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MISC - Mai 2008 l #22

sellfish.de spezial: Punk.Rock.Metal.Core.

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Diesmal mit:

Annihilation Time | Mönster | Oiro | Horse The Band | The Studs | My Dying Bride | Pharao | Suidakra

Eine in den letzten Jahren zu erkennende, sporadische Tendenz im Hardcore scheint sich langsam zu einem regelrechten Trend zu entwickeln: Die Retro-Welle rollt... Und die Label-Kooperation Reflections/Deathwish Records scheint dabei eine federführende Rolle zu übernehmen. Jüngst mit Bad Reaction oder Cloak/Dagger, nun mit Annihilation Time. Die Kalifornier siedeln sich stilistisch zwischen achtziger Jahre Crustpunk, Thrashmetal, einer gehörigen Prise Motörhead sowie erwähntem old school Hardcore an. Und filtern sich aus dieser Mischpoke im Jahr 2008 einige Perlen heraus. Auf der Basis musikalischer Helden von Black Flag bis hin zu DRI funktioniert "III, Tales Of The Ancient Age" (Reflections Records/Soulfood) zumindest für alle jene trefflich, die gnadenlos in der Vergangenheit hängen geblieben sind. Oder eben vom gegenwärtigen Trend in der Musikindustrie (noch bessere Produktion, noch mehr Hochglanz-Aufmachung etc.) genervt sind. Annihilation Time jedenfalls bieten die krasse Alternative: Eine polterige Produktion gepackt in ein Artwork, welches offenbar knapp zwanzig Jahre in einem versifften Proberaum zwischengelagert wurde. Schade eigentlich, dass das Ganze im Ergebnis leider dennoch ein wenig zu zähflüssig klingt, um wirklich zu überzeugen. Mit ein paar mehr Hooklines oder Mut zum Tempo würde „Tales Of The Ancient Age“ deutlichere Spuren hinterlassen…
Apropos: Motörhead. Die müssen sich auch in der Adaption von Mönster einer makabren Behandlung unterziehen. "Some Songs And A Film" (Canework Records/Flight 13) heißt die neue Veröffentlichung der Berliner Crustpunk-Rock´n´Roller. Und wo ich in der Vergangenheit (vielleicht etwas vorschnell) Vergleiche in Richtung der großartig-intensiven Wolfpack/Wolfbrigade gezogen habe, glänzt die Audio-CD - schlicht "Some Songs" betitelt - stattdessen mit dem augenzwinkerndem Track "Safari Queen". Insgesamt spart diese Zusammenstellung sonst nur auf Vinyl erschienener Tracks nicht mit derb-spaßiger Unterhaltung. Aber wie der Titel des Packages verrät, liegt ja auch noch eine DVD bei. In gut zwei Stunden gibt man dort einen (ebenfalls reichlich unterhaltsamen) Einblick in das Leben auf Tour, welche unter anderem mit No Denial stattfand. Die Reise führte durch Polen, Russland, Estland, Lettland und Litauen. Wobei der Zuschauer neben einem Kennenlernen der Crew auch einige interessante (sub-)kulturelle Aspekte mit auf den Weg bekommt. Dabei lebt das Material von einem grobkörnigen Videokamera-Stil; auch in Punkto Sound muss man bei den Livemitschnitten Einschränkungen hinnehmen. Dennoch scheint es gerade dadurch, als ob die Stimmung der Tour passend eingefangen wurde. Eine zweischneidige Sache bleibt „Some Songs And A Film“ für mich wohl also nur deswegen, weil der Audio-Teil nicht völlig zu überzeugen vermag. Als Einstieg sei deshalb eher die selbstbetitelte CD auf Sabotage Records empfohlen.
"Über mir kreischen Möwen, so weit weg vom Meer, ich frage mich was sie verloren hatten...". Der Auszug aus dem Track "Fundbüro" weist überdeutlich darauf hin: Zwar stammen Oiro wie unten erwähnte Suidakra aus Düsseldorf; stilistisch jedoch sind sie weitaus höher nördlich anzusiedeln. Insofern werden sie sich nach diversen geschätzten Single-Veröffentlichungen nun mit ihrem zweiten Album "Vergangenheitsschlauch" (Flight 13/Broken Silence) einmal mehr darauf vorbereiten müssen, in Interviews auf ihre Vorliebe für die hanseatisch-anarchischen Rachut-Outputs von Dackelblut bis Oma Hans angesprochen zu werden. Dabei machen die Herren mit dem in die irre leitenden Wortspiel im Titel (schließlich findet sich wieder keine Spur von Oi-Punk unter den 14 Tracks…) doch nichts anderes, als Deutschpunk der guten Sorte zu spielen. Vielleicht nicht ganz so intensiv wie die zweite Referenz bzw. Epigone namens Turbostaat; dafür mit deutlich mehr Ironie im Blut. Und dies gottlob, ohne an relevanten Inhalten zu sparen. Zwischen sägenden Gitarren und ständigen Mofa-Parallelen (was für ein Understatement!) entpuppt sich nämlich ein Album, dessen Qualitäten jenseits von den endlosen Vergleichen - leider auch in diesem Text! - wunderbar bestehen kann…

