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MISC - Juni 2008 l #28

sellfish.de spezial: Elektro.Rock.HipHop.Reggae.Latin

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Diesmal mit:

Marc Almond & Michael Cashmore | Bedouin Soundclash | Filter | Cee-Rock | Drei Glorreiche Halunken | Jonesmann | Sepalot | Senor Coconut | Sabrina Malheiros | Atomix | Marc Romboy | Verve Remixed

Ohne Frage als eine der denkwürdigsten, eigentümlichsten und optisch aufwendig inszeniertesten Singles des Jahres darf schon jetzt "Gabriel And The Lunatic Lover" (Durtro Jnana/Cargo) bezeichnet werden. Die Kollaboration von Marc Almond & Michael Cashmore bringt es zwar (vorläufig) nur auf zwei Songs in zwölf Minuten. Das Ergebnis jedoch überzeugt in optischer wie musikalischer Hinsicht. Ersteres anhand der unveröffentlichter Almond-Bilder des russischen Künstlers Vania Soutavliov. Letzteres durch die kongeniale Vertonung zweier Gedichte des extravaganten Schreibers Count Stanislaus Eric Stenbock. Aufgrund der überraschend beherrschten Vocals des Soft Cell-Maniacs sowie den balladesken musikalischen Ergüssen von Current 93-Mitglied Cashmore entsteht zwar ein exzentrischer, jedoch überraschend homo-(sic!)-gener Einstieg in die Zusammenarbeit zweier echter Szeneoriginale.
Dem aufmerksamen Zuhörer dürften Bedouin Soundclash wohl irgendwo schon einmal positiv aufgefallen sein: Da war doch dieser eine Track in einer „Grey’s Anatomy“ Folge, dem die Sonne förmlich aus dem Arsch schien...: Reggae-lastiger Sound, easy swinging und Lebensfreude pur. Desweiteren fand der Opener des Vorgängerwerkes „Sounding A Mosaic“ seinen Weg in die erlesene Auswahl der Atticus-Compilations. So erstaunlich ist der ganze Zauber allerdings nicht, wenn man weiß, dass die drei Kanadier von zuhause aus schon gefeierte Helden sind. Dort erschien jenes Debüt bereits im Frühjahr 2004 und ist eingeschlagen wie eine Bombe: Das Trio wurde direkt für die komplette Vans Warped Tour gebucht - mehr geht wohl nicht. Die unglaublich mitreißende Mischung aus Reggae und Dub, charmant verkleidet in Rock- und Popstrukturen, sorgt aber auch jenseits des großen Teiches für Aufsehen. So hat zum Beispiel die BBC ordentlich einen auf dicke Hose gemacht und die Band für ein Interview sowie ein Exklusiv-Konzert direkt auf die Insel einfliegen lassen. Erfolg also auf der ganzen Linie. Jetzt steht das wirklich erfrischend-groovende Folgewerk pünktlich zum Traumsommer bei uns in den Läden. Es klingt sogar noch eine Spur relaxter und deutlich souveräner: Das Trio weiß längst, wo seine unbestreitbaren Stärken liegen. Insofern lautet das Kommando nur: Lichtschutzfaktor 50 auftragen und ab in die Sonne – Die 14 wunderbaren „Street Gospels“ (Sideone Dummy/Universal) sorgen für den Rest
Mal ganz ehrlich: Dass von Filter mehr bleibt, als ein an den Hit "Hey Man Nice Shot" gekoppeltes Relikt der Neunziger, war nicht unbedingt zu erwarten. Insofern darf man Richard Patrick durchaus Respekt zollen, dass er mit seiner Band im Jahr 2008 nochmal an den Start geht. Vor allem, wenn man von den aktuellen Bedingungen hört: "Anthems For The Damned" (Pulse Recordings/Soulfood) erscheint nämlich keineswegs via Majorlabel samt großem Tamtam. Stattdessen spielen die zwölf Tracks, zuzüglich ihrer Handvoll Bonus-Remixe, bestenfalls in der (labeltechnischen) Mittelklasse. Dem Songmaterial kann dieser Zustand jedoch nichts anhaben: Die Single "Soldiers Of Misfortune" eröffnet den Longplayer dort, wo eingangs erwähnter Hit endete. Und auch andernorts geht die Mischung aus Rock, Elektronik sowie jeder Menge massentauglicher Refrains prima auf. Klar: Das ganze "... ist ja soooo Neunziger". Aber, hey, die Zeit hatte doch auch ihr Gutes. Und Filter konnten ein paar solcher essentieller Elemente mit ins Hier und Jetzt retten. Dass sie dafür in Kauf nehmen, kleinere Brötchen zu backen, macht die Angelegenheit nur noch sympathischer.

