Werk auch als eine Art Compilation-Einblick in die (überwiegend einheimische) Rap-Landschaft.

Besser man lässt sich nicht dazu hinreißen, Madcon nach ihrem Chart-Erfolg "Beggin'" als reines Radiothema abzustempeln. Dann entgeht einem mit "So Dark The Con Of A Man" (SonyBMG) nämlich ein Album, welches zwischen Sixties-Soul Ästhetik und Clubsounds selbstbewusst in die Spuren von Outcast treten möchte. So verbirgt sich auch hinter den Norwegern ein Duo, welches mit Tashaw Baqwa (aka Kapricorn) und Yosef Wolde-Mariam (Critical) der HipHop-Szene entstammt. Und mit seinem zweiten Werk erfolgreich kontemporäre Elemente in seinen Sound verwebt; ohne - und hier liegt der besondere Kniff - seine Wurzeln gänzlich auszublenden. Nicht umsonst konnte man mit Timbuktu einen der integersten Rapper Skandinaviens für einen Gastbeitrag gewinnen. Zugegeben: Vieles hier wirkt etwas arg auf Single-Tauglichkeit und Hit-Faktor komprimiert. Etwas mehr Ecken und Kanten würden den 13 Tracks besser zu Gesicht stehen. Doch auch so bleibt ein gefälliges, kurzweiliges Album, welches diesen Sommer nicht nur aus tiefergelegten Opel Astras klingen wird...
Ausgerechnet das Get Physical Label wagt den Hüftschwung zwischen Santana-Pop, Folk-, Brazil- und Techno-Sounds: Nôze komprimieren einen Par-Force-Ritt der guten Laune auf neun Songs. Eingespielt von einer (gefühlten) unzähligen Reihe an Gästen (darunter auch Dani Siciliano), unter der verschroben-strengen Federführung zweier Pariser Produzenten, welche trotz ihrer albernen Brillen/Strohhüte auf dem Coverartwork ihr Handwerk fraglos beherrschen. Anders kann die erwähnte Gratwanderung, welche sich hier und da auch noch um Tom Waits Gebrummel ergänzt, ohnehin kaum funktionieren. "Songs On The Rocks" (Get Physical/RTD) dürfte damit so ziemlich das verrückteste und zeitgleich eleganteste sein, was in letzte Zeit aus Frankreich zu uns herüber schwappte. Wobei außer Frage steht, dass die beiden live einen noch extremeren Pulk der Ekstase entfachen werden…
Ebenfalls aus Paris, genauer aus dem kreativen Kontext von Nouvelle Vague, stammt mit Camille eine Sängerin, welche dank "Music Hole" (Virgin/EMI) eine wahre Großtat veröffentlicht: In Rezensionen aufgrund der famosen Vokalakrobatik oft auf ihre Extravaganza reduziert, steckt vorliegendes Album voller verwunschener Pop-Juwelen, welche immer wieder verschiedenste Folk-Wurzeln (von Chanson bis Latin) zu Tage fördern. Ihr unglaubliches Stimm-Spektrum fügt sich perfekt in diesen Rahmen, verleiht den elf Tracks wahlweise Drama, ekstatische Lebensfreude oder schieren Wahnsinn. Darunter gebastelt: Mundgemachte Geräusch-Loops, tranceartige Rhythmusarbeit oder perfekt akzenturierte Piano-Passagen. Camille füllt eine mir vorher nicht bewusste Lücke zwischen Björk, Tori Amos und Mike Patton – und etabliert sich damit zur wohl bemerkenswerten Persönlichkeit des noch jungen Pop-Jahres.

Der von Daniele Baldelli und Marco Dionigi zusammengestellte Sampler "Cosmic Disco, Cosmic Rock" (Eskimo Recordings) kompiliert eineinviertel Stunden rockigen Elektrosound, welcher durch Pop- und Funk-Wurzeln immer eingängig und tanzbar bleib. Das belgische Label Eskimo Recordings lizensierte dafür Tracks von The Romantics, Martha & The Muffins bis hin zum Dream Syndicate. Wobei die ständigen, penetrant gesampleten E-Gitarren sowie eine latente Eighties-Atmosphäre eben Geschmackssache bleiben. Und einfach nicht mein Ding sind.

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