Das Problem an den sogenannten Nintendo-Core-Formationen ist, wie oft in solchen Fällen, schnell formuliert: Zum einen bringt es bereits das Konzept mit sich, dass die Bandbreite an stilistischer Innovation sehr eingeschränkt wird. Zum anderen haben Enter Shikari im letzten Jahr in diesem Genre wohl kommerziell schon alles gesagt und getan, was zu diesem Thema zu holen ist. Umso beachtlicher, als sich Horse The Band - trotz ihres dämlichen Titels - doch ein gewisses Maß an Relevanz sichern. Was nur zum Teil daraus resultiert, dass die Minimal-Elektronik-Elemente bislang eben noch nicht völlig ausgereizt und hier (wie in „Murder“) ziemlich pfiffig eingesetzt wurden. Vielmehr noch stecken in "A Natural Death" (Ferret/Soulfood) durchaus einige funktionierende Songideen. Welche im Zweifelsfall auch ohne das "Konsole-Gymmick" funktionieren würden. Was die Kalifornier zu einer der weniger Formationen des aktuellen (Mini-)Hypes macht, welchen ich gerne eine längerfristige Zukunft prophezeie.
J-Rock und kein Ende: The Studs haben mit Daisuke (u.a. Ex-Kagerou) ein Vorzeigeschild der Japan-Rock-Szene in ihren Reihen; und auch sonst werden Kenner der Materie hinter "And Hate" (Einustar Records/Gan-Shin/Universal) einige bekannte Namen wiederentdecken. Nicht zuletzt deswegen, weil es sich bei der Veröffentlichung um ein (durch Bonustracks zum Longplayer aufgestocktes) Re-Release der gleichnamigen EP vom letzten Jahr handelt. Trotz englischsprachiger Songtitel sind die 14 Tracks übrigens allesamt in Japanisch vorgetragen; wenngleich sich der Stil der Studs – in ihrer Heimat natürlich längst Megastars - durchaus westlich anhört: Ein treibender Indie-Rocksound, welchem eine etwas versiertere Produktion jedoch besser zu Gesicht stehen würde. Ich für meinen Teil werde auch mit „And Hate“ nicht wirklich Fuß in dieser Szene fassen…