Die Freude über die wiedererstarkten Looptroop tobt noch in vollem Gange, da begegnet mir Promoe nach dem famosen Hamburg-Konzert ein weiteres Mal. Und zwar mit einem Gastbeitrag auf der Platte von Cee-Rock "The Fury". Der New Yorker Rapper genießt hierzulande zwar noch uneingeschränkten Underground-Status, wenngleich auch er schon auf einigen renommierten Platten seine Feature-Spuren hinterließ. Dank "Bringin' Da Yowzah!!!" (Abstract Urban/Intergroove) sollten zumindest Anhänger der Boom-Bap -Ausprägung von HipHop aufmerksam werden. Schließlich macht dieses Debüt mächtig Stimmung, verfügt über abwechslungsreiche und knackige Produktionen - vor allem aber reißt der Flow von Cee-Rock auf Anhieb mit. Der Gute trägt dass Wörtchen "Rock" nicht umsonst im Titel: Ein Pflichttermin für Genrefreunde, wovon man sich schon vom „16 Bar Appetizer“ zu Beginn überzeugen kann!
Sushi, Junyq und Maras sind Drei Glorreiche Halunken. Allerdings geben sie sich gar nicht so unflätig. Was sich bestens daran zeigt, dass die Beteiligten derzeit mächtig Lob einfahren. Wenngleich nicht unbedingt aus ihrer Herkunftsszene, dem HipHop. Vielmehr hat sich die so genannte "seröse Medienlandschaft" offenbar dazu entschieden, "Urbane Märchen" (Trottoirpoesie/Universal) gut zu finden. Sind sie ja auch, die zwölf Tracks zwischen (Freestyle) Rap, Slam Poetry und Hörspiel. Das Trio internationaler Herkunft (u.a. Frankreich, Algerien) wählte mit dem Ruhrgebiet dazu passend einen echten Melting Pot als seinen Wohnsitz. Und verbreitet von dort aus seine Message: Mit futuristischen Beats aus der Ghostwriters' Schmiede, Pop, melancholischen bis abstrusen Texten... und leider ohne das entscheidende Quäntchen Brillanz, um wirklich aufzufallen. Mögen Freestyle- und Slam-Elemente der Halunken auf Bühne vielleicht zünden – auf dieser Platte wirkt die Musik beinahe etwas bieder. Und überschattet so die vorhandenen, guten Ansätze.
Der sellfish.de-Verriss von Jonesmann bzw. seinem ersten Longplayer auf breiterer medientechnischer Ebene, "S.J.", brachte durchaus einige wütende Kommentare in unserem Gästebuch nach sich. Angesichts unsäglicher Auskopplungen wie "Fick Dich" lässt sich das jedoch problemlos verschmerzen. Mit dem Nachfolger "Echte Musik" (Echte Musik/Intergroove) allerdings muss man dem Frankfurter zumindest insofern Respekt zollen, als er sich von seinem bisherigen Label-Wegbegleiter losgesagt bzw. sich diesbezüglich sogar selbständig gemacht hat. Leider hat sich an den musikalischen Begleitumständen parallel dazu kaum etwas geändert: Die gewöhnungsbedürftigen Deutsch-Soul-Singereien bleiben omnipräsent, was dem im Windschatten von Xavier Naidoo oszillierenden Protagonisten ja nur noch massentauglicher macht. Homie Olli Banjo steuert zudem gleich zwei Features bei, neben Azad und ein paar mehr prominenten Kollegen wird jedoch auch Platz für einige frische Stimmen gemacht. Doch, selbst wenn sich unter den 21 Tracks einige Ohrwürmer zwischen Pop-R'n'B und HipHop befinden: Der Schritt aus dem Mittelmaß lässt auf sich warten - da hilft auch das allgegenwärtige "true/real"-Gepose in Kombination mit demonstrativer Erfolglosigkeit nichts.
Ist ja ein Ding: Boten beim langjährigen Hauptbetätigungsfeld von Sebastian Weiss a.k.a. Sepalot immer ausgerechnet die Produktionen ein wenig Anlass zur Kritik, wächst der Münchner diesmal über sich selbst hinaus. Und bastelt abseits seiner Tätigkeit als Blumentopf-DJ für sein Solo-Debüt "Red Handed" (Compost Records) fett rockende Tracks zwischen HipHop und Elektro, welche richtig Akzente setzen können. Gleichzeitig allerdings sorgt die Gästeliste an den Vocals unglücklicherweise für sporadische Durchhänger. Gerade der omnipräsente Frank Nitty nämlich bewegt sich lyrisch zu oft nahe an der vielzitierten "Grütze" Weshalb die 17 Tracks eher von Miss Platnum oder alten Wegbegleitern wie Esther gepusht werden. Keine Sorge: Ein gelungenes, weil stilistisch selbstbewusstes Werk bleibt "Red Handed" dennoch. Nicht zuletzt aus dem Grund, weil Sepalot’s Talent im Mittelpunkt mehr überzeugen kann denn je: Besonders die reinen Instrumentals wie „Rearrange“ können einiges. Und sollten dem Protagonisten auf lange Sicht ein weiteres Betätigungsfeld jenseits des Hintergrund-Postens bei Blumentopf ermöglichen. Stark.

International begehrtes oder verschollenes Pop-Gut, verpackt in lateinamerikanische Songhülsen, kredenzt von Exil-Frankfurter Uwe Schmidt a.k.a. Senor Coconut And His Orchestra. Der nahm sich für "Around The World With Senor Coconut" (Essay Recordings/PIAS) Material von "Sweet Dreams" über "Da Da Da" (feat. Stephan Remmler) hin zu kruden Fake-Latino-Tracks zur Brust - und rekonstruierte jene im Rumba, Cha Cha Chá, Mambo oder Bolero-Format. Das ganze klingt ebenso schräg wie tanzbar; vor allem aber völlig sellfish.de untypisch. Und dennoch: Wer sich vorsichtig aus untypischer Perspektive an derartige Musik heranwagen möchte (bzw. am Ende gerade Erfahrungen mit den passenden Tanzschritten macht): Eleganter und witziger als mit Senor Coconut trifft die westliche Welt wohl selten auf solcherlei Kulturgut...
Sabrina Malheiros sieht nicht nur entzückend aus, mit "New Morning" (Far Our Recordings/Rough Trade) veröffentlicht die Brasilianerin in Kürze auch noch ein Zweitwerk, welches die Playlists von Beach Clubs, Cafés und (worst case…) Tanzschulen gleichermaßen im Schnelldurchlauf erobern sollte. Herrlich leicht schwingt sie sich durch einen uplifting Cocktail aus funky Bossa Breaks, Samba, Soul und House. Dabei klingen ihre Stücke authentischer als vieles, was derzeit in Form von diversen "Brazil"-Compilations den Markt überschwemmt. Auch deswegen, weil neben der stilistischen Breite die Fusion aus Instrumenten und Elektronik ausgezeichnet funktioniert. Schade eigentlich, dass "New Morning" aufgrund seiner verspäteten Veröffentlichung (anvisiert ist der 8. August) für das Prädikat "Soundtrack zum Sommer" etwas zu spät erscheint.