Wo anders könnte man einer der abgrundtief traurigsten Bands aller Zeiten Tribut zollen, wenn nicht in einer Kirche? Und so passt es phänomenal, wenn My Dying Bride ihr eigenes Repertoire im Amsterdamer „Paradiso“ zelebrieren. Womit die 13 Live-Tracks von "An Ode To Woe" (Peaceville Records/SPV) in eben jener vom Gotteshaus zur Spielstätte umgebauten Lokalität aufgezeichnet wurde, welche vorab bereits The Gathering oder Nick Cave bespielten. Nach "The Voice Of The Wretched" legt die Szene-Koryphäe ihre erste Live-DVD/CD-Kombination in der langjährigen Bandgeschichte vor. Die Engländer um Sänger Aaron (welcher auf Bühne leider sporadischen Formtiefs unterliegt) haben unzählige Nachwuchsmusiker inspiriert und sind an dem seit Jahren grassierenden Gothicrock-Boom mit Sicherheit nicht unschuldig. Allerdings gelang es nur wenigen Nachahmern, die Tiefe und Intensität des zwar pathetischen, jedoch unkitschigen Originals zu erreichen (… besonders dann nicht, wenn man wie die Meisten statt Hingabe auf schwülstigen Keyboard-Bombast setzt). „An Ode To Woe“ bildet einen Streifzug durch die Bandgeschichte, inklusive Klassikern a la „The Cry Of Mankind". Klar lässt sich bei der elegischen Länge der Songs nicht jedes Highlight auf einem einzigen Album bzw. einer (hier eher schlicht gehaltenen) DVD berücksichtigen. Für gut eineinhalb Stunden voller schöner Erinnerungen ist aber allemal gesorgt. Fazit: My Dying Bride stehen nach wie vor als Fels in der Brandung der kurzlebigen Musikwelt. Das tut gut und muss honoriert werden: Angesichts des 21. Geburtstages ihres Labels Peaceville Records spendierte man dem Package dazu passend ein adäquates Artwork.
Mit dem dritten Album in zehn Jahren (!) erregen Pharao endlich auch die Aufmerksamkeit der Metal-skeptischen sellfish.de-Redaktion. Und können zumindest mich auf Anhieb auf ihre Seite ziehen. Nicht zuletzt durch die stimmlichen Parallelen zu einem Meister wie Warrel Dane (Nevermore) sichern sich die Amerikaner um Sänger Tim Aymar den Anschluss in die oberste Liga. Und verweilen dort angesichts ihres Status als Underground-Band in einsamen Höhen. Noch vielmehr aber sind es die spannungsgeladenen Kompositionen, welche zwischen Altmeistern wie Iron Maiden und erwähnten Nevermore eine Nische finden, in der Pharao ihre neun - höchst dynamischen - Stücke ansiedeln. So steht bereits nach einer guten handvoll Hördurchgängen fest, dass wir es hier mit Sicherheit mit einer der ansprechendsten traditionellen Metal-Scheiben der letzten Monate zu tun haben. Nicht zuletzt durch einige elegant progressive Kniffe überzeugt "Be Gone" (Cruz Del Sur/Alive) nämlich auch in seiner Langzeit-Wirkung. Die Gitarren-Gastbeiträge von Musikern der legendären Riot mögen ein kleines Indiz sein, welches Karrierepotential in dieser (gar nicht mehr so) jungen Band steckt... Manchmal wird einem erst angesichts einer so genannten „Best Of Compilation“ bewusst, wie unbegründet der Geheimtipp-Status mancher Formationen ist. Nun fristen Suidakra [http://www.myspace.com/suidakra] zwar sicherlich kein Nischendasein. Nach dem ersten Eindruck "13 Years Of Celtic Wartunes" (Wacken Records/SPV) [http://www.armageddonmusic.de/] - einem jüngst erschienenen CD/DVD-Doppel - sollte dennoch schnell klar sein, dass sich hier beileibe nicht nur die Deathmetal-Gemeinde wohl fühlen dürfte. Die Düsseldorfer nämlich mischen in ihren höchst kurzweiligen Sound jede Menge Folk-Elemente, atmosphärische Akustik-Passagen oder teilweise female Vocals. Vor allem aber glänzen die 17 Tracks der Audio-CD mit großen Melodiebögen, welche das wertige Package für ein breites Metal-Publikum attraktiv macht. Zumal die beiliegende DVD nicht nur mit dem üblichen Interview-Bonus glänzt, sondern dank acht Mitschnitten vom Wacken Festival wie auch einem kompletten Akustik-Gig sämtliche Facetten von Suidakra beleuchtet. Wenn dank dieser Veröffentlichung das verflixte 13. Jahr mal nicht zum Triumph gerät...

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