"Indie Bullets Hit The Dance Floor" - die Ansage im Untertitel der "Atomix" Compilation (Panatomic Music/Groove Attack) trifft den Nagel auf den Kopf: Insgesamt 16 Tracks (respektive: Hits) der zeitgenössischen Gitarren-Szene werde hier durch den Produzenten-Fleischwolf gedreht. Obwohl, soweit weg vom Original bewegen sich die Rekonstrukteure oftmals gar nicht. Heraus kommen schließlich meist gelungene Resultate - Marke "Best Of Both Worlds". Die eröffnenden Bloc Party beispielsweise liebäugeln ohnehin mit elektronischer Musik; weshalb"Hunting For Witches" im Fury666 Remix gleichermaßen überzeugt. Gleiches gilt für die Kompositionen von Simian, Justice oder The Futureheads. Franz Ferdinand‘s "Take Me Out" steht das Daft Punk-Treatment gleichermaßen exzellent. Und richtig tief ins digitale Paralleluniversum driftet schließlich allein Kasabian’s „Club Foot“ im Jagz Kooner Vocal Mix. Dafür dass die Angelegenheit insgesamt über entsprechend Stil verfügt, sorgt übrigens nicht zuletzt die Zusammenstellung von Volker Schadt – seines Zeichens Resident-DJ im Münchner Atmoic Café.
Warum immer jenseits der Konventionen wildern? Marc Romboy kombiniert Deep-House und Minimal-Techno auf "Contrast" (Systematic Recordings/Intergroove) zu einer veritablen Mischung. Welche sich trotz ihrer Wurzeln, die u.a. in Kraftwerk gefunden werden können, in gewohnten Bahnen zeitgenössischer elektronischer Musik bewegt: Das Zweitwerk des Düsseldorfers bleibt damit für Szenekenner definitiv interessant, die im Titel erwähnten "Kontraste" muss man allerdings mit der Lupe suchen. Und findet diese letzten Endes vor allem in der gelungenen, düsteren Grundatmosphäre - sowie den effektiv eingesetzten Vocalbeiträgen.
Schon dreimal hat das renommierte Verve-Label einige seiner Perlen zur Verfügung gestellt, um ihnen von angesagten Künstlern der House-, Elektro- bzw. Produzentenszene ein neues Klanggewand basteln zu lassen. Die Reaktionen (sogar innerhalb konservativer Jazz-Kreise) waren enorm positiv. Und so überrascht es nicht, dass nun eine vierte Runde eingeläutet wird. Genau wie die Vorgänger ist "Verve Remixed 4" (Verve/Universal Music) zwar auch in einer Unmixed-Version mit den Originalaufnahmen unter dem sinnigen Namen "Unmixed 4" zu bekommen. Wirklich interessant werden die Titel für Kenner aber eben in der Wiederbearbeitung. Bei welcher die Akteure im Hintergrund endlich auch etwas mutiger werden. So lässt man unter anderem 9th Wonder, Cinematic Orchestra oder Kenny Dope über die 12 Interpreten herfallen. Schön zu sehen, dass alle Interpreten die von Nina Simone über James Brown bis zu Ella Fitzgerald vertretene Musikhistorie mit Respekt behandeln; so dass die gesamte Scheibe in einem Fluss hörbar bleibt. Natürlich können nicht alle Remixe vorbehaltlos überzeugen, die wenig spektakuläre Nu-Jazz Gefilde bleiben diesmal jedoch glücklicherweise aus. Nichtsdestotrotz schon bemerkenswert, dass es keinen Totalausfall zu verzeichnen gibt. Im Gegenteil: Manche Variationen fügen den Standards sogar gekonnt neue Dimensionen hinzu.